Altes Westfalen in bewegten Bildern – das Filmarchiv des Landschaftsverbandes

Münster/Dortmund. Haben Sie noch alte Filme auf dem Dachboden? Aufnahmen von fröhlichen Familien- oder Vereinsfeiern, Stadtfesten, Spaziergängen – oder aus dem ganz gewöhnlichen Alltag? Dann werfen Sie lieber nichts weg. Es könnten Schätze auf Zelluloid darunter sein.

Die Archivare beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) sammeln solche Kleinode mit Akribie. In den klimatisierten Kellern zu Münster lagern reiche Regional-Bestände. Derzeit sind es rund 3000 Filme – vom Zufalls-Schnipsel bis zum abendfüllenden Streifen. Gehaltvoller Nachschub ist stets willkommen. Jeder unscheinbare Amateurfilm kann eine wertvolle Quelle sein.

Der aus Attendorn stammende Markus Köster, Leiter des LWL-Medienzentrums: „An solche Filme knüpfen sich auch Emotionen und Heimatgefühle: ,Aha, so sah es damals in unserem Viertel aus.'“ Besonders prägnante, nostalgische Filmzeugnisse aus dem LWL-Archiv kann man denn auch im Buchhandel kaufen (siehe Infos).

Neuerdings ist es möglich, im Internet gezielt nach Schlagworten zu suchen, mit denen diese Filme jetzt allmählich (oft sekundengenau) erschlossen werden. 740 Streifen kann man in der Datenbank bereits verbal abtasten; beispielsweise, indem man Suchworte wie. „Schützenfest“ (sehr viele Fundstellen!) oder „Waldspaziergang“ eingibt. Auch bitterernste historische Vorgänge wie lokale Propaganda-Auftritte der NS-Zeit sind so auffindbar.

Das bislang älteste Filmdokument, das in Münster verwahrt wird, stammt von 1911. In Kürze kommt eines von 1908 hinzu, das jüngst in Schottland auftauchte und beim damaligen Unglück auf der Hammer Zeche Radbod entstanden ist, bei dem 350 Bergleute ihr Leben verloren.

Die Schätze der Elisabeth Wilms aus Dortmund

Westfalens Filmarchiv wächst ständig. Selten handelt es sich um so umfangreiche Bestände wie jene aus Dortmund: Die rund 200 Filmspulen der Elisabeth Wilms füllen in Münster etliche Regalmeter. Über Jahrzehnte hinweg hatte die Bäckersgattin Veränderungen in ihrer Heimat filmisch festgehalten. Ihre bewegenden Aufnahmen aus dem Hungerwinter 1946 gaben einen Anstoß zu humanitären Hilfsaktionen (Care-Pakete). Später dokumentierte Wilms den Wiederaufbau (auch den Neubau der Westfalenhalle bis 1952). Nach ihrem Tod vermachte sie die Filme einer Kirchengemeinde, doch die wurde der vielen Anfragen nicht mehr Herr – und reichte die Schätze an den LWL weiter.

Deutlich kleiner, doch inhaltlich auch nicht zu verachten ist eine Reihe von Kreis-Porträts aus den frühen 70er Jahren. So erscheint u. a. der Kreis Olpe im typischen Stil jener Zeit, Schlaghosen und Schockfarben inklusive.

Nicht nur mit Inhalten, sondern auch mit technischen Gegebenheiten befassen sich die LWL-Experten. Betrüblich genug: Je neuer die Speichertechnik, um so kürzer die Haltbarkeit. Die alten Filmspulen halten bei idealen Bedingungen immerhin 100 bis 200 Jahre. Sie werden deshalb als Basis-Material auf jeden Fall aufgehoben. Auf die kurzlebige DVD wird vor allem deshalb umkopiert, um die Originale zu schonen und um rasch auf bestimmte Szenen zuzugreifen.

Die Sammlung umfasst Profi-und Amateur-Filme bis in die 70er Jahre – ganz gleich, in welchem technischen Format. Nur Nitrofilme (brandgefährlich und daher verboten) werden nach Kopie von der Feuerwehr vernichtet. In den 80er Jahren kamen Videos im Privatbereich auf. Wie man diese archiviert, ist noch ungeklärt. Allmählich wird’s jedenfalls ein dringliches Problem, denn die VHS-Kassetten aus den 80ern fangen bereits an zu verkleben…

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INFOS
Highlights auf DVD

  • Wenn man eigene oder ererbte alte Filme verwahrt, kann man sie dem LWL als „Dauerleihgabe“ überlassen. Das Eigentumsrecht bleibt beim Spender.
  • Die Medienexperten vom LWL holen Filme in ganz Westfalen selbst ab.
  • Ansprechpartner in Münster: Markus Köster (Leiter LWL-Medienzentrum), Volker Jakob (Referatsleiter Bild-, Film-, Tonarchiv), Ralf Springer (Aufbau der Filmdatenbank).
  • DVDs wie „Durch das schöne Westfalen“ oder „Der Ruhrkampf“ kosten im Buchhandel je 14,90 Euro.
  • Internet: http://www.filmarchiv-westfalen.de

(Dieser Beitrag stand am 25. November 2008 in der „Westfälischen Rundschau“)




Nico: Die Frau mit der Sirenenstimme

Köln. Christa Päffgen war ein Weltstar, ja geradezu eine Ikone der Popmusik. Wie bitte? Christa Wer? Nun, weitaus bekannter war die gebürtige Kölnerin unter ihrem Künstlernamen „Nico“ – und geradezu legendär wurde sie als zeitweilige Sängerin der Kultband „Velvet Underground“.

Zur Erinnerung: Diese formidable Formation um Lou Reed und John Cale spielte anfangs unter der Ägide des Pop-Künstlers Andy Warhol, der auch das berühmte Bananen-Cover für ihre Debüt-Platte schuf. Das immens einflussreiche Album hieß „The Velvet Underground & Nico“ und war mit düsteren Titeln („I’m Waiting for my Man“, „Venus in Furs“, „Femme Fatale“, „Heroin“, „All Tomorrow’s Parties“) ein Meilenstein der Rockgeschichte. Nicht zuletzt lag es an Nicos suggestivem Sirenengesang, der sich mit hartem deutschen Akzent im Niemandsland zwischen Minimalismus und Nihilismus erging.

Die Ausstellung, mit der das Kölner Museum für Angewandte Kunst jetzt an Nico (1938-1988) erinnert, erweist sich mit zahlreichen Doku¬menten (Bilder, Texte, Filme und Töne – auch via Audioguide) als weit verzweigte Spurensuche. Sie ist mehr als eine bloße Reliquienschau.

Kaum zu glauben, in welchen Sphären sich diese Nico bewegt hat. Ihr Dasein als öffentliche Frau begann beileibe nicht erst im Pop-Geschäft. Nico wurde in hohem Maße zur Projektionsfläche diverser Männerphantasien. Wahrscheinlich ist sie daran zerbrochen; vielleicht auch am Überangebot der Freiheiten, das sich damals aufgetan hat.

Schon mit 16 Jahren wurde sie in Berlin als Model (damaliger Ausdruck: Mannequin) der Marke „Lolita“ entdeckt und zog bald nach Paris, wo sie den Künstlernamen „Nico“ annahm. Sie zierte die Titelseiten von Magazinen wie dem „Stern“ (1959 – Fotograf: Charles Wilp) oder des Zeitgeistblattes „Twen“ (1961). Auch die Glamour-Postillen „Elle“ und „Vogue“ wurden aufmerksam auf die Blondine mit der Aura zwischen Unschuld und Erfahrung. Später mengten sich mehr und mehr Schattierungen todessüchtiger Traurigkeit und von Dämonie mit hinein.

Eigentlich kein Wunder, dass ein auf optische Sensationen versessener Mann wie Federico Fellini sie dann 1960auch für den Film rekrutierte. Nico spielte eine kleine, aber seltsam faszinierende Rolle in dem Klassiker „La dolce vita“ (Das süße Leben) – neben den Stars Marcello Mastroianni, Anita Ekberg und Anouk Aimée. Einem gewissen Bob Dylan prägte sich Nicos kurzer Kinoauftritt derart ein, dass er ihr den Song „I’ll keep it with mine“ (1965) widmete. Folgenreicher Vorfall jener Jahre: Der Filmschönling Alain Delon schwängerte sie, wollte aber den gemeinsamen Sohn Ari nie anerkennen.

Nach dem furiosen Einsatz bei „Velvet Underground“ vagabundierte Nico durch die wildesten „Szenen“ der späten 60er Jahre. Klischee-Stichworte sind schnell genannt: Sex, Drogen, überdrehtes Leben am Rande des Todes. Nico faszinierte denn auch andere, früh verstorbene Rockgrößen: Jim Morrison (1943-1971) von den „Doors“ überredete sie zu musikalischen Solo-Projekten. Eine Zeit lang gehörte sie zu den Groupies im Gefolge der Rolling Stones, besonders der Gitarrist Brian Jones (1942-1969) war ihr zugetan. Stärkste Platte dieser Phase: „Chelsea Girl“ mit dem phänomenalen Titel „These Days“.

Zunehmend stilisierte die einstige Blondine zur dunklen, schläfrig wandelnden Erscheinung. Schwarz gefärbtes Haar, finster umflorter Blick, ausgezehrtes Gesicht. Später, in den 80er Jahren, gibt es erschreckende Bilder von einer aufgedunsenen, durch harte Drogen vorzeitig vergreisten Frau.

Den windungsreichen Weg, der immerzu bergab führt, kann man anhand der in Köln kenntnisreich ausgebreiteten Dokumente eingehend verfolgen. Hie und da könnte man glauben, Nico sehr nahe zu kommen; so etwa, wenn man die rasch hingefetzten Postkarten von ihrer zittrigen Hand liest. Diese fahrige, flüchtige Schrift, diese ziellose Signatur eines verletzlichen Menschen, der alle Wurzeln gekappt hat und sich nicht mehr zurechtfindet: Wort-Bruchstücke aus Herzen der Finsternis.

„Nico – Stationen einer Pop-Ikone“. Museum für Angewandte Kunst, Köln, An der Rechtsschule (neben dem Dom/Hauptbahnhof). Bis 1. Februar 2009. Geöffnet Di-So 11-17 Uhr. Eintritt 5 Euro. Internet: http://www.nico-cologne.de

(Der Beitrag stand am 21. November 2008 in der „Westfälischen Rundschau“)




Künstlerpaare: Höhenflüge und Abstürze zu zweit

Manches Künstlerpaar ist zur filmreifen Legende geworden: Auguste Rodin und Camille Claudel etwa. Der Kraftmensch, beim Kennenlernen schon 42 – und die fragile 18-Jährige, die nicht nur folgsam von ihm lernte, sondern bildhauerisch zeitweise mindestens ebenbürtig war. Doch als er sie verließ, verfiel sie allmählich dem Wahnsinn.

Nicht immer verlaufen die Paar-Beziehungen unter Künstlern so dramatisch. Und nicht immer liegt der Einfluss so auf der Hand. Camille Claudel machte sich nicht nur Rodins Technik zu eigen, die Oberflächen der Skulpturen schrundig aufzurauen. Auch thematisch orientierte sie sich an ihm.

Worauf die Frauen
verzichtet haben

Gleich 13 aufschlussreiche, in vielen Facetten schillernde, atmosphärisch aufgeladene Paargeschichten der Kunst erkundet, erzählt und „bebildert” das Kölner Wallraf Richartz Museum ausgiebig. Der zum tieferen Verständnis unverzichtbare Katalog dokumentiert noch einige mehr. Es gibt ja so viele leidenschaftliche Kunst- und Paarwelten.

Ungefähr zwischen 1880 und 1970 ereignen sich die Begegnungen, die stets bildnerische Früchte tragen – oft wechselseitig. Mal profitiert eine Schülerin vom erfahrenen Lehrer, dann ist es umgekehrt: Lee Krasner bringt Jackson Pollock wenigstens vorübergehend vom Alkohol ab und hält ihm den Rücken frei. Marianne von Werefkin fördert den vier Jahre jüngeren Alexej Jawlensky und hält sich selbst zurück – bis der sie „zum Dank” mit der Haushälterin hintergeht. Bezeichnend das Werefkin-Gemälde „Tragische Stimmung”, das in erdigen Rotbraun-Tönen vibrierende Zornbild einer gescheiterten Liebschaft.

In derlei Fällen fragt sich nicht nur die Feministin, worauf die Frauen verzichtet haben und was sie andernfalls künstlerisch aus sich hätten machen können. Vielfach wurde den Herren die Frau an ihrer Seite schlichtweg „zu gut”. Paula Modersohn-Becker übertraf ihren einstigen Mentor und späteren Ehemann Otto Modersohn irgendwann an Strahlkraft. Der war zuerst fasziniert, sodann freilich befremdet. Sie entfernte sich ja von ihm!

Historisch sich wandelnde Rollenmuster spielen in solche Verhältnisse hinein. Und gemeinsame Projekte (revolutionäre oder ästhetische Aufbrüche) beflügeln Künstlerpaare, doch stets drohen auch Abstürze zu zweit.

Frida Kahlo und Diego Rivera marterten einander mit anderweitigen Affären. Köln kann einige Leitstücke der Paarkunst aufbieten, darunter Kahlos doppeltes Wunschbildnis mit Rivera. Beide Gesichter verschmelzen da innig miteinander. Ersehnte Harmonie, in der Wirklichkeit niemals ganz einzulösen.

Treue bis über
den Tod hinaus

Innige Zweisamkeit spürt man vor allem in den Arbeiten des Dadaisten-Paares Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp. Hier scheinen kaum erklärliche Phänomene wie der Gefühls- und Gedankenübertragung am Werke zu sein. Noch rund 20 Jahre nach Sophies Tod macht sich Hans (Jean) Arp daran, einen ihrer alten Entwürfe neu zu beleben. Welch eine (eben nicht nur künstlerische) Treue über den Tod hinaus. Wahrlich anrührend.

Mindestens ebenso spannend sind uneindeutige Mischverhältnisse in Beziehungen, zumal in Zeiten, wo die männliche Dominanz längst nicht mehr üblich ist. Beispiel: Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely haben ihre Positionen offenkundig fragil ausbalanciert. Ein gemeinsamer Brunnenentwurf lässt es ahnen. Es ist keine Symbiose, doch es sind in schönster Gleichwertigkeit glückhaft aufeinander eingeschwungene Formen. So soll es sein.

„Künstlerpaare”. Köln, Wallraf-Richartz-Museum (direkt am Rathaus). Bis 8. Februar 2009. Geöffnet Di-Fr 10-18, Do 10-22, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 10 €, Katalog 39 €

  • Neben den erwähnten Paaren werden in der Schau außerdem ausführlich behandelt: Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, Sonia und Robert Delaunay, Natalia Gontscharowa und Michail Larionow, Hannah Höch und Raoul Hausmann, Georgia O’Keeffe und Alfred Stieglitz, Ray und Charles Eames.



Grönemeyer: Einsatz für Bochum

Bochum. Das Datum ist markant, der Anlass ebenfalls: Am 6. 6. 2009 wird Herbert Grönemeyer im Bochumer Fußballstadion ein Benefiz-Gastspiel fürs künftige Konzerthaus der Stadt geben. Willkommen daheim!

Der in Bochum aufgewachsene Grönemeyer (Geradeaus-Hits: „Bochum“, „Mensch“, „Männer“, „Currywurst“) beliebte gestern zu unken: „20 000 Leute sollten schon mindestens kommen, sonst müsste ich persönlich für Verluste geradestehen.“ Aber mit diesem Risiko rechnet eigentlich niemand – schon gar nicht „tief im Westen“. 28 000 Menschen passen bei einem solchen Konzert in die Bochumer Arena hinein. Wenn am kommenden Samstag der Vorverkauf beginnt, dürfte diese Zahl wohl recht bald erreicht werden, denn es ist ja (obwohl der 52-Jährige heute in London lebt) ein gefühltes „Heimspiel“.

Mietfreie Arena, höhere Eintrittspreise, Verzicht auf Gagen

Manche munkeln gar schon von einem „Plan B“ für ein zweites Konzert am Folgetag. Herbert Grönemeyer mag nichts überstürzen, aber: „Wenn jetzt eine Hysterie ausbrechen sollte, kann man ja darüber nachdenken.“

Jede Mehreinnahme wäre willkommen. Rund 4,5 Millionen Euro fehlen noch zur kompletten Finanzierung (rund 29,3 Mio. €) des Konzerthauses in der Stadt, deren mehr als heimliche Hymne von „Herbie“ stammt. Kaum übertrieben: „Hier nehmen es mir viele Leute sogar übel, falls ich ,Bochum‘ nicht wenigstens zweimal singe.“

Wenn Grönemeyer am 6. Juni (einem Samstag) gemeinsam mit den Bochumer Symphonikern im Stadion auftritt, gelten erhöhte Eintrittspreise von durchschnittlich 73 Euro. Ein Einzelkonzert ist vergleichsweise aufwendiger als eines im Tourneerahmen. Grönemeyer: „Das läuft nicht nach dem Motto: Wir gehen da mal eben hin und singen ein bisschen.“ Wer den höheren Eintritt entrichte, könne sich außerdem selbst gratulieren, etwa so: „Ich habe den Zapfhahn an der Theke des Konzerthauses mitbezahlt.“ Na, wenn das nichts ist!

Das Stadion bleibt am 6. Juni mietfrei. Und alle Mitwirkenden werden auf ihre Gagen verzichten. Also könnte ein hübsches Sümmchen fürs Konzerthaus herausspringen. Mindestens ebenso wichtig ist die Vorbildfunktion: Im Sog von Grönemeyers Gastspiel soll so mancher spenden, der bisher vielleicht noch gezögert hat. Diesen Effekt erhofft sich auch Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz, die gestern klarstellte: „Wir müssen noch fleißig sammeln und brauchen jeden Euro.“

Den Zeitpunkt für seine Konzert-Ankündigung hat Grönemeyer übrigens günstig gewählt: An diesem Freitag (7. November) kommt seine neue Single mit dem schlichten Titel „Glück“ heraus, am 21. November erscheint das Best-of-Album „Was muss muss“. Also wird jetzt sowieso die Werbetrommel gerührt.

Das Programm für den 6. Juni steht noch nicht fest, doch „es wird wohl etwas getragener‘ werden als üblich.“ Auftritte mit einem Orchester sind für einen Popstar wie ihn immer noch etwas Besonderes: „Man fühlt sich da so schön eingebettet. Aber wir werden viel proben müssen, um Phrasierung und Tempo aufeinander abzustimmen.“

Selbstverständlich kommt er auch diesmal nicht an Fragen nach dem Revier vorbei. Ja, wenn er mal wieder hier sei, fahre er mit dem Auto noch die alten Nostalgie-Strecken ab. Was er in der Fremde am meisten vermisse? Nun, vor allem die ehrliche Ruhri-Sprache. Und womit die Region „draußen“ am besten für sich werben könne? Na, mit Kultur! Aber nicht mit jeder Sorte. „Die Menschen lassen sich hier nix vormachen.“

Schließlich Grönemeyers scherzhafte Drohung: „Wenn das Bochumer Konzerthaus erst steht, werde ich dort wöchentlich auftreten. Bis mich niemand mehr hören will.“

(Der Beitrag stand am 5. November 2008 in der „Westfälischen Rundschau“)




Leonard Cohen: Jeder Zoll Würde und Weisheit

Oberhausen. Mit dem Wort „Sensation” sollte man sehr vorsichtig sein, aber dies ist gewiss eine: Leonard Cohen, der große kanadische Sänger und Songschreiber, ist nach 15 Jahren Abwesenheit und innerer Einkehr auf die Bühnen der Welt zurückgekehrt.

Der jetzt 74-Jährige zelebriert in der Oberhausener Arena ein unvergessliches Konzert, das mit Pause weit über drei Stunden währt. Gibt’s dabei keine langatmigen Minuten? Wohl kaum! Und das keineswegs nur wegen der berühmten Titel wie „Suzanne” und „So long, Marianne”, bei denen die Menschen geradezu andächtig sanft mitsummen.

Dunkler Anzug, graues Hemd, klassischer Herrenhut, eine Haltung von Anmut und Demut. Zuweilen kniet Cohen auf der Bühne buchstäblich nieder vor den Inbildern dunkler Poesie und ewig besungener Weiblichkeit. Manche Wörter raunt er wie ein Verschwörer, halb hinter vorgehaltener Hand.

Doch gern bewegt sich Cohen auch heiteren Sinnes, swingend im Kreise seiner erlesenen Musikerschar, die er gleich zweimal ausgiebig preisend vorstellt (doch die einzige, verzeihliche Länge im Programm). Stellenweise fühlt man sich gar an die Lässigkeit eines Frank Sinatra erinnert, doch Cohens Stimm- und Gefühlslage lotet ja die untersten Bassregister aus. Vor allem aber reicht seine subtile Song-Lyrik in ganz andere Daseinstiefen hinab.

Er wirkt wie eine asketische, hagere Erscheinung aus europäischen Nachkriegszeiten. Jeder Zoll Würde und Weisheit. In seinen vielen Liedern, so scheint es, gibt es keine unwahre Zeile. Dieser Mann ist spürbar durch so manche Abenteuer des Lebens, Liebens und Hassens hindurch gegangen. Was er da singt, klingt beglaubigt; ganz gleich, ob Cohen illusionslos düstere Krisen-Zukunft („The Future”) prophezeit oder ob er zum schwerelosen Flug höherer Selbstironie anhebt, die alles Finstere hinter sich lässt. So auch beim zornlosen Blick zurück: Damals mit 60, als er zuletzt aufgetreten sei, habe er noch verrückte Träume gehegt, lässt er wissen. Über solche „Kindereien” ist er also inzwischen hinweg. Nun ja. Man muss das milde Lächeln sehen, mit dem er das sagt.

Hat man je einen Auftritt gesehen, der über derart weite Strecken zur stehenden Huldigung gerät? Schwerlich. Immer wieder erhebt sich das Publikum (längst nicht nur ergrautes „Mittelalter”), um dem Altmeister die Ehre zu erweisen. Ergreifende Szenen. Und viele Tränen der Rührung im Publikum.

Was soll man da noch eigens hervorheben? Vielleicht das Auftauchen und Erstrahlen bestimmter Titel, die wie aus dem Nichts kommen und plötzlich als Erscheinung im Raume stehen: „Bird on a Wire”, „Who by Fire”, „The Partisan”. Große, erhabene Momente. Wer es erleben durfte, wird es treulich bewahren.