Ein Amerikaner kollidiert mit französischer Lebensart – Kinofilm „2 Tage Paris“ von und mit Julie Delpy

Von Bernd Berke

Ein Amerikaner in Paris – das ist ein wohlbekanntes Muster der Kinogeschichte. Es gibt ja manche Reibungspunkte der beiden Lebensarten. Und manche Klischees. Julie Delpy greift mit ihrem Film „2 Tage Paris“ beherzt in diese Gemengelage hinein.

Die bezaubernde Französin hat diesmal vieles selbst erledigt: Drehbuch, Regie, Schnitt und Musikauswahl, darunter ein Song der Dortmunder Band „Roughtones“. Natürlich spielt Julie Delpy auch eine Hauptrolle. Und damit’s kuschelig bleibt, wirken ihre Eltern (als Eltern), eine gute Freundin (als Schwester) und ihre Katze mit.

Mit ihrem amerikanischen Freund Jack (Adam Goldberg) lebt Marion (Julie Delpy) seit zwei Jahren in New York. Auf einen gemeinsamen Venedig-Urlaub folgt nun der zweitägige Abstecher in Marions Heimat Paris. Dort bewegt sie sich wie ein Fisch im Wasser, was der des Französischen unkundige Jack zunehmend befremdet erlebt.

Vor allem gibt’s im frivolen Künstlervölkchen eine Phalanx von Ex-Liebhabern, die Marion nach wie vor an die Wäsche wollen. Wie unverblümt sie alle über intimste Details reden, Marions Vater eingeschlossen! Selbst ihre Mutter erinnert sich mit unverhohlenem Sündenstolz, wie sie es anno 1969 mit Jim Morrison von den „Doors“ wüst getrieben hat. Alles Schlampen…

Jacks Kultur- und Beziehungsschocks schwellen an bis zur Hysterie: Die Pariser Taxifahrer sind offenbar allesamt Ferkel oder Rassisten. Schon ein bisschen Schimmel an der Altbau-Wand in Marions Elternhaus regt Jack maßlos auf. Ebenso widern ihn die Schweinsköpfe auf dem Wochenmarkt an. Überall roher Schmutz und Obszönitäten, so kommt es ihm vor. Gern würde er locker bleiben. Doch immer verbissener trottet er neben Marion daher, fast wie eine jungfräulich empörte Gouvernante. Das Gezänk des Paares nimmt zu, im Bett klappt’s auch nicht mehr. Oje! Man leidet mit ihnen.

Sehr nah rückt die Kamera den Figuren zuleibe, sie fängt den Hauch und Sturm des Lebendigen ein. Mitreißend vital verdichtet sich das gar nicht mal so vielschichtige Geschehen. Formal hat sich Julie Delpy ersichtlich an ihren beiden anrührenden Filmauftritten bei Richard Linklater („Before Sunrise“, „Before Sunset“) orientiert, die ähnlich innig ums flüchtige Wohl und Wehe der Liebe kreisten. Mal inständig, mal impressionistisch flirrend.

Was aus dem Paar wird? Es kommt zur unvermeidlichen Aussprache. Und zur Frage, ob Marion nach all ihren Trennungen noch eine weitere verkraften will. Eine seltsame männliche „Fee“ (Daniel Brühl!) hat Jack schon vorher die Dauerhaftigkeit dringlich ans Herz gelegt: Vom Leben bleibe am Ende nichts – bis auf die Menschen, denen man in Liebe zugetan war.

Also, ihr beiden, besinnt euch. Vielleicht sogar auf immer.




Tagtraum vom unaufhörlichen Kreislauf des Lebens – George Taboris Stück „Gesegnete Mahlzeit“ bei den Ruhrfestspielen uraufgeführt

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wenn Bühnenfiguren Dirty Don, Professor Geil und Amanda Lollypop heißen, so deutet dies auf Farce und Slapstick hin. Damit jongliert George Taboris neues Stock „Gesegnete Mahlzeit“ denn auch.

Doch eigentlich ist diese Uraufführung (Koproduktion: Berliner Ensemble und Ruhrfestspiele) eine Etüde aufs Leben und Sterben. Mal wehmutig, mal koboldhaft, fast immer hellsichtig – manchmal bis über den Horizont des irdischen Daseins hinweg. Und in den besten Momenten erklingt die Sprache hier als schiere, vom eindeutigen Sinn losgelöste Musik.

Der schwerkranke Tabori (92) selbst hat (von seiner Bettstatt aus) die Inszenierung begleitet. Der Text ist an der Oberfläche klar gegliedert. Drei Akte: Frühstück, Mittagessen, Abendmahl. Doch Tabori stellt den Tagtraum, die Freiheit des Erinnerns und Vergessens, über die chronologische Ordnung.

Biographische Partikel verglühen wie ein Feuerwerk

Partikel aus (s)einem langen Autorenleben steigen auf und verglühen wie ein Feuerwerk. Ein Oberkellner (Peter Luppa) und ein Dramaturg (der wirkliche Dramaturg Hermann Beil) besorgen komisch-melancholische Überleitungen im biographischen Variété.

Es ist weder eine sorgsame Inventur des Lebens noch gar die hehre Summe des Werkes. So etwas mögen andere liefern. Tabori ist im Herzen „Anarchist“ geblieben. Also wandelt er freigeistig zwischen (komödiantisch zugespitzter) biblischer Geschichte und dem Lob verbliebener kleiner Alltagsfreuden, zwischen Drangsal der Nazi-Zeit und erotischem Ungenügen.

Nie, so sinniert jener Schriftsteiler Dirty Don nach angeblich 20 000 Affären, habe er es vermocht, „eine Frau liebend zum Lachen zu bringen“. Die Hure Lollypop (Margarita Broich) soll ihm nun den finalen Orgasmus verschaffen.

Das ursprüngliche Chaos des Schöpfungsaktes

Wie eine Zahnrad-Mechanik schnurrt die Zeit ab. Professor Geil (fast mafios, vielleicht gar der Tod persönlich: Gerd Kunath) nennt sie zunächst unentwegt minutengenau. Dirty Don (äußerlich wirr, zuweilen seherisch: Veit Schubert) liegt anfangs zu Bette. Er erwacht zwischen tonnenweise aufgeschichteten, beschriebenen Papieren. In diesem Ursprungs-Chaos fließen Schöpfungsakt und Vergänglichkeit ineins. Dem drohenden Tod bietet Don mit Phantasien von Zeugung und Geburt Paroli. Beschworen und gepriesen wird das Leben als ewiger Kreislauf, nicht als endliche Linie.

Im burlesken Mittelteil geht’s etwas ausufernd um den vom Geld strangulierten Geist – anhand eines Knebelvertrags, den ein schmieriger Filmmogul dem Autor aufdrängt. Tabori hat einst Drehbücher in Hollywood verfasst.

Anspielungen auf Proust, Beckett und Kafka

Der Anleihen sind viele: Dirty Don (überdies ein entkräfteter Nachfahre des Don Juan) nimmt zum Frühstück Tee und Kekse – wie einst der bettlägerige Marcel Proust, als der sich auf die „Suche nach der verlorenen Zeit“ begab. Auch Samuel Beckett ist nah, dessen greise Figur Krapp in „Das letzte Band“ per Magnetophon seine Lebensphasen Revue passieren ließ. Manche Prise Kafka ist drinnen – ui ein paar Quäntchen Brecht.

Trotz alledem ist die ganze Legierung unverkennbar aus Taboris lichtem Geiste geschaffen. Das in Scherz und Ernst traumwandlerisch präzis aufeinander eingepegelte Ensemble lässt diesen Geist schimmern und leuchten.

Bei den Ruhrfestspielen nur noch am 12. Mai (Recklinghausen, Bürgerhaus Süd, Karten 0180/11 11 021). Ab 15. Mai am Berliner Ensemble.




„Berliner Orgie“: Im schäbigen Garten der Lüste

Vor seinen Feldforschungen für dieses Buch hat Thomas Brussig nach eigenem Bekunden nie ein Bordell betreten. Das ganze Milieu der käuflichen Sexualität war ihm völlig fremd.

Der Autor wird in „Berliner Orgie” nicht müde zu betonen, wie unwissend und „unschuldig” er sich ans Thema herangepirscht habe. Er bescheinigt sich selbst „die köstliche Freiheit des Naiven” und stellt klar, dass es auch im Verlauf seiner jetzigen Recherchen kein einziges Mal zum Äußersten gekommen ist. Das hatte er vorher seiner Frau versprechen müssen. Ist ja schon gut. Jetzt wissen wir’s: Brussig („Sonnenallee”) ist offenkundig kein Asphaltdichter, sondern ein Gegenbild zu abgebrühten, szenekundigen Poeten wie etwa Wolf Wondratschek.

Brussig hat sich also staunend in diversen Rotlicht-Vierteln und Sexhandels-Bezirken der Hauptstadt umgetan. Seine Wege führen vom miesen Straßenstrich bis zum vermeintlichen Edelpuff, von der schummrigen Kontaktbar über die Escort-Agentur bis zum weitläufigen Swingerclub und in Porno-Kinos.

Die Namen der Stationen lauten branchenüblich verheißungsvoll: „Lustgarten”, „Sexyland”, „Artemis”, „La Folie”, „Tempel-Oase” oder „Villa Venus”. Doch hinter den glitzernden Fassaden sieht’s oft ganz anders aus. Wer hätte das gedacht? Mal ehrlich: Ein guter Journalist hätte mindestens ebenso tragfähige Ergebnisse erzielt. Doch Brussigs Name macht sich natürlich besser auf einem Buchdeckel. Wofür Schriftsteller sich früher allerdings geniert hätten: Er war im Auftrag des Berliner Springer-Boulevardblattes „B. Z.” unterwegs. Der Zeitungsverlag zahlte die Spesen. Problem des Autors: Fast überall war’s schwierig, Quittungsbelege zu bekommen. Jedenfalls erhoffte sich die Zeitung wohl knackige Resultate.

Die liefert Brussig freilich kaum. Vielfach schildert er redlich und nüchtern die schäbige Ödnis der Etablissements, in denen meist routiniertes Abzocken (Nepp mit Schampus & Co.) angesagt ist. Die Metropole Berlin erscheint dabei vielfach als trübes, ja nahezu „totes” Gelände – und das zur angeblich so brünstigen Zeit der Fußball-WM 2006. Vom Weltstadt-Knistern keine Spur. Aus Brussigs Streifzügen erwächst denn auch ein (weitgehend negativer) Stadtführer; stets werden die besuchten Adressen benannt.

Zuweilen gibt sich Brussig geradezu rührend gestrig. Herkömmliches „Anbaggern”, so meint er, bestehe hieraus: „Kreide fressen, Mit-Blumen-Antraben, den Romantiker mimen, Schwüre schwören usw.” Ist das wirklich noch so? Immer erst glühende Schwüre, bevor es lustvoll ins Bett geht?

Beim Sex für Geld hingegen, so Brussig, herrsche allemal Sachlichkeit. Hier hätten die Frauen das Heft in der Hand, sprich: Die Huren bestimmen die Regeln. Klingt fast nach Befreiung – und ist sicherlich nur der kleinere Teil der Wahrheit. Übrigens glaubt Brussig den Mädchen und Damen des Gewerbes auch ihre standardisierten Lebensgeschichten, als könnten es keine Legenden sein.

Nur zweimal lässt sich der literarische Berichterstatter zur Begeisterung hinreißen. Nach einem Stelldichein im Swingerclub sinniert er: „Die Orgien haben starken Eindruck auf mich gemacht.” Über ein anderes Lusthaus (ohne würdeloses Gefeilsche um die Preise) heißt es sogar euphorisch: „Ich habe die Zukunft der Prostitution gesehen.” Ob dieser starke Werbespruch dort wohl bald über dem Eingang prangen wird?

Thomas Brussig: „Berliner Orgie”. Piper Verlag. 205 Seiten. 16,90 Euro.




Transportmittel, Kampfmaschine und Statussymbol – Ausstellung „Pferdeopfer – Reiterkrieger“ in Hamm

Von Bernd Berke

Hamm. Pferde haben den Menschen europäischer Breiten schon seit der Altsteinzeit begleitet. Doch gezähmt wurden diese Tiere wohl erst um 2000 vor Christus. Episoden aus der langen Zwischenzeit erzählt jetzt eine archäologische Ausstellung in Hamm.

Die ältesten Funde der recht sparsam bestückten Schau sind rund 400 000 Jahre alt. Relikte von einem Rastplatz steinzeitlicher Jäger belegen, dass Pferde anfangs vor allem als Nahrung gedient haben. Lanzen, die man in Hamm zu sehen bekommt, gelten als weltweit älteste Waffen überhaupt. Damit also hat das ganze Elend begonnen.

Im Laufe der Prähistorie erging es den Pferden etwas besser: Sie wurden sogar vielfach als magische Wesen verehrt. Freilich: In solchen Zusammenhängen wurden sie oft auf Altären geopfert – und nunmehr bei kultischen Ritualen verzehrt. Aus germanischer Zeit sind viele Pferdeskelette erhalten. Die Ausstellung hat ihre Gruseleffekte.

In Schiefer geritzte Pferde-Silhouetten aus Gönnersdorf/ Eifel sind hingegen so hauchzart, dass sie erst als Bleistift-Abrieb auf Papier vollends sichtbar werden. Sie zählen zu den frühesten „Kunstwerken“ der Menschheit.

Vor rund 4000 Jahren vollzog sich die Zähmung der wilden Tiere. In der Folgezeit begann die Geschichte des Reitens und Fahrens mit Pferden. Ehedem hatten Rinder die Wagen gezogen, nun kamen Rösser an die Reihe. Übrigens: Im Norden blieben die Achsen starr, im Süden drehten sie sich mit ,dem Rade. Kann man daraus landsmannschaftliche Schlüsse ziehen?

Zaumzeug als imposantes Blendwerk

Hört sich so an, als hätte der Mensch damals endlich Vernunft im Umgang mit dem Pferd angenommen. Nichts da! Denn nun wurden die gerade mühsam gezähmten Gäule eben auch kriegerisch eingesetzt. Ein altrömisches Grabmal mit dem Bildnis eines Reiterkriegers zeugt davon. Von grimmigen Hunnen und vom ritterlichen Mittelalter ganz zu schweigen.

Belege hat Hamm (Kooperation mit dem Bremer Focke-Museum und der Krefelder Burg Linn) vor allem aus dem norddeutschen Raum bekommen, so das bronzene Rad eines Kultwagens aus Stade (um 870 v. Chr.). Manchmal muss man sich mit Rekonstruktionen behelfen. Ein Spitzenstück wie den „Sonnenwagen von Trundholm“ (Dänisches Nationalmuseum Kopenhagen) kann man nicht ausleihen, hier muss ein getreuliches Modell herhalten. Manche Nachbildungen haben wiederum wissenschaftlichen Charakter: Sie wurden eigens angefertigt, um praktisch zu erproben, wie gefundene Dinge (Sättel, Sporen, Zaumzeug) funktioniert haben.

Schließlich das Kapitel „Pferde als Statussymbole“. Es reicht von Adel und gehobenem Bürgertum bis zur heutigen Freizeitgesellschaft. Das güldene, mit Halbedelsteinen verzierte Zaumzeug eines Fürsten von Krefeld ist fürwahr imposantes Blendwerk. Manche müssen eben zeigen, wie wichtig sie sind.

Pferdeopfer – Reiterkrieger. Fahren und Reiten durch die Jahrtausende. Gustav-Lübcke-Museum, Hamm (Neue Bahnhofstr. 9). Bis 29. Juli. Di bis So 10-18 Uhr. Eintritt 6 Euro, Begleitbuch 22 Euro.