Goethe muss natürlich unbedingt ins Sturmzentrum – Eine Traumelf deutscher Dichter und Denker aufstellen

Von Bernd Berke

Heute geht’s endlich gegen Argentinien rund. Aber gestern und vorgestern waren bei der WM erstmals spielfreie Tage. Seufz! Da wusste man ja fast schon gar nicht mehr, was man mit der leeren Zeit anfangen sollte.

Was tut man also? Sich doch mal wieder spielerisch mit Kultur und Fußball befassen. Etwa mit der reizvollen Idee, eine Traumelf mit ruhmreichen deutschen Dichtern und Denkern aufzustellen. Richtig gelesen.

Wer steht im Tor? Immanuel Kant! Der Mann hat sich in der T-Frage gegen Leibniz und Heidegger durchgesetzt. So abgeklärt wie er ist sonst keiner. Er bleibt nicht auf der Linie kleben, sondern denkt weit voraus. Und er dient der ganzen Mannschaft als Ansprechpartner in moralischen Sinnfragen.

Viel wild er wohl nicht auf den Kasten kriegen. , Denn wir haben ja hinten unsere Weltklasse-Viererkette – mit Hölderlin (dichtet, äh, dribbelt jeden schwindlig), dem willensstarken Nietzsche (gefürchtete Blutgrätsche!), E. T. A. Hoffmann (macht schon mit flackernder Miene dem Gegner Angst) sowie dem kompromisslosen preußischen „Abräumer“ Kleist. Die Härte! Aber Vorsicht vor gelben Karten, die Schiri Reich-Ranîcki so freihändig verteilt.

Fürs 4-3-3-System postieren wir vor die Abwehr kreative Spieleröffner, die auch Defensivaufgaben nicht scheuen: den schnörkellosen Büchner, den gewitzten Heine (bei Paris St. Germain unter Vertrag) und den listigen Lessing, der die ganze Dramaturgie eines Spiels lesen kann und mit allen Freiheiten hinter den Spitzen agiert. Ein solches Mittelfeld schmückt ungemein.

Weiteres Prunkstück ist der Angriff. In der Mitte lauert der wendige junge Goethe („Sturm und Drang“) auf Chancen. Von links bedient ihn der schlaue Bert Brecht mit frechen Flanken, von rechts kommt brachial Gottfried Benn, der auf dieser exponierten Position dem hüftsteifen Ernst Jünger den Rang abgelaufen hat. Jedenfalls: Unsere beiden ,Außen“ gehen konsequent bis zur Grund(satz)linie – und dann schnackelt’s.

Da können es sich der schwäbische Trainer Hegel (Devise: „Das Wirkliche ist vernünftig“) und sein Assistent Marx sogar erlauben, Joker wie Schiller, Thomas Mann, Eichendorff oder Fontane auf der Bank zu lassen. Ihre Stunde kommt noch – ebenso wie die der Talente Heinrich Böll und Günter „Odonkor“ Grass.




Frechheit siegt im Kunstbetrieb – Sonderfall der Szene: der gebürtige Dortmunder Martin Kippenberger

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Mit dem üblichen Werkbegriff kann man an einen wie Martin Kippenberger (1953-1997) nicht herangehen. Der Kerl nahm’s und gab’s, wie es kam. Häufig zog er auch andere in seinem Namen zur Kunst heran. Er schlug dann die Motive vor und ließ von fremder Hand fertigen. Eine Serie heißt denn auch „Lieber Maler, male mir…“

Der gebürtige Dortmunder brachte seit den späten 70er Jahren sozusagen drastischen „Punk“ in Galerien und Museen. Immer gleich drauf und dran, erfrischend direkt, zuweilen dilettantisch, um keinen Kalauer verlegen. Er führte ein rastloses, verzehrendes Leben, als hätte er geahnt, dass er früh sterben würde. Heute gilt er als typische Leitfigur des damaligen Zeitgeistes – wie gewisse Rockstars.

Jetzt würdigt ihn das Düsseldorfer K 21 (Kunstsammlung NRW, Haus fürs 21. Jahrhundert) mit einer letztlich doch als „Werkschau“ gedachten Auswahl, die in Kooperation mit Tate Modern (London) entstanden ist.

Eine ausufernde Installation füllt weite Teile des Erdgeschosses: „The Happy End of Franz Kafkas .Amerika'“ (1994). Dazu muss man wissen: Kafka entwarf am Schluss seines Amerika-Romans („Der Verschollene“) die Utopie eines allumfassenden Bewerbungsgesprächs mit massenhafter Einstellungsgarantie. Fiebriger Traum für Zeiten der Arbeitslosigkeit…

In jedem Moment könnte alles passieren

Davon inspiriert, bespielte Kippenberger ein grünes Feld, das (nicht nur in diesen WM-Tagen) an einen Fußballplatz erinnert. Darauf befinden sich, jeweils mit Stühlen und Tischen gebaut, vielfach variierte Situations-Vorgaben für Gespräche. Allein das Formenvokabular der Sitzmöbel reicht vom Kinderstühlchen bis zum Jagd-Hochsitz, vom Cocktailsessel bis zum erhöhten Ausguck des Tennis-Schiedsrichters. Im Detail sind es lauter festgelegte Hierarchien, in der überwältigenden Summe aber leuchtet eine Offenheit, in der wahrhaftig alles simultan möglich zu sein scheint. Es ist ohnehin ein Kennzeichen dieses windungsreichen Kunst-Kosmos‘: In jedem Moment könnte alles passieren. „Geht nicht“ gibt’s nicht.

Im Untergeschoss sieht man einen Querschnitt durch Kippenbergers Schaffen. Mehrfach tauchen Skulpturen auf, die dem Betrachter gekränkt den Rücken zuwenden. Tîtel jeweils: „Martin, ab in die Ecke und schäm Dich.“ So lachlustig ging Martin Kippenberger mit Kunstkritik um. Und überhaupt mit dem ganzen neunmalklugen Betrieb, der ihn dann hofierte. Oh, närrischer Überdruss, oh, siegesgewisse Frechheit!

Ein hellwacher Ideenschöpfer, oft aus Launen heraus

Ob wilde, munter beschriftete Collagen oder zerstörte Bilder, deren Fetzen er in einen Container packte – vieles wirkt so, als wäre bald Schluss mit aller Kunst. Jedoch: So sehen Neuanfänge aus! Joseph Beuys‘ Sinnsprüchlein, jeder Mensch sei ein Künstler, hat Kippenberger flugs umgedreht: „Jeder Künstler ist ein Mensch.“ Just an solchen Grenzlinien zum Alltagsleben wollte er Freiräume ausloten. Kein Material, das er nicht verwendet und kommentiert hätte. Nichts und niemand war vor ihm sicher.

Ein großer Maler oder Zeichner ist Kippenberger nicht gewesen, gewiss aber ein hellwacher Ideenschöpfer, oft aus Augenblickslaunen heraus. Eine Ausstellung kann allerdings nur Spurenelemente dieses regen, wüsten, spontanen Geistes und seiner Eingebungen konservieren. Der Selbstdarsteller, der recht unverfroren zur Sache ging, ist leider nur noch in Filmen präsent, die hier in Endlosschleifen laufen. Seine Bilder wirken hingegen wie Relikte (oder je nach Lesart: Reliquien) eines Verschwundenen.

Kunstsammlung NRW „K 21 „. Düsseldorf (Ständehausstr. 1). Bis 10. September. Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 6,50 Euro.

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ZUR PERSON

Zoff in Schule und Lehrzeit

  • 1953 wurde Martin Kippenberger in Dortmund geboren. Sein Vater war Zechendirektor, die Mutter Hautärztin.
  • 1956 zieht die Familie nach Essen, es folgen Schuljahre im Schwarzwald. Martin schwänzt den Zeichenunterricht, weil der Lehrer ihm nur eine „zwei“ gegeben hat.
  • 1968: Nach dreimaliger Wiederholung der Untertertia: Abbruch der schulischen Laufbahn.
  • 1968/69 Dekorateurslehre bei einem Bekleidungshaus. Küdigung wegen Drogenkonsums.
  • 1971 Umzug nach Hamburg, diverse WGs.
  • 1977 Erste Einzelschau in einer Hamburger Galerie – Beginn einer unverhofft steilen Kunst-Karriere.



Kulturhauptstadt: Keine Atempause – Rund 200 Projekte stehen schon auf den Listen, täglich kommen neue hinzu

Von Bernd Berke

Dortmund. Schon länger nichts mehr gehört zum Thema „Kulturhauptstadt Ruhrgebiet 2010″. Seit dem europäischen Jury-Entscheid vom 11. April sind einige Wochen ins Land gegangen. Doch der Schein der Ruhe trügt: Die Organisatoren hatten kaum eine Atempause. Im Gegenteil.

Kulturhauptstadt-Moderator Oliver Scheytt gestern beim Pressetermin im Dortmunder Konzerthaus: „Dass es nach dem Jury-Votum mit der Arbeit erst richtig losgeht, habe ich ja geahnt. Aber so massiv hätte ich es nicht erwartet. Wir sind voll im Geschäft.“

Die Finanzierung „steht“ weitgehend, das Gesamtvolumen soll von 2007 bis 2010 rund 78 Mio. Euro betragen. Wenn der Europäische Rat im November das Jury-Votum bestätigt (womit fest zu rechnen ist), kann noch in diesem Jahr eine Kulturhauptstadt GmbH gegründet werden, für die man dann eine künstlerische Leitung sucht. Scheytt: „Das muss jemand sein, der auch schon mal Nein sagt und Projekte ablehnt.“

Ideen gibt es wohl genug, sie müssen gewichtet und sortiert werden. Rund 200 Projekte stehen bereits auf den Listen, täglich kommen rund fünf bis zehn Vorschläge hinzu. Sie stammen zu 84 Prozent aus der Region selbst. Doch auch ein ehemaliger Zahnarzt und Hobbysegler aus Husum offerierte seine Dienste. Auf dem Bootsweg vom hohen Norden nach Istanbul (gleichfalls Kulturhauptstadt 2010) wollte er kulturelle Botschaften aus dem Revier mit an den Bosporus nehmen.

Eine ganze Garde von Kulturdezernenten und Amtsleitern des Reviers war gestern dabei, als Scheytt den Stand der Dinge erläuterte. Es wurde deutlich, dass die Städte ihre vielfältigen Aktivitäten schon jetzt eng miteinander abstimmen. Da wächst wohl zusammen, was zusammen gehört.

Auch in den Randzonen des Reviers regt sich etwas

Es gibt übergreifende Schwerpunkte (z.B. Lichtkunst, Aktionen an Wasserwegen), doch jede Kommune betont auch eigene Stärken. Beispiel: Dortmunds Dezernent Jörg Stüdemann setzt vor allem auf „Musik als verändernde Kraft“. Die Projekte sollen sich ums Brückstraßen-Viertel mit Konzerthaus, Jazzclub domicil, Chorakademie und Orchesterzentrum ranken. Zudem dürfte bildende Kunst in den Vordergrund rücken, das Spektrum soll von digitalen Arbeiten (Medienkunst in der Phoenixhalle) bis zum großen Bilder-Auftritt (Wunschprojekt „Dortmunder U“) reichen.

Regt sich auch etwas in den Randzonen des Reviers? Offenkundig schon. Unnas Kulturamtsleiter Axel Sedlack (Schwerpunkte: Lichtkunst, Krimifestival „Mord am Hellweg“, das Schaffen von Komponistinnen) versicherte, in seiner Stadt diskutiere man bereits seit zwei Jahren das Thema Kulturhauptstadt, nun beteilige sich auch gesamte Kreis Unna verstärkt.

Mehrere Kulturdezernenten (vor allem aus kleineren Gemeinden) ließen durchblicken, dass sie sich von der Kulturhauptstadt keine grandiosen neuen „Leuchttürme“, sondern eher eine Stärkung und Festigung der vorhandenen Kultur erhoffen. Und ein dichteres Netzwerk mit den anderen Städten.

Wie sieht’s mit der vielfach befürchteten Dominanz von Essen aus? Oliver Scheytt, hauptamtlich Essens Kulturdezernent, beteuert: „Ich ärgere mich immer, wenn ich die Bezeichnung ,Kulturhauptstadt Essen‘ lese.Es geht ums ganze Ruhrgebiet.“ Auswärtige können diese Gegend allerdings oft kaum verorten. So wurde gestern der Mülheimer Komiker Helge Schneider zitiert. Wenn man ihn draußen fragt, wo das Ruhrgebiet liege, sage er nur noch: „Bei Frankfurt“.

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HINTERGRUND

Markenrechte gesichert

  • Die Organisatoren der Kulturhauptstadt haben sich die Markenrechte an ihrem Ruhrgebiets-Logo gesichert. Wer es verwendet, soll möglichst zahlen. Die FIFA hat’s bei der Fußball-WM im großen Stile vorgemacht.
  • Die bisher rund 200 Projektvorschläge stammen zu 35 Prozent von Kulturschaffenden.
  • Den Löwenanteil machen Vorschläge zur „Stadt der Künste“ aus, hier rangiert die Bildende Kunst (25 Prozent) ganz vorn. Abgeschlagen: Theater mit lediglich 3 Prozent.