Skandalgeschrei in der Theaterwelt – Attacke des Schauspielers Lawinky auf den Kritiker Stadelmaier

Von Bernd Berke

Das Skandalgeschrei hallt seit Tagen durch die Lande: Der Schauspieler Thomas Lawinky (vorher außerhalb Frankfurts kaum bekannt) hat sich – wie berichtet – zur körperlichen Attacke auf den Kritiker Gerhard Stadelmaier hinreißen lassen.

Nun werden, beispielsweise vom Berliner Ex-Kultursenator Christoph Stölzl, Forderungen laut, das Theater müsse nach diesem Vorfall generell über sein Selbstverständnis nachdenken. Nanu? Wird diese Angelegenheit nicht allzu hoch gehängt? Oder dreht es sich hier ums Ganze der Kunst- bzw. Pressefreiheit?

Stadelmaier und „seine“ Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) sehen den Journalismus gleichsam in seinen Grundfesten erschüttert, weil der Kritiker von einem Schauspieler beschimpft und hart bedrängt worden ist. Es geht ihnen offenbar ums Prinzip.

Welche Provokation ist demnächst dran?

Ist tatsächlich die Pressefreiheit bedroht, wenn einem Rezensenten der Notizblock entrissen (und höhnisch wieder ausgehändigt) wird? Genau genommen, ist Stadelmaier an der Ausübung seines Berufs gehindert worden. Doch er hat seine verständliehe Empörung mittlerweile auch über die Maßen „ausgeschlachtet“.

Die Entlassung des Schauspielers Lawinky – nach FAZ-Intervention bei CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth – hat einen Beigeschmack, so berechtigt sie in der Sache sein mag. Ganz so, als sei hier eine Hierarchie von Macht und Einfluss ausgespielt worden. Theatermacher, u. a. Jürgen Flimm (Chef der RuhrTriennale), forderten gestern in Offenen Briefen eine Rücknahme der Kündigung.

Aktionstheater mit Einbeziehung der Zuschauer ist ein alter Hut, der gelegentlich wieder hervorgezaubert wird. Gelegentlich war einem selbst schon mulmig zumute, wenn wildes theatralisches Geschehen bedrohlich nahe zu Leibe gerückt ist. Wie würde man wohl auf eine Grenzüberschreitung reagieren?

Provokationen mit Unmengen von Blut, Urin und Sperma auf der Bühne haben sich längst erschöpft. Stadelmaier sieht derlei brachiales Regietheater, das kaum noch auf Stücktexte, sondern auf unmittelbare Lebens- und Ekel-Gefühle aus sei, als strukturelle Ursache der Lawinky-Attacke. Sie wäre demnach nur ein weiterer Tabubruch. Was kommt als nächstes?

Die Zumutungen der Kritik und des Theaters

Es zeugt aber wohl von konservativer Theater-Auffassung, wenn jemand meint, alles solle sich immer hübsch folgenlos oben auf der Bühne abspielen – ohne jeden direkten Berührungspunkt zum Zuschauer. Auch eine Generationenfrage: Jüngere Theaterfans können sich mit unvorhergesehenen Handlungen gewiss leichter abfinden als das ältere Abo-Publikum und in Ehren gereifte Kritiker.

Manche Theaterleute begleichen jetzt offene Rechnungen mit Stadelmaier, der als „Großkritiker“ schlechthin gilund mit Verrissen nîcht zimperlich ist. Auch und gerade das Frankfurter Schauspiel hat er nicht geschont: Claus Peymann, der ewige „Provo“, bot Lawinky allen Ernstes einen festen Job bei beim „Berliner Ensemble“ an und ermunterte ihn zu weiteren spontanen Übergriffen. Für eine schräge Schlagzeile tut dieser Intendant manches.

Stadelmaier, so Peymann, sei ein „Theaterkaputtschreiber“. Hallo, Herr Peymann! Erstens gibt’s in diesem Lande etliche Theaterkaputt-Inszenierer. Und zweitens könnten sich jetzt frustrierte Darsteller fürs Berliner Ensemble empfehlen wollen, indem sie Kritikern etwa Ohrfeigen verpassen. Na, danke! Es scheint, als könnten einige Theatermacher mit Kritik gar nicht mehr souverän und gelassen umgehen. Und manche Kritiker nicht mehr mit den oft heftigen Zumutungen des Theaters.

 

 

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ZUR PERSON

Ein Kritiker, den viele fürchten

  • Gerhard Stadelmaier gilt als anspruchsvoller, strenger (und brillanter) Kritiker. Besonders gefürchtet sind seine manchmal verächtlichen Kurz-Verrisse.
  • Seit 1989 zeichnet der gebürtige Stuttgarter bei der FAZ für den Theater-Bereich.
  • Seit 2003 ist er auch Professor für Theaterkritik in Frankfurt.
  • Kontrahent Thomas Lawinky hat seit gestern einen neuen Vertrag beim Berliner Gorki-Theater unter Armin Petras.



Essenzen von Liebe und Abschied – Charles Aznavour in der Essener Philharmonie

Von Bernd Berke

Essen. War es ein Abschied für immer? Man mag es kaum glauben.

Der große französische Chansonnier Charles Aznavour hat am Montag Abend in der ausverkauften Essener Philharmonie eine kurze Deutschland-Toumee triumphal beendet. Angeblich soll es sein letzter Bühnenauftritt in unseren Breiten gewesen sein. Doch schon mehrmals hat er auf ähnliche Weise Adieu gesagt. Warten wir’s ab.

Schwarzer Anzug, schwarzes Hemd. So existenzialistisch erwartet man es von ihm. Dann seine unvergleichliche Stimme, scharf umrissen und doch zartfühlend. Ganz wie früher. Der Mann soll 81 Jahre alt sein? Auch seine Bewegungen lassen beim zweistündigen Konzert keinerlei Müdigkeit erkennen. Er kann es sich leisten, mit vermeintlicher Vergesslichkeit („Wie hieß noch mal diese Zeile?“) zu kokettieren.

In seinen Chansons (rund 1000 hat er inzwischen verfasst) sind Essenzen von Liebesüberschwang, schmerzlichen Abschieden und vergänglicher Jugend auf höchst kultivierte Weise aufgehoben. Untröstliche Momente und die Feier einer wunderbaren Lebensfülle sind hier keine Widersprüche. Vor allem aber: Die Liebe kann niemals lächerlich sein …

Man traut ihm durchaus zu, dass er selbst noch erotisch entflammt. Wenn er auftritt, fühlt man jedenfalls ein aufregend charmantes Paris, seine Boulevards und Bistros immer mit. Klischees also, doch in Vollendung stilisiert.

Natürlich singt er auch einige seiner größten Erfolge: „Les comédiens“, „Sa jeunesse“, „II faut savoir“, „Tu te laisse aller“ (Du lässt dich geh’n), „She“ und „La bohème“. Er hat keine Scheu vor Pathos, vor den ganz großen Gefühlen, beinahe schon im Kitsch-Bezirk. Auch solche Grenzgänge kann sich einer wie Aznavour erlauben. Bei wem sonst erstrahlt selbst die Melancholie so herrlich und würdevoll?

Mit äußerst sparsamen, doch ungemein wirkungsvollen Gesten lenkt Aznavour den rauschenden Beifall des Publikums – und die Band, die zwischen Jazz, Swing, Chanson und gehobenem Schlager so manche Nuancen beherrscht. Zum musikalischen Begleitpersonal zählt auch seine Tochter Katia, mit der er im Duett „Je voyage“ vorträgt. Die junge Frau kann auf jene entzückend französische Weise naiv klingen – wie einst France Gall oder die frühe Françoise Hardy. Hach!