Modigliani in Bonn: Der Mensch ohne Beiwerk

Allein schon die Augen ! Wie Amedeo Modigliani (1884-1920) die Fenster zur Psyche gemalt hat, das ist einfach phänomenal. Mitunter lässt er die Höhlen ganz leer oder verleiht ihnen einen unbestimmbaren, pupillenlosen Schimmer. Und dennoch scheinen diese Gesichter den Betrachter aus großer Tiefe innig anzublicken. Ein Rätsel, ganz so wie die Menschenseele.

Bonns Bundeskunsthalle bietet jetzt eine furiose Werkschau des Italieners, der nur 35 Jahre alt wurde und in seiner kurzen Hauptschaffenszeit ab etwa 1909 ein Werk von bleibender Weltbedeutung hervorgebracht hat. Man kann natürlich nur darüber spekulieren, ob er seinen frühen Tod vorhergesehen hat. Darf sein Werk als „abgeschlossen“ gelten – oder hätte es sich noch ganz anders entwickeln können, vielleicht sogar im Sinne einer Verwässerung? Gleichviel.

Eine solche Modigliani-Retrospektive hat es in Deutschland lange nicht gegeben. 1991 stellte Werner Schmalenbach eine solche Rückschau in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW zusammen. Jetzt zeichnet eine andere Legende des Museumsbetriebs verantwortlich: Christoph Vitali hat (gemeinsam mit Susanne Kleine) wohl das Maximum dessen zusammengetragen, was sich heute an einem Ort versammeln lässt. Rund 40 Gemälde und 70 Zeichnungen Modiglianis sind zu sehen. Die Schwierigkeiten haben schon bei der Recherche begonnen: Modiglianis Arbeiten finden sich nicht so sehr in den großen Museen, sondern vielfach in entlegenen Privatsammlungen. Außerdem kursieren recht viele Fälschungen, so dass strengstens geprüft und gesondert werden muss.

Modigliani ist verglüht wie nur je ein Rockstar. Doch man mag kaum glauben, dass sich seine Werke einem so rauschhaften Leben verdanken. Es finden sich in den Bildern keinerlei Spuren von jenen wüsten Alkohol- oder Drogenexzessen, für die Modigliani zu seiner Zeit ebenso berüchtigt war wie für sein wechselhaftes Liebesleben in der Bohème. Umso staunenswerter: Besonders im Rückgriff auf die Renaissance hat dieser Künstler schließlich zu einer „klassischen“, vielleicht allzeit gültigen Form der Schönheit gefunden.

Schier unendlich lange, oft sanft gedrehte Halslinien, zerbrechlich schmale Kinnpartien und eben jene tiefen Blicke, so sehen die legendären Gesichter um 1917 aus. Es sind wahrhaftige Ikonen von großer Stille und Reinheit. Beispiellos erscheint die psychologische Durchdringung verschwiegenen Leids und namenloser Sehnsüchte. Grandios etwa auch die subtile Charakterisierung der exzentrischen britischen Kolumnistin Beatrice Hastings (Porträt von 1915), mit der Modigliani eine zweijährige, äußerst bewegte Liebesbeziehung verband. Wie hohlwangig sie hier die Luft einzusaugen scheint! Ganz so, als wolle sie mit spitzem Mund die gierig inhalierte Welt gleich wieder ausspeien. Von einer ganz anders beschaffenen Liebe künden die verklärenden Porträts der Jeanne Hébuterne. Sie lassen gar etwas von der Heiligkeit des Eros verspüren.

Überhaupt tritt der Mensch hier nicht als Gesellschaftswesen auf, sondern stets existenziell vereinzelt, befreit von allem Beiwerk. Ja, selbst ein Blumenmädchen wird just ohne alle Blumen dargestellt. Hinter diesen Porträts steht ein ziemlich ernsthaftes Spiel des Verbergens und Enthüllens. Von Leichtigkeit kann keine Rede sein. Eher schon kann man sich den Malprozess als seelisches Ringen zwischen Künstler und Modell vorstellen.

Vor allem anderen hat sich Modigliani – geradezu besessen – immer wieder aufs Menschenbild konzentriert, zuallermeist aufs Frauenporträt, dem er ungemein viele Nuancen abgewonnen hat. Einige delikate Akte kommen hinzu, aber es gibt so gut wie keine Landschafts-Darstellungen von seiner Hand. Was einen sogleich für Modigliani einnimmt: Er hat sich, fern von allen damals herrschenden Richtungen (Kubismus, Futurismus usw.), einen ganz eigenen Weg gebahnt – und das, obwohl seinerzeit in Paris der übermächtige Genius Picasso die Szene dominiert hat.

Natürlich gibt es allerlei Ähnlichkeiten zwischen den zahlreichen Porträts. Der typische Modigliani-Stil ist unverkennbar, sozusagen längst Poster-tauglich und mit einigem Geschick wohl leichter nachzuahmen als andere „Handschriften“. Doch die chronologisch, nach Lebensphasen geordnete Bonner Schau lässt Entwicklungslinien ahnen und schärft den Blick auch für kleinere, sonst kaum beachtete Differenzen. Hilfreich dabei: Etliche markante Zitate von Zeitgenossen prangen an den Wänden und geben Anstöße zum noch genaueren Hinsehen.

Sehr empfehlenswert ist übrigens auch der bei DuMont erschienene Katalog. Er enthält nicht nur die üblichen Expertenaufsätze und Reproduktionen, sondern drei hochliterarische, überaus lesenswerte Texte zu Modigliani. Sie stammen von John Updike, John Berger und J. M. G. Le Clézio. Daraus darf man wohl folgern, dass gerade Modiglianis Leben und Schaffen auch erstrangige Schriftsteller inspiriert hat. So wirkt und wirkt die Kunst im besten Falle weiter.

Amedeo Modigliani. 17. April bis 30. August 2009. Bundeskunsthalle Bonn (Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 4). Geöffnet Di/Mi 10-21 Uhr, Do bis So 10-19 Uhr. Eintritt 8 €, ermäßigt 5 €. Katalog 39,95 €. Internet:

http://www.bundeskunsthalle.de




Markenzeichen: Letzter Bohemien

Markenzeichen müssen wohl sein: Er gilt als „letzter wahrer Bohemien” der Kunstgeschichte und hat sich als solcher wohl tatsächlich selbst inszeniert. Doch in Mick Davis‘ biographischem Filmdrama nimmt der Darsteller des Malers Amedeo Modigliani (1884-1920) derart viele Posen ein, dass er wie eine Karikatur aufs Künstlerleben wirkt.

Seine letzten Jahre auf Erden werden vor allem zugespitzt auf Duelle mit Pablo Picasso. Gleich der erste große Auftritt macht’s klar: Mit italienischer Grandezza tänzelt der aus Livorno stammende Modigliani (zunächst strahlender Frauenheld, jedoch mit starkem Hang zu Melancholie, Suff und Selbstzerstörung: Andy Garcia) ins pittoreske Künstlerlokal am Pariser Montmartre – und stiehlt Picasso die Schau, der dort mit seinen Bewunderern bechert. Ein maliziöses Wort gibt rasch das andere, und schon zieht der erzürnte Spanier die Pistole. Nur mit knapper Not lässt sich ein Blutbad zwischen den beiden Gockeln verhindern. Die geschniegelte Choreographie dieser Szenenfolge bewegt sich irgendwo zwischen Tango und Stierkampf. Ansonsten werden uns die Künstler als „verrücktes Völkchen” vorgeführt. Ob dies der Wahrheitsfindung dient?

Im Grundmuster ähnelt „Modigliani” einer jener unbedarften Highschool-Komödien, bei denen alles auf einen Rockband-Wettstreit hinausläuft. Hier muss halt ein historischer Wettbewerb unter Malern herhalten, für den sich – nach langem Zögern – endlich auch unsere beiden Streithähne anmelden. Außerdem am Start: Größen wie Maurice Utrillo, Chaim Soutine und Diego Rivera. Wow! Das riecht nach WM-Finale. Berühmte literarische Zaungäste finden sich ebenfalls dazu ein, auch sie allerdings filmisch von jeglichem Geist befreit: Jean Cocteau steht ratlos herum, Gertrude Stein ist die dralle Mutti eines wildgewordenen Kulturbetriebs.

Wahrhaftig wird dann die „Pinsel-Konkurrenz” (ach, nichts anderes ist es hier!) vom schottischen Regisseur wie ein Sportereignis inszeniert. In einer langen, heftig sich steigernden Sequenz sehen wir sie alle fieberhaft an ihren Leinwänden werkeln – bis sie erschöpft die „Ziellinie” erreichen. Da kommen einem auch die jeweiligen Gespielinnen fast wie Boxenluder vor.

Picasso (Omid Djalili) jedenfalls erscheint als wohlhabender, saturierter Sack, der verarmte Modigliani hingegen wie ein Vorläufer jener Rockstars, die schnell lebten und jung starben. Den allerhöchsten Segen bekommt der Italiener vom greisen Impressionisten Auguste Renoir, der wie Gottvater persönlich aussieht und Modiglianis genialische Verrücktheit still verschmitzt zu würdigen weiß.

Keine Liebesgeschichte? Oh doch, natürlich! Modiglianis Muse Jeanne Hébuterne (madonnenhaft: Elsa Zylberstein), die er oftmals nackt und mit schier endlos langer Halslinie malte, hat sogar ein Kind von ihm und erwartet ein zweites. Doch ihr erzböser Vater stellt sich dem Glück entgegen und lässt das „Bastard”-Baby gar von der Fürsorge ins Heim stecken. Doch auch dieser Konfliktstrang wirkt grob geschnitzt und sorgt für weitere Genrebilder der gängigen Sorte.

Unmengen von Zigaretten, Alkohol, Koks und Opium werfen den seit seiner Kindheit lungenkranken Modigliani schließlich aufs Sterbebett. Seine letzten Worte lauten sinngemäß: „Schluss mit dem Wahnsinn.” Tags darauf stürzt sich seine Jeanne mitsamt Leibesfrucht in den Tod. Selbst diese Tragik kommt einem in diesem Umfeld effekthascherisch vor.

P.S.: Der Film hat nie einen Start in den deutschen Kinos erlebt, ist allerdings auf DVD herausgekommen.




Toulouse-Lautrec: Brüchige Halbwelt

Henri de Toulouse-Lautrec, soso. Ist da nicht längst alles besehen und alles gesagt?

Nun ja, man wird jetzt auf Schloss Cappenberg schon einige Déjà-vu-Erlebnisse haben, wenn man die zahlreichen Farblithographien aus der Belle Époque betrachtet. Ein minimales Interesse an Kunst vorausgesetzt, kennt man solche und ähnliche Szenerien des brüchigen Luxus und der Moden aus den Pariser Cabarets, Varietés, Bars und Bordellen. Doch beim genauen Hinschauen kann man trotzdem noch spannende Einzelheiten entdecken.

Der bekanntlich kleinwüchsige, nach landläufigen Maßstäben alles andere als wohlgestalte Toulouse-Lautrec war – vermutlich in einer Gemengelage zwischen Anziehung und Abstoßung – fasziniert von den schimmernden, oft trügerisch galanten Halbwelten und brachte sie bildlich auf so manchen, seither stehenden Begriff. Eine von etlichen Inspirationsquellen waren dabei japanische Holzschnitte, natürlich aber auch die Schöpfungen aus dem Umkreis des französischen Impressionismus. Und Vincent van Gogh gehörte zu seinen Studienfreunden…

Toulouse-Lautrec besaß einen wachsam ironischen Blick für verborgene Hässlichkeiten und Absonderlichkeiten im mondänen Getriebe, auch ließ er sich von bloß äußerlicher Eleganz nicht blenden. Allerdings stellte er niemanden bloß, schon gar nicht die ärmeren Menschen, sondern ließ feine Diskretion angesichts erkannter Schwächen walten. Und er wusste wie nur je einer, wie triumphale Momente lockender Weiblichkeit erstrahlen müssen. Einige singende, tanzende und schauspielende Stars des Montmartre hat er erst mit seinen Bildern zu vollem Weltruhm geführt, beispielsweise Jane Avril, Yvette Guilbert und Aristide Bruant.

Allerlei dauerhafte Klischees über das frivole Paris der Kokotten leiten sich aus dieser Ära ab. Diese Langlebigkeit kommt nicht von ungefähr. Geradewegs zwischen freier Hochkunst und (werblicher) Gebrauchsanwendung fanden Toulouse-Lautrec und einige seiner Zeitgenossen gültige bildnerische Strategien und Formulierungen. Intensive Studien hinter den Kulissen der Amüsierbetriebe waren die Voraussetzung fürs Erfassen des Überzeitlichen im sonst so flüchtigen Augenblick. Famos vor allem die intimen, so gar nicht voyeuristischen Skizzen aus dem Bordell unter dem Titel „Elles“ (Sie). Sie zeigen die Huren in ihrem recht gewöhnlichen Alltag – bevor die Freier eintreffen.

Am anderen Endes des Schaffensspektrums sieht man grandios gelungene Werbung, vor allem für Vergnügungs-Etablissements: Schönere Plakate als damals hat es wohl nie wieder gegeben. Zuweilen sprühen sie geradezu im Rausch der Farben und Bewegungen. Doch beileibe nicht alles kommt als schreiende Reklame auf den Betrachter zu. Gerade Toulouse-Lautrec nutzt mitunter sehr delikate und dezente Farben. Zudem findet er frappierend wirksame Lösungen, um Schriften in die Bilder einfließen zu lassen.

Spätere Arbeiten um 1898/99 lassen die persönliche Tragödie des Henri de Toulouse-Lautrec ahnen. Die Bilder sind bei weitem nicht mehr so souverän und stilsicher gefasst wie vordem, der ganze Gestus wirkt fahrig unkontrolliert. Hauptgrund: Er kann vom Alkohol nicht lassen. Die Pariser Weltausstellung anno 1900, auf der einige seiner Bilder gezeigt werden, vermag der Syphilitiker nur noch im Rollstuhl zu besuchen. 1901 stirbt er, gerade einmal 36 Jahre alt.

In Cappenberg sieht man vielfach verschiedene Zustandsphasen der Druckwerke, so dass man teilweise den Werkprozess (und damit die leitenden Absichten) ein wenig nachvollziehen kann. Interessant auch der Ansatz, punktuell einige kaum minder großartige Zeitgenossen (Jules Chéret, Théophile-Alexandre Steinlen, Pierre Bonnard, Alphonse Mucha) neben Toulouse-Lautrec zu präsentieren. Ein wenig mehr Sorgfalt hätte allerdings die Beschriftung der Bilder verdient. Die meisten Titel sind nicht einmal übersetzt. Sapristi!

Henri de Toulouse-Lautrec und die Stars vom Montmartre. Bis 21. Juni. Schloss Cappenberg in Selm (Für auswärtige Unkundige sei’s gesagt: ein wunderschönes Ausflugsziel). Eintritt frei. Kein spezieller Katalog, aber Bücher über das Gesamtwerk von Toulouse-Lautrec (24,90 € bzw. 34,90€) sind vor Ort erhältlich.




Mehr Mond!

Es ist eine jener Themen-Ausstellungen, bei denen man sich fragt: Warum ist bloß noch niemand vorher auf diese Idee gekommen? Das Kölner Wallraf Richartz-Museum lässt jetzt viele Monde aufgehen, leuchten und schimmern. Kann man da etwa mondsüchtig werden?

Eigentlich sonnenklar: Das erdnahe Gestirn ist ungeheuer oft gemalt (und später mit wissenschaftlichen und künstlerischen Absichten fotografiert) worden, oft auch indirekt: halb verborgen hinter dramatisch gebauschten Wolken oder zittrig gespiegelt auf Wasserflächen.

Die Kunstgeschichte hatte diverse „Mondphasen“, man denkt dabei wohl zuerst an die fahlen Nachtszenen der Romantik, die nicht selten in Bereiche ragen, die man als gefühligen Kitsch wahrnimmt. Schon die malenden Zeitgenossen ergingen sich damals zuweilen in ironischer Distanzierung. Johann Peter Hasenclevers „Die Sentimentale“ (1846), die sehnsüchtig zum Mond aufblickt, gerät zum Spottbild auf übertriebene Schwärmerei.

Doch der Reigen dieser Schau setzt schon sehr viel früher ein, nämlich bei Stefan Lochner und Albrecht Dürer. Man lernt nicht nur das Phänomen der strahlenbekränzten „Mondsichel-Madonnen“ kennen, sondern erfährt auch am bildlichen Beispiel, dass Maria im frommen Mittelalter selbst als eine Art „Mond“ imaginiert wurde, der das göttliche Sonnenlicht gleichsam ideal reflektierte.

Rubens porträtierte sich um 1605 im Verein mit dem mondkundigen Galileo Galilei – höchst selbstbewusster Anspruch auf beiderseits zukunftsweisende Genialität. Die Kölner bieten in unüblich dichter Hängung einige große Namen auf, auch für die späteren Zeiten: Bilder etwa von Joseph Wright of Derby, Caspar David Friedrich, Edouard Manet („Mondschein über dem Hafen von Boulogne“), Felix Vallotton, Max Beckmann, Max Ernst, Edvard Munch. Jeder schuf da quasi seinen ganz eigenen, persönlichen Mond – erst recht in der Moderne. Sehen und Empfinden gingen immer wieder neue Verbindungen ein.

Im Wallraf Richartz Museum verknüpft man gern Kunstgeschichte mit Naturwissenschaft. Zur mehr oder weniger frei schwebenden Ästhetik kommt somit stets etwas Handfesteres. Im letzten Jahr war man den Impressionisten mit allerlei avancierten Forschungs-Methoden zuleibe gerückt. Jetzt zieht man auch astronomisches Wissen zu Rate, um die Gemälde zu deuten. Mit Hilfe „ewiger“ Himmelskalender, die Lauf und Stellung des Trabanten vorhersagen oder eben historisch nachzeichnen, lassen sich Mondbilder (einigermaßen realistische Darstellung vorausgesetzt) recht genau mit Jahres- und Tageszeiten datieren. Insgesamt gilt allerdings: Viele Künstler haben den Mond, um deutlichere Effekte zu erzielen, häufig deutlich zu groß an ihre Himmel gehängt.

Quer durch die Epochen sieht es die Kunst ja auch nur selten als ihre Aufgabe an, den Mond „sachgerecht“ und naturtreu zu zeigen. Vielmehr erweist er sich meist als symbolbeladen – manchmal als Zeichen des bedrohlich Bösen, zuweilen auch als Bote unsteten Wandels (zu- und abnehmende Sichel). Mit dem Aufkommen des Teleskops und hernach der Fotografie oder gar der Raumfahrt vollziehen sich jeweils künstlerische Ausweich- und Absetzbewegungen, sprich: Die Kunst räumt dann immer wieder realistische Positionen, weil sie auf diesem Gebiet ohnehin nicht mit den neuen Erfindungen konkurrieren kann. Auch deshalb geraten, ob nun in der Romantik oder im Impressionismus, „Unschärfen“ in die Bilder, die nicht immer leicht zu deuten sind. Beim Expressionisten Schmidt-Rottluff nimmt der Mond beispielsweise blaue Farbe an. Für die Surrealisten ist er sowieso in erster Linie ein bleicher Traumbringer.

Ein zweiter Hauptstrang der Ausstellung verfolgt die technischen Entwicklungen der Mondbeobachtung und Mondbeschreibung (Kartographie usw.), vor denen die Malerei also die Flucht ergriff – bis in flirrende Bezirke, wo sie ungeahnt neues Terrain eroberte und der Technik wiederum weit voraus zu sein schien. Das Spektrum der sachkundlichen Exponate reicht von Beobachtungs-Instrumenten über alte, oft schon erstaunlich exakte Mondkarten bis hin zu Fotos der Apollo-Missionen. Diese wiederum werden auch schon mal künstlerisch verfremdet, um sie wieder ins Bewusstsein zu heben.

Vollends verblüffend ist ein aufwändig gemaltes Diorama, das 1919 entstand und dem Betrachter breitwandig das grandiose Gefühl vermitteln sollte, just auf dem Monde zu stehen. Freilich waren diese Mondgebirge aufgrund falscher theoretischer Annahmen gar zu wild und steil gezackt – und es soll hier sogar ein Abbild der Zugspitze den Weg ins Weltall gefunden haben. Also spukte auch hier die Phantasie mit hinein. Ein Grenzfall zwischen Wissenschaft, Kunst – und Jahrmarkt? Auch auf phantastisches Kino (z. B. die Weltraum-Odyssee des Stanley Kubrick) deutet das Diorama wohl schon voraus.

Bemerkenswert auch ein ziemlich verrücktes „Mondprojekt“ des deutschen Künstlers Adolf Luther, der in den 1970er Jahren mit Blick aufs Millennium, also auf das Jahr 2000, ein gigantisches Fest plante, bei dem die Rückseite des Mondes künstlich erstrahlen sollte, illuminiert durch gigantische Parabolspiegel im All. Zur Finanzierung dieser Vision sollte das Logo eines US-Konzerns kostenpflichtig auf den Trabanten projiziert werden, dem Jahrtausend-Ereignis sollte man sodann in eigens entworfener Mode beiwohnen. Aus all dem ist nichts geworden. Soll man’s bedauern?

„Der Mond“. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (Obenmarspforten / am Rathaus). Bis 16. August 2009. Geöffnet Di-Fr 10-18, Do 10-22, Sa/So 11-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 9,50 € (ermäßigt 6 €). Katalog 30 €. Internet: www.wallraf.museum

Thematische Ergänzung im laufenden „Jahr der Astronomie“: „Sternstunden – Wunder des Sonnensystems“. Gasometer Oberhausen, seit 2. April 2009 bis 10. Januar 2010. Di-So 10-18 Uhr. Eintritt 7 € (ermäßigt 5 €).

Bild: Edouard Manet „Mondschein über dem Hafen von Boulogne“ (Katalog)




Klee und Feininger: Stilles Leuchten

Es steht ja schon in der Bibel: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…“ Die ganze bildnerische Ideen- und Formenfülle liegt in jener Frühzeit bereit – und gleichzeitig liegen die Fertigkeiten noch brach.

Umso besser also, wenn begnadete Künstler irgendwann auf Kinder- und Kindheitsbilder zurückkommen, so auch Lyonel Feininger (1871-1956) und Paul Klee (1879-1940), die jetzt bei einer Doppelausstellung in Hamm ästhetische Dialoge auf höchstem Niveau führen.

Rund zehn Jahre haben sie parallel am berühmten Bauhaus in Weimar und hernach Dessau gewirkt – Feininger in erster Linie als technisch beschlagener Leiter der Druckwerkstätten, Klee vor allem als einfühlsam Lehrender. Nebenher schufen beide auch Spielzeug (Holzhäuser, Lokomotiven etc.) für den Nachwuchs.

In Bildern wie „Stadt mit Sonne“ (1921) hat sich der gebürtige US-Amerikaner Feininger, der damals schon reichlich Erfahrung mit Comic-Zeichnungen gesammelt hatte, ein kindlich anmutendes Raumschema anverwandelt, sprich: Die Dinge schweben neben- und übereinander, sie sind weder hierarchisch sortiert noch perspektivisch gestaffelt. Vor allem aber bringt Paul Klees oft so leichthändige, stille Freude an formalen Reduktionen Gegenstände zum innigen Erglühen – wie in unvordenklichen Kindertagen.

Ein Schwerpunkt der angenehm konzentrierten Ausstellung (insgesamt etwa 90 Exponate) sind Meeres- und Schiffsbilder. Feininger zog es häufig an die Ostsee , er begriff sich zeitweise gar als „Marinemaler“. Von duftiger, kühl umwehter Transparenz sind seine Segelschiff-Darstellungen. Der Künstler hat Anteile der einmal aufgetragenen Ölfarbe zuweilen wieder abgewaschen, so dass eine Art bleicher Schwerelosigkeit zurückbleibt. So vermag er es auch, Segelboote in Nebelschwaden als bloßen Hauch anzudeuten. Die Bildräume atmen oft ungeheure Weite. Es ist, als werde eine imaginäre Pforte in eine neue Dimension größter Ruhe aufgetan. Trotz kubistischer Aufsplitterung mancher Motive (speziell aus der Architektur) bleiben die kristallinen Gegenstände doch stets erkennbar.

Während Feininger ersichtlich auch etwas beflissen Akkurates hatte, kommt einem Paul Klees Vorgehensweise meist spielerischer vor, wie ein schöner, selbstvergessener Tanz von Kräften und Gegenkräften. Seine Bilder sind um einige Spuren anekdotischer, erzählerischer, sanft getragen von feinnervigem Humor – und letztlich vielleicht doch weniger „kontrolliert“ als Feiningers Schöpfungen.

Gewiss: Auch Klee ist mit Farbtheorien, mathematisch-musikalischen Rhythmuslehren und sonstigem Kunstwissen aus dem Baukasten der Historie genugsam gewappnet und gesättigt, doch verliert er sich „unterwegs“ im Schaffensprozess oft ins wundersam Beiläufige, bis hin zu dem Punkt, an dem es wohl gar keinen Vorbehalt oder Rückhalt mehr gibt.

Sie mögen einander geistig nah gewesen sein, doch der gegenseitige Einfluss war begrenzt. Feininger und Klee wussten je für sich, was sie wollten und konnten. Mit großer Wertschätzung nahmen sie die unvergleichliche Arbeit des jeweils Anderen wahr. Auch schenkten sie einander gelegentlich Bilder. Doch letztlich zog jeder seine ganz eigene Bahn.

„Lyonel Feininger – Paul Klee. Malerfreunde am Bauhaus“. Bis 24. Mai. Gustav-Lübcke-Museum. Hamm, Neue Bahnhofstraße 9. Geöffnet Di-Sa 11-18, So 10-18 Uhr. Katalog 19,90 €.