Lesen vor Ort in Dortmund-Hörde – Zum Welttag des Buches: Wo kleine Läden die Stellung gegen Handelsketten halten

Von Bernd Berke

Welttag des Buches – ein Tag für die Leser. Aber auch ein Tag für den Buchhandel. Auf dem Markt geht es ruppig zu: Handelsketten machen kleinen, familiengeführten Buchläden immer öfter das Leben schwer.

Viele Geschäfte sind verschwunden, andere halten die Stellung. Ein Beispiel: die alteingesessene Buchhandlung Neumann im Dortmunder Ortsteil Hörde. Die WR sprach mit den Inhabern, Heinz-Jürgen Loheide und Tochter Claudia Krommes.

Ist Dortmund-Hörde ein guter Platz, um Bücher zu verkaufen?

Heinz-Jürgen Loheide: Wir sind mit unserem Standort zufrieden. Und wir freuen uns schon auf den Phoenix-See, der ganz in der Nähe entsteht. Der Stadtteil wird dadurch bestimmt attraktiver. Dann wird sich wohl auch der Mix des Publikums zum Vorteil verändern.

Wie sieht die Entwicklung in der Großstadt Dortmund insgesamt aus?

Loheide: Ähnlich wie im ganzen Land. Es herrscht ein Verdrängungswettbewerb, der inzwischen auch kleinere Städte erfasst. Die gesamte Dortmunder Innenstadt wird mehr oder weniger durch eine einzige Buchhandlung (Mayersche mit zwei Häusern, d. Red.) abgedeckt. Reine Freude kommt dabei nicht auf. Im Sog eines Großen muss man sich anders orientieren und sich spezialisieren. Wir verkaufen vor allem Schulbücher – auch in andere Städte. Es gibt inzwischen EU-weite Ausschreibungen für Schulbücher, deshalb können und müssen wir uns auch in weiter entfernten Regionen bewerben.

Was bedeutet der „Welttag des Buches“ für Sie?

Loheide: Im Prinzip ist es immer gut, für das Buch zu werben. Aber man muss eine Menge tun, um Resonanz zu erzielen – nicht nur am „Welttag“. Wir beraten beispielsweise Schulen beim Aufbau ihrer Büchereien…

Claudia Krommes: Gelegentlich veranstalten wir auch kleine Lesungen – oder Aktionen für Kinder. Aber: Ob der „Welttag“ wirklich hilft, wage ich fast zu bezweifeln. Es gab ja kürzlich diese Meldung, dass zwei von drei Kindern zu Hause nichts vorgelesen bekommen. Ich fürchtet dass diese Einschätzung stimmt. Da sind die Eltern viel, viel mehr gefragt. Übrigens: Kinder hören gern dieselbe Geschichte mehrmals. Da muss man nicht immer gleich ein neues Buch kaufen.

Sind Bücher denn zu teuer?

Krommes: Manche glauben das, es ist aber wohl nicht richtig. Taschenbücher liegen nach wie vor meist unter der 10-Euro-Grenze, Hardcover unter der 20 Euro-Grenze. Hörbücher werden tendenziell billiger. Und es gab zuletzt viele günstige Sonderreihen, so dass die Preise sogar im Schnitt leicht gesunken sind. Was immer noch nicht allen bewusst ist: Wegen der Buchpreisbindung sind die großen Anbieter nicht günstiger als die kleinen. Gäbe es die Preisbindung nicht, so würden nur die Großen profitieren, die beim Einkauf höhere Mengenrabatte erzielen.

Wie wichtig ist die Bestsellerliste?

Krommes: Sehr viele Leute halten sich daran. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die gekauften Bestseller immer gelesen werden. Manches dürfte nur fürs Regal sein. Aber ich will micli nicht beschweren. Auch davon leben wir ja. Entscheidend sind immer die Wünsche der Kunden.

Sellerlisten sind aber nicht der einzige Orientierungspunkt. oder?

Loheide: Nicht, weil S i e mich das fragen, sondern weil’s wahr ist: Wenn bestimmte Bücher in den regionalen Tageszeitungen erwähnt werden, merken wir das gleich am gestiegenen Interesse. Das ist für uns wichtiger als der Auftritt eines Autors in einer Fernseh-Talkshow.

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HINTERGRUND

Katalanischer Brauch als Ursprung

  • Der Welttag des Buches geht auf eine Initiative der weltweiten Kulturorganisation Unesco zurück.
  • Ursprung ist ein alter kaltalanischer Brauch: Am 23. April, zum Namenstag des Volksheiligen St. Georg, schenkt man sich dort seit jeher Rosen und Bücher.
  • Weitere Bedeutung des 23. April: Es ist der Todestag der berühmten Autoren Miguel de Cervantes und William Shakespeare.
  • Seit 1996 wird der Welttag des Buches auch in Deutschland gefeiert – mit zahlreichen Aktionen in Buchhandlungen, Verlagen, Schulen, Bibliotheken.
  • Nähere Informationen, auch zu einzelnen Veranstaltungen in der Region: www.welttagdesbuches.de

 




Wein, Weib und funkelnder Witz – „Denken wir uns“: Die letzten Erzählungen des verstorbenen Robert Gernhardt

Von Bernd Berke

Die meisten Rockgruppen machen es so: Am Beginn eines Albums stehen eingängige Titel. Robert Gernhardt (1937-2006) verfährt in seinem letzten Erzählband anders: Er stellt die vertrackteste Geschichte nach vorn. Danach wird alles leichter.

Sämtliche Erzählungen beginnen rituell mit den selben Worten: „Denken wir uns…“ Das klingt fast so traulich wie „Es war einmal“. Der Erzähler denkt sich vielerlei: den Kinderkarneval des Jahres 1944 mit ärmlichem Kostümwettstreit, den Lesesaal einer toskanischen Abtei, Delft im 17. Jahrhundert, das Weltgericht, ein junges Paar auf Bildungsreise – und das bittersüße Leben überhaupt.

Da hat ein erfahrener, seiner Wirkungen sicherer Autor noch einmal reiche Ernte gehalten und seinen Weltkreis ein letztes Mal ausgeschritten – mal munter, mal melancholisch; zwischen den Gravitationspunkten Wein und Weib, Hessen und Italien, zwischen Glück, Glanz, Ruhm und deren üblen Gegenkräften.

Tradition der fröhlichen Tafelrunde

Gernhardt belebt hier vielfach eine alte, im besten Sinne volkstümliche Erzähltradition, nämlich die einer Tafelrunde. Sprich: Ein paar Leute sitzen in der Kneipe und tischen im edlen Wettstreit Hörenswertes auf. Tendenz: feuchtfröhlich, doch auch von Weisheit durchtränkt. Lustvolle Leichtigkeit triumphiert dabei immer mal wieder über bloße Bildungshuberei. Beispielhaft wird’s in jener Episode, die uns ein närrisch verliebtes Paar im Leonardo-Museum zeigt.

Geschichten seien Gefäße für den flüchtigen Lebensstoff, heißt es an einer Stelle. Sie gehen selten bruchlos auf, auch fehlt mitunter die Pointe. Mit diesem Befund jongliert Gernhardt allerdings so, dass die Pointenlosigkeit eben doch mit Witz funkelt.

Auch etwas gröbere Mittel wendet Gernhardt feinsinnig dosiert an: Die bestürzende Wehklage des greisen mittelalterlichen Dichters Walther von der Vogelweide („Oweh, wohin sind entschwunden alle meine Jahre?“) steht im säurehaltig komischen Kontrast zu den haltlosen Aufmunterungen eines Senioren-Animateurs. Wie hohl klingen da all die sozialpädagogischen Sprüchlein!

Weil’s so schön ist, noch ein Beispiel: Überirdisch still ist es auf den Gemälden des Jan Vermeer. Gernhardt stellt sich vor, wie der Lärm des Tages in die Stube des Künstlers gedrungen sein mag. Vermeers Frau möchte putzen und stürmt samt Kinderschar herein. Töchterchen Saskia will gleich Papas Terpentin austrinken, und überhaupt geht’s hoch her.

Schluss mit dem Krach. Sie mögen ruhen in Frieden. Vermeer – und Gernhardt.

Robert Gernhardt: „Denken wir uns“. Verlag S. Fischer, 238 S., 18,90 €.