Die Welt besteht aus Zahlen – eine anregende Ausstellung in Paderborn

Paderborn. „Am Anfang war das Wort”. Wirklich? An dem biblischen Satz könnte man zweifeln, wenn man diese Ausstellung gesehen hat: „Zahlen, bitte!” zeigt unsere Welt als Ansammlung berechenbarer Verhältnisse. Wie schon der alte Grieche Pythagoras gesagt haben soll: „Die Zahl ist das Wesen aller Dinge.”

Viele kokettieren ja gern mit ihrer Unkenntnis auf diesem Felde: „In Mathe war ich immer schlecht!” Doch 2008 ist nun mal hochoffiziell zum „Jahr der Mathematik” ausgerufen worden. Und nicht nur der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger mahnt seit längerem, diesen Teil der Kultur bloß nicht zu vernachlässigen. Also ist tätige Reue fällig: Auf nach Paderborn, auf ins Heinz Nixdorf Museum!

Da merkt man rasch: Was immer uns ästhetisch erfreut, hat letztlich mit Zahlen zu tun. Der Aufbau schöner Kristalle, die Symmetrie der Tiere, überhaupt die Schauspiele der Natur – mathematisches Regelmaß. Musikalische Klänge – im Grunde lauter Zahlenwerk. Gemälde und Architektur nach dem „goldenen Schnitt” – kaum denkbar ohne rechnerische Basis.

Reichlich Gelegenheit
zum Ausprobieren

Immer wieder gibt es Gelegenheit zum Mitmachen und Ausprobieren, vor allem im „Zahlenzirkus”, der Kinder begeistern soll. Doch diese auch für Erwachsene anregende Schau begnügt sich nicht damit, Staunen und Spieltrieb zu bedienen. Mit sinnlichen Belegstücken dringt sie hie und da auch etwas tiefer in die Materie ein.

Es gibt knappe Einführungen in Geheimnisse der so genannten irrationalen und der komplexen Zahlen, auch die Kreiszahl Pi oder Fibonacci-Zahlenreihen werden näher betrachtet. Man begegnet den großen Rechenkünstlern und Zahlenjongleuren der Geschichte. Hinzu kommen völkerkundliche Exkursionen: Ganz unterschiedliche Zahl- und Zählsysteme gab es auf dem Erdenrund. Im alten Babylon etwa pflegten die Menschen ein 60er-System, dessen Relikte uns heute noch durch Stunden- und Minuteneinteilung geläufig sind. Und das gedankliche Vordringen in den Null- und Minus-Bereich ist ein echtes geistiges Abenteuer.

Vollends verblüffend ist die in Paderborn gezeigte „Unendlichkeitsmaschine”, deren erstes Zahnrad sich noch sichtlich schnell bewegt. Es übersetzt seine Kraft aufs nächste, das sich schon deutlich langsamer dreht. Und so weiter, bis das letzte Rad erreicht ist. Für eine einzige Rotation, so die mathematische Vorausberechnung, würde es 2,3 Billionen Jahre brauchen. Bis dahin ist manches vorbei.

Besonders alltagsnah ist die Abteilung, die sich dem Zufall (sprich: Wahrscheinlichkeitsrechnung) und dem Glücksspiel widmet. Spielgeräte, (gezinkte) Würfel und die alte ARD-Lottotrommel (bis 1965 in Gebrauch) sind Blickfänge.

Beim Glücksspiel wird
es häufig kriminell

Stellenweise wird’s hier kriminell. Oft gab es Versuche, das Zahlenglück zu überlisten, beispielsweise mit Magnetwellen per Handy die Roulettekugel zu lenken. Der Croupier musste sie allerdings vorher ausgetauscht haben. Mathematisch betrachtet, kommt jede Zahl auf Dauer in etwa gleich häufig, ob beim Lotto oder am Spieltisch. Würde man theoretisch ewig spielen, wäre ein Reingewinn unmöglich. Man muss eben rechtzeitig aufhören.

Schon zu Beginn der Schau wird man – noch auf der Rolltreppe – mit einem gesprochenen Countdown empfangen: 5, 4, 3, 2, 1, 0. Am Schluss erfährt man noch einmal in geballter Form, dass schier alles zählbar zu sein scheint und daher auch gezählt wird. Statistiker haben errechnet, dass im Schnitt stets 0,7 Prozent der Weltbevölkerung volltrunken sind. Diverse Geräte vermessen nicht nur die ganze Erde oder den Stromverbrauch, sondern es gibt auch Zählwerke, die Springseil-Umdrehungen ermitteln.

Eine mathematisch inspirierte Kunst-Installation rechnet schließlich Gestalt und Bewegungen der Besucher in wabernde Zahlenwolken um und zeigt sie auf der Leinwand – fürwahr ein seltsamer Blick in den „Spiegel”.

„Zahlen, bitte! – Die wunderbare Welt von null bis unendlich”. Heinz Nixdorf MuseumsForum, Paderborn, Fürstenallee 7 (umfangreiches Begleitprogramm – Tel.: 05251/30 66-00). Eintritt 4 Euro, Familie 8 Euro. Bis 18. Mai. Di-Fr 9-18, Sa/So 10-18 Uhr. Internet: http://www.hnf.de/

______________________________________________________

AM RANDE:

Ein Gedankenspiel der Ausstellung betrifft das so genannte „Hilbert-Hotel”: Angenommen, ein Hotel hätte unendlich viele Zimmer, aber dann kämen auch unendlich viele Gäste. Wie kann man sie unterbringen? Wir verraten nur dies: Das Zauberwort heißt „Zimmerwechsel”.

An anderer Stelle können Besucher Stäbchen auf eine Fläche mit vorgezeichneten Linien werfen. Voraussage für die Summe aller denkbaren Zufallswürfe: Aus sämtlichen Schnittpunkten ergibt sich auf Dauer das Maß der Kreiszahl Pi. Verblüffend!




Jane Birkin: Die ganze Fülle des Lebens

Wenn Jane Birkin singt, sind Geister gegenwärtig. Dann wird Musik schon mal zur gehauchten Beschwörung.

Nein! Diese knabenhafte Frau in Cargo-Hosen und T-Shirt, die fast zwei Stunden ohne Pause auf der Bühne des Dortmunder Konzerthauses steht, kann keine 61 Jahre alt sein. Niemand mag es glauben.

Und besagte Geister? Nun, natürlich schwingt vor allem die Erinnerung an ihren langjährigen, 1991 gestorbenen Lebens- und Bühnenpartner Serge Gainsbourg mit. Obwohl sie sich einst von ihm getrennt hat: Diese Liebe wirkt spürbar nach – schier grenzenlos. Jane Birkin ist denn auch so klug, seither mit keinem anderen das berüchtigte Stöhn-Lied „Je t’aime – moi non plus…“ (Skandal von 1969) darzubieten. Darauf müssen wir also verzichten.

Sonst aber enthält das Konzert so ziemlich alles, was man sich von ihr wünschen kann. Flankiert wird sie von einem famosen Trio: Die drei Herren beherrschen neben Klavier, Gitarre, Geige und Schlagzeug manche andere Instrumente virtuos. Eine ideale Tragfläche für Jane Birkins sanft-brüchigen Gesang, der zwischen Liebes-Melancholie und kindlicher Freude etliche Schattierungen umfasst.

Eine Glockenstimme hat Jane Birkin nicht. Aber es klingt ihre ganze Lebensfülle an – und das ist mehr. In dieser Liga, in die auch eine Marianne Faithfull gehört, zählt erfahrene, erlittene Individualität. Auch politische Appelle (gegen die Diktatur in Birma) haben da ihren Platz, weil sie von Herzen kommen.

Sie trifft genau die richtige Mischung aus englischen und französischen Akzenten, angejazzten Rock- und Chanson-Elementen. Titel aus neueren Alben und Rückgriffe bis in die 70er Jahre runden sich zum bewegenden Ereignis. Bravo!

_____________________________________________




Was die Kultur dem Schaf verdankt

Vreden/Münsterland. Ausstellungen kann man über alles und jedes machen, wenn man nur die richtigen Belegstücke hat. Warum also nicht mal die Schafe als Figuren der Kulturgeschichte betrachten? Aber mäh!

Das volkskundlich orientierte Hamaland-Museum im münsterländischen Örtchen Vreden (bei Borken) liegt in einer Landschaft, in der früher vielfach Schafzucht betrieben wurde. Heute beschränkt sich das Gewerbe fast nur noch auf touristische Streichelangebote.

Mit der einschlägigen Redensart „Bring dein Schäfchen ins Trockene” hatte das Museum die Bevölkerung aufgefordert, Schafe in jeder Form zeitweise zu stiften. Die versammelten Niedlichkeiten (aus Stoff, Holz, Plastik usw.) füllen nun gleich mehrere Vitrinen. Und es lässt sich nicht leugnen, dass die Tierchen es dort trocken haben.

Von der Bibel bis zum Krimi

Überhaupt die Redewendungen: Der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz (Bibelquelle Matthäus 7-15), das „schwarze Schaf” in der Familie und viele weitere werden aufgelistet. Das Schaf hat somit (auf dem Umweg über die menschliche Phantasie) auch die Sprachgeschichte mitgeprägt. Und wenn’s dann mal genug ist, soll Schäfchenzählen beim Einschlafen helfen.

Die kleine, thematisch fast schon überfrachtete Schau blättert so gut wie alles auf, woran man beim Stichwort „Schaf” denkt. Museumsleiterin Annette Menke lenkt z. B. den Blick zurück auf die Rokoko-Literatur, die sich oft in paradiesisch-galanten „Schäferspielen” erging. Auch Größen wie Wieland und Gellert haben diesem neckisch-erotischen Genre gefrönt. Von daher rührt das heute noch geläufige Wort „Schäferstündchen”. Auch ein Komponist wie Mozart hat sich von der Zeitmode anstecken lassen, so etwa mit seiner Schöpfung „Bastien und Bastienne”.

Neuere Bücher kommen in anderer Weise aufs Thema zurück: Mit „Glennkill” entstand der Schafskrimi. Katzen als Ermittler – das gab’s ja schon längst. Jetzt kombinieren auch kluge Schafe. Ausgeblendet hat man in Vreden das Kino und die köstliche TV-Kinderserie „Shaun das Schaf”, die gleichfalls alle Vorstellungen vom etwas dusseligen Tier Lügen straft. Ein Imagewandel: Das Schaf steht neuerdings deutlich besser da in der Landschaft.

Auch der Aberglaube spielt eine Rolle

Selbstverständlich spielen Schaf und Lamm (Agnus Dei – „Lamm Gottes”) eine besondere Rolle in der Bibel. Mal als Symbol für Jesus, mal als ständige Begleitung bestimmter Heiliger – oder auch als unschuldsvolles Opfertier. Gemälde beispielsweise von Grünewald gibt es in Vreden natürlich nur als Repro-Druck.

Daneben ist allerlei religiöser Devotionalienkitsch zu sehen. Da haben die Schafe keine tiefere symbolische Bedeutung mehr, sondern dienen als Staffage – am liebsten im Verein mit Kindern. Betont wird stets das Naive, Harmlos-Friedfertige und Wehrlos-Geduldige, das dieser Tierart angeblich zu eigen ist. Man kann sich so seine Gedanken machen: Bis wann ist es noch (ein Hauch von) Hochkultur, und ab wann kann man von „herabgesunkenem Kulturgut” sprechen?

Die weiteren Exponate künden denn auch vorwiegend von sachlichen „Niederungen” des Alltags. Etliche Produkte haben ja mit Schafen zu schaffen – von der Schafsmilch-Seife über Schafskäse, Lammfleisch und Lanolin (gewonnen aus Talg, verwendet als Grundstoff für Kosmetik) bis zur Wolle.

Man erfährt dabei am Rande auch unerquickliche Einzelheiten etwa über Persianerfelle, die aus Schafswolle erzeugt werden. Sie stammt von Tieren, die gezielt drei oder vier Tage nach der Geburt getötet werden. Zu diesem Zeitpunkt sollen die Locken besonders fein sein . . .

Zoologie und Zucht werden ebenfalls knapp gestreift. Und der volkstümliche Aberglaube tritt gar vielfältig hervor. Eine entgegenkommende Schafherde bringe Glück, hieß es früher. Achten Sie beim nächsten Ausflug mal drauf!

„Lammfromm oder bockbeinig – Das Schaf in der Kulturgeschichte”. Hamaland-Museum (Kreis Borken) in Vreden/Münsterland, Butenwall 4. Tel.: 02564/39 18-0. Bis 30 März. Di bis So 10-17 Uhr. http://www.hamaland-museum.de/

_______________________________________________

AM RANDE:

  • Ein Thema der Schau: der Aberglaube ums Schaf.
  • In Braunschweig hieß es einst: Wer dreimal ein Lamm in seine Schuhe hineinschnuppern lässt, wird seine Erkältung los.
  • In Böhmen lautete der Rat, man müsse morgens in aller Frühe eine Schafherde durch ein Sieb betrachten, um zu genesen.
  • Litauen: „Verrufene” Kinder sollten drei Tropfen Blut aus dem linken Ohr eines Schafes trinken . . .



Die deutsche Sprache ist „schön, saftig und besonders geschmeidig“ – Wolf Schneiders Buch „Speak German“

Nicht ungeschickt: Wer das massive Eindringen englischer Ausdrücke ins Deutsche bremsen will, sollte zunächst einmal die englische Sprache loben. Sie klingt ja oft so klipp und klar.

Besonders die englischen Einsilber wie Team, Job und Sex haben es Wolf Schneider (82) angetan. Manche Wort-Importe seien eben belebend. Doch wenn es nach dem „Sprachpapst“ des deutschen Journalismus geht, soll’s damit auch weitgehend genug sein. In Frankreich setze man doch auch Grenzen!

Im großen Rest seines neuen Buches preist er vor allem das Deutsche, auf das man „stolz“ sein könne. Vielfach sei es treffender, geschmeidiger und saftiger als andere Sprachen, überdies oft kürzer (Mord statt murder, Geld statt money, Mut statt courage usw.). Auch werde in keine andere Sprache dermaßen viel übersetzt. Deutsch sei also das größte Sammelbecken der Weltliteratur. Na, bitte!

Zwischendurch spießt der Autor wahrlich absurde Anglizismen aus Werbewelt und Wissenschaft auf. Die Schuldigen sind rasch ausgemacht. Treibende Kräfte der Wortinvasion seien Fernsehen, Computer und Popmusik gewesen. Die Politik habe es lange versäumt, entschieden gegenzusteuern und das Deutsche beispielsweise als eine offizielle Amtssprache in der UNO durchzusetzen.

Wiederum eine geschickte Finte: Schneider sagt mitfühlend, man tue dem Englischen mit solchen willfährigen Übernahmen gar keinen Gefallen. Die Weltsprache verwässere dabei.

Worauf will er hinaus? Wo es nur irgend geht, soll man passende deutsche Ausdrücke vorziehen. Dies lasse sich sogar wirksam „von oben“ beeinflussen oder verfügen, findet Schneider. Als leuchtende Vorbilder nennt er Luthers Bibel-Übersetzung und Bismarcks Vorschriften von 1874, nach denen 760 postalische Begriffe eingedeutscht wurden. Ob das heute noch so einfach wäre?

Wolf Schneider: „Speak German – Warum Deutsch manchmal besser ist“. Rowohlt, 192 Seiten, 14,90 €.




So herrlich regellos – Ist Rechtschreibung etwa „spießig“?

Das Thema köchelt immer mal wieder hoch: Muss man diese lästige Sache namens Rechtschreibung etwa auch im Blog (ganz zu schweigen von Mails und Chats) beachten?

Keineswegs, meinen manche: Es würde nur jegliche Spontanität verhindern. Womöglich ist gar die „Freiheit des Wortes“ in Gefahr. Derlei Vorschriften seien überhaupt nur etwas für unverbesserliche Pflichtmenschen. Und was die historisch angerichtet haben, ist ja nur zu bekannt…

Also lässt man die Regeln fahren und tippt munter drauflos. Anschließende Korrektur ? Nö. Wozu denn ? Die Anderen werden schon wissen, was gemeint ist.

Ich finde: Von sonderlicher Neigung oder gar Liebe zur Sprache zeugt all das nicht. Und ich frage mich, ob sich diese laxe, wurschtige Haltung nicht zu einer Form der Unhöflichkeit steigern kann. Man verwirklicht sich (mal wieder) regellos selbst und fetzt seine Sätze so ungemein frei hin – nach dem rücksichtslosen Motto: „Fresst, Vögel, oder sterbt.“ Ganz toll!

Die Einhaltung gewisser sprachlicher Regeln dient nicht zuletzt der besseren Verständigung. Leider gilt diese Auffassung in weiten Teilen der Internet-Gemeinden als hoffnungslos veraltet und „spießig“.

Ich will jetzt nicht etwa die Verkehrsregeln als Analogie heranziehen. Und ich rede auch nicht von lässlichen kleinen „Verhackern“ oder Tippfehlern aus Müdigkeit, Überschwang oder sonstigen nachvollziehbaren Gründen. Erst recht meine ich keine kreativen Sprach-Verfremdungen und Wortspiele. Und auch nicht den ermüdenden Dauerstreit um Groß- und Kleinschreibung.




Emil Nolde oder: Die Natur ist von Geistern beseelt – Ausstellung in der Bielefelder Kunsthalle

Die Bielefelder Kunsthalle begibt sich auf seifig glattes Begriffs-Gelände. Sie spüren dort jetzt dem „Nordischen“ in der Kunst des berühmten Expressionisten Emil Nolde (1867-1956) nach.

Da wird man hellhörig, denn das Wort hat eine wechselhafte, nicht unproblematische Geschichte. Oft genug musste es herhalten, um das „Germanentum“ aufzuplustern.

Doch halt! Nicht gleich die ganz große Verdachtskeule schwingen. Bei Nolde bestand die Hinwendung zum „Nordischen“ zunächst einmal in der Weigerung, die damals übliche Kunst-Pilgerreise nach Rom zu unternehmen. Verpönt waren Nolde die lieblichen Landschaften und das allzu gefällige Licht.

Man sieht sogleich, welche Richtung Nolde stattdessen einschlug. Drei fulminante Bilder von heftig aufgewühlten Herbstmeeren hängen in Bielefeld nebeneinander – allesamt entstanden auf der heute dänischen Ostsee-Insel Alsen, wo Nolde seinerzeit ein Bretterbuden-Atelier direkt am Strand hatte und bei allen Winden und Wettern malte. Nur: Von sanften Brisen kann meist keine Rede sein.

Später wurde das (klimatisch noch rauere) nordfriesische Seebüll zum Lebensmittelpunkt. Von der dort ansässigen Nolde-Stiftung kommen jetzt auch die meisten Leihgaben, darunter noch nie öffentlich gezeigte Bilder. Da lohnt sich also wiederum die Wallfahrt nach Bielefeld.

„Nordisch“, das war seit den Tagen eines Caspar David Friedrich (in Noldes Epoche durch Munch und van Gogh verstärkt) der innige Blick auf die engere heimatliche Umgebung; auf einfache Menschen wie Bauern und Fischer, die widrigen Lebens-umständen trotzen. Entweder sind sie einsam den Elementen ausgesetzt, oder sie rücken ganz dicht und beinähe verschwörerisch zusammen. Die Palette ist insgesamt deutlich dunkler als in südlichen Gefilden. Doch just bei Nolde kommen häufig feurige, grellgelbe oder blutrote Luftgebilde zum Vorschein. Farben als Aufschreie in der Dämmerung. Und diese Töne werden immer freier, sie lösen sich vom Bildgegenstand.

Gewiss: Anfangs scheint auch schon mal impressionistisch flirrendes Licht in Noldes Gärten, es umspielt idyllische Hausansichten oder zwei Blondinen. Auch hat er mit „Leute im Dorfkrug“ (1912) Cézanne nahezu plagiiert. Doch seine Welt ist vorwiegend dramatisch. Die Naturschauspiele sind geradezu beseelt von riesenhaften Wolkenfingern oder tosenden Wogen.

Mit eher harmlosen Natur-Gesichtern hatte sich Nolde aus ungeliebten Brotberufen (Holzschnitzer in Möbelfabriken, Zeichenlehrer) befreien können: Ein „lächelndes Matterhorn“ und andere neckisch belebte Berggeister hatten ihm als Postkarten so viel Geld eingebracht, dass er fortan für sich arbeiten konnte. Später gab’s wieder härtere Zeiten. Seine Frau Ada, eigentlich Schauspielerin, verdingte sich zur Not schon mal als „Gänseliesel“ im Varieté.

In den 20er Jahren hatte er sich endgültig durchgesetzt. Es gab später gar eine Nazi-Fraktion, die sich den Nordmann als Haupt- und Staatskünstler wünschte. Doch Hitler sprach dagegen ein Machtwort. 1941 erhielt Nolde Malverbot und schuf heimlich nur noch lieh kleinformatige Aquarelle. Auch davon gibt es einige Proben in Bielefeld.

Eine spezielle, ins karikierend Groteske reichende Abteilung der Schau zeigt Noldes Spuk- und Spökenkieker-Phantasien. Gespenstische, zuweilen zittrig erregte Wesen geistern durch die nordischen Nächte. Man meint, sie diebisch kichern zu hören. Es ist, als habe Nolde die huschenden Geister nur aus den Augenwinkeln erhascht – und dann gebannt. Famos!

___________________________________________

DATEN UND FAKTEN

  • Lange her: Die letzte große Nolde-Ausstellung in Bielefeld hieß 1971 „Masken und Figuren“.
  • Eine legendäre Schau gab es 1912 in Hagen, wo sich damals das Folkwang Museum befand: Nolde stellte dort seinen Zyklus „Leben Christi“ aus – zum Verdruss klerikaler Kreise.
  • Daten zur jetzigen Schau: „Emil Nolde – Begegnung mit dem Nordischen“. 3. Februar bis 12. Mai. Kunsthalle Bielefeld, Artur-Ladebeck-Straße 5. Di, Do, Fr, So 11-18, Mi 11-21, Sa 10-18 Uhr. Eintritt 7 €, Katalog 19,80 €.
  • Parallel in Berlin: Im Nolde-Museum geht es ab heute bis 18. Mai um die Südseereise des Malers.
  • _____________________________________________

(Der Artikel stand am 1.2.2008 in der „Westfälischen Rundschau“)