Wenn Rockmusik zur Reife kommt – Düsseldorf: Lou Reed spielt sein stilprägendes „Berlin“-Album nach 34 Jahren erstmals live

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Die Wiederkehr von Rock-Heroen der 60er gerät stets auch zur Generationen-Beschau: Wer geht beispielsweise hin, wenn Lou Reed in Düsseldorf auftritt?

Es pilgern Leute aus ganz Nordrhein-Westfalen in die Philipshalle. Vom Leben ledrig gezeichnete Altfreaks sind reihenweise dabei; aber auch jüngere Fans, die ahnen, dass Reed seit jeher „cooler“ ist als manche, die sich heute so gebärden. Zudem finden sich in dieser Gemeinde wahrhaftige Wiedergänger. Einer hat sich so gestylt wie der Pop-Künstler Andy Warhol (der Lou Reed einst mit dessen legendärer Truppe „Velvet Underground“ förderte), und eine Frau kommt wie Janis Joplin daher. Fast gespenstisch.

Bereits 1973 hat Lou Reed seine vielleicht finsterste Platte herausgebracht, die manchen als sein stilprägendes Meisterwerk gilt: Das als eine Art Rockoper angelegte Konzept-Album „Berlin“ taumelte durch ein schier auswegloses Labyrinth zwischen Drogen, Sex, Gewalt und Tod. Die bedrückende Mauer-Atmosphäre in der damals geteilten Stadt stand auch als Menetekel für die Depression eines verzweifelten Junkie-Paares. Übrigens kannte Reed die Stadt seinerzeit nur vom literarischen Hörensagen.

Eine Gesichtslandschaft wie Keith Richards

Lou Reed befand, dass die Zeit reif sei, das gesamte Opus erstmals live zu spielen – 34 Jahre danach. Der prominente US-Maler Julian Schnabel, der auch die wohltuend zurückhaltende Konzert-Inszenierung inspirierte, soll ihn dazu bewogen haben. Natürlich führte die Tournee auch nach Berlin. Doch Düsseldorf war im deutschen Westen die einzige Chance, den Mann mit der exzessiven Vergangenheit zu erleben. Die Gesichtslandschaft des 65-Jährigen erinnert denn auch an Keith Richards von den Stones. Solchen Kerlen glaubt man vieles, auch Bizarres.

Auf der Bühne steht beileibe nicht nur die klassische Gitarren-Band. Da versammelt sich eine rund 30-köpfige Formation – mit Streichern, Bläsern, Kinderchor und der Begleitsängerin Sharon Jones, die nicht raspelt, sondern gospelt. Welch ein Kontrast zu Lou Reeds Reibeisenstimme, die sich am besten auf lässigen, trockenen, schmutzigen Sprechgesang versteht! Puristen ist dies am liebsten. Und wenn Reed eines seiner energischen Gitarrenduelle mit Steve Hunter (schon 1973 dabei) austrägt, möchte man gern auf den Instrumenten mitreiten – notfalls durch jede Schleife der Geisterbahn.

Unverwüstliches Song-Material

Der Song-Reigen ist neu arrangiert worden. Über weite Strecken geht es deutlich druckvoller, rockiger zu als im Uralt-Original, hie und da freilich auch noch etwas bezuckert, leicht überproduziert. Hochkulturelle Ambition scheint gelegentlich dem schnurgeraden Ausdruck in die Quere zu kommen. Doch das starke Material (Titel wie „Men of Good Fortune“, „Caroline Says“, „How do you Think it Feels“) ist ja gar nicht kleinzukriegen. Und oft genug fügen sich Streicher, Chor und scheppernde Gitarren tatsächlich zu beinahe schon surrealen Harmonien.

Im Song „The Bed“ beschwört Lou Reed die desolate „German Queen“ Caroline, die sich die Pulsadern aufgeschnitten hat. Einst hatte die Klage einen eher zynischenUnterton. Heute hört sie sich gebrochen an, melancholisch, tief traurig, von Erfahrung und Wissen getränkt. So klingt lang gereifter Rock.

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ZUR PERSON

Einfluss bis zum Punk

  • Lou Reed wurde 1942 in Freeport/New York geboren.
  • 1965 gründete er mit John Cale und Sterling Morrison „Velvet Underground“ – mit Langzeit-Einflüssen bis in die Punk-Szene hinein.
  • Legendär die Platte mit Bananen-Cover, an der die deutsche Sängerin Nico mitwirkte.
  • Ab 1972 Solokarriere. Alben wie z. B. „Transformer“, „New York“ und „Ecstasy“.
  • Drei seiner Hits waren Zugaben in Düsseldorf: „Sweet Jane“, „Satellite of Love“ und „Walk on the Wild Side“.



Der rastlose König aus dem Sauerland – Nicht nur ein Kuriosum der Historie: Theodor von Neuhoff regierte 1736 auf der Insel Korsika

Von Bernd Berke

Lüdenscheid/Korsika. Das sind besondere Urlaubserlebnisse: Wenn man auf unverhoffte Spuren aus heimischen Gefilden stößt. Da fliegt man auf die Mittelmeerinsel Korsika, schwebt schon über der gebirgigen Landschaft, blättert im Reiseführer und findet zwei Extra-Seiten über einen historischen Mann aus dem Sauerland. Kaum zu glauben: Er war als „Theodor I.“ der einzige König, den die Insel je hatte.

Theodors direkte Linie ist zwar vor geraumer Zeit ausgestorben. Doch ein weitläufig verwandter Nachfahre des „Königs aus dem Sauerland“ lebt mit seiner Familie in Lüdenscheid. Baron Alhard Freiherr von dem Bussche-Kessel wohnt auf Schloss Neuenhof. Zu Theodors 275. korsischem Thronjubiläum (2011) plant er schon jetzt ein umfangreiches Gedenk-Programm – mit Ausstellung, Vorträgen, Theater und Musik – auch von der heute französischen Insel.

Spieler, Diplomat und Geheimagent

Der Lüdenscheider Baron wünscht sich „endlich eine gerechte historische Beurteilung von Theodors Leistungen.“ In der Tat: Bisher hat der unstete Altvordere keinen sonderlich guten Leumund in der Geschichtsschreibung. Die freilich ist noch reichlich lückenhaft. So weiß man nicht einmal mit letzter Sicherheit, ob Theodor in Köln oder Metz geboren ist.

Jedenfalls ist er von sauerländischem Adel. Schloss Neuenhof gehörte jenen verzweigten westfälischen Neuhoffs, denen eben auch Theodor Stephan Freiherr von Neuhoff (1694-1756) entspross. Einen Teil seiner Kindheit hat Theodor auf dem Stammsitz seiner Linie verbracht: Gut Pungelscheid bei Werdohl, dessen Ruinenreste längst abgetragen sind.

Doch auf Dauer zieht es ihn in die Ferne. Theodor ist ab 1709 Page von Liselotte von der Pfalz, die ihn am prachtvollen Hof in Versailles einführt. Glanz und Intrigen wirken offenbar verführerisch. Nach und nach entwickelt er sich zum umtriebigen Abenteurer, der im Lauf seines Lebens in ganz Europa und Nordafrika herumkommt – als notorischer Glücksspieler, der zuweilen heftig Schulden macht, doch häufig auch in diplomatischer Mission. Es gibt Quellen, die in ihm gar einen „Agenten“ für wechselnde politische Auftraggeber sehen wollen. So habe er etwa für Schweden in Spanien spioniert und hernach für Österreich gekundschaftet.

Korsischen Widerstand gegen Genua organisiert

Und wie wird er König von Korsika? Nun, die Insel steht seinerzeit unter genuesischer Fremdherrschaft. Dagegen hat sich eine Unabhängigkeitsbewegung formiert. Durch Verhandlungsgeschick erwirkt der beredsame Theodor die Freilassung gefangener Korsen. Das kommt bei den Exil-Korsen in der Toskana derart gut an, dass sie ihm den Königstitel in Aussicht stellen – falls er Soldaten und Finanzmittel zur Befreiung der Insel organisieren könnte. Mit geliehenem Geld gelingt es Theodor, ein Schiff auszurüsten, in Tunis Söldner anzuheuern und auch Getreue aus dem Sauerland für die Rebellentruppen zu gewinnen. Er selbst trägt als Anführer ein bizarres Phantasiekostüm.

Die Korsen halten Wort. Am 15. April 1736 wählen Repräsentanten der Inselbevölkerung diesen Theodor zum König. Seine Leute drängen die Genueser vorübergehend zurück. Er erlässt eine fortschrittliche Verfassung, wendet sich pathetisch an die Herrscher Europas. Doch Glück und Königtum währen nicht lange. Schon am 11. November muss er die Insel fluchtartig verlassen und stets vor gedungenen Mördern auf der Hut sein. Zwei Rückkehrversuche enden kläglich.

Trotzdem: Bis heute hat Theodor bei manchen korsischen Unabhängigkeitskämpfern(die sich gegen Frankreich wenden) einen recht klangvollen Namen. Auf der Insel sind einige Straßen und Plätze nach ihm benannt.

Theodors zuweilen so pralles Leben endet betrüblich. Nach vielen weiteren rastlosen Wanderjahren landet der Zechpreller im Schuldturm von London. Berühmtheiten wie der Schriftsteller Horace Walpole und der Schauspieler David Garrick besuchen ihn.

Unter ärmlichen Umständen stirbt der einstige König am 11. Dezember 1756.

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HINTERGRUND

Phantasiestoff für Künstler

  • Als schillernde Gestalt hat Theodor von Neuhoff die Phantasie von Künstlern beflügelt.
  • Voltaire hat ihm in seinem „Candide“-Roman ein Denkmal gesetzt.
  • Giovanni Paisello komponierte die ziemlich triviale Oper „II Re Teodoro in Venezia“ (uraufgeführt 1784).
  • Auch der berühmteste aller Korsen, Napoleon Bonaparte, habe sich literarisch mit Theodor befasst, heißt es.
  • Nestroy schrieb das Stück „Prinz Friedrich von Korsika“, in dem Theodor vorkommt.
  • Jüngere Publikation: Michael Kleeberg „Der König von Korsika“‘, Roman (2001).



Anstöße für besseres Amtsdeutsch – Beispielhaftes Projekt der Bochumer Uni: Germanisten beraten 17 Stadtverwaltungen

Von Bernd ßerke

Bochum. Leitfäden für „bessere“ deutsche Amtssprache gibt es schon seit rund 250 Jahren. Doch bei der Lektüre von Behörden-Briefen glaubt man zuweilen, dass solche Ratgeber nichts genützt haben. Ein bundesweit einmaliges Projekt an der Bochumer Ruhr-Uni stemmt sich gegen die offenbar hartnäckigen Unsitten.

Immerhin: „Ganz so schlimm, wie man meint, ist Amtsdeutsch eigentlich gar nicht mehr.“ Das sagt eine, die es wissen muss. Die Germanistin Michaela Blaha betreut das Projekt „Idema“ am Lehrstuhl von Prof. Hans-Rüdiger Fluck. Inzwischen berät man 17 Stadtverwaltungen in sprachlicher Hinsicht, darunter Bochum, Wuppertal und Witten.

Die Kommunen zahlen eine einmalige Gebühr und können dann dauerhaft auf diverse Dienste zurückgreifen. Eine Internet-Datenbank mit anschwellender (Un)-Wortliste zählt ebenso dazu wie komplett korrigierte Briefmuster oder eine Hotline für akute Zweifelsfälle.

Textbausteine aus dem Computer

Michaela Blaha ahnt, warum Amtsdeutsch noch heute vielfach so hölzern klingt: „Seit den späten 70er Jahren werden Textbausteine in Computern gespeichert und immer wieder verwendet.“ So pflanzen sich krude Wortschöpfungen über Generationen fort. Motto: Das haben wir schon immer so gesagt…

Es geht aber nicht nur um Schönheit, sondern auch um Genauigkeit. Manche Ausdrücke bleiben vor allem deshalb stehen, weil sie sich juristisch als wasserdicht erwiesen haben. Deshalb lassen die Bochumer Germanisten ihre Vorschläge auch von einer Anwaltskanzlei vorab prüfen – freilich ohne Garantie. Die Städte bleiben rechtlich verantwortlich. Beispielsweise dafür, ob sich der behördliche Begriff „Öberflächenwasser“ in jedem Falle schlicht durch „Regen“ ersetzen lässt.

Rund 1500 Behördentexte haben die Uni-Leute mittlerweile untersucht. Auf dieser stetig wachsenden Basis soll bald ein Buch entstehen.

„Beigefügt“ und „vorbezeichnet“

Einige Grundübel der landläufigen Behördensprache sind in einen ersten Leitfaden eingeflossen, der allerdings auch kleine Tücken hat: Häufig werden „amtlicherseits“ (auch so ein Wörtchen) kaum verständliche Abkürzungen oder Fachausdrücke verwendet. Da ist mitunter die verschleiernde Rede von „gesetzlich zulässigen Vollstreckungsmaßnahmen“. Die Sprachwissenschaftler empfehlen Klartext: Pfändung oder Erzwingungshaft. Überhaupt raten sie dazu, Sachverhalte konkret zu formulieren.

Partizipialkonstruktionen („anfallende“, „beigefügte“, „vorbezeichnete“) sind generell verpönt. Steif klingt der „Hauptwortstil“: Statt „Unter Bezugnahme auf…“ könnte es einfach heißen „Ich beziehe mich auf.“ Hässlich sind Bandwurmwörter wie Eignungsfeststellungsverfahren“. Für ganze Sätze gilt gleichfalls: Bloß nicht zu lang und zu verschachtelt. Die gesamten Texte sollten sinnvoll (das Wichtigste zuerst) und übersichtlich gegliedert sein.

Wie passiv darf’s denn sein?

Im schlechten Sinne ,amtlich“ muten anonym und passiv formulierte Schreiben an – mit Wendungen wie: „Es wird angeordnet“. Dann lieber so: ,Ich ordne an.“ Allerdings warnen die Fachleute an anderer Stelle auch vor einem allzu strikten „Ich-Stil“, der sich nach persönlicher Willkür anhören könnte. Statt „Ich erwarte von Ihnen“ soll es nun auf einmal heißen „Erwartet wird von Ihnen…“ Nicht ganz konsequent: Da lugt das Passiv wieder durch die Hintertür…

Etwas unbeholfen wirken auch die akademischen Tipps zur sprachlichen Geschlechter-Gerechtigkeit. Damit das Geeiere um „Beamten und Beamtinnen“ oder gar um „BeamtInnen“ aufhört, will Leitfaden neutrale „verbeamtete Personen“ aufleben lassen. Das ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss.

Über Sprachfragen geht schließlich dieser Hinweis der Germanisten hinaus: „Einen höflicheren Stil erreicht man schon durch den Einsatz von Wörtern wie bitte oder danke.“

Quittieren wir’s mal so: Vielen Dank, dass Sie an die gute Kinderstube erinnern!

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HINTERGRUND

Gebühren nach Ortsgröße gestaffelt

  • Orte bis 1000 Einwohner zahlen einmalig 1000 Euro für die Uni-Sprachberatung, über 500 000 Einwohner sind 12000 Euro fällig. Für einige Städte ist dies offenbar schon ein Finanzproblem. Auch daher das schmale Projekt-Budget: 40 000 Euro für zwei Jahre.
  • „Idema“ ist eine Abkürzung. Volltext: Internet-Dienst für eine moderne Amtssprache.
  • Beispiele aus der Idema-Datenbank (Verbesserungstipps in Klammern):
  • Ablichtung (Kopie), Blockbeschulung (Blockunterricht), Eignungsfeststellungsverfahren (Eignungstest), entrichten (zahlen), fernmündlich (telefonisch), vorstellig werden (besuchen), zur Auszahlung bringen (auszahlen).
  • Info: 0234/32 27016.
  • Internet: www.moderneverwaltungssprache.de