Den Unmut erst am Schluss bekunden – Benimm-Experte Uwe Fenner über richtiges Verhalten in Oper, Theater und Konzert

Von Bernd Berke

Dortmund. Einen „Knigge“ für Theater und Oper – gibt es das überhaupt noch? Oder darf man sich heutzutage in allen Bühnenhäusern ganz leger betragen? Nicht schrankenlos, sagt der Benimm-Experte Uwe Fenner (65), mit dem die WR gesprochen hat. Wir protokollieren seine Ratschläge:

Wie sieht die „Kleiderordnung“ für die Oper aus?

Fenner unterscheidet nach Ort und Anlass. In der Münchner Staatsoper beispielsweise, „wo 90 Prozent der Männer Smoking tragen“, solle man sich möglichst anpassen. „Ein dunkler Anzug mit Krawatte ist das Mindeste.“ In anderen Opernhäusern, etwa in Berlin, seien die Sitten nicht ganz so streng. Doch auch hier sei ein Anzug ratsam. Faustregel: „Der wahre Gentleman bewegt sich immer etwas oberhalb des Durchschnitts – aber auch nicht zu sehr.“ Gleiches gelte für die Dame von Welt.

Und was darf man im Sprechtheater anziehen?

Hier sind die Stil-Maßstäbe sehr viel lockerer. Das Publikum ist meist jünger als in der Oper, Jeans können statthaft sein. Aber: „Der Banker in mittleren Jahren, der abends ins Theater geht, sollte dort den Anzug beibehalten – gelegentlich auch einmal ohne Krawatte.“

Was ist von tiefen Dekolletés zu halten?

Besonders in der großen Oper sind derlei Einblicke laut Fenner „durchaus in Ordnung“. Die Grenze liege dort, wo es schamlos und obszön werde. Angela Merkels seinerzeit viel beredeter tiefer Ausschnitt in der Oper von Oslo sei durchaus schicklich gewesen.

Wie verhält es sich mit der Parfümierung?

Die Dame, so Fenner, dürfe getrost mehr auflegen, der Herr solle dezent vorgehen.

Wie pünktlich sollte man zur Vorstellung erscheinen?

Nicht zu früh im Zuschauerraum sein, sonst muss man nachher ständig für die Anderen aufstehen – und das könnte denen womöglich peinlich sein. Fenner: „Das ist überhaupt eine Grundregel: Man sollte anderen Menschen Peinlichkeiten ersparen.“ Erst recht aber soll man nicht zu spät kommen. Falls man einen Platz in der Mitte hat, müssen dann viele Leute aufstehen. Allgemein gilt: Wer durch eine weitgehend besetzte Zuschauerreihe geht, soll seinen Mitmenschen dabei das Gesicht zuwenden. Anders herum betrachtet: „Den Po zur Bühne.“

Und wenn die Vorstellung schon begonnen hat?

Wer erst eintrifft, wenn die Aufführung läuft, sollte möglichst bis zur ersten Pause im Foyer warten oder (wenn die Logenschließer es zulassen) allenfalls den Zuschauerraum leise betreten und an der Seite stehen bleiben – sich aber nicht durch die Reihe quälen.

Wie sieht’s mit Speisen und Getränken aus?

Grundsätzlich nicht im Zuschauerraum. Zum Essen und Trinken sind die Pausen vorgesehen. Auch Kaugummi sei tabu. Erlaubt und manchmal sogar wünschenswert: Hustenbonbons.

Was ist vom Tuscheln in der Vorstellung zu halten?

Gar nichts. Fenner: „Meine Meinungen und Mitteilungen sollte ich bis zur Pause für mich behalten.“ Und wenn man Bekannte hinten in Reihe 18 grüßen will? Nur vor der Vorstellung: Nicht rufen, sondern winken – und mit Handzeichen zur Pause verabreden.

Sind Beifall oder Buhrufe auf offener Szene erlaubt?

Im klassischen Konzert gar nicht. Da sollte man warten, bis das Stück vorüber ist. Also: Nicht zwischen zwei Sätzen einer Sinfonie jubeln! Anders in der Oper: Dort ist es üblich, nach einer bravourösen Arie Beifall zu spenden. Etwaigen Unmut sollte man immer erst nach Schluss der Aufführung äußern. Wenn der Vorhang gefallen ist, darf auch gebuht werden. Fenners extremste Erfahrung: „Einmal hat im Theater eine ältere Dame neben mir gesessen, die hatte eine Trillerpfeife dabei – und hat sie benutzt.“

Wann darf man das Theater verlassen?

Nicht bevor der letzte Beifall verklungen ist, meint Uwe Fenner. Es sei eine Unart, sich vorzeitig durch die Reihen hinauszuzwängen, um rasch die Garderobe oder den Parkplatz zu erreichen.

Wie geht man im Theater mit Handys um?

Überhaupt nicht! Unbedingt ausschalten! „Kluge Intendanten blenden vor der Aufführung ein Dia oder eine Durchsage ein, damit niemand das Abschalten vergisst.“

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ZUR PERSON

Stil-Fachmann in Dortmund aufgewachsen

  • Der Benimm-Experte Uwe Fenner wurde 1943 in Waren/Müritz (Mecklenburg) geboren.
  • Er ist Mitinhaber einer Firma für Karriereberatung in Potsdam, die sich u. a. auch mit Stil- und Benimmfragen befasst.
  • Fenner ist in Dortmund aufgewachsen und hat hier sein Abitur gemacht. In München, Bochum und Münster studierte er Jura. Zeitweise war er später als Personalberater in Dortmund tätig.
  • Internet: www.institut-fuer-stil-und-etikette.de



Mozart, Goethe – und was noch? Die Statistik des Deutschen Bühnenvereins

Wie oft hebt sich in Deutschland jährlich ein Theatervorhang? Wie viele einzelne Vorstellungen stehen wohl auf dem Programm? Fünftausend? Oder gar zehntausend? Doch nicht etwa zwanzigtausend?

Immer noch weit gefehlt: Es sind über hunderttausend Vorstellungen, in Ziffern: 100 000. Diese wahrhaft imposante Zahl geht aus der Statistik hervor, die der Deutsche Bühnenverein (Köln) in jeder Spielzeit getreulich führt.

Für die Saison 2006/2007 (neuere Zahlen liegen nicht vor) heißt das exakt: 98 712 Vorstellungen in Oper und Sprechtheater, dazu 3961 Aufführungen im Tanztheater. Macht insgesamt 102 673 und hört sich nach Kulturnation an. Inbegriffen sind übrigens alle Staats-, Stadt- und Landestheater sowie die meisten Privat- und Tourneebühnen mit eigenen Produktionen. Und tatsächlich gibt es ja kein anderes Land auf der Welt, das sich so viele Spielstätten leistet. Immer noch – trotz aller etwaigen Sparmaßnahmen.

Der Eindruck einer immensen Vielfalt relativiert sich allerdings ein wenig, wenn man sich anschaut, welche Stücke und Autoren am häufigsten gespielt werden. Es sind sozusagen stets die „üblichen Verdächtigen“. Im Musiktheater liegt demnach erwartungsgemäß Mozarts „Zauberflöte“ vorn (55 Inszenierungen mit fast 350 000 Zuschauern), im Sprechtheater Goethes „Faust“ (46 Inszenierungen mit etwas über 215 000 Zuschauern). Keine Experimente also. Das gute alte „Bildungsgut“ rangiert dauerhaft ganz oben. Es schmückt ja auch seit Generationen ungemein.

Gerade in der Oper ist das Publikum eher gediegen und nicht mehr so jung an Jahren. Das begünstigt offenbar vorsichtig abgewogene, geradezu konservative Spielpläne. So kommen gleich hinter der „Zauberflöte“ diese allzeit gängigen Werke auf die höchsten Ränge: Humperdincks „Hänsel und Gretel“, Mozarts „Hochzeit des Figaro“, Bizets „Carmen“, Puccinis „La Bohème“, Mozarts „Don Giovanni“, Webers „Freischütz“, Puccinis „Tosca“, Mozarts „Cosi fan tutte“ und Verdis „La Traviata“. Mozart ist mithin Meister aller Klassen. Er tut ja auch niemandem weh.

Die Tendenz verwundert nicht: Bevorzugt wird das Leichtere, das Schwungvolle bis Schmissige, gemieden hingegen das Schwerblütige oder gar Experimentelle. Übrigens taucht auch ein Gigant wie Richard Wagner (mit „Das Rheingold“) erst auf Platz 14 auf. Da kann man sich ungefähr vorstellen, welch ein schwieriger Balanceakt es ist, mit dem Spielplan das beharrliche Publikums-Interesse zu bedienen und dennoch gelegentlich Neues zu wagen.

Im Schauspiel ist das Publikum tendenziell jünger und wahrscheinlich etwas aufgeschlossener. Dennoch halten sich auch hier die erprobten Klassiker. Hinter dem „Faust“ folgen Shakespeares „Sommernachtstraum“ und Schillers Ränkespiele in „Kabale und Liebe“. Die Reihenfolge hätte vor 20 oder 40 Jahren ähnlich lauten können. Sie schmeckt etwas nach althergebrachtem Schulpensum.

Immerhin verzeichnet die Bühnen-Statistik einen spürbaren Anstieg der Ur- und Erstaufführungen. Auch davon zehren die Theater, es verschafft ihnen zumindest in der Branche einen guten Ruf, wenn auch meist keine sonderlich hohen Zuschauerzahlen. 534 bis dato nicht in Deutschland aufgeführte Werke kamen jedenfalls neu heraus. Das waren fast 16 Prozent mehr als in der Spielzeit zuvor. Und vielleicht gibt es ja irgendwann ein paar Gegenwartsstücke, die in die Spitzengruppe vorstoßen.