Die Kultur umarmt den Fußball – Über die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur

Vor dem EM-Endspiel noch mal kurz innehalten – und über Fußball und Kultur nachdenken. Manche bezweifeln ja immer noch, dass es solche Querbezüge gibt. Sie haben vielleicht noch nie von Lebens- und Alltagskultur gehört. Bei der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur in Nürnberg weiß man es besser. Nachgefragt bei Günter Joschko, Projektleiter der renommierten Einrichtung.

Wie ist das beispielsweise mit der oft beschworenen Spielkultur? Hat die EM neue Erkenntnisse gebracht? Joschko: „Auch hier erleben wir Globalisierung. Stilistisch gibt es weltweit eine Tendenz zur Angleichung.” Die Champions League, so Joschko, gebe mit rasantem Vereinsfußball vor allem der englischen und spanischen Spitzenclubs die Richtung vor. Dann versuche man es überall nachzumachen. Fast schon beängstigender Trend: immer schneller, immer kombinationssicherer. Ob das stets mit Kultivierung einhergeht?

Die Zeit der neuen
Fan- und Spielertypen

Zur Akademie für Fußball-Kultur gehören im losen Verbund Menschen zahlreicher Fachrichtungen. Soziologen sind vorwiegend am gesellschaftlichen Umfeld interessiert. Germanisten untersuchen sprachliche Weiterungen des Fußballs zwischen Fan- und Reporterdeutsch – bis hin zur hohen Literatur. Musikexperten analysieren Fangesänge. Philosophen wenden ewige Grundsatzfragen aufs Kicken an. Selbst Theologen sind dabei. Eigentlich kein Wunder, ist doch der Fußball eine Quasi-Religion unserer Tage und damit sozusagen eine Glaubensfrage.

Günter Joschko hat vor allem bei der letzten WM 2006 und der jetzigen EM beobachtet, wie sich die Spaßgesellschaft formiert: „Die Zahl der erlebnishungrigen Partygänger unter den Zuschauern ist enorm gewachsen. Das sind Leute, die kaum an taktischen Finessen interessiert sind, sondern am puren Event.” Der harte Kern der Kenner hingegen bleibe auf längere Sicht ungefähr gleich groß.

Der Stadionbau habe sich dieser Entwicklung angepasst. Joschko: „Die großen Arenen bieten heute Durchschnitts-Komfort und Rundum-Versorgung für alle – selbstverständlich auch für Frauen.” Der Fußball ist also längst in der ganz breiten Mitte der Gesellschaft angekommen und dabei – so unken Kritiker – auch etwas domestiziert worden.

Das deutsche Nationalteam, so meint Joschko, vereine heute ein breiteres Spektrum von Spielertypen als je zuvor. Die Mannschaft werde mehr und mehr zum repräsentativen Abbild der Gesellschaft. Umkehrschluss: Jeder kann sich seine passende Identifikations-Figur heraussuchen, jede Klientel wird fündig.

Lustige Vögel und Verantwortungsträger

Da gebe es sympathisch unbekümmerte, „lustige Vögel” wie „Poldi” und „Schweini”; aber auch ernsthaftere, „ausgesprochen gescheite Leute” (Joschko) wie Lahm, Mertesacker oder Metzelder, die über den Rand des Sports hinausblicken und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Damit liegen sie laut Joschko auf der Linie des DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, der den Verband in dieser Hinsicht entstaubt habe.

Lang genug hat’s ja in Deutschland gedauert. In Spanien etwa war Fußball schon immer auch für Feingeister ein Thema. Hierzulande sind erst in den letzten 15 Jahren etliche Literaten, Künstler und Wissenschaftler auf den Zug aufgesprungen. Joschko: „Vorher war in diesen Kreisen das Reden über Fußball verpönt. Heute ist das völlig anders. Da sind Dämme gebrochen.” Kulturschaffende umarmen den Fußball nun so innig, dass ein gewisser Sättigungsgrad erreicht zu sein scheint. Man munkelt neuerdings von Trotzreaktionen: „Es gibt offenbar erste Rückzugstendenzen”, so Joschko.

Und das konkrete EM-Geschehen? Bekanntlich ist ja „entscheidend auf’m Platz”: Das Turnier sei für fast alle Mannschaften ein Auf und Ab gewesen, sagt Günter Joschko. Heute toll gespielt, beim nächsten Mal grottig – oder umgekehrt. Joschko: „Nur die Spanier haben ihr hohes Niveau gehalten.”

Beim Tippspiel der Akademie-Mitglieder waltete übrigens Skepsis. Gerade mal 18 von 75 Teilnehmern wetteten auf einen deutschen Titelgewinn. Nein, diese Kulturmenschen aber auch! Fehlt’s da etwa immer noch an der landläufigen Euphorie?

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INFO ZUR AKADEMIE

  • Die in Nürnberg ansässige Deutsche Akademie für Fußball-Kultur wurde 2004 gegründet.
  • Dahinter stehen als Mitglieder Institutionen wie das Goethe-Institut, das Grimme-Institut und der Volkshochschulverband.
  • Persönliche Mitglieder sind z. B. Django Asül (Comedian), Eckhard Henscheid, Albert Ostermaier (Autoren), Guido Knopp (Historiker), Renate Künast (Politikerin), Horst-Eberhard Richter (Psychologe) und Klaus Theweleit (Philosoph) sowie zahlreiche Journalisten und Professoren aller Fachrichtungen.
  • Die Akademie verleiht einen Fußball-Kulturpreis für die besten Fußballbücher, Fußballsprüche, das beste Spiel – und für einschlägige Bildungsprojekte.



Die Deutschen bleiben auf Sinnsuche – Über Richard David Prechts vergnügliche Philosophie-Geschichte „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“

Von Bernd Berke

Da stellt einer gleich reihenweise die ganz großen Fragen: Gibt es Gott? Was ist Liebe? Hat das Leben einen Sinn? – Spontan möchte man ausrufen: Hat er’s nicht ein paar Nummern kleiner? Doch der Mann ist beileibe kein Spinner, er hat durchaus Bodenhaftung.

Nicht von ungefähr hat Richard David Precht mit seiner lebendig und vergnüglich geschriebenen Philosophie-Geschichte „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ den „ewigen“ Spitzenreiter bei den Sachbuch-Bestsellern überholt: Hape Kerkelings achtbaren Pilgerbericht „Ich bin dann mal weg“.

Prechts Buch hat sich langsam, dann aber gewaltig nach oben gearbeitet. Bereits im September 2007 erschienen, erhielt es einen ersten Schub durch Elke Heidenreichs Empfehlung in „Lesen!“ (ZDF). Seither muss jede Menge Mundpropaganda hinzu gekommen sein.

Vielleicht kann man aus der Hitlisten-Abfolge gar auf die Gemütslage vieler Deutscher schließen. Denn auch mit der neuen Nummer eins begeben sie sich wieder auf Sinnsuche. Nur mögen sie’s dabei abermals nicht so gern mögen sie’s dabei abermals nicht so gern pathetisch oder tiefgründelnd. Warum auch, wenn es doch diese fröhliche Wissenschaft gibt, die Bildungsgut wie im Fluge verabreicht.

Die sonst üblichen Philosophiegeschichten kommen oft professoral und gravitätisch daher. Epoche für Epoche da abgehandelt, all die großen Geister ziehen im Widerstreit ihrer Thesen vorüber. Trocken genug.

Mit wachem Sinn für die Gegenwart

Precht hingegen durchpflügt die Geistesgeschichte mit wachem Sinn für unsere Gegenwart. Er überprüft die Gedanken der Philosophen stets auf Lebenstauglichkeit. An ihren Alltagsfrüchten soll man sie erkennen.

Der Autor überschreitet zudem leichtfüßig die Grenzen zur Naturwissenschaft und bezieht beispielsweise Charles Darwins Evolutionslehre, Sigmund Freuds Psychoanalyse, physikalische Fakten und vor allem neueste Ergebnisse der Hirnforschung in seine Überlegungen ein.

Drei Hauptkapitel geben die Reiseroute vor, ganz im Sinne des altvorderen Denkers Immanuel Kant heißen sie: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Es geht also um die Grundlagen der Erkenntnis, um Moral und Ethik – und um die Metaphysik, die auf ein Jenseits verweist. Alles drin, alles dran. Die Sache ist fundiert, schließlich ist Precht selbst studierter Philosoph.

Die Hauptlinien seiner Untersuchung verzweigen sich in wahrhaft spannende Fragen, die jeden angehen. Darf man in bestimmten Fällen (etwa in der Sterbehilfe) töten? Darf man abtreiben? Darf man Tiere essen? Darf man Menschen klonen?

Dazu werden jeweils die wichtigen Philosophen „einvernommen“. Sie erscheinen als Menschen aus Fleisch und Blut, die halt nur den Kopf etwas mehr angestrengt haben als andere. So kommt Jean-Jacques Rousseau zum Zuge, wenn es um die Frage geht, ob der Mensch „von Natur aus“ eher gut oder schlecht sei. Das Denken an sich ist Fachgebiet von René Descartes, zum Thema Sprache gibt Ludwig Wittgenstein Auskunft, und Arthur Schopenhauer ist die „erste Adresse“, wenn der menschliche Wille zur Debatte steht.

Für anderes gelagerte Fragen sind zum Beispiel Kant, Nietzsche oder Sartre zuständig. Etliche andere stimmen nach und nach mit ein in den Chor oder werden von Precht sogar zu munteren Dialogen angestiftet. Hie und da wird zugespitzt, doch es werden keine Abstriche gemacht.

So gut jedenfalls glaubt man die klugen Herrschaften noch nie verstanden zu haben. Es ist ein Philosophiebuch, wie man es sich schon lange gewünscht hat. Nah an den Denkern, vor allem aber: nah auch an uns allen.

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ZUR PERSON

Doktorarbeit über Robert Musil

  • Richard David Precht wurde am 8. Dezember 1964 in Solingen geboren.
  • Er studierte Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln, schrieb seine Doktorarbeit über den Schriftsteller Robert Musil („Der Mann ohne Eigenschaften“).
  • Precht ist verheiratet mit der TV-Journalistin Caroline Mart. Sie leben in Köln und Luxemburg.
  • Prechts autobiographisch inspirierter Roman „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“(Kindheit mit „68er“-Eltern) wurde verfilmt und startete kürzlich im Kino.
  • Sein Bestseller: „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?‘ Goldmann-Verlag, 400 Seiten, 14,95 €.
  • Bedenkenswerter Rat am Schluss dieses Buches: „Und wenn sie mich fragen: (…) füllen Sie Ihre Tage mit Leben und nicht ihr Leben mit Tagen.“



Rechtschreibreform: Blick zurück im Zorn

Hohenlimburg. Die Rechtschreibreform? Ist doch wohl eine weitgehend erledigte Sache. Man ereifert sich nicht mehr so sehr. Doch es herrscht keineswegs Zufriedenheit. Den in Hohenlimburg lebenden Professor Hermann Zabel lässt das Thema erst recht nicht los. Er hat sich über Jahrzehnte eingehend damit befasst. Die Reform ist ein Teil seines Lebenswerks.

Ab 1980 gehörte Zabel (Jahrgang 1935) der hochoffiziellen Kommission für Rechtschreibfragen an, die das umstrittene Reformpaket schnürte. Auch saß er im Internationalen Arbeitskreis für Orthographie. Seit fast einem Jahr gelten die Beschlüsse, verbindlich zumal in Schulen und Behörden. Ist also alles schön und gut? Lehnen sich wenigstens die Verfechter der Reform beruhigt zurück?

Gelehrtenstreit
ging oft unter
die Gürtellinie

Weit gefehlt. Es ist eher ein Blick zurück im Zorn: „Ich bin beim besten Willen nicht zufrieden”, sagt der bis zum Jahr 2000 an der Dortmunder Uni (heute TH) tätige Germanist Zabel. Weite Teile dessen, was man sich anfangs vorgenommen habe, seien entweder überhaupt nicht umgesetzt oder arg verwässert worden. Über den Daumen gepeilt: „Mit 33 Prozent unserer Vorschläge sind wir gescheitert.”

Ursprünglich, so erinnert sich der Professor, hatte man die gemäßigte Kleinschreibung angestrebt. Demnach hätte man nur noch Satzanfänge und Eigennamen mit Großbuchstaben schreiben müssen. „Die deutsche Orthographie ist weltweit die einzige, in der es Großschreibung gibt”, beklagt Zabel. Andere finden, dass gerade dies eine einzigartige Stärke des Deutschen sei. Lassen wir das.

Auch die Worttrennung am Zeilenende, sagt Zabel, sollte zunächst ungleich großzügiger gehandhabt werden, als dies nun der Fall sei. Und die Schreibung vieler Fremdwörter wäre laut Zabel vereinfacht worden – wenn es nur nach ihm und seinen Mitstreitern gegangen wäre.

Apropos Streit. Davon kann Hermann Zabel ein Lied singen: „Das ist ein ganz trübes Kapitel.” Die Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform sei häufig unter die Gürtellinie gegangen. Manche Fachkollegen hätten üble Intrigen gesponnen, es sei zu schlimmen Feindseligkeiten und Beleidigungen gekommen. Verbales Hauen und Stechen im gelehrten Milieu? Ja, das gibt es offenkundig. „Das alles geht nicht spurlos an einem vorüber”, seufzt Zabel.

Er macht geltend, dass Konrad Duden höchstselbst zuerst Spezialisten wie Drucker und Setzer bediente, um das Jahr 1901 herum aber eigentlich schon wesentlich simplere Rechtschreibregeln im Sinn gehabt habe. „Er konnte sie nur nicht mehr verwirklichen.” Maßstab müssten jedenfalls auch heute die Menschen sein, die wenig schreiben. Ihnen müsse das Regelwerk einleuchten – und nicht etwa Schriftstellern. Letztere hätten alle Freiheiten, die alten Regeln für sich beizubehalten. Dies nehmen vor allem etablierte Autoren (wie etwa der leidenschaftliche Reformgegner Martin Walser) auch weidlich in Anspruch.

Seit die neuen Vorschriften in den Jahren 2004 und 2006 (ohne Zabels Zutun) stellenweise abermals verändert worden sind, herrscht auf manchen Feldern noch größere Verwirrung. So mancher hält sich nur noch an ganz persönlichen „Regeln”. Zabel kann sich nicht vorstellen, dass am jetzigen Stand so bald noch einmal gerüttelt wird. „Damit müssen wir für die nächsten Jahrzehnte leben.”

Ist der Professor denn selbst hundertprozentig firm auf diesem Gebiet? Zabels ehrliche Antwort: „Natürlich nicht. Auch ich muss öfter im Wörterbuch nachschlagen.”

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HINTERGRUND

Langwieriges Hin und Her

  • Die Rechtschreibreform gilt bundesweit und in den deutschsprachigen Nachbarländern seit dem 1. August 2006. Die einjährige Übergangsfrist endete am 1. August 2007.
  • Ein Gremium von rund 80 Germanisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatte die Reform seit 1980 vorbereitet. Zu diesem Kreis gehörte Prof. Hermann Zabel.
  • Der langjährige, immer wieder aufflammende Streit entzündete sich unter anderem daran, dass Reformgegner sich gegen eine nach ihrer Ansicht unnötige „Verordnung von oben” wehrten. Doch auch Detailfragen bis hin zur Schreibweise einzelner Wort sorgten für Unmut.
  • In einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Allensbach-Umfrage zum Zustand der deutschen Sprache befürworteten nur 9 Prozent die Rechtschreibreform. 55 Prozent sind ausdrücklich dagegen.



„Die deutsche Sprache verkommt“ – finden 65 Prozent bei einer Allensbach-Umfrage

Spitzen wir es mal probehalber zu: „Hilfe, die deutsche Sprache verkommt!” Mit einem solchen Notruf kann man die Resultate der neuen Allensbach-Umfrage auf den Gipfelpunkt treiben. Doch es steht noch ein bisschen mehr drin. Mancher Befund ist zudem auslegungsbedürftig.

Um die leidige Rechtschreibreform geht es ebenso wie um die Vielzahl englischer Ausdrücke im Deutschen. Ferner wurde die bundesweite Beliebtheit bestimmter Dialekte ausgelotet (Bayerisch und Hamburgisch vorn, Sächsisch ganz hinten). Schließlich befasst sich die Studie mit der Ekelschwelle angesichts derber Kraftworte (siehe Anhang). Wahrlich Stoff genug.

Schlagzeilenträchtige 65 Prozent aller Befragten meinen, dass unsere Sprache im Niedergang begriffen ist, die über 60-jährigen Menschen denken dies sogar zu 73 Prozent. Die „Schuldigen” an der vermeintlichen Misere sind ausgemacht: Es werde weniger gelesen, und das wiederum liege vorwiegend an Fernsehen, Mobiltelefon und Computer.

Ohrfeige für die
Verfechter der
Rechtschreibreform

Es stimmt ja: Beim eiligen Verfassen von SMS-Botschaften oder E-Mails achten wohl die Wenigsten auf sonderlich veredelte Ausdrucksweise. Auch verludert in diesen Bereichen vielfach die ohnehin schon schüttere Rechtschreibung. Allerdings haben sich auf diesen Feldern ganz eigene Mitteilungssysteme entwickelt – mit (wildwüchsigen) Abkürzungen und so genannten „Emoticons”, die den Gemütszustand etwa durch gestrichelte Gesichter signalisieren. Auch die gewiefte Handhabung einer solchen Zeichen-Sprache erfordert ein gewisses Maß an Schläue.

Eine nicht geringe Minderheit sieht denn auch gar keine Dekadenz am Werk. Im Gegenteil: Der Wortschatz sei heute im Schnitt umfangreicher als früher (31 Prozent), außerdem werde mehr gelesen und geschrieben als ehedem (23 Prozent). Über die Qualität der Lektüre und eigener Texte ist damit freilich noch nichts gesagt.

Eine schallende Ohrfeige gibt es für alle Verfechter der lang umkämpften Rechtschreibreform: Lediglich 9 Prozent (!) der Befragten haben sich mit den neuen Regeln anfreunden können. „Bin dagegen” sagten 55 Prozent. 31 Prozent ist das Thema egal.

Dementsprechend weit verbreitet ist die Rechtschreib-Unsicherheit. Satte 79 Prozent aller Befragten bejahen diesen Satz: „Durch die Rechtschreibreform weiß man bei vielen Wörtern gar nicht mehr, wie sie richtig geschrieben werden.”

Es zeigen sich jedoch auch vage Hoffnungsschimmer. Zur Umfrage gehörte nämlich ein kleiner Rechtschreibtest mit kniffligen Worten – und mit Vergleichsdaten aus der Vergangenheit. Dabei stellte sich beispielsweise heraus: Das Wort „Rhythmus” wurde im Jahr 1957 nur von 11 Prozent korrekt geschrieben, jetzt sind es immerhin 31 Prozent. Über die Gründe ließe sich’s trefflich spekulieren. Vielleicht hat es sogar mit dem weithin verpönten Einfluss des Englischen zu tun. Es mag durchaus sein, dass sich das Schriftbild von „rhythm” eingeprägt hat.

Klagen über
Sprachverfall schon
bei antiken Griechen

Ansonsten sehen vor allem ältere Semester im Vordringen angloamerikanischer Worte wie Kids, Event oder Meeting ein dringliches Problem. 66 Prozent der über 60-jährigen fordern sogar, man solle dagegen vorgehen. Nach den probaten Mitteln (Quotenregelung? Gesetze?) wurde nicht gefragt.

Rudolf Hoberg, Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsche Sprache, versuchte gestern ein wenig die Wogen zu glätten: „Klagen über Sprachverfall gibt es seit den alten Ägyptern und den alten Griechen . . .”

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FAKTEN

Abstoßende Kraftworte

  • Die repräsentative Allensbach-Umfrage entstand in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Deutsche Sprache (Wiesbaden). Befragt wurden 1820 Menschen ab 16 Jahre. Im Internet kann man die Studie nachlesen unter: http://www.gfds.de/
  • In Sachen „Kraftworte” ergab sich dieses Bild:
  • Als ärgerlichstes und abstoßendstes Wort auf einer Auswahlliste wurde „Ficken” (59 Prozent Ablehnung) empfunden. Dahinter folgen „Krüppel” (55 %) und „Titten” (49%).
    Worte wie „Scheiße” (19% Ablehnung) oder „geil” (20%) werden schon eher toleriert.



Der Ball muss ins Buch – Lektüre zur EM

Zur Fußball-EM darf’s passende Lektüre sein. Auf dem Tisch liegt ein Stapel mit Neuerscheinungen. Das Spektrum reicht sozusagen vom Grottenkick bis zum legendären Match. Also hinein ins Strafraum-Getümmel, wo zunächst keine Treffer fallen – aber dann!

„Unsere Jungs” (Chronik Verlag, 198 S. Bildbandformat, 29,95 Euro) klingt schon im Titel ebenso kreuzbrav wie ‚ranschmeißerisch. Tatsächlich ist der DFB federführend an diesem Buch über 100 Jahre deutsche Länderspiele beteiligt. Der noch einfallslosere Untertitel („Tore, Titel, Triumphe” – fehlen nur noch die Tränen) gibt die Richtung vor: aufgewärmte Begeisterung aus dem Archiv, gedrucktes Ballgeschiebe.

Nicht viel trickreicher kommt das Mini-Buch „Fußball – Deutsch / Deutsch – Fußball” (Langenscheidt, 130 S., 5 Euro) daher. Männer, Frauen, Ärzte und Chefs wurden in der Erfolgsreihe schon sprachlich aufgegabelt. Bestenfalls Lektüre für Minuten: enorm kleinteilige Texte, immer hübsch bunt unterlegt und mit Promi (hier: Gerhard Delling) garniert. Irgendwie launig, aber nicht wirklich lustig. Leser und Fans werden klar unterfordert.

Monströs mutet das „Praxiswörterbuch Fußball” (Langenscheidt, 523 S., 16,95 Euro) an, in dem rund 5200 (!) Fachbegriffe auf Deutsch, Englisch und Französisch stehen. Wahrscheinlich ist es der ideale Lesestoff für international tätige Spieler, Schiris, Trainer – und ärztliche Betreuer. Schon gewusst, wie man Kreuzbandriss übersetzt? Bitte sehr: „cruciate ligament rupture” (engl.) und „rupture du ligament croisé” (frz.). Wer weiß, wann man’s braucht.

Pure Zahlen- und Faktenhuberei beschert „Deutschlands Fußball. Das Lexikon” (Herbig-Taschenbuch, 828 S., 20 Euro) mit 14 500 Einträgen und beigelegter CD-Rom (1400 Fotos). Von den zahllosen Pfeilen, die jeweils auf andere Stichworte verweisen, kann einem schwindlig werden. Gewiss nichts zum Schmökern, sondern höchstens zum Nachschlagen und Rechtbehalten bei Wetten.

Der österreichische Autor Franzobel sondiert in „Franzobels großer Fußballtest” (Picus Verlag, 240 S., 16,90 Euro) vor allem die Mentalität der gastgebenden EM-Nationen Österreich und Schweiz. Etwas speziell, aber bitteschön. Er tippt übrigens auf Italien, Spanien oder Frankreich und hofft auf Holland. Unentschlossener Hallodri!

Jetzt kommt der erste literarische Lattenkracher. Thomas Brussig (zuletzt bei „Berliner Orgie” in Rotlicht-Bezirken unterwegs) stimmt in „Schiedsrichter fertig” (Residenz Verlag, 92 S., 12,90 Euro) eine lange, absatzlose Klage-Litanei an: Der Schiri erscheint als bedauernswertes Neutrum in einer fanatisierten Welt, immerzu von lügnerischen Spielern bedrängt und oft gnadenlos ausgepfiffen. Ein Bild des Jammers.

„Titelkampf” (Suhrkamp Taschenbuch, 284 S., 8,90 Euro) heißt der Band, den die ebenso sprach- wie ballsichere Deutsche Autoren-Nationalmannschaft (so ‚was gibt’s! Moritz Rinke und Albert Ostermaier sind die „Stars”) beisteuert. Die gesammelten Geschichten und Gedichte schürfen oft erstaunlich tief und zeichnen prägnante Charakterbilder von Spielertypen und Fans. Willkürliches Reim-Beispiel: „Auf eines starken Bussards Flügeln / die Italiener niederbügeln.” Hoho! Das müssen die Holländer gelesen haben.

Als Nabokov und
Handke über
Torhüter schrieben

Hinterm nostalgischen Seufzer „Früher waren mehr Tore” (Diogenes-Taschenbuch, 302 S., 9,90 Euro) steckt eine erlesene Sammlung klassischer Stories und Buch-Auszüge – oft von ganz illustren Autoren. Vladimir Nabokov und Peter Handke haben z. B. über Torhüter geschrieben. Selbst Friedrich Dürrenmatt und Jaroslav Hasek („Schwejk”) kamen literarisch nicht am Leder vorbei. Ein Buch wie ein Sonntagsschuss. Die Vorentscheidung!

Den Siegtreffer per Fallrückzieher markiert freilich der unvergleichliche Ror Wolf, dessen gesammelte Fußball-Texte in neuer Ausgabe vorliegen: „Das nächste Spiel ist immer das schwerste” (Verlag Schöffling & Co., 300 S., 19,90 Euro). In langjähriger, besessener Feinarbeit (die er, gleichsam aus Selbstschutz, um 1982 abgebrochen hat) ist dieser Autor tief in die Mechanik der fußballerisch angetriebenen Sprach-Maschinerie eingedrungen. Collagen aus Reporter-Jargon und Fan-Gerede bringen das ganze Metier zur Kenntlichkeit. Großer Sport!

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WEITERE EMPFEHLUNGEN

Nick Hornby: „Fever Pitch – Ballfieber” (Kiepenheuer & Witsch, 335 S., 9,95 Euro). Fiktives Tagebuch eines Fans (FC Arsenal London). Fußball als harte Schule des Lebens. Hornby gilt seither als Kultautor.

Tim Parks: „Eine Saison mit Verona” (Goldmann-Taschenbuch, 520 S., 9,90 Euro). Italienische Ball- und Seelenkunde.

Theo Pointners Fußball-Krimis im Dortmunder Grafit-Verlag: „Rechts-Außen” (8,90 Euro) und „Tore, Punkte, Doppelmord” (8,40 Euro).

Martin Arnold (Hrsg.): „Abenteuer Fußball. Auf den Bolzplätzen dieser Welt” (Verlag Die Werkstatt, 224 S., 19,80 Euro). Reise zu exotischen Spielfeldern der Erde. Spannende Sozialstudie in Zeiten der Globalisierung.

Dietrich Schulze-Marmeling: „Holt euch das Spiel zurück. Fans und Fußball” (Verlag Die Werkstatt, 271 S. – vergriffen; übers Internet antiquarisch erhältlich). Erhellende Perspektive „von unten”. Vom selben Autor gibt’s Vereins-Historien, etwa über Borussia Dortmund.

Christoph Biermann: „Fast alles über Fußball” (Kiepenheuer & Witsch, 200 S., 9,95 Euro). Fleißig gesammelt: Komisches und Kurioses beim Kick.

F. C. Delius: „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde” (Rowohlt-Taschenbuch, 128 S., 6,90 Euro). Roman rund ums 1954er „Wunder von Bern” – aus Kinderperspektive erzählt.

Siobhan Curham: „Club der Fußballwitwen” (Droemer/Knaur, 8,90 Euro). Frauen nehmen Rache an Gefährten, die sich nur noch für Fußball interessieren. Gemein!




Das Böse ist nur ein Gaukelspiel – Lisa Nielebock inszeniert Shakespeares „Macbeth“ in Bochum“

Bochum. In Shakespeares „Macbeth“ geht es wahrlich archaisch und blutig zu, doch das Grundmuster kommt einem gar nicht mal so unglaublich fremd vor: Lady Macbeth, jene krankhaft machtsüchtige Gattin, stachelt ihren Mann an, alle möglichen Widersacher auf dem Weg zur Königsherrschaft beiseite zu schaffen. Der anfangs skrupelhafte Macbeth steigert sich in Rausch und Wahn hinein. Und wie deutet die junge Regisseurin Lisa Nielebock die Tragödie in Bochum?

Die Bühne (Kathrin Schlecht) ist leergefegt. Nur ein paar metallische, mit Kletter-Gestänge und Türen versehene Säulen ragen da hoch auf. Reichlich Platz also, auf dem sich Phantasien und Phantome ausbreiten können. Und so geschieht’s: Wir erleben vorwiegend Geisterspiele, Alpträume, irrlichternde Kopfgeburten. Und zwar hurtig. In weniger als zwei Stunden ist die ganze Sache gespenstisch abgetan. Auch das abgründig Böse ist letztlich nur ein Gaukelspiel.

Branchenübliches, gewiss nicht mehr provokantes Verfahren: Der Text (Übersetzung von Thomas Brasch) ist zwar nicht vollends skelettiert, wohl aber arg gekürzt und teilweise umgeschichtet worden. Etliche Satz-Bruchstücke von abwesenden Nebenfiguren werden hier auf eine neue Gestalt namens „Ein Nichts“ (Agnes Riegl) gehäuft, die gleichsam als Göre den ruhelosen Kobold der Inszenierung gibt, doch auch den Jammer bis ins Opernhafte treibt. Jedenfalls: Das Nichts ist hier ein steter Gast, als sei’s ein Endzeit-Stück von Beckett.

Der Wille zur Kürze verlangt Opfer, zumal von den zuweilen ins Konzept gezwängten Darstellern. Sehr unvermittelt muss Lady Macbeth (Lena Schwarz) nach den ersten Mordtaten dem Wahn anheimfallen. Eben noch intrigant, jetzt schon nicht mehr zurechnungsfähig. Macbeth (Martin Rentzsch), von Beginn an mit blutigen Händen, hat seine verstörendste Vision (der Geist des ermordeten Banquo erscheint ihm auf schauderliche Weise) hier nicht etwa beim wirklichen Bankett. Die Gäste sind als Geisterschar nur imaginär vorhanden.

Fast schon mit kühlem ärztlichen Interesse konzentriert man sich also ganz auf Raserei und Hirnfraß. Alles gar zu offenkundig Gesellschaftliche wäre demnach wohl nur schnöde Ablenkung. Derweil scheint die Erotik des mörderischen Herrscherpaars längst erloschen, sie ist nur noch schemenhaft als dunkle, untergründige Triebkraft zu ahnen. Es ist wie bei Kindern, die mit aller schreienden Unbedingtheit ihren Willen haben wollen.

Kein Wunder, dass die drei Hexen mit ihren doppeldeutigen Prophezeiungen hier häufig, ja nahezu penetrant präsent sind. Sie geben Takt und Melodie vor, wenn sich die naturwidrige Apokalypse entfaltet. Freilich gerät das ganze mitunter ein wenig zum Budenzauber. Da maunzt und jault es auch schon mal unfreiwillig komisch. Doch zwischendurch erklingen teutonisch tiefernst die in deutschen Theatern immer gern gewählten „Einstürzenden Neubauten“ – mit der Zeile „Sehn-Sucht ist einzige Energie“. Es muss wohl etwas dran sein, man hätte allerdings gern noch etwas mehr davon erfahren.

Der einstige König Duncan (Klaus Weiss) war wie ein gutmütig verwirrter Onkel. Sein Sohn Malcolm (Marco Massafra), der schließlich nach dem Tod des Usurpators Macbeth die Königswürde erbt, kommt als routinierter Rhetoriker ohne sonderliche Moral oder Sehnsüchte daher. Er könnte ein gewiefter Politiker aus neueren Epochen sein. Doch anders als im Stück bereiten die Hexen auch ihm schon das Menetekel. Es fällt Schnee auf ihn herab. Kältere Zeiten.

Sehr herzlicher Beifall nach Bochumer Art, vereinzelte Buhrufe.

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Zur Person

  • Die Regisseurin Lisa Nielebock wurde 1978 in Tübingen geboren.
  • Nach einigen Jahren als Schauspielerin in der Freien Theaterszene (Tübingen, Stuttgart, München) studierte sie Regie an der Folkwang-Hochschule in Essen.
  • Es folgten diverse Regie-Assistenzen, etwa am Bayerischen Staatsschauspiel in München und bei den Ruhrfestspielen.
  • Seit 2005 ist sie als Hausregisseurin am Schauspielhaus Bochum engagiert.
  • Dort inszenierte sie u.a. Sarah Kanes „Phaidras Liebe“ und Henrik Ibsens „Gespenster“. Besonderen Zuspruch fand ihre Bochumer Deutung von Kleists „Penthesilea“.

(Der Beitrag stand am 9. Juni 2008 in der „Westfälischen Rundschau“)




Zum Tod von Peter Rühmkorf: Hochseilartist der Sprache

Welch eine betrübliche Nachricht! Peter Rühmkorf ist tot, der wohl vielseitigste und wortmächtigste Gegenwarts-Lyriker deutscher Sprache. Man hat bang damit rechnen müssen, denn der 78-Jährige war seit längerer Zeit schwer krebskrank. In seinem letzten Lyrikband „Paradiesvogelschiß” hat er davon bewegendes Zeugnis abgelegt.

Zuletzt schrieb er von Angst getrieben, dass er dieses und weitere Werke nicht mehr werde vollenden können. Aus seinem geliebten Hamburg hatte sich der gebürtige Dortmunder bereits ins Lauenburgische Land zurückgezogen – fernab vom Lärm und Streit der Welt, dem der couragierte Mann nie ausgewichen war.

Just gestern hatte ihm die Stadt Kassel noch den „Literaturpreis für grotesken Humor” zugesprochen, der ihm nun posthum verliehen wird. Einer der früheren Preisträger war Robert Gernhardt gewesen, mit dem Rühmkorf eine enge Freundschaft und die unbändige Freude am Spiel mit der Sprache verband.

Entschieden links,
aber nie fanatisch

Rühmkorf war ein eminent politischer Kopf, ein ausgemachter Linker. Als Lektor beim Rowohlt-Verlag (ab 1958) mischte er kräftig im literarischen Betrieb mit. Legendär auch seine frühe Zeit beim einstigen Studentenkurier „Konkret”, wo er es auch mit dem späteren „Spiegel”-Chefredakteur Stefan Aust und der nachmaligen RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zu tun bekam. Gerade selbstherrlich radikale, gewaltsame „Lösungen” waren Peter Rühmkorf jedoch zuwider. Und überhaupt: Die Literatur sollte nach seinem Verständnis nicht von Politik überwuchert werden.

In wenigen funkelnden Zeilen konnte er zuweilen das vermeintlich Niedrigste und das Höchste zusammenbringen – edelsten Wortklang und gewöhnlichsten Alltag. An solchen Bruchlinien bewegte er sich mit scharfer Intelligenz und mit einem ungeheuer differenzierten Wortschatz. Virtuos wie sonst keiner mehr, experimentierte er mit Versmaßen, Rhythmen und Reimformen. Ein ganz und gar staunenswerter Hochseilartist der Sprache.

Intensiv hat sich Rühmkorf mit der literarischen Tradition auseinandergesetzt – beginnend mit den Wurzeln in den „Merseburger Zaubersprüchen” und bei Walther von der Vogelweide, weiter über Klopstock und Hölderlin, bis hin zu seinen „Hausgöttern” Heinrich Heine und Gottfried Benn. Fürwahr eine weite Spanne.

Seine Lyrikbände sollten eigentlich zur literarischen Grundausstattung gehören. Die Tagebücher sind eine reiche Quelle deutscher Nachkriegsgeschichte aus linker Nahansicht. Vorwiegend war’s eine schmerzliche Bilanz der Enttäuschungen, die einem dennoch Mut einflößte. Mit seinem bereits 1967 herausgebrachten Band „Über das Volksvermögen” hat Rühmkorf zudem eine breite Schneise für überlieferte Volkspoesie geschlagen. Gar vieles geriet da zu frech-fröhlichen Inspirationsquellen: ordinäre Toilettensprüche, Kinderreime, Abzählverse, Reklameslogans und deren Parodien. Rühmkorf hat gezeigt, welches Widerstands-Potenzial in derlei (vorher übersehenen) Texten schlummert.

In einem Interview mit der „Zeit” hat Rühmkorf im Frühjahr sein Krebs-Martyrium geschildert und gesagt: „Ich habe keine Angst vor dem Absprung in andere Welten.”

In seinem letzten Gedichtband steht freilich dieser ebenso lapidare wie eindringliche Appell „An den Tod”:

„Fort – fort, /
dies kann die Welt noch nicht gewesen /
und bumms zu Ende sein. /
All diese Bücher wolln ja noch gelesen /
und die Hosen aufgetragen sein.”

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Peter Rühmkorf wurde am 25. Oktober 1929 in Dortmund geboren, wuchs in Niedersachsen auf und lebte mit seiner Frau Eva (frühere Landesministerin in Schleswig-Holstein) bis vor einiger Zeit in seiner Wahlheimat Hamburg.

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Wichtige Buchtitel:

„Irdisches Vergnügen in g” (1959, Gedichte)

„Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich” (1975, Essays/Gedichte)

„Haltbar bis Ende 1999” (1979, Gedichte)

„Bleib erschütterbar und widersteh” (1984, Essays)

„Außer der Liebe nichts” (1986, Gedichte)

„Lass leuchten!” (1993, Erinnerungen/Gedichte)

„Tabu I” (1995, Tagebücher von 1989 bis 1991)

„Wenn – aber dann. Vorletzte Gedichte” (1999)

„Tabu II” (2004, Tagebücher von 1971 bis 1972)

„Paradiesvogelschiß” (2008, Gedichte)




Ansgar Nierhoff: Stahl als Mittel der Wahl

Idyllischer Ort für Kunst: Die „Alte Mühle” zu Schmallenberg zeigt Arbeiten eines der wichtigsten deutschen Bildhauer. Für den gebürtigen Mescheder Ansgar Nierhoff (66) ist es auch eine Rückkehr in heimatliche Gefilde.

Nierhoff ist beileibe nicht „irgendwer”. Er hat auch schon an der Kasseler documenta teilgenommen. Dort war’s vermutlich komfortabler. In Schmallenberg gestaltete sich bereits die Anlieferung seiner Skulpturen schwierig, es war Millimeterarbeit. Um dem Lkw samt Kran den engen Weg zu bahnen, musste sogar ein Zaun demontiert werden.

Nierhoff, der seit 1965 in Köln lebt, hat immer noch ein Domizil im Hochsauerland, wo er häufig ausgedehnte Waldgänge unternimmt. Ursprung der Schmallenberger Schau war der wanderbare Waldskulpturenweg, der von hier bis nach Bad Berleburg führt, dem (mit anderen Werken bestückten) zweiten Ort der Ausstellung. Den künstlerischen Brückenschlag leitete anno 2000 just Nierhoff ein – mit der Stahltor-Skulptur „Kein leichtes Spiel”.

Nach und nach will man in Schmallenberg alle Künstler des Waldskulpturenwegs vorstellen. Jetzt also Nierhoff. Auch hier ist Stahl das Mittel seiner Wahl. Schon kleinere Arbeiten wiegen so viel, dass die Statik der „Alten Mühle” einiges aushalten muss.

Nierhoff geht von Grundformen aus: Kreis, Kugel, Würfel, Rechteck, Zylinder. Durch präzis berechnete Schnitte gestaltet er sie immer wieder neu. Wenn etwa ein Würfel zerteilt und dann wieder zusammengefügt wird, ergeben sich Bruch- und Verbindungslinien, die dem Ganzen andere Energien einflößen. Ruhige, konzentrierte Kraft teilt sich da mit. Zuweilen legt sich Rost als Patina auf die Skulpturen. Ein doppelwertiges Zeichen des Verfalls, aber auch der Dauer.

Einige Stahlringe scheinen achtlos hingeworfen zu sein, doch der Eindruck trügt: Nierhoff verbringt viel Zeit damit, solche Arbeiten exakt auszurichten, Werk und Ort aufeinander abzustimmen. Wer will, kann in den ebenfalls ausgestellten Zeichnungen Vorstudien zu den Plastiken erblicken. Man kann sie aber auch als eigenständige Schöpfungen werten.

Zu welcher Leichtigkeit sich Stahl aufschwingen kann, erweist sich an Nierhoffs „Faltungen”. Als sei’s Papier, hat der Künstler die Metallflächen hie und da ein wenig geknickt. Alle Härte ist verschwunden.

Schmallenberg, „Alte Mühle” (Unter der Stadtmauer 4). Bis 17. August, Mi-So 15-18 Uhr, Eintritt frei. Tel.: 02972/48 106 – Weitere Werke draußen (Kapelle auf dem Werth, Friedenskapelle Fredeburg usw.).

Bad Berleburg, Museum der Stadt (Goetheplatz 3). 17. Juli bis 17. August. Di und Fr-So 15-18 Uhr, Eintritt frei.