Lektionen des Lächelns

Keine schöne Zwischenbilanz im Leben: Wenn man auf einmal feststellt, dass man gar keine wirklichen Freunde hat. Alles nur flüchtige Bekanntschaften.

So ergeht’s dem Antiquitätenhändler François (Daniel Auteuil) in Patrice Lecontes Film „Mein bester Freund”. Bei einer Beisetzung mit sehr kleiner Trauergemeinde kommt er ins Grübeln. Wer wird eines Tages bei ihm am Grab stehen? Nicht mal zu seiner erwachsenen Tochter hat der Geschiedene einen Draht.

Abends im Restaurant kommt’s noch schlimmer: Die vermeintlichen Freunde in der Runde sagen schlankweg, dass er ihnen gar nicht so wichtig sei. Seine Geschäftspartnerin Catherine setzt einen drauf: „Was wetten wir, dass du mir binnen zehn Tagen keinen Freund vorweisen kannst?!” Hoher Einsatz: Eine antike Freundschafts-Vase (mit Bildnissen der legendären Blutsbrüder Achilles und Patroklus), die François just in einer sentimentalen Aufwallung für sündhafte 200 000 Euro ersteigert hat.

Die Suche beginnt: Wo stecken sie nur, seine Freunde? Bis in die Schulkindheit zieht’s ihn zurück, doch der Kumpel von damals ist nur empört, als François ihm jetzt auflauert: „Ich habe dich schon früher nie gemocht.”

Das alles läuft bei Leconte keineswegs auf Tristesse hinaus, sondern ergibt hintersinnigen Komödienstoff. Und man sieht zwei inspirierte Hauptdarsteller.

Die andere Hauptfigur ist der Taxifahrer Bruno (Dany Boon). Der geht – im Gegensatz zu François – leutselig lächelnd durchs Leben. Nun soll er François nicht nur auf Freundessuche kutschieren, sondern ihm überdies beibringen, wie man Leute kennenlernt und freundlich behandelt. Doch all die Übungen in Parks und Bistros geraten zum komischen Fiasko.

Bruno ist zu allen Menschen nett. Doch wenn einen alle mögen, mag einen keiner richtig. Also ist er doch allein; ein Sonderling, der noch sehr an seinen Eltern hängt. Zudem paukt er in jeder freien Minute Quizfragen, um mal groß ‚rauszukommen beim französischen Pendant zu „Wer wird Millionär?”

Erraten! Die beiden könnten Freunde werden. Doch François muss erst lernen, dass man Freundschaft weder erkaufen noch forcieren kann. Leconte erteilt die Lektionen so beschwingt, dass einem leicht wird ums Gemüt.




Der Onkel Bumba aus Kalumba tanzt nur Rumba

Essen. Schlager, Schmachtfetzen, Swing und höherer Blödsinn – aus solchen Quellen schöpften die „Comedian Harmonists“ in den 1920er Jahren ihre unvergleichlich Sangeskünste. Jetzt greift das Essener Schauspiel im Grillo-Theater auf die intelligente Erfolgsmischung zurück.

Franz Wittenbrink (Musik-Arrangements) und Gottfried Greiffenhagen (Texte) haben bereits 1997 das Stück um die berühmte Gesangsgruppe kreiert, das seither seine Runden durch deutsche Theater zieht. Auch in Dortmund war’s schon mal zu sehen.

Just 1997 war auch das Jahr, in dem Joseph Vilsmaiers famos besetzter Film über die „Comedian Harmonists“ herauskam und Maßstäbe setzte. Man hat diesen Film auch im Sinn, wenn sie nun in Essen die Geschichte des A-cappella-Ensembles erzählen -von entbehrungsreichen Gründungstagen über glanzvolle Erfolge bis zur erzwungenen Auflösung unter dem NS-Regime im Jahr 1934. Die Nazis verfemten die Musik der „Comedian Harmonists“ als „entartet“, weil drei der sechs Gruppenmitglieder jüdischer Herkunft waren. Es war einer von zahllosen Akten der NS-Kulturvernichtung. Diese Wunden verheilen nicht.

Gegen besagte Kino-Erinnerungen käme das Theater nur unter vehementer Aufbietung all seiner spezifischen Mittel an. Doch in Essen dauert’s schon mal rund 40 Minuten (eine gefühlte Ewigkeit), bis der erste vollständige Song erklingt. Bis dahin sieht und hört man die Genese der Gruppe nach einer Zeitungsannonce (sogar Johannes Heesters sang – vergebens – vor). Man erlebt mühsame Proben, absichtliches Falschsingen. Dazu köcheln Konflikte der 1928 noch im Werden begriffenen Gruppe. Hie unbezahltes Üben bis tief in die Nacht; da der Traum, der US-Formation „Revelers“ nachzueifern, sie sogar zu übertreffen.

Das Sechser-Ensemble ist eine Mixtur aus Essener Sprechtheater-Schauspielern und Gästen. Die unterschiedlichen Charaktere sind passend ausgewählt (neudeutsch: gecastet), sie decken ungefähr das tatsächliche Spektrum ab. Auch bekommt diese sympathische Truppe das Liedgut erstaunlich gut hin. Doch ebenso verblüffend ist stellenweise die holprige Darstellung. War’s Lampenfieber? Vielleicht gibt sich das in den Tagen und Wochen nach der Premiere.

Regisseur Gil Mehmert setzt die Lieder mit wechselndem Geschick in Szene, am besten gelingt die Umsetzung beim „Onkel Bumba“ (der reimgerecht nur Rumba in Kalumba tanzt). Überhaupt bricht irgendwann das Eis, wenn endlich launige Klassiker wie „Schöne Isabella von Kastilien“, „Mein kleiner grüner Kaktus“, „Wochenend und Sonnenschein“ und „Veronika, der Lenz ist da“ geschmettert oder gesäuselt werden. Da geht das Publikum frohsinnig mit.

Wenn schließlich die Gruppe sich unter diktatorischem Druck spaltet, gewinnt das sonst kitschverdächtige Lied „Irgendwo auf der Welt (gibt’s ein kleines bisschen Glück)“ die ungeahnte Qualität eines utopischen Gegenentwurfs zu den schrecklichen Verhältnissen. Stoff zum Heulen.

Termine: 7., 15., 16., 26., 31. Dezember; 12., 25. Januar. Karten: 0201/8122-200.

_______________________________________________

(Der Beitrag stand am 6. Dezember 2007 in ähnlicher Form in der „Westfälischen Rundschau“)




Peter Handke: Mal provokant, mal priesterlich

Es muss ein starker Auftritt gewesen sein, damals im Jahre 1966: Frontal attackierte ein 23-Jähriger mit Beatle-Frisur und dunkler Brille die in Ehren ergrauten Nachkriegs-Größen der deutschen Literatur. In Bausch und Bogen warf der zornige junge Mann der in Princeton (USA) tagenden „Gruppe 47” fruchtlose „Beschreibungs-Impotenz” vor.

Das nachfolgende Geraune kann man sich ungefähr vorstellen: Wie kann dieser Jungspund es nur wagen, uns alle auf diese Weise . . .

Der Provokateur hieß Peter Handke und hatte seinerzeit nur einen Text („Die Hornissen”) veröffentlicht. Jetzt wird er 65 Jahre alt und hat ein Werk von enormer Fülle und Prägekraft geschaffen.

Längst hat er eine Gemeinde um sich geschart, die seine zuweilen geradezu priesterlich gesetzten Worte gläubig aufnimmt. Seit er allerdings im Kosovo-Konflikt ab 1996 ungeahnt starrsinnig für Serbien und den Diktator Slobodan Milosevic Partei ergriffen hat, verweigerten ihm einige die „Jüngerschaft”. Tatsächlich war seine Querköpfigkeit in diesen Fragen vielleicht biographisch und psychologisch, nicht aber politisch nachvollziehbar.

In seinen besten Büchern hat Handke sich als „Seher” erwiesen, gesegnet mit feinster Beobachtungs- und Formulierungs-Gabe, die sich besonders den unscheinbaren, vergehenden und bedrohten Verhältnissen behutsam zu-wendet. So über alle Maßen detailsinnlich geht es dabei oft zu, dass es keineswegs nur verstiegene Innerlichkeits-Prosa ist, sondern eine höchst eigene, durchaus welthaltige Literatur.

In Text-Gebirgen wie „Mein Jahr in der Niemandsbucht” oder „Der Bildverlust” konnten sich Leser auch schon mal verirren. Doch seine Bücher bergen stets kostbare Funde. Sie gleichen langen Wanderstrecken, wie denn dieser Autor auch buchstäblich ein großer Wanderer der Literatur ist. Das Gehen als eine Daseinsform – wie das Schreiben.

Berühmt wurde seine von Widerspruchsgeist getriebene „Publikumsbeschimpfung” (Uraufführung durch Claus Peymann 1966), die im Handstreich das gesamte Zeichen-System des Theaters verwarf. Gewiss wirkten der allen Systemen abholde Protest-Furor von 1968 und die Lebensimpulse der Rockmusik (über die er wunderbare Texte wie „Versuch über die Jukebox” geschrieben hat) auch bei Handke. Im Bann der damals herrschenden Pop-Kultur interessierte sich der leidenschaftliche „Kinogeher” (just so hieß auch Handkes Übersetzung eines Buchs von Walker Percy) für Kulturphänomene wie James Bond, Schlagertexte und Fußball. Von wegen nur weltfremd!

Immer entschiedener richtete Handke sein Augenmerk aufs Projekt einer „Rettung” des geduldigen, unverstellten, von keiner schnellen Meinung getrübten Blicks auf die Welt. Gelegentlich schwelgte er dabei in verklärender Ding-Betrachtung. Doch seine Literatur erschloss auch utopisches Gelände.

Nicht das geringste Verdienst Handkes ist es, dass er auf andere herausragende Autoren aufmerksam gemacht hat, die vergessen zu werden drohten – zum Beispiel Heimito von Doderer, Hermann Lenz oder Emmanuel Bove.

Manche seiner Titel wurden sprichwörtlich: Handke beschwor die existenzielle „Angst des Tormanns beim Elfmeter”, stellte eigensinnig klar „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms”, wog „Das Gewicht der Welt” und beschwor „Die Stunde der wahren Empfindung”.

Überdies hat er ungemein innige Texte aus familiärer Nahsicht verfasst: Nach dem Freitod seiner Mutter entstand ihr bewegendes Lebensbild „Wunschloses Unglück”. In der „Kindergeschichte” kam die zwiespältige Beinahe-Symbiose mit seiner ersten Tochter Amina zu leuchtender Sprache. Man sieht: Auch an der Schwelle zum Elfenbeinturm macht das alltägliche Leben nicht Halt.

______________________________________________

Zur Person:

  • Peter Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten/Österreich) geboren. Er wuchs bei Mutter und Stiefvater in ärmlichen Verhältnissen auf.
  • 1945 bis 1948 lebte die Familie in Berlin.
  • Zurück in Kärnten, besuchte Handke die Schule eines katholischen Priesterseminars und ein Internat. 1961 Abitur in Klagenfurt.
  • Ab 1961 Jura-Studium in Graz – ohne Abschluss.
  • 1965 Erstlingsbuch „Die Hornissen”.
  • Weitere Lebensstationen: u. a. Düsseldorf, Berlin, Paris, Kronberg/Taunus, Salzburg.
  • Seit 1991 lebt Handke in Chaville bei Paris.
  • Handkes Lebensgefährtinnen: die Schauspielerinnen Libgart Schwarz, Sophie Semin und Katja Flint.
  • Umfangreiche Internet-Seite: http://www.peterhandke.at/