Modigliani in Bonn: Der Mensch ohne Beiwerk

Allein schon die Augen ! Wie Amedeo Modigliani (1884-1920) die Fenster zur Psyche gemalt hat, das ist einfach phänomenal. Mitunter lässt er die Höhlen ganz leer oder verleiht ihnen einen unbestimmbaren, pupillenlosen Schimmer. Und dennoch scheinen diese Gesichter den Betrachter aus großer Tiefe innig anzublicken. Ein Rätsel, ganz so wie die Menschenseele.

Bonns Bundeskunsthalle bietet jetzt eine furiose Werkschau des Italieners, der nur 35 Jahre alt wurde und in seiner kurzen Hauptschaffenszeit ab etwa 1909 ein Werk von bleibender Weltbedeutung hervorgebracht hat. Man kann natürlich nur darüber spekulieren, ob er seinen frühen Tod vorhergesehen hat. Darf sein Werk als „abgeschlossen“ gelten – oder hätte es sich noch ganz anders entwickeln können, vielleicht sogar im Sinne einer Verwässerung? Gleichviel.

Eine solche Modigliani-Retrospektive hat es in Deutschland lange nicht gegeben. 1991 stellte Werner Schmalenbach eine solche Rückschau in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW zusammen. Jetzt zeichnet eine andere Legende des Museumsbetriebs verantwortlich: Christoph Vitali hat (gemeinsam mit Susanne Kleine) wohl das Maximum dessen zusammengetragen, was sich heute an einem Ort versammeln lässt. Rund 40 Gemälde und 70 Zeichnungen Modiglianis sind zu sehen. Die Schwierigkeiten haben schon bei der Recherche begonnen: Modiglianis Arbeiten finden sich nicht so sehr in den großen Museen, sondern vielfach in entlegenen Privatsammlungen. Außerdem kursieren recht viele Fälschungen, so dass strengstens geprüft und gesondert werden muss.

Modigliani ist verglüht wie nur je ein Rockstar. Doch man mag kaum glauben, dass sich seine Werke einem so rauschhaften Leben verdanken. Es finden sich in den Bildern keinerlei Spuren von jenen wüsten Alkohol- oder Drogenexzessen, für die Modigliani zu seiner Zeit ebenso berüchtigt war wie für sein wechselhaftes Liebesleben in der Bohème. Umso staunenswerter: Besonders im Rückgriff auf die Renaissance hat dieser Künstler schließlich zu einer „klassischen“, vielleicht allzeit gültigen Form der Schönheit gefunden.

Schier unendlich lange, oft sanft gedrehte Halslinien, zerbrechlich schmale Kinnpartien und eben jene tiefen Blicke, so sehen die legendären Gesichter um 1917 aus. Es sind wahrhaftige Ikonen von großer Stille und Reinheit. Beispiellos erscheint die psychologische Durchdringung verschwiegenen Leids und namenloser Sehnsüchte. Grandios etwa auch die subtile Charakterisierung der exzentrischen britischen Kolumnistin Beatrice Hastings (Porträt von 1915), mit der Modigliani eine zweijährige, äußerst bewegte Liebesbeziehung verband. Wie hohlwangig sie hier die Luft einzusaugen scheint! Ganz so, als wolle sie mit spitzem Mund die gierig inhalierte Welt gleich wieder ausspeien. Von einer ganz anders beschaffenen Liebe künden die verklärenden Porträts der Jeanne Hébuterne. Sie lassen gar etwas von der Heiligkeit des Eros verspüren.

Überhaupt tritt der Mensch hier nicht als Gesellschaftswesen auf, sondern stets existenziell vereinzelt, befreit von allem Beiwerk. Ja, selbst ein Blumenmädchen wird just ohne alle Blumen dargestellt. Hinter diesen Porträts steht ein ziemlich ernsthaftes Spiel des Verbergens und Enthüllens. Von Leichtigkeit kann keine Rede sein. Eher schon kann man sich den Malprozess als seelisches Ringen zwischen Künstler und Modell vorstellen.

Vor allem anderen hat sich Modigliani – geradezu besessen – immer wieder aufs Menschenbild konzentriert, zuallermeist aufs Frauenporträt, dem er ungemein viele Nuancen abgewonnen hat. Einige delikate Akte kommen hinzu, aber es gibt so gut wie keine Landschafts-Darstellungen von seiner Hand. Was einen sogleich für Modigliani einnimmt: Er hat sich, fern von allen damals herrschenden Richtungen (Kubismus, Futurismus usw.), einen ganz eigenen Weg gebahnt – und das, obwohl seinerzeit in Paris der übermächtige Genius Picasso die Szene dominiert hat.

Natürlich gibt es allerlei Ähnlichkeiten zwischen den zahlreichen Porträts. Der typische Modigliani-Stil ist unverkennbar, sozusagen längst Poster-tauglich und mit einigem Geschick wohl leichter nachzuahmen als andere „Handschriften“. Doch die chronologisch, nach Lebensphasen geordnete Bonner Schau lässt Entwicklungslinien ahnen und schärft den Blick auch für kleinere, sonst kaum beachtete Differenzen. Hilfreich dabei: Etliche markante Zitate von Zeitgenossen prangen an den Wänden und geben Anstöße zum noch genaueren Hinsehen.

Sehr empfehlenswert ist übrigens auch der bei DuMont erschienene Katalog. Er enthält nicht nur die üblichen Expertenaufsätze und Reproduktionen, sondern drei hochliterarische, überaus lesenswerte Texte zu Modigliani. Sie stammen von John Updike, John Berger und J. M. G. Le Clézio. Daraus darf man wohl folgern, dass gerade Modiglianis Leben und Schaffen auch erstrangige Schriftsteller inspiriert hat. So wirkt und wirkt die Kunst im besten Falle weiter.

Amedeo Modigliani. 17. April bis 30. August 2009. Bundeskunsthalle Bonn (Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 4). Geöffnet Di/Mi 10-21 Uhr, Do bis So 10-19 Uhr. Eintritt 8 €, ermäßigt 5 €. Katalog 39,95 €. Internet:

http://www.bundeskunsthalle.de




Markenzeichen: Letzter Bohemien

Markenzeichen müssen wohl sein: Er gilt als „letzter wahrer Bohemien” der Kunstgeschichte und hat sich als solcher wohl tatsächlich selbst inszeniert. Doch in Mick Davis‘ biographischem Filmdrama nimmt der Darsteller des Malers Amedeo Modigliani (1884-1920) derart viele Posen ein, dass er wie eine Karikatur aufs Künstlerleben wirkt.

Seine letzten Jahre auf Erden werden vor allem zugespitzt auf Duelle mit Pablo Picasso. Gleich der erste große Auftritt macht’s klar: Mit italienischer Grandezza tänzelt der aus Livorno stammende Modigliani (zunächst strahlender Frauenheld, jedoch mit starkem Hang zu Melancholie, Suff und Selbstzerstörung: Andy Garcia) ins pittoreske Künstlerlokal am Pariser Montmartre – und stiehlt Picasso die Schau, der dort mit seinen Bewunderern bechert. Ein maliziöses Wort gibt rasch das andere, und schon zieht der erzürnte Spanier die Pistole. Nur mit knapper Not lässt sich ein Blutbad zwischen den beiden Gockeln verhindern. Die geschniegelte Choreographie dieser Szenenfolge bewegt sich irgendwo zwischen Tango und Stierkampf. Ansonsten werden uns die Künstler als „verrücktes Völkchen” vorgeführt. Ob dies der Wahrheitsfindung dient?

Im Grundmuster ähnelt „Modigliani” einer jener unbedarften Highschool-Komödien, bei denen alles auf einen Rockband-Wettstreit hinausläuft. Hier muss halt ein historischer Wettbewerb unter Malern herhalten, für den sich – nach langem Zögern – endlich auch unsere beiden Streithähne anmelden. Außerdem am Start: Größen wie Maurice Utrillo, Chaim Soutine und Diego Rivera. Wow! Das riecht nach WM-Finale. Berühmte literarische Zaungäste finden sich ebenfalls dazu ein, auch sie allerdings filmisch von jeglichem Geist befreit: Jean Cocteau steht ratlos herum, Gertrude Stein ist die dralle Mutti eines wildgewordenen Kulturbetriebs.

Wahrhaftig wird dann die „Pinsel-Konkurrenz” (ach, nichts anderes ist es hier!) vom schottischen Regisseur wie ein Sportereignis inszeniert. In einer langen, heftig sich steigernden Sequenz sehen wir sie alle fieberhaft an ihren Leinwänden werkeln – bis sie erschöpft die „Ziellinie” erreichen. Da kommen einem auch die jeweiligen Gespielinnen fast wie Boxenluder vor.

Picasso (Omid Djalili) jedenfalls erscheint als wohlhabender, saturierter Sack, der verarmte Modigliani hingegen wie ein Vorläufer jener Rockstars, die schnell lebten und jung starben. Den allerhöchsten Segen bekommt der Italiener vom greisen Impressionisten Auguste Renoir, der wie Gottvater persönlich aussieht und Modiglianis genialische Verrücktheit still verschmitzt zu würdigen weiß.

Keine Liebesgeschichte? Oh doch, natürlich! Modiglianis Muse Jeanne Hébuterne (madonnenhaft: Elsa Zylberstein), die er oftmals nackt und mit schier endlos langer Halslinie malte, hat sogar ein Kind von ihm und erwartet ein zweites. Doch ihr erzböser Vater stellt sich dem Glück entgegen und lässt das „Bastard”-Baby gar von der Fürsorge ins Heim stecken. Doch auch dieser Konfliktstrang wirkt grob geschnitzt und sorgt für weitere Genrebilder der gängigen Sorte.

Unmengen von Zigaretten, Alkohol, Koks und Opium werfen den seit seiner Kindheit lungenkranken Modigliani schließlich aufs Sterbebett. Seine letzten Worte lauten sinngemäß: „Schluss mit dem Wahnsinn.” Tags darauf stürzt sich seine Jeanne mitsamt Leibesfrucht in den Tod. Selbst diese Tragik kommt einem in diesem Umfeld effekthascherisch vor.

P.S.: Der Film hat nie einen Start in den deutschen Kinos erlebt, ist allerdings auf DVD herausgekommen.