Dortmunder „U“: Der Turm, die Stadt und die Kunst – Gespräch mit Kurt Wettengl, dem Direktor des Ostwall-Museums

Dortmund. Die Museumslandschaft Dortmunds steht vor einem folgenschweren Umbruch. Das traditionsreiche Ostwall-Museum soll etwa 2009 oder 2010 in den ehemaligen Brauereiturm „Dortmunder U“ umziehen. Ein Architektenwettbewerb zum Umbau läuft. Bereits im Mai soll eine Jury die besten Entwürfe auswählen, dann muss der Stadtrat über das Großprojekt entscheiden. Ein Gespräch mit Ostwall-Direktor Dr. Kurt Wettengl.

Frage: Sie waren jahrelang in Frankfurt am Main tätig. Damit verglichen ist doch die Dortmunder Museumsszene etwas dürftig, oder?

Kurt Wettengl: Die beiden Städte sind halt sehr unterschiedlich. Es gibt in Frankfurt etwa zehn städtische Museen, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die sich aber auch gegenseitig Konkurrenz machen. In Dortmund liegen die Dinge klarer: Hier gibt es das historische Museum an der Hansastraße, das naturkundliche Museum und eben das Ostwall-Museum für Kunst, dazu ein paar kleinere Spezialmuseen. Damit sind die wesentlichen Bereiche abgedeckt.

Warum brauchen wir trotzdem das „Dortmunder U“?

Wettengl: Dort hätten wir viel mehr Platz für die Ostwall-Sammlung. Ungefähr 5200 Quadratmeter statt etwa 1600 am jetzigen Standort. Man könnte dann manches aus den Depots hervorholen, beispielsweise Video-Installationen.

Ist denn der fensterlose Brauereiturm als Ausstellungsort für Kunst geeignet?

Wettengl: Ich hab mir die Situation angesehen. Die großen Räume sind im Prinzip sehr gut geeignet. Es kommt natürlich auf die Umbaupläne der Architekten an. Auch darauf, wie das Gelände erschlossen wird. Die Beleuchtung wird nicht ganz einfach sein. Aber wenn alles gelingt, wäre das Haus ein Anziehungspunkt fürs gesamte Ruhrgebiet. Mindestens.

Was geschieht nach einem Umzug mit dem bisherigen Ostwall-Gebäude?

Wettengl: Die Ratsmehrheit hat bereits beschlossen, dass das „U“ Vorrang genießt und dass man die konkurrierende Idee eines Ausbaus am bisherigen Standort nicht weiter verfolgt. Was aus dem jetzigen Haus wird, weiß ich nicht. Das ist eine politische Frage.

Wäre denn ein Verkauf oder gar ein Abriss tatsächlich denkbar? Würde das nicht zu Protesten weit über Dortmund hinaus führen?

Wettengl: Nun, das Gebäude hat eine Geschichte, es ist ein Ort der Erinnerung. Viele Kunstfreunde hängen einfach daran – auch emotional. Das Haus ist nicht zuletzt ein Symbol für den demokratischen Aufbruch in der Nachkriegszeit. Es wäre schon gut, wenn es weiterhin kulturell genutzt würde.

Es gibt Stimmen, die sagen, das Haus könne zu einem „Museum der Sammler“ umgewidmet werden, zu einem Platz für mäzenatische Leihgaben oder Schenkungen.

Wettengl: Mh, davon höre ich jetzt zum ersten Mal. Aber wenn der Beschluss fürs „U“ gefasst ist, wird man sich schon Gedanken machen.

Ist eigentlich noch die Idee lebendig, dass die großen Museen der Region ihre Bestände zeitweise austauschen oder zu einer großen Schau zusammenlegen?

Wettengl: Der Gedanke lebt immer mal wieder auf, ist aber zur Zeit etwas eingeschlafen. Falls Essen und das Ruhrgebiet Europäische Kulturhauptstadt 2010 werden, könnte die Idee zu einem gemeinsamen starken Auftritt allerdings wieder befördert werden.

Woher kommen eigentlich Ihre Besucher am Ostwall?

Wettengl: Manchmal aus Düsseldorf oder Köln. Meistens aber aus Dortmund selbst und aus der näheren Umgebung: Münsterland, Sauerland, Kreis Unna. Mit dem „Dortmunder U“, das sehr nah am Hauptbahnhof liegt, würde sich das Einzugsgebiet wohl erheblich vergrößern.

Wird Ihnen die Fußball-WM mehr Besucher bringen? Oder sind das ganz verschiedene Zielgruppen?

Wettengl: Ich glaube schon, dass auch wir davon profitieren werden. Viele Gäste kommen nicht nur wegen des Fußballs nach Deutschland. Sie wollen auch die WM-Städte und ihre Kultur kennen lernen. Neulich war schon ein Fernsehteam aus dem Teilnehmerland Trinidad-Tobago bei uns im Museum. Wir werden ab 8. Juni einen „WM-Erfrischungspavillon“ haben: eine Ausstellung über Kioske im Revier, unter anderem mit selbst kommentierter Live-Übertragung vom Spiel Brasilien – Japan aus dem Dortmunder Stadion.

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HINTERGRUND

Ein Umzug ins „U“ wird nicht billig

  • Dr. Kurt Wettengl ist seit rund einem Jahr Chef des Dortmunder Museums am Ostwall.
  • Das markante, 1926/27 errichtete „Dortmunder U“ war früher das Gär- und Lagerhaus der Union-Brauerei.
  • Insgesamt könnte der U-Turm auf sechs Geschossen 11000 Quadratmeter Museumsfläche bieten.
  • Neben den Ostwall-Beständen, die um 2010 hierher umziehen sollen, gäbe es noch reichlich Platz für bisher nicht gezeigte Video-Installationen der Ostwall-Sammlung, für die „Kleine Nationalgalerie“ (Kunst des 19. Jahrhunderts / Leihgaben aus Berlin), ein Kindermuseum und Depots.
  • Die Umbaukosten sollen rund 34 Millionen Euro betragen, der Innenausbau dürfte weitere 3 Mio. Euro kosten. Später werden laufende Betriebskosten anfallen.
  • Die Stadt Dortmund hofft auf Zuschüsse vom Land – in Höhe von mindestens 50 Prozent der Baukosten. Bisher gibt es noch keine Zusage aus Düsseldorf.

(Der Beitrag stand in ähnlicher Form am 4. April 2006 in der „Westfälischen Rundschau“, Dortmund)




Baltische Szene: „Beneidenswert jung, vital, aufregend“ – Internationale Kulturtage mit Estland, Lettland, Litauen / Dortmund als Zentrum des Festivals

Dortmund. (bke) Den gesellschaftlichen Wandel haben sie im Zeitraffer vollzogen. Nun stellen die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen ihre Kultur in NRW vor. Zentrum dieses „Scene“-Festivals ist Dortmund.

Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann warb gestern für die vielfältigen Gastspiele des Baltikums – beinahe zum eigenen Leidwesen: Derart „jung, vital und aufregend“ sei die Kulturszene der drei Ostsee-Länder, dass man im Revier und in Westfalen geradezu neidisch werden könne.

Tatsächlich haben die Stadt und das Land NRW mit 123 Kooperations-Partnern vieles gestemmt. Erste Einzelveranstaltungen beginnen Ende April, Ausläufer des Festivals reichen bis zum September. Kernzeiten: Mai und Juni.

Besonders das musikalische Programm der Balten reizt sämtliche Geschmacksnerven. Es reicht von Klassik über Neue Musik und Jazz (Festival „europhonics“ im Dortmunder „domicil“ ab 5. Mai) bis hin zu elektronischen Experimenten und DJ-Aktionen.

Theaterspektakel in der Dortmunder Zeche Zollern II/IV: Der litauische Regisseur Gintaras Varnas bringt am 26. Mai „Das Wüste Land“ von Tankred Dorst auf die Bühne. Zuvor gibt’s am 14. Mai eine Gala im Dortmunder Opernhaus, mit Ballett und Musik aus allen baltischen Breiten.

Gewichtiges Ausstellungs-Doppel: Das Museum am Ostwall und die Phoenixhalle (früheres Hoesch-Gelände) präsentieren ab 14. Mai rund 20 baltische Medienkünstler, die mit Videos, Internet und wall und anderen Techniken Phantasieräume schaffen wollen. Die Schau heißt „mit allem rechnen“ und lässt somit Überraschungen erwarten.

Auch Film und Literatur füllen einige Seiten des üppigen Programmheftes. Andere NRW-Städte wie Münster, Duisburg, Bielefeld, Düsseldorf oder Bonn sind am Reigen beteiligt. Das Land gibt auch unter schwarzgelber Regierung weiterhin Zuschüsse.

Dortmund ist jedenfalls der Dreh- und Angelpunkt: Vor allem hier wird man erleben, wie sich die Menschen im Baltikum ihrer Identität mit kulturellen Mitteln vergewissern. Vielleicht ein dreifaches Vorbild für uns?

Infos/Programm/Tickets: Tel. 0231/50 277 10. www.scene-festival-nrw.de