Jede Kulturhauptstadt lernt von den Vorläufern – Internationales Treffen mit Etat-Vergleich in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Immer gern genommen: „Netzwerk“ und „Nachhaltigkeit“ lauten die Schlagworte, wenn etwas dauerhaft in Gang gesetzt werden soll. So auch jetzt beim Treffen der Kulturhauptstädte in Essen.

Das neu geknüpfte Netzwerk umfasst vorerst alle europäischen Kulturkapitalen der Jahre 2007 bis 2011. Wer künftig benannt wird, soll ebenfalls zum Kreis gehören und vom regelmäßigen Austausch profitieren. Auch aus etwaigen Fehlern der Vorläufer lässt sich etwas lernen.

Da wird etwa über den Umgang mit Politikern oder Sponsoren geredet – und über Visionen: Kultur soll europäische Wege noch mal anders bahnen als wirtschaftliche und politische Beziehungen.

Diesmal haben die Delegierten auch die Kulturhauptstadt-Etats miteinander verglichen. Und siehe da: Das doch recht kleine Linz (Österreich, 2009 an der Reihe) verfügt über 60 Millionen Euro öffentliches Geld. Essen und das Ruhrgebiet (2010) können nach jetzigem. Stand auf 48 Mio. Euro zurückgreifen. Sponsorenmittel nicht mitgerechnet. Apropos: Da wäre das Revier froh, wenn es die Marke von Liverpool (2008) erreichen könnte, wo aus Privatschatullen 12 Mio. Pfund (rund 17,6 Mio. Euro) fließen.

Glasgow als leuchtendes Vorbild

Beispiel für einen Lerneffekt des Essener Treffens: Stavanger (Norwegen, 2008) hat Projektvorschläge fürs Hauptstadtjahr völlig ins Belieben gestellt und gleich über 700 erhalten, darunter etlicher Unsinn. Man musste mühsam sortieren und dabei viele Leute enttäuschen. Im Revier (500 Projekt-Ideen) hat man zeitig vorgefiltert.

Parallel mit dem Ruhrgebiet treten 2010 Pécs (Ungarn) und Istanbul (Türkei) an. Einzelheiten sind noch nicht ganz spruchreif, doch das Trio will konkrete Vorhaben miteinander umsetzen, Künstleraustausch und gemeinsame Tourismus-Werbung inbegriffen.

Wohin die Reise gehen soll, skizzierte der Kulturmanager Sir Bob Scott am Beispiel Liverpool. Ab 2008 solle die Welt anders über die Stadt mit dem bislang schäbigen Image denken. Musterbeispiel: Glasgow (1990), das sein Erscheinungsbild gleichsam runderneuert hat. Im Ruhrgebiet ist man für eine solche Erfolgsgeschichte besonders hellhörig.




Lesen vor Ort in Dortmund-Hörde – Zum Welttag des Buches: Wo kleine Läden die Stellung gegen Handelsketten halten

Von Bernd Berke

Welttag des Buches – ein Tag für die Leser. Aber auch ein Tag für den Buchhandel. Auf dem Markt geht es ruppig zu: Handelsketten machen kleinen, familiengeführten Buchläden immer öfter das Leben schwer.

Viele Geschäfte sind verschwunden, andere halten die Stellung. Ein Beispiel: die alteingesessene Buchhandlung Neumann im Dortmunder Ortsteil Hörde. Die WR sprach mit den Inhabern, Heinz-Jürgen Loheide und Tochter Claudia Krommes.

Ist Dortmund-Hörde ein guter Platz, um Bücher zu verkaufen?

Heinz-Jürgen Loheide: Wir sind mit unserem Standort zufrieden. Und wir freuen uns schon auf den Phoenix-See, der ganz in der Nähe entsteht. Der Stadtteil wird dadurch bestimmt attraktiver. Dann wird sich wohl auch der Mix des Publikums zum Vorteil verändern.

Wie sieht die Entwicklung in der Großstadt Dortmund insgesamt aus?

Loheide: Ähnlich wie im ganzen Land. Es herrscht ein Verdrängungswettbewerb, der inzwischen auch kleinere Städte erfasst. Die gesamte Dortmunder Innenstadt wird mehr oder weniger durch eine einzige Buchhandlung (Mayersche mit zwei Häusern, d. Red.) abgedeckt. Reine Freude kommt dabei nicht auf. Im Sog eines Großen muss man sich anders orientieren und sich spezialisieren. Wir verkaufen vor allem Schulbücher – auch in andere Städte. Es gibt inzwischen EU-weite Ausschreibungen für Schulbücher, deshalb können und müssen wir uns auch in weiter entfernten Regionen bewerben.

Was bedeutet der „Welttag des Buches“ für Sie?

Loheide: Im Prinzip ist es immer gut, für das Buch zu werben. Aber man muss eine Menge tun, um Resonanz zu erzielen – nicht nur am „Welttag“. Wir beraten beispielsweise Schulen beim Aufbau ihrer Büchereien…

Claudia Krommes: Gelegentlich veranstalten wir auch kleine Lesungen – oder Aktionen für Kinder. Aber: Ob der „Welttag“ wirklich hilft, wage ich fast zu bezweifeln. Es gab ja kürzlich diese Meldung, dass zwei von drei Kindern zu Hause nichts vorgelesen bekommen. Ich fürchtet dass diese Einschätzung stimmt. Da sind die Eltern viel, viel mehr gefragt. Übrigens: Kinder hören gern dieselbe Geschichte mehrmals. Da muss man nicht immer gleich ein neues Buch kaufen.

Sind Bücher denn zu teuer?

Krommes: Manche glauben das, es ist aber wohl nicht richtig. Taschenbücher liegen nach wie vor meist unter der 10-Euro-Grenze, Hardcover unter der 20 Euro-Grenze. Hörbücher werden tendenziell billiger. Und es gab zuletzt viele günstige Sonderreihen, so dass die Preise sogar im Schnitt leicht gesunken sind. Was immer noch nicht allen bewusst ist: Wegen der Buchpreisbindung sind die großen Anbieter nicht günstiger als die kleinen. Gäbe es die Preisbindung nicht, so würden nur die Großen profitieren, die beim Einkauf höhere Mengenrabatte erzielen.

Wie wichtig ist die Bestsellerliste?

Krommes: Sehr viele Leute halten sich daran. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die gekauften Bestseller immer gelesen werden. Manches dürfte nur fürs Regal sein. Aber ich will micli nicht beschweren. Auch davon leben wir ja. Entscheidend sind immer die Wünsche der Kunden.

Sellerlisten sind aber nicht der einzige Orientierungspunkt. oder?

Loheide: Nicht, weil S i e mich das fragen, sondern weil’s wahr ist: Wenn bestimmte Bücher in den regionalen Tageszeitungen erwähnt werden, merken wir das gleich am gestiegenen Interesse. Das ist für uns wichtiger als der Auftritt eines Autors in einer Fernseh-Talkshow.

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HINTERGRUND

Katalanischer Brauch als Ursprung

  • Der Welttag des Buches geht auf eine Initiative der weltweiten Kulturorganisation Unesco zurück.
  • Ursprung ist ein alter kaltalanischer Brauch: Am 23. April, zum Namenstag des Volksheiligen St. Georg, schenkt man sich dort seit jeher Rosen und Bücher.
  • Weitere Bedeutung des 23. April: Es ist der Todestag der berühmten Autoren Miguel de Cervantes und William Shakespeare.
  • Seit 1996 wird der Welttag des Buches auch in Deutschland gefeiert – mit zahlreichen Aktionen in Buchhandlungen, Verlagen, Schulen, Bibliotheken.
  • Nähere Informationen, auch zu einzelnen Veranstaltungen in der Region: www.welttagdesbuches.de

 




Wein, Weib und funkelnder Witz – „Denken wir uns“: Die letzten Erzählungen des verstorbenen Robert Gernhardt

Von Bernd Berke

Die meisten Rockgruppen machen es so: Am Beginn eines Albums stehen eingängige Titel. Robert Gernhardt (1937-2006) verfährt in seinem letzten Erzählband anders: Er stellt die vertrackteste Geschichte nach vorn. Danach wird alles leichter.

Sämtliche Erzählungen beginnen rituell mit den selben Worten: „Denken wir uns…“ Das klingt fast so traulich wie „Es war einmal“. Der Erzähler denkt sich vielerlei: den Kinderkarneval des Jahres 1944 mit ärmlichem Kostümwettstreit, den Lesesaal einer toskanischen Abtei, Delft im 17. Jahrhundert, das Weltgericht, ein junges Paar auf Bildungsreise – und das bittersüße Leben überhaupt.

Da hat ein erfahrener, seiner Wirkungen sicherer Autor noch einmal reiche Ernte gehalten und seinen Weltkreis ein letztes Mal ausgeschritten – mal munter, mal melancholisch; zwischen den Gravitationspunkten Wein und Weib, Hessen und Italien, zwischen Glück, Glanz, Ruhm und deren üblen Gegenkräften.

Tradition der fröhlichen Tafelrunde

Gernhardt belebt hier vielfach eine alte, im besten Sinne volkstümliche Erzähltradition, nämlich die einer Tafelrunde. Sprich: Ein paar Leute sitzen in der Kneipe und tischen im edlen Wettstreit Hörenswertes auf. Tendenz: feuchtfröhlich, doch auch von Weisheit durchtränkt. Lustvolle Leichtigkeit triumphiert dabei immer mal wieder über bloße Bildungshuberei. Beispielhaft wird’s in jener Episode, die uns ein närrisch verliebtes Paar im Leonardo-Museum zeigt.

Geschichten seien Gefäße für den flüchtigen Lebensstoff, heißt es an einer Stelle. Sie gehen selten bruchlos auf, auch fehlt mitunter die Pointe. Mit diesem Befund jongliert Gernhardt allerdings so, dass die Pointenlosigkeit eben doch mit Witz funkelt.

Auch etwas gröbere Mittel wendet Gernhardt feinsinnig dosiert an: Die bestürzende Wehklage des greisen mittelalterlichen Dichters Walther von der Vogelweide („Oweh, wohin sind entschwunden alle meine Jahre?“) steht im säurehaltig komischen Kontrast zu den haltlosen Aufmunterungen eines Senioren-Animateurs. Wie hohl klingen da all die sozialpädagogischen Sprüchlein!

Weil’s so schön ist, noch ein Beispiel: Überirdisch still ist es auf den Gemälden des Jan Vermeer. Gernhardt stellt sich vor, wie der Lärm des Tages in die Stube des Künstlers gedrungen sein mag. Vermeers Frau möchte putzen und stürmt samt Kinderschar herein. Töchterchen Saskia will gleich Papas Terpentin austrinken, und überhaupt geht’s hoch her.

Schluss mit dem Krach. Sie mögen ruhen in Frieden. Vermeer – und Gernhardt.

Robert Gernhardt: „Denken wir uns“. Verlag S. Fischer, 238 S., 18,90 €.

 




Wer auf dem Pavianfelsen oben sitzt – Elmar Goerden besorgt in Bochum die Uraufführung von Schimmelpfennigs „Besuch bei dem Vater“

Von Bernd Berke

Bochum. Heimkehr des verlorenen Sohnes, anders als in der Bibel: Als 21-Jähriger taucht ein gewisser Peter bislang ungekannten Vater auf. Der Patriarch Heinrich lebt mit diversen Frauen in der 20-Zimmer-Villa seiner Gattin draußen am Walde. Nun legt sein Sohn die allzu bereiten Weibchen reihenweise flach. So weit die Nachricht.

„Besuch bei dem Vater“ – bewusst steif und unterkühlt gibt sich der Titel. Roland Schimmelpfennig hat für seinen neuen Theatertext die Gattungsbezeichnung „Szenen und Skizzen“ gewählt. Tatsächlich ist es kein Stück im herkömmlichen Sinne, sondern ein mäanderndes Gebilde mit recht schroffen Tempowechseln. Mal gleicht der Redefluss einem munteren Bach, mal einem gestauten Gewässer. Hie und da plätschert’s leise. Der Text (den der emsige Schimmelpfennig zur Trilogie ausbauen will) wirkt streckenweise fahrig und zerstreut.

Schreckliches Logo auf dem Handy

Allerdings birgt der Stoff enorm viel „Futter“ für Schauspieler. Beinahe sensationell: Bochums Intendant Elmar Goerden, sonst lieber den Klassikern hold, liefert hier die erste Uraufführung seiner Laufbahn. Wie zwei gute alte Kumpel nahmen er und Schimmelpfennig nebst Ensemble den herzlichen Beifall entgegen. Schön und gut. Wenn Freundschaft denn den Blick nicht trübt. Goerden ist kein Zertrümmerer, er lässt Stücke stets zum Tragen kommen. So zeigen sich ihre Stärken, aber auch Schwächen.

Schimmelpfennig jongliert leichthändig mit Versatzstücken und grast zwischen Tag und Traum so manches ab: Buchstäblich bei Adam, Eva und Noah beginnen seine Streifzüge. Die biblischen Urahnen kommen als längst verlorene Bezugsgrößen zur Sprache. Zwischendurch blitzen Signale der Gegenwart auf, die freilich auch mit Vergangenheit durchwoben sind. Heinrichs Teenie-Tochter Isabel (Louisa Stroux) hantiert unentwegt mit einem Handy, auf dessen Display ein Leuchtturm-Logo wie ein KZ-Wachturm aussieht.

Menschenleere Republik dämmert herauf

Auch sonst umspielt der Text das Jetzt aus Halbdistanz. Da geht’s etwa um kinderlose Frauen in den Dreißigern, die beruflich bereits abgehängt und auf Umschulung angewiesen sind. Eine menschenleere Republik dämmert schon am Horizont. Es gibt überdies Zeichen, dass Lesekultur (Zerreißen russischer Bücher von Tolstoi & Co.) und Esskultur (keiner weiß, wie man eine Ente herrichtet) vergehen.

Angesichts der unheilschwangeren Zukunft verliert auch Heinrichs Frau Edith (Susanne Barth) die Balance. Anfangs hat die distinguierte Dame das Geschehen im Griff – wie ein Conférencier, der die Zuschauer durch einen gediegenen Abend geleitet. Doch uralte Riten und Triebe zwischen den Geschlechtern ragen hinein – und sind stärker.

In den trostlosen Stillstand der lieblos möblierten winterlichen Villa schneit also dieser angebliche Sohn Peter (übermüdet, trotzdem jugendlich vital: Marc Oliver Schulze) hinein. Woher er kommt, weiß niemand. Auf solch ein unbeschriebenes Blatt können die Frauen ihre (sexuellen) Wünsche projizieren. Alsbald beherrscht er mit maskulinem Gehabe ohne sonderlichen Aufwand die Agenda im Haus.

Qual mit dem verlorenen Paradies

Der Vater (Wolfgang Hinze) muss es geahnt haben: Gleich bei der ersten Begegnung hat er sich Peter (wenn auch noch freundlich) vom Leibe gehalten. Er spielt diesen Zwiespalt mit exquisiter Choreographie. Wie denn überhaupt die wechselnde Haltung der Figuren zueinander mitunter einem Ballett gleicht. Doch zuweilen sind es auch bloße Stellproben mit rastlosen Auf- und Abtritten.

Der Nimbus des alten Heinrich wird jedenfalls demontiert. Er ist ja auch brüchig. Seit zehn Jahren quält sich der Anglist mit einer Übersetzung von Miltons „Paradise Lost“(„Verlorenes Paradies“ – aha, aha!). Und wenn Sonja (Katja Uffelmann) in seinem Beisein eine Wildente (Achtung, Ibsen-Anspielung!) schießt, hält er dies für einen Höhepunkt seines Lebens.

Schließlich landet man quasi wieder in der Urhorde, Die beiden Männer zücken Messer und Feuerwaffen, die Frauen quieken vor Angst. Wer darf ganz oben auf dem Pavianfelsen sitzen? Ach ja, die Tünche der Kultur und Zivilisation ist eben dünn.

18., 21 .,27. April, 9, 11., 30. Mai. Tel.: 0234/3333-5555.

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ZUR PERSON

Vom Journalismus zum Theater

  • Roland Schimmelpfennig wurde 1967 geboren.
  • Er arbeitete zunächst als freier Journalist und Autor in Istanbul – ein spezieller Umweg zum Theater.
  • 1990 begann er ein Regiestudium in München und gehörte später zur künstlerischen Leitung der dortigen Kammerspiele.
  • Zwischenzeitlich war er Hausautor an der Berliner Schaubühne und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.
  • Neuere Stücke: „Fisch um Fisch“, „Die arabische Nacht“, „Push Up 1-3″, „Die Frau von früher“, „Angebot und Nachfrage“.



Kleiderhaken bürgen für Qualität – Max Goldts Buch „QQ“

Wenn man mal wieder nicht so recht weiter weiß im (Gesellschafts)-Leben, dann ist es an der Zeit, Max Goldt zu lesen. Er weist Wege, er schlägt Schneisen.

Sein neuer Band heißt „QQ”. Das Kürzel steht angeblich für „quiet quality”, also stille Güte. Nun ja. Gewiss. Der begnadete Kolumnist des Satireblattes „Titanic” steuert stets einen Schlingerkurs. Er kommt gedanklich von Hölzchen auf sonstwas, so dass man oft fürchtet: Jetzt trägt es ihn wirklich aus der Kurve, das kriegt er nicht mehr heil über die Runden. Doch man täuscht sich. Über dem assoziativen Gewimmel waltet denn doch sein gesunder Menschenverstand, der sich durch keine herrschende Meinung, keinen Trend und keinen Lifestyle blenden lässt.

Was lernen wir diesmal? Beispielsweise etwas über den Unterschied zwischen dem klugen und dem dusseligen Staunen. Zitat: „ . . . man sollte selbstdisziplinarische Maßnahmen ergreifen, um nicht an jene Grenze zu stoßen, hinter der das Staunen in Gaffen und entfesseltes Plappern übergeht.” Es folgt ein aberwitziges Beispiel: Jemand wird auf einer Party einem Moraltheologen vorgestellt, worauf man eben verschieden reagieren kann. Etwas weniger feinfühlige Variante: „Wow! Ich glaub, ich spinne: ein Moraltheologe! Ich dachte, die gäbe es nur im Fernsehen . . . Darf ich Sie mal fotografieren? Oh Schock, mein Akku ist fast alle . . .”

Mit Goldt sieht und hört man genauer hin: Da lernt man etwa den blasierten TV-Komponisten kennen, der für alle möglichen Sendeformate immerzu Mönchschöre einsetzt. Ferner geht’s um die bestürzend putzige Wesensart jener Frauen, an deren Handtaschen Teddy-Figürchen baumeln. Auch das soziale Prestige von Serien-Schauspielerinnen bei gewissen Privatsendern wird zeitdiagnostisch erörtert, es ist demnach vergleichbar mit dem eines Losverkäufers im Zoo. Wie präriehundsgemein!

Liebevoll geraten hingegen die kleinen Porträts wunderlicher alter Damen, die das Bild wahrer Großstädte laut Goldt mehr bereichern als jede schrille Jugend-Fraktion. Man schlürft dabei Formulierungen wie diese hier: „. . . während die andere mehr dem Typus des glückhaft im Eigenleben versumpften ,alten Mädchens‘ entsprach.”

Zwischendurch zerpflückt Goldt einen ebenso branchenüblichen wie bodenlosen Kritikersatz („Radikale Bestandsaufnahme des Lebensgefühls einer Generation”) in seine dummdreisten Bestandteile. Der Beitrag gehört in künftige Leitfäden für Leute, die über Kultur schreiben.

Ein Ausflug führt sodann in diverse Gaststätten. Als ein Qualitätsmaßstab wird da die Anzahl der Kleiderhaken hinzugezogen. Je mehr davon, umso solider und bodenständiger das Lokal! Sagen wir’s folglich mal so: Dieses Buch von Max Goldt ist ungelogen randvoll mit Kleiderhaken.

Max Goldt: „QQ”. Rowohlt Berlin, 156 Seiten, 17,90 €.




Wo Kummer sich auf Nummer reimt

Poesie auf Straßen und Autobahnen? Das muss wohl ein Irrtum sein, denkt man spontan. Doch dann besinnt man sich: Es sind einem – auf Lkw und Lieferwagen – unterwegs doch schon manche muntere Sprüche begegnet. Oder etwa nicht?

Wenn man zu heftig danach Ausschau hält, wird es freilich nichts. Umweltschützer, bitte weghören: Auf der Suche nach poetischen, möglichst sogar gereimten Lkw-Botschaften bin ich eigens von Dortmund nach Arnsberg und Schwerte gefahren – mit recht magerer Ausbeute. Man muss sich eben Zeit lassen und Sätze sammeln. Es könnte ja auch ein (Familien)-Spiel zum Zeitvertreib werden.

Welche Texte sieht man also auf der Autobahn? Nun, allerhand Wegweiser natürlich – und die Nummernschilder der Autos, deren Anspielungsreichtum oft vergnüglich ist – beispielsweise im österlichen Stau. Nicht alle sind ja so simpel wie DO-SE, HA-SE, OE-SE oder EN-DE.

Hier aber geht es vor allem um die Aufschriften der Lastkraftwagen, die für Abwechslung auf langen Strecken sorgen könnten. Beim Feldversuch drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass die Tendenz zur Ernüchterung geht: Mindestens jedes dritte Lastfahrzeug, so scheint’s, führt etwas mit „Logistik” im Schilde – gern auch in coolen Verbindungen wie „intelligent logistics”, „logistic solutions worldwide” oder „temperature controlled logistics”.

Auch sonst häufen sich die Anzeichen der Globalisierung – mit ziemlich sinnfreien Prägungen wie „Innovation in motion” oder „Because we care”. Die Fahrzeuge der Filialketten sorgen für noch mehr verbalen Einheitsbrei.

Das Gros der Aufschriften ist nur sachlich: Firmenname, Branche, Internet-Adresse, Telefonnummer. Das war’s meist schon. Wo bleibt da die Vorstellungskraft? Mit lauen Sprüchen wie „Erfolgreich Hand in Hand” ist ihr kaum aufzuhelfen.
Angesichts solcher Ödnis schmunzelt man bereits, wenn eine Firma, die „Kater Planen” heißt, mit einer aufgemalten Katze wirbt. Vom Tierlaster herab grüßen glücklich lachende Comic-Schweine. Wenn man bedenkt, dass die Tour wohl geradewegs zum Schlachthof geht . . .

Von der bildenden Kunst zurück zur Literatur. Beliebt sind offenbar bescheidene Sprachspiele mit Mehrdeutigkeiten wie „Alles läuft gut” (für Mineralöl), „Der gute Ton beim Bauen” (das Material klingt freundlich mit an) oder „Carolinen – Aus gutem Grund” (die tiefe Mineral-Quelle ist eben mitgemeint).
Dann gibt’s noch die prolligen Klassiker wie diesen Lkw-Slogan: „Damen, aufgepasst: Meiner ist 18 Meter lang”. Just bei solchen Fahrzeugen prangt häufig noch das Namensschild „Manni” im vorderen Fenster. Tja, es geht doch nichts über richtig gut gepflegte Vorurteile.

Wir wollen keine Literaturtheorie daran knüpfen, aber: Auch die Abwesenheit von Text kann die Phantasie anregen. Denn was liefern eigentlich völlig unbeschriftete Lkw? Man darf rätseln und spinnen. Ebenso wie über die Worte etwa auf polnischen oder baltischen Wagen.

Mit Reimen aber haben die meisten gar nichts mehr am Hut. Früher erheiterten Slogans wie „Im Falle eine Falles / klebt Uhu wirklich alles” oder „Otto Mess / mit zwei ,s‘ / mit zwei ,o‘ / macht uns froh”. Dichter wie Peter Rühmkorf oder Robert Gernhardt haben später bewiesen, dass auch zeitnahe Lyrik Reime verträgt. Und Rolf Dieter Brinkmann hat einst mit dem „Gedicht auf einem Lieferwagen” das Genre literaturfähig gemacht. Warum also diese Nüchternheit? Kalauer frei: Dichter Nebel scheint schon der größte Dichter auf unseren Straßen zu sein. Hoho.

These: Reimschmiede jeder Güte toben sich fast nur noch auf den Lieferwagen der Handwerker aus – bevorzugt Elektriker, Installateure und TV-Reparaturfirmen. Die Verse, in denen sich „Kummer” auf „Nummer”, „fern” auf „gern” oder „verzagen” auf „fragen” reimt, sind poetisches Graubrot. Hübscher schon dies: „Ob groß, ob klein, ob steil oder flach / Mh-Mh (keine Schleichwerbung!) macht ihnen jedes Dach.” Oder: „Nur Döner macht schöner”. Und hier noch ein diamantenes Fundstück: „Zu Werner geh‘ ich gerner.”

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Sprüche im Internet:

Für Freunde der gereimten Werbelyrik gibt es eine Internet-Seite – auch mit vielen nostalgischen Sprüchen aus früheren Tagen: http://www.einzelhandelspoesie.de/
Offenbar authentische, mit Fundorten belegte Kostproben: „Beim Fußball ruft man freudig Tor! / Bei Fernsehsorgen ruft man Mohr!” Noch viel schöner: „Der Sommer naht – kauft Draht!”
Weiterer Internet-Tipp: www.ffhex.de/lkw.htm – dort werden allerlei Sprüche zum Thema Lkw gesammelt.




Eine Studentin berichtigt Beethoven – im Kinofilm „Klang der Stille“

Genies zeigt man im Kino gern so: allzeit wirr, unwirsch, nicht alltagstauglich, in einsamer Eiseskälte das Unbedingte anstrebend. Erst recht, wenn es um einen wie Ludwig van Beethoven geht. Im neuen Film „Klang der Stille“ ist’s nicht anders.

Der späte Beethoven (Ed Harris) wütet wie ein Berserker gegen die Wiener Mitwelt, die nach seinem gottähnlichen Ratschluss von Musik keine Ahnung hat. Der Junggeselle haust in einer Chaos-Bude, Rattenplage inbegriffen. In diesem Siff vollendet der Meister gerade seine „Neunte“ und das letzte Streichquartett, dessen Tonsprünge das Fassungsvermögen seiner Zeit überfordern.

Die genialisch hingekrakelten Noten müssen für die spielbare Partitur säuberlich abgeschrieben werden. Keinem traut Beethoven das zu – bis die zarte Kompositions-Studentin Anna Holtz (Diane Kruger) auftaucht. Sie wagt es gleich beim ersten Kopierversuch, eine seiner Notenfolgen zu „berichtigen“, denn er habe das doch gewiss anders gemeint, als es da steht . . .

Beethoven schluckt seinen Zorn herunter, denn er sieht ein: Dieses Elfenwesen kennt seine Werke und ist wirklich recht begabt. Also darf sie ihm Tag für Tag dienlich sein. Sie erblüht im Abglanz des Tonschöpfers – und entfernt sich innerlich von ihrem heimlichen Liebhaber, einem Architekten, der (wie Beethoven wettert) nur „seelenlose“ Brücken entwirft.

Jetzt die frauenbewegte Seite des Films: Beethoven ist als Mann in seiner Epoche befangen. Deshalb muss er sich weibliche Konkurrenz vom Halse halten. Beispielsweise, indem er sie schockiert. Ungeniert zeigt er Anna seinen blanken Hintern, um das Wort „Mondscheinsonate“ zu illustrieren. Und als sie ihm scheu ihre eigenen Kompositionsversuche zeigt, verhöhnt er sie dröhnend. Natürlich will uns die Regisseurin bedeuten, dass eine Frau gegen derlei Widerstände ihren Traum verwirklichen soll. Jaja, ist schon korrekt.

Wie man weiß, war der Meister damals schon fast völlig taub. In diesem Film wirkt es freilich nicht existenziell, sondern eher anekdotisch. Wie denn überhaupt die Grenze zum Geschmäcklerischen öfter gestreift wird. Regisseurin Agnieszka Holland hat einen Hang zu weichgespülten Genrebildern, die der extremen Hauptperson gerade nicht entsprechen.

Ed Harris muss derlei Defizite durch forcierte Darstellung wettmachen. Augenrollend herrscht er alle an, die ihm nicht zum genialen Willen sind. Im Widerspiel mit Anna Holtz wird daraus eine bewährte Rollenverteilung: die Schöne und das Biest.

Immerhin hat der Film auch ein paar große Momente. Sie fließen vor allem aus der grandiosen Musik. Davon inspiriert, findet Agnieszka Holland auch schon mal zu bewegenden Sequenzen. Wenn Anna Holtz die Uraufführung der „Neunten“ rettet, indem sie dem tauben Beethoven vordirigiert, wirkt die gestische Zwiesprache im verzückten Wogen der Töne wie eine geschlechtliche Vereinigung der beiden. Für derlei Lebenslagen gibts eben nicht nur Ravels „Bolero“.