Variationen einer Dreiecksbeziehung – Uwe Hergenröder inszeniert Goethes „Stella“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Jux und Dollerei. Anfangs jagen sie wild um einen Tisch herum, bis zur Atemlosigkeit. Das soll Goethes Drama „Stella“ werden? Nun, immerhin: Die Dreiecksgeschjchte entstammt ja der heftigen Sturm- und Drang-Phase des nachmaligen Dichterfürsten. Da darf man sich vielleicht schon mal austoben.

Zudem leuchten im Lauf des Abends noch mancherlei andere Gefühlswerte mit hinein. Auf einem mit Herbstlaub bedeckten Boden (oh, Vergänglichkeit!) hat Uwe Hergenröder das Stück im Dortmunder Schauspiel-Studio inszeniert. Er hat die Vorlage um und um gewendet, sie von einigen Seiten betrachtet und diverse Haltungen erprobt, die man gegenüber dem rund 200 Jahre alten Werk einnehmen kann. Mal nähert er sich dem hohen Ton und den großen Gefühlen, mal betont er Distanzen. Und schließlich erscheint alles wie ein märchenhaftes Narren- oder Kinderspiel. Abgetan ist’s in bloß 90 Minuten, doch man hat geschickt gekürzt, so dass der Text integer bleibt.

Das oszillierende Spektrum der Darstellung reicht von inniger Einlässlichkeit bis zum vorübergehenden Ausstieg aus den Rollen. „Ich kann das nicht spielen!“ ruft unvermittelt Birgit Unterweger, die die Stella bis dahin so heißen Herzens verkörpert hat. Und auf einmal streitet das Ensemble lauthals über den Sinn des ganzen Unterfangens. Denn schließlich: Zwischen Männern und Frauen habe sich doch seither so unendlich viel geändert.

Ein entblößter Rücken lockt im Stil der Sexwerbung

Schon das Programmfaltblatt markiert eine Entfernung: Rückenansicht der entblößten Frau Unterweger, dazu der lockende Schriftzug „Bin einsam“ und eine heiße Telefonnummer (och, nur die Theaterkasse!) – ganz nach Art der „Ruf mich an“-Sexwerbung. Dahin haben wir’s gebracht. Und doch treiben einen Goethes Geisterstimme noch um, denn das bürgerliche Konzept der „romantischen“ Liebe bestimmt insgeheim auch noch unser aller Sehnen.

Der fesche Herzensbrecher Fernando wird gespielt von einer Frau: Silvia Fink. Dieser Geschlechterwandel trägt keine sonderlichen Früchte, schadet aber auch nicht. Gelegentlich fällt dieser Fernando in Wiener Schmäh-Dialekt und wirkt dann gleich wie ein verantwortungsloser Stenz. Als er nun den beiden Damen wieder begegnet, die er verlassen und unglücklich gemacht hat, steigert er sich zuweilen feurig in (eingebildete?) alte Gefühlswallungen hinein. Doch es wirkt eher wie eine eitle Aufgipfelung des eigenen Ich, nicht wie wahres Liebesweh.

Er spielt alle Optionen durch: Die eine Frau haben, die andere, alle beide oder keine. Ein Stück der fortwährenden Indifferenz, der Unentschiedenheit. Auch Goethe selbst war ja schon unschlüssig. Erst schrieb er die Fassung mit einer für damals unerhörten Dreier-Lösung, beide Frauen versichern Fernando am Ende unisono: „Wir sind dein“. Dann verfiel er auf Anraten von Schiller aufs Trauerspiel mit Selbstmorden. Beide Varianten sind in der Dortmunder Inszenierung flackernd präsent.

Den stärksten Eindruck hinterlassen die beiden Frauengestalten. Die holde „Stella“ brennt und lodert vor Liebe, sie verliert sich in Tollheit und schwärmerischer Raserei. Die in Kummer ergraute Cäcilie (Harriet Kracht) scheint hingegen nur noch in den Ascheresten ihrer Gefühle zu stochern, doch auch darunter glimmt es noch. Wer in dieser Konkurrenz mehr liebt und leidet, lässt sich nicht sagen.

Termine: 3., 11., 26. Feb., 10., 23. März. Karten: 0231/50 27 222.

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ZUR PERSON

Vielseitiger Regisseur

  • Der Regisseur Uwe Hergenröder hat Literaur- und Musikwissenschaft sowie Kirchenmusik in Hamburg studiert.
  • Er war in den letzten Jahren vorwiegend am Kölner Schauspiel tätig, gehört aber auch zum Regieteam in Dortmund.
  • In Köln hat er u. a. Stücke von August Strindberg, Federico Garcia Lorca, Tankred Dorst, Bernard-Marie Koltès, Eugene lonesco und Sarah Kane in Szene gesetzt, in Dortmund inszenierte er u. a. „Amadeus“ und „Der arme Vetter“.
  • Auch im Opernfach hat Hergenröder Regie-Erfahrungen gesammelt, so bei seiner Inszenierung von Puccinis „Tosca“.
  • Am 20. Mai wird Hergenröders nächste Dortmunder Regiearbeit Premiere haben: „Salome“ von Oscar Wilde.

 

 




„Bloß nicht in Schönheit sterben“ – Interview mit Konzerthaus-Chef Benedikt Stampa über Programme und Perspektiven

Von Bernd Berke

Dortmund. Auch das Dortmunder Konzerthaus kommt nicht an der Fußball-WM vorbei. Direkt vor dem Auftakt des sportlichen Großereignisses wird die einschlägige brasilianische Tanzproduktion „Maracana“ in der Westfälischen Philharmonie gastieren. Doch nicht nur darüber sprach die WR mit Konzerthaus-Chef Benedikt Stampa (40).

Frage: Konzerthaus und Kicken – wie geht das zusammen?

Benedikt Stampa: Berechtigte Frage. Ich bin Fußballfan, und ich bin Kulturfan. Aber im Prinzip bin ich kein großer Freund der Verbindung zwischen Kultur und Fußball.

Warum nicht?

Stampa: Es passt oft nicht. Es funktioniert bestenfalls auf einer höheren Gedanken-Ebene. Die musikalischen Versuche schlagen meistens fehl. Auch gibt es kaum einen authentischen Fußball-Spielfilm. Die Schauspieler sind fast immer schlechte Fußballer und umgekehrt. Am besten geht es wohl gerade im Tanztheater-Bereich. Hier spielt Athletik ohnehin eine große Rolle. Und der Fußball hat ja seine spezielle Choreographie, die allerdings auch vom Zufall bestimmt wird.

Wie muss man sich „Maracana“ vorstellen?

Stampa: Die Hamburger Premiere sehe ich selbst erst am Donnerstag. Fest steht: 16 Tänzerinnen und Tänzer sind dabei. Die Musik ist eine Mischung aus Samba, HipHop und Funk. Der Rasen wird zu sehen sein – in Form einer grünen Wand. Es wird ein „Spiel“ geben, mit Fouls und Fallrückziehern. Als ich hörte, dass diese Produktion entsteht, dachte ich gleich: Die müssen wir nach Dortmund holen. Schließlich spielen die brasilianischen Fußballer ja auch hier. Das wird ein Highlight: Drei Tage vor der WM, wenn die Spannung auf dem Siedepunkt ist, geht es los. Die Tanztruppe gastiert vom 6. bis zum 8. Juni bei uns. Dann werden auch viele Journalisten aus aller Welt hier sein…

Wir freuen uns drauf. Mal was anderes: Wie sehen die aktuellen Auslastungszahlen im Konzerthaus aus?

Stampa: Nun, das Haus hat die Gründungsphase mit einigen – auch schmerzlichen – Erfahrungen hinter sich. Die Zahlen haben sich stabilisiert und beginnen allmählich zu steigen. Wir liegen jetzt alles in allem bei 63 Prozent Auslastung. Wir wissen, dass etwa50 Prozent der Besucher aus Dortmund selbst kommen – ein guter Wert. Aber wir strahlen auch weit in den Kreis Unna, ins Sauerland und Münsterland aus. Wichtig ist die gute Mischung aus Abonnements und freiem Verkauf.

Manche Musikfreunde beklagen, dass Sie zu wenig Kammermusik anbieten.

Stampa: Wir werden auf diesem Feld künftig mehr machen – im wirtschaftlich vernünftigen Rahmen. Kammermusik ist ja die Grundlage des sinfonischen Schaffens.

Trügt der Eindruck, oder haben Sie das Programm in letzter Zeit popularisiert?

Stampa: Wenn man ihn richtig versteht, kann ich am Begriff „populär“ nichts Nachteiliges finden. Wir haben einen Bildungsanspruch, aber wir wollen nicht „in Schönheit sterben“. Übrigens bietet ein Dirigent wie Christian Thielemann, der gerade zweimal mit den Münchner Philharmonikern bei uns gastiert und unter anderem Brahms gespielt hat, auch eine Art Mainstream. Aber eben auf höchstem Niveau. Und es gibt natürlich eine Untergrenze.

Wo liegt die denn? Wen würden Sie nicht einladen?

Stampa (lacht): Das werde ich Ihnen nicht konkret sagen. Aber schau’n Sie einfach mal, wer nicht bei uns auftritt…

Sie haben lange in Hamburg gearbeitet und sind jetzt seit Herbst 2005 in Dortmund tätig. Wie unterscheidet sich das westfälische Publikum vom hanseatischen?

Stampa: Das Publikum in Dortmund ist wesentlich neugieriger, es geht mehr mit. Das hat mir auch Christian Thielemann bestätigt. In Hamburg gibt es eine alte, ehrwürdige Musiktradition. Viele Leute haben dort schon vieles gehört und sind vielleicht ein wenig saturiert.

Ihre bislang schönsten Dortmunder Konzert-Erlebnisse?

Stampa: Es gab einige. Die erwähnten Thielemann-Auftritte gehören unbedingt dazu. Aber natürlich auch das Gastspiel von Anna Netrebko.

Wird sie irgendwann erneut nach Dortmund kommen?

Stampa: Ich habe ihr gesagt, dass alle Türen offen stehen. Eigentlich singt sie am liebsten in Konzerthäusern. Die Frage ist nur, ob sie künftig zu Auftritten in großen Stadien und Arenen gedrängt wird.

Konkurrieren Sie mit Dortmunds Oper ums Publikum?

Stampa: Wohl weniger. Die Last des kulturellen Lebens einer Stadt kann nicht nur auf einem einzigen Haus ruhen. Wenn es gut läuft, ziehen wir uns gegenseitig hoch.

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HINTERGRUND

„Fußballer sind die besten Tänzer der Welt“

  • Die brasialianische Tanzproduktion „Maracana“ ist benannt nach dem weltgrößten Fußballstadion in Rio de Janeiro (Fassungsvermögen heute etwa 120 000 Zuschauer).
  • Die Auftrags-Produktion, offizieller Beitrag zum FIFA WM-Kulturprogramm, hat just heute in Hamburg Weltpremiere und gastiert vom 6. bis 8. Juni im Dortmunder Konzerthaus. Einziger weiterer Spielort in NRW ist Köln (ab 9. Februar).
  • Die renommierte Choreographin Deborah Colker (43) aus Brasilien ist nicht nur ausgebildete Tänzerin, sondern auch Pianistin und überdies Diplom-Psychologin.
  • Ausgiebig studierte sie für ihr Tanzstück die Bewegungsabläufe im realen Fußball. Ihr Eindruck: „Fußballer sind die besten Tänzer der Welt.“

 

 

 




Versteckte Sünden quälen doppelt – Michael Hanekes Psychothriller „Caché“ mit Juliette Binoche und Daniel Auteuil

Von Bernd Berke

Georges und Anne Laurent haben es offenbar geschafft. Er moderiert einen Literatur-Talk im Fernsehen, sie arbeitet im angesehenen Buchverlag. Gebildete Leute also. Noch klüger aber wäre es wohl, sich in solch gut gepolsterter Bildungsbürgerlichkeit nicht ein für allemal sicher zu fühlen.

In Michael Hanekes Thriller „Caché“ (etwa: versteckt, verborgen) wird dieses Pariser Ehepaar gründlich irritiert. Anonymer Psycho-Terror aus heiterem Himmel: Nach und nach treffen etliche Video-Kassetten bei den Laurents ein; stets gehüllt in Blätter mit kindlichen Zeichnungen, auf denen Blut fließt.

Die Videos nähren Ängste: Irgend jemand weiß offenbar bestens Bescheid übers Leben der beiden mit ihrem halbwüchsigen Sohn. Sie scheinen rundum überwacht zu werden, wie von einem „Auge Gottes“. Sogar Georges‘ Kindheit scheint das „Phantom“ ausspioniert zu haben.

Folgt eine Erpressung? Nichts da! Die Bedrohung bleibt diffus. Immer nur weitere Kassetten – bis sich eine Spur ergibt. Anhand einer gefilmten Autofahrt lässt sich eine Adresse bestimmen: draußen vor Paris, im unwirtlichen Banlieue-Gürtel, wo ärmere Menschen wohnen. Klar, dass man hier nun die französischen Herbst-Unruhen von 2005 mitdenkt.

Unterschwellig schwelt die Aggression

In Hanekes Film schwelt die Aggression unterschwellig. Als der nervöse George mit einem schwarzen Radfahrer zusammenprallt, gibt es fast eine Schlägerei, weil der junge Einwanderer „Respekt“ vermisst. Vor allem aber: Hinter der Banlieue-Anschrift verbirgt sich ein Algerier, den Georges aus gemeinsamen Kindertagen kennt. Georges‘ Eltern hatten den kleinen Majid adoptieren wollen, weil dessen Vater und Mutter beim Pariser Antikolonial-Aufruhr 1961 in den Tod gehetzt wurden. Der damals sechsjährigeGeorges aber hat ihn aus kindlicher Eifersucht mit einer Lüge verpetzt, so dass Majid ins Waisenheim abgeschoben wurde. Damit begann sein Weg nach unten.

Jetzt steht Georges plötzlich in der verwahrlosten Wohnung Majids, bezichtigt ihn lauthals der Erpressung, droht mit Polizei. Kein Wort der Reue über „damals“. Majid jedenfalls streitet alles ab. Hat etwa sein Sohn die Videos geschickt? Beinahe egal. Hier geht es um mehr.

Kann ein Sechsjähriger schuldig werden?

Kann der sechs jährige Georges schuldig geworden sein? Falls ja: Ist sein Vergehen denn nicht längst verjährt? Oder wurzelt es tief in der Gesellschaft und wirkt über Generationen alptraumhaft weiter – wie alles Verdrängte oder gar wie eine Art Erbsünde? Solche Fragen stellen sich, doch Haneke drängt sie uns keineswegs auf.

Wir sehen, wie Ehe und Alltag der Laurents allmählich paralysiert werden. Auch zwischen Georges und Anne wächst das Misstrauen. „Caché“: Tatsächlich scheint hier jeder etwas zu verbergen. Immer öfter werden in diesem Film Lampen ausgeschaltet und Vorhänge zugezogen. Nur nichts verraten, am besten sich nicht einmal zeigen. Panik bricht aus, als Laurents Sohn eines Abends nicht nach Hause kommt. Es ist keine Entführung. Doch ein ungeheurer Schock steht noch bevor. Mehr wird hier nicht verraten …

Haneke erweist sich als einer der ganz Großen des Kino-Kontinents. Völlig verdient hat er für dieses Werk den Europäischen Filmpreis erhalten. Vergleichbar mit Hitchcock oder Chabrol, registriert er (zuweilen in quälender Echtzeit der Angst) kühl distanziert die wachsende Verstörung. Kaum überbietbare Besetzung: Daniel Auteuil und Juliette Binoche spielen Georges und Anne mit einer Intensität, die weit ins Innere der Schmerzen führt. Dieses Paar wird nie mehr ruhig leben können.

 

 

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ZUR PERSON

Laufbahn begann beimFernsehen   

  • Michael Haneke wurde am 23. März 1942 in München geboren und wuchs in Wien auf.
  • Ab 1967 war er Fernsehspieldramaturg beim damaligen Südwestfunk in Baden-Baden und drehte ab 1973 Fernsehfilme wie „Drei Wege zum See“ (nach Ingeborg Bachmann).
  • Sein erster Kinofilm hieß „Der Siebente Kontinent“ und lief 1989 in Cannes außer Konkurrenz.
  • Wichtige Kino-Werke: „Funny Games“ (1997), „Code unbekannt“ (2000, mit .Juliette Binoche), „Die Klavierspielerin“ (2001, nach Elfriede Jelinek, mit Isabelle Huppert) und „Wolfzeit“ (2003, ebenfalls mit Huppert).



Sexuelle Lehrjahre in der Provinz – John Updikes erotischer Bildungsroman „Landleben“ bereitet würzige Essenzen auf

Von Bernd Berke

Ach, das wird wohl ein beschauliches Buch sein. wenn es schon „Landleben“ heißt. Sanftes Dasein im Einklang mit der Natur, milde Lüftchen des Lebens. Doch wenn John Updike der Autor ist, sieht die Sache etwas anders aus.

Mit „Landleben“ (Originaltitel „Villages“) legt Updike einen mächtigen Gegenentwurf zur Erotik der Metropolen vor. Statt „Sex and the City“ und dergleichen gibt’s hier würzige Essenzen des geschlechtlichen Treibens in der amerikanischen Provinz.

Der in Kindheit und Jugend (1930er/40er Jahre) arg verklemmte Owen Mackenzie wächst etwas ärmlich aber behütet in einem Nest bei Philadelphia auf. Die bösen Großstädte liegen weit hinterm Horizont, noch ferner dröhnt der Zweite Weltkrieg. Auch Owens weitere Biographie wird von kleinen Orten bestimmt, in denen die Zumutungen der Zeit nur gedämpft ankommen. Dennoch schleicht sich existenzieller Grundschmerz in den Alltag.

Am Beginn des Romans ist der Mann bereits 70 Jahre alt und hält Rückschau. Gleich sechs von 14 Kapiteln tragen den Titel „Kleinstadt-Sex“. Einzelkind Owen entdeckt die saftigen Freuden des Lebens zögerlich, dann aber gründlich. Ausgiebig erfahren wir von seinen ersten Petting-Versuchen in Autos. Als Student in Boston (einzige Großstadt-Episode) himmelt er Phyllis an, die als mathematisch hochbegabte Professorentochter unnahbar über allem zu schweben scheint. Sie wird seine Frau, gibt ihre Karriere auf. Beide haben vier Kinder. Und Owen gründet Computerfirma, die nach der Lochkarten-Ära erste Programme austüftelt.

Seine Qualitäten sprechen sich bei den Frauen herum

In den überschaubaren Zirkeln der Kleinstadt (Gartenpartys, Kinderfeste usw.)sammelt sich allseits Ehefrust. Reihenweise drängen sich vernachlässigte Frauen an Owen heran. Typisch Provinz: Mit jeder Affäre sprechen sich seine Qualitäten hinter vorgehaltener Hand herum, was ihm wiederum neue Damen zuführt.

Er lässt nichts anbrennen, zumal er ein „Forschungsprojekt“ verfolgt: Warum lassen sich Frauen überhaupt mit Männern ein? Nun, jede gibt ihm – ganz sinnlich – ihre ureigene Antwort. Und er begreift: Man muss einander nicht einmal sonderlich mögen, um tollen Sex zu haben. Es triumphiert die Biologie, die einfache Wahrheit der Körper. Kurzum: Owen absolviert in diesem fulminanten erotischen Bildungsroman seine verspäteten Lehrjahre – erst recht, als die freimütigen 1960er sich auch in entlegenen Winkeln auswirken.

So kennt man ihn: Updike schildert sexuelle Praktiken bis zur Neige. Doch als weltweiser Romancier stellt er die kleinen Ausschweifungen in große Zusammenhänge. Der Fraß der Zeit wird spürbar, wenn die Software-Entwicklung über Owens Firma hinwegbraust, oder wenn riesige Malls die Drugstores verdrängen. Melancholie erfasst auch die erotischen Eskapaden – bis Owen mit seiner zweiten Frau Julia illusionslos das sanfte Nachglühen einstiger Begierden genießt.

Noch mehr könnte man schwelgen, wäre das Buch nicht streckenweise so staksig übersetzt. Die Sprachebenen werden mitunter geradezu lachhaft vermengt. Da widmen sich diverse Damen in klinischer Diktion der „Glans“ (Eichel) des Probanden Owen, um sogleich danach nur noch lechzend vom „Ficken“ zu stammeln…

John Updike: „Landleben“. Roman. Rowohlt-Verlag, 414 Seiten, 19,90 Euro.

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  • ZUR PERSON

Kindheit auf einer Farm

  • John Updike wurde am 18. März 1932 in Reading (Pennsylvania / USA) als einziger Sohn eines Lehrers geboren und wuchs auf einer abgelegenen Farm auf.
  • Sein erstes Buch veröffentlichte er 1958. Es war ein Gedichtband.
  • 1959 kam sein erster Roman („Das Fest am Abend“) heraus.
  • Besonders bekannte Werke: „Hasenherz“ (1960), „Bessere Verhältnisse“(1981), „Rabbit in Ruhe“ (1990) und „Such mein Angesicht“ (2002).