Norbert Tadeusz und der collagierende Blick

Dem Werk des gebürtigen Dortmunders Norbert Tadeusz (Jahrgang 1940) kann man sich von vielen Seiten her nähern. Wollte man den physischen Zugang betonen, so würde man sich wohl bevorzugt seinen Fleisch-Bildern widmen. Deren immer wieder obsessiv durchmessene Bandbreite reicht vom prall ausgekosteten Frauenakt bis zum tierischen Kadaver im Schlachthaus. Begehren und Blut. Vital und letal.

Doch es gibt nicht nur diese (bestürzend) sinnliche, sondern auch eine übersinnliche, traumverlorene Dimension dieses Schaffens, die sich geisterhaft in allgegenwärtigen Schatten zeigt. Diesen Aspekt fasst nun das Museum Bochum in den Blick.

Die gemeinsam mit der Düsseldorfer Galerie Gmyrek in relativ kurzer Frist zusammengestellte Auswahl erstreckt sich aufs erste und zweite Geschoss des Hauses. Besonders stolz ist Bochums Museumsdirektor Hans Günter Golinski darauf, dass er erstmals Tadeusz’ Collagen zeigen kann. Sie lassen ermessen, wie sehr auch bei den großformatigen Gemälden ein „collagierender Blick“ die Wirklichkeit abtastet, zerlegt und neu fügt.

Schatten verleihen den zuweilen drastischen, gar schockierenden Figuren (nackte Frauenleiber in Situationen der „Verfügbarkeit“ oder der embryonalen Schutzbedürftigkeit) etwas Doppelbödiges, Unwirkliches. Fleisch ist nicht nur Fleisch. Da fällt auch schon mal ein Schatten so unvermittelt, als wolle er den vergänglichen Körper skelettieren, ihm so seine Grenzen vorführen. Überhaupt werden Mühsal und Qual der Körperlichkeit sichtbar – eher, als dass seine (auch abgründigen) Freuden sich aufdrängten.

Schatten modellieren die Körper. Sie verleihen ihnen Plastizität, sie können aber auch verfremdend und verstörend wirken, schlimmstenfalls Angst auslösen. Norbert Tadeusz erklärt, dass ihn die „Schauseite“ seiner Aktmodelle (die diese ihm am liebsten präsentieren möchten) überhaupt nicht interessiere. Er wartet wohl auf den Moment, wo das Ganze umschlägt in etwas, das auch vergeistigt genannt werden kann. In solchem Sinne hat er auch eine Schwangere gemalt, die als Tänzerin zu einigen Verrenkungen im Dienste der Kunst bereit und damit „zuhanden“ war. Da mag nicht nur nützlich, sondern auch erregend gewesen sein. Doch es verweist auf etwas Jenseitiges. Mit Fenster- und Bilder-Rahmen sowie Leitern (u. a. in seinen Atelier-Ansichten) lässt der Künstler übrigens häufig die christliche Kreuzesform anklingen, ohne sie aufdringlich herbeizuzitieren oder gar zu exponieren.

Nun ließe sich gewiss eine generelle, weit ausschweifende Kunstgeschichte des Lichtflusses ebenso wie eine der Schatten-Malerei verfassen. Harte Schlagschatten etwa waren lange verpönt, dann wieder (z. B. nach Caravaggio) ein anderes Maß der Dinge. Bei Tadeusz sind Schatten tatsächlich eine Hauptsache. Sehr formbewusst baut er seine Bilder. Der Verlauf von schattigen Linien, Flächen und Feldern erzeugt allemal Irritation, lässt neue imaginäre Räume entstehen, in denen sich der irrende Blick des Betrachters erst einmal verfängt und nur halbwegs zurechtfindet.

Es ist, als werde da ein zweites Leben, eine geheime Parallelwelt bis an die Grenze der Sichtbarkeit gehoben. Gefährlich genug. Zuweilen verquicken sich die Schatten hier so körperlos, dass sie ein eigenes Schattenreich bilden. Ist dort die Dingwelt lebendiger als der Mensch?

Doch solche Zuschreibungen wären Tadeusz wahrscheinlich schon viel zu viel. „Ich male einfach“, sagt er. Darüber reden sollen andere. Oder auch schweigend schauen. Trotzdem kann der Beuys-Meisterschüler und spätere Akademielehrer Tadeusz – abseits der Deutung einzelner Bilder – auch ins beseelte oder betrübte Reden geraten. Von der bleibenden Hypothek des Weltkriegs, die (nicht nur) auf seiner Generation laste, aber leider aus dem allgemeinen Bewusstsein schwinde, ist dann sehr ernsthaft die Rede. Von politischen Enttäuschungen der letzten Jahre. Vom allfälligen Kleinbürgertum, das heute sämtliche anderen Schichten verdränge. Davon, dass die Ausübung der Kunst ihn leidlich ernährt, aber keinesfalls reich gemacht habe. Ein teures Atelier in Düsseldorf habe er einst aufgeben müssen…

Zurück zum vieldeutigen Schattenwurf. Bisweilen verbindet sich das Schattenhafte mit einem althergebrachten Motiv der bildenden Kunst: Maler und Modell. Verstörende Sicht von schräg oben: Da reckt sich der Schatten des Künstlers (der beispielsweise hoch auf einer Leiter steht) bedrohlich über die völlig entblößte, hilflos, ja geschunden wirkende Frau. Filmkenner werden hier vielleicht an Jacques Rivettes Meisterwerk „La belle noiseuse“ („Die schöne Querulantin“) denken, jenes ungemein intensive Wogen der Passion zwischen Maler (Michel Piccoli) und Modell (Emmanuelle Béart). Auch dabei war letztlich etwas Spirituelles und Sakrales im Spiel.

Schatten erwächst aus Licht. Tadeusz sucht immer wieder gern die besonderen Lichtverhältnisse Italiens auf. Noch dazu kann er dort sein profundes kunstgeschichtliches Wissen anhand der alten Meister mehren. Tadeusz erinnert sich: Bereits Plinius der Ältere (ca. 23-79 n. Chr.) habe sinngemäß geschrieben, die Malerei sei auch nicht mehr das, was sie einmal war. So uralt ist mithin das Nachsinnen über die Krise der Kunst – und so oft ist sie seither in strahlenden Augenblicken glückhaft überwunden worden.

„Schatten“ – Bilder von Norbert Tadeusz. Museum Bochum, Kortumstraße 145 in 44777 Bochum. Tel. 0234/910-4230. Bis 4. Oktober 2009, Di-So 10-17, Mi 10-20 Uhr. Katalog 20 €.




Komm nach Hagen…

„Komm nach Hagen, werde Popstar“, so hieß vor langer Zeit ein knackiger Song von „Extrabreit“ – und danach eine in Westfalen oft zitierte „Spiegel“-Schlagzeile Anfang 1982. Damals machte die „Neue Deutsche Welle“ (NDW) etlichen Wind – erstaunlicherweise vor allem von Hagen aus. Diese Geschichte darf nun auf gehörig gehobenem Niveau-Plateau ergänzt werden. Demnach könnte es jetzt heißen: „Komm nach Hagen, sei ein Kunstfreund.“ Oder bleibe es…

Am 28. und 29. August wird in der sonst meist nicht allzu aufregenden und schon gar nicht glamourösen Stadt ein „Kunstquartier“ eröffnet, das im Lande seinesgleichen sucht und zu einer Bastion der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 werden kann.

Neue Rangfolge im Land

Gewiss: Köln und Düsseldorf bleiben die vorherrschenden Metropolen der musealen Szene in NRW. Doch dann kämen schon Bonn, Münster, Duisburg – und künftig vielleicht Hagen. Dortmund wird sich höllisch anstrengen müssen, um mit seinem Ex-Brauereiturm „U“ (wo auch das bisherige Ostwall-Museum einzieht) wieder halbwegs zum südlichen Nachbarn aufzuschließen.

Das altehrwürdige Hagener Karl-Ernst-Osthaus-Museum (rühriger Direktor: Tayfun Belgin; Schwerpunkt: Expressionismus) ist gründlich restauriert und erweitert worden, u. a. um eine Kinder- und Jugend-Abteilung. Das allein wäre schon Anlass zur Freude. Doch es kommt endlich, endlich ein singulärer Anziehungspunkt hinzu, nämlich das neue Emil-Schumacher-Museum.

Im Nachhinein mutet es noch grotesker an, dass in der (allerdings hoch verschuldeten) Stadt derart viele – teilweise dumpfe – Vorbehalte gegen dieses Projekt hochgekocht sind. Solche Querelen sind hoffentlich für immer ausgestanden. Viel nachhaltiger kann man rund 26 Millionen Euro nämlich kaum anlegen. Die Investition wird sich für Hagen auch touristisch auszahlen. Fehlt freilich noch ein vernünftiger Ankaufsetat fürs Osthaus-Museum…

Einige Wochen vor der Eröffnung hatte ich jetzt Gelegenheit zum ausgiebigen Rundgang durch beide Häuser. Zwar steht und hängt noch nicht alles an seinem Platz, zwar arbeiten an allen Ecken noch Handwerker, doch kann man bereits sagen, dass hier Großes entstanden ist.

Im neuen Haupteingangs-Foyer wird man sich bald entscheiden dürfen, ob man sich nach rechts (Osthaus-Museum mit Alt- und Anbau) oder nach links (Schumacher-Museum) wendet. Fürwahr kein leichter Entschluss. Man sollte halt beides nicht versäumen und am besten wiederkommen. Die Kombikarte kostet übrigens moderate 6 Euro.

Die Bühne ist bereitet

Begeben wir uns zunächst nach links. Das imposante Treppenhaus lässt es schon ahnen: Hier wird dem weltberühmten Hagener Maler Emil Schumacher (1912-1999) eine Bühne bereitet, die wohl weltweit unvergleichlich ist. Vor allem der weitläufige Oberlicht-Saal, in dem Schumachers fulminante Großformate prangen, nimmt einem schier den Atem. Man sollte sich dieses Erlebnis am besten für zuletzt aufheben. Die Farbe – hier wird sie eruptives Ereignis! Da schwelgt man in ungeahnten Kräften von Rot, Gelb, Blau. Bilder wie „Palmarum“ und „Pinatubo“ wirken nahezu wie vulkanische Naturschöpfungen.

Bevor man diesen Gipfel erklimmt, ist man behutsam didaktisch zu Schumachers Werk-Essenzen hingeführt worden. Ganz unten ist sein Atelier weitgehend getreulich nachgebaut, dazu läuft ein Film, so dass man sich eine Vorstellung von seiner zuweilen heftigen gestischen Arbeitsweise machen kann. Gelegentlich wurde gar die schiere Wut produktiv. Zutiefst unzufrieden mit einem Bild, ist Emil Schumacher der Leinwand zornig mit dem Hammer zuleibe gegangen – und siehe da: Die Einschläge bildeten ganz eigentümliche Formen, aus denen sich etwas gewinnen ließ. Eine ganze Reihe von „Hammerbildern“ folgte…

Alexander Klar, wissenschaftlicher Leiter des Schumacher-Museums, will den Besuchern die „Angst“ vor abstrakter Kunst nehmen. Abstraktion und Figürlichkeit seien bei Schumacher beileibe kein Widerspruch, sondern zwei Aspekte derselben Ur-Sache. Eins greift ins andere über, es wogt aus gleichem Antrieb hin und her. Man kennt das auch von anderen großen Künstlern, von Picasso bis hin zu Gerhard Richter.

Es lässt sich anschaulich verfolgen, wie bestimmte Motive bei Schumacher (Brückenbögen, Vogelschwärme, Pferde) hernach in vermeintlich abstrakten Fügungen wiederkehren. Die subtile Hängung ermöglicht immer wieder Zwiesprachen der Bilder über Blickachsen hinweg. Man kann auch weniger bekannte Serien entdecken, wie etwa die Moscheen-Bilder, die Schumacher 1988 im Irak mit genialischem Strich „hingeworfen“ hatte. Die meditativen Umrisse wirken wie eine letzte Zuflucht vor all dem drohenden Kriegsgetöse.

Das neue Haus, das von der Emil-Schumacher-Stiftung getragen wird, schmiegt sich ans Osthaus-Museum und wirkt doch als sichtbar eigenständiger, gläsern transparenter Baukörper. Gründungsdirektor ist Emil Schumachers Sohn: Ulrich Schumacher war von 1976 bis 2002 Museumschef in Bottrop. Keiner kennt das Werk Emil Schumachers mitsamt den lebensweltlichen Hintergründen so gut wie er.

Das Ausstellungsprogramm wird sich künftig natürlich in erster Linie um Emil Schumachers reichhaltiges Schaffen ranken. Bereits der eigene Fundus reicht für viele, immer wieder neue Perspektiven aufs Werk. Doch auch Querverweise auf andere, womöglich in irgendeiner Art „verwandte“ – oder aufschlussreich gegenläufige – Künstler sind eine Aufgabe schon für die nähere Zukunft. Ab Mai 2010 werden beispielsweise Bilder von Albert Oehlen zu sehen sein.

Geist des Ortes

Spezieller Vorzug in Hagen: Hier waltete seit Karl Ernst Osthaus’ Zeiten ein zuweilen recht reger künstlerischer Geist des Ortes, der freilich immer wieder von kulturfernen und sogar kulturfeindlichen Strömungen konterkariert wurde. Jedenfalls werden hier nicht einfach beliebige Künstler und ihre Werke präsentiert, sondern vor allem auch solche, die mit und in der Stadt innig zu schaffen hatten.

Der große Anreger und Mäzen Osthaus hatte sich hier niedergelassen und 1902 das Folkwang Museum gegründet, mit dem die Stadt vorübergehend ein Zentrum der Moderne wurde. Doch die Hagener ließen die bedeutenden Sammlungen ziehen. Nach Osthaus’ Tod (1921) verkauften dessen Erben die Kunstschätze eilig an die Stadt Essen, wo höhere Erlöse lockten. Ein unwiederbringlicher Verlust, der bis heute schmerzt. Und doch: Vielleicht hat die einstige Präsenz der Kunst ja insgeheim doch nachgewirkt?

Bevor wir gar zu esoterisch spekulieren, fahren wir fort und stellen nüchtern fest: Der gebürtige Hagener Emil Schumacher lebte und wirkte zeitlebens von hier aus – und hier schrieb ein weiterer großer Sohn der Stadt, ein Lyriker von hohem Rang: Ernst Meister (1911-1979), der auch sehr respektabel gemalt und gezeichnet hat (davon soll es nun regelmäßig Proben im Osthaus-Museum geben).

Eine von Birgit Schulte betreute Osthaus-Sonderausstellung ist jetzt zudem Christian Rohlfs gewidmet, der gleichfalls in Hagen gearbeitet hat und 1938 hier gestorben ist. Eine umfangreiche Schenkung hat die ohnehin schon beachtlichen Hagener Rohlfs-Bestände in jüngster Zeit auf über 500 Arbeiten anwachsen lassen.

Als wäre all das noch nicht genug an Ortsbezügen, hat eine Gegenwarts-Künstlerin das Haus zur hauptsächlichen Wirkungsstätte erkoren: Die 1943 geborene Sigrid Sigurdsson erweitert hier stetig und unermüdlich ihr ungemein vielfältiges Archiv unter dem Titel „Vor der Stille – Ein kollektives Gedächtnis“. Das eigentümliche Amalgam aus zeitgeschichtlichen und persönlichen Erinnerungs-Stücken füllt – in Folianten und Schaukästen dargeboten – einen großen, würdevoll dunklen Saal des Museums. Last und Ernst des Erinnerns scheinen zu überwiegen, doch wer Zeit mitbringt und sich ins Einzelne versenkt, wird auch ganz andere Facetten ans Licht holen.

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INFOS:

Adresse des Kunstquartiers: Museumsplatz 1 (für Navigationsgeräte die frühere Anschrift: Hochstraße 73) in 58095 Hagen. Für auswärtige Besucher der Stadt empfiehlt sich außerdem das Jugendstil-Ensemble Hohenhof (Stirnband 10, 58093 Hagen).

INTERNET

Ausführliche Informationen über Eröffnung, Anfahrt, Preise, Ausstellungsvorhaben etc. auf folgenden Internet-Seiten:

http://www.osthausmuseum.de

http://www.kunstquartier-hagen.de

http://www.esmh.de

Foto (Bernd Berke): Ulrich Schumacher vor einem Bild seines Vaters Emil Schumacher




Wer ohne Sünde ist…

Die meisten Kunstausstellungen vergleichen in erster Linie Bild mit Bild, ja sozusagen Pinselstrich mit Pinselstrich. Einige aber setzen ausdrücklich Bild und Wirklichkeit miteinander in Beziehung. Zu dieser anregenden Sorte gehört jetzt auch „Freiheit – Macht – Pracht“ im Wuppertaler Von der Heydt-Museum.

Hier wird niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts („Goldenes Zeitalter“) vornehmlich als Ausdruck der damaligen Politik, Wirtschaft, Religion und Gesellschaft verstanden. Daraus ergeben sich vielfach erhellende Ansichten.

Katalog und/oder Führung sind diesmal besonders ratsam: Denn erst wenn man die Hintergründe kennt, sieht man die Bilder mit anderen Augen. Bei all dem sollte man jedoch ihre Eigenständigkeit, ihren Eigen-Sinn zu schätzen wissen. Übers Dokumentarische hinaus bergen sie ja einen gehörigen künstlerischen „Überschuss“.

Die konfliktreiche Spaltung in nördliche (dauerhaft protestantische) und südliche (katholische) Niederlande (*** siehe Fußnote) ist eine Grundtatsache, die selbstverständlich auch die Künste geprägt und in verschiedene Richtungen gedrängt hat. Beispielsweise dieser direkte Kontrast in Wuppertal: Zwei Darstellungen andächtiger Frauen machen den Unterschied sinnfällig. Ein Gemälde aus dem Süden (Jacob van Oost d. Ä.) zeigt eine Betende vor dem Kruzifix (also vor einem gemachten Bildnis), im Norden (Cornelis Bisschop) ist die alte Dame hingegen völlig in sich gekehrt. Sie hat sich von allen äußeren Bildern abgewandt. Arg zugespitzt gesagt: Katholiken neigten zu schwelgend barocker, gern auch dramatisierter Bildlichkeit, Protestanten hielten es eher mit dem Wort.

Schon aus den bloßen Bildthemen lässt sich ersehen, womit im 17. Jahrhundert besonders profitabel gewirtschaftet wurde. In den Niederlanden waren dies vor allem Schiffbau, Fischfang sowie lukrativer Fernhandel und – daraus erwachsend – ein aufblühendes Finanzwesen. Hatte man zuvor etwa Händler mit Waagen und Bargeld gezeigt, so sind jetzt auch schon mal (vergleichsweise abstrakte) Wechsel oder sonstige Wertpapiere auf Bildern zu sehen.

Auch Tulpen-Zwiebeln wurden als Luxusgut kunstwürdig, die Spekulationen und der plötzliche Wertverfall lösten seinerzeit die Mutter aller Börsenkrisen aus. Basierend auf wirtschaftlichen Erfolgen, entfaltete sich gleichwohl ein neues Nationalgefühl. Dieses wiederum wird sichtbar in der weitgehend naturgetreuen Darstellung heimischer Gegenden. Vormals hatte man sich vor allem an italienischen Ideallandschaften orientiert.

Selbst mythologische Themen haben zuweilen ganz handfeste aktuelle Hintergründe. So reihen sich auf dem Bild „Neptun mit den Gaben des Meeres“ (um 1650/55, gemalt von Erasmus Quellinus II und Peter Boel) die reichlichen Früchte und Schätze aus dem Wasser als üppige Girlande aneinander. Dennoch schaut der Meeresgott missmutig und bedrückt drein. Warum? Weil just zu jener Zeit eine kriegerische Seeblockade den Genuss des maritimen Reichtums schmälerte. Die Klage über diese Blockade ist mithin das eigentliche Thema des Bildes. Und wenn Arent de Gelder um 1684 die im Exil lebende Jüdin Esther malt, die sich im Perserreich entschlossen für ihr Volk eingesetzt hat, so ist insgeheim (für den kundigen, gebildeten Zeitgenossen freilich überdeutlich) gemeint, auch der Protestant möge im Konflikt mit Katholiken standhaft bleiben.

Portraits entstehen gleichfalls nicht von ungefähr, sondern auftragsgemäß mit mehr oder minder verhüllten Absichten. Es geht vornehmlich um Repräsentanz, um Machtansprüche. So ließen sich damals zu Wohlstand gelange Bürger ganzfigurig malen – ein Zeichen der Dominanz, wie es bis dahin nur dem Adel zukam.

Pralle Genreszenen und Typenparodien aus dem bäuerlichen Leben (Suff, Spielsucht und Faulheit als Dauervorwürfe), aus Wirtshäusern und Bordellen dienen einerseits der ergötzlichen Unterhaltung, andererseits erheben sich die betrachtenden Bürger über solche moralischen Abgründe. Mögliches (bigottes) Motto der Distanzierung: „Gut dass w i r nicht so sündhaft sind.“ Flankierend finden sich Bilder wie Joost Cornelisz Droochsloots „Das Armenhaus in Utrecht“ (1654), die gleichsam das Loblied der bescheidenen, anständigen Armut anstimmen. Mittellosigkeit, so die protestantische Auffassung der Zeit, war keine Schande, sie war nämlich göttlich vorherbestimmt (prädestiniert). Man musste sie daher demütig annehmen und sollte nicht aufbegehren. Einmal darf man raten, wessen Interesse ein solcher Armutsbegriff entgegenkam.

Die historische Entwicklung der Liebesbeziehungen ist ein Kapitel für sich. Ehedem gab es das Konzept der „Romantischen Liebe“ noch nicht, es herrschte bei Eheschließungen dynastisch oder wirtschaftlich motivierter Pragmatismus. Auf Thomas de Keysers Gemälde „Bildnis einer holländischen Familie“ (um 1624) hält indes der betuchte Gatte zärtlich die Hand seiner Frau, die Kinder gruppieren sich dekorativ um das Paar – ein frühes Anzeichen fürs Aufkommen der später vorherrschenden Kleinfamilie.

Man ahnt: Das Sein bestimmte das Bewusstsein, auch im Maleratelier. Die Wuppertaler Schau erschöpft sich allerdings keineswegs in der Illustration materieller Bedingungen. Es sind grandiose Meisterstücke zu sehen – von Peter Paul Rubens bis van Dyck, von Ruysdael bis Jan Brueghel, Pieter de Hooch bis Jacob Jordaens und Gerard ter Borch bis Jan Steen.

Stupend die handwerklich großartige Feinmalerei des Trompe-l’oeil („Augentäuschung“), die ihre Gipfelpunkte im Stilleben erreicht und vom gewachsenen Selbstbewusstsein der Künstler sowie (indirekt) von einem kennerhaften Publikum zeugt, das derlei Finessen zu würdigen wusste. Früchte erscheinen da so überaus lebensecht gemalt, dass man schier hineinbeißen möchte, gemaltes Papier scheint leise zu rascheln. Die dargestellten Dinge bedeuten längst nicht nur sich selbst, sondern weisen über sich hinaus. Oft genug sind es Sinnbilder der Vergänglichkeit alles Irdischen.

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Daten/Fakten:

„Freiheit Macht Pracht – Niederländische Kunst im 17. Jahrhundert“. Noch bis zum 23. August im Von der Heydt-Museum, 42103 Wuppertal, Turmhof 8. Geöffnet Di bis So 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr. Führungen Sa 15 / So 12.30 und 15 Uhr, Themenführungen Do 18 Uhr (Info/Anmeldung 0202/563-6231). Katalog 25 €. Internet:

http://www.von-der-heydt-museum.de

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*** Ausführliche Darstellung der historischen Voraussetzungen im Ausstellungskatalog, z. B. ab Seite 77: Der südliche Teil des Landes (heute Belgien) blieb nach dem Aufstand gegen den spanische Herrschaft („Achtzigjähriger Krieg“) unter spanischer Verwaltung, der Norden (heutige Niederlande) wurde zur Republik.

Die zehn Provinzen des Südens („Union von Arras“) waren durch spanischen Einfluss überwiegend katholisch geprägt, die sieben Provinzen des Nordens („Union von Utrecht“, heutige Niederlande mit der Provinz Holland, 1648 im Westfälischen Frieden zu Münster als Staat anerkannt) bekannten sich zum Protestantismus.




Gisbert zu Knyphausen: Gehen, gehen, gehen

Ach, ach, ach. Die Platte, die ich hier nachdrücklich empfehlen möchte, ist schon im April 2008 erschienen und mir erst jetzt aufgefallen. Eine kleine Ewigkeit im hechelnden Pop-Business. Ja, darf man’s denn wagen und darüber noch schreiben?

Nun, ich bin keiner zeilengeilen PR-Abteilung der Plattenbranche verpflichtet (es stört mich schon, dass diese Fuzzis einen immerzu ungefragt duzen), sondern habe mir die CD neulich selbst gekauft. Niemand drängt mich, diese Rezension zu verfassen. Doch hindert mich auch keiner.

Vor einiger Zeit hat Ingo Juknat, wenn ich mich recht entsinne, in diesem Blog (Westropolis) die deutsche Rock-Szene gescholten. Er hat da sicherlich viel öfter und weitaus aktueller ’reingehört als ich (auch eine Altersfrage). Und es stimmt ja: Glamour und Charisma sind in unseren Breiten kaum zu Hause. Es gibt es aber einige rühmliche Ausnahmen, was die musikalische und textliche Qualität betrifft. Manche werden vielleicht Blumfeld, Tomte und Kettcar nennen. In Ordnung.

Zu meinen heimischen Favoriten der letzten zehn bis fünfzehn Jahre zählen beispielsweise: Element of Crime, Tocotronic, die Frauenband Britta um Christiane Rösinger, Erdmöbel – und Funny van Dannen. Jeweils ganz eigene „Hausnummern“ und Kategorien. Darauf kommt’s ja schließlich auch an: auf unbeirrbare Eigenart.

Zu solchen Original-Könnern gesellt sich also neuerdings der aus dem hessischen Rheingau stammende, heute in Hamburg lebende Mann mit dem nicht gerade rockigen Namen Gisbert zu Knyphausen, dessen ursprüngliches Adelsprädikat noch um einiges länger sein soll. Egal. Er ist jedenfalls ein Singer-Songwriter (vulgo: Liedermacher) von einigen Graden und Gnaden, mit gut und gern ausgelebter Neigung zum Indie-Rock. Insgesamt eher eingängig als sperrig. Doch genauer hinhören muss man schon, es fließt nicht einfach so daher.

Sein erstes Album heißt ebenso wie der Urheber und ist gleich famos geraten. Ja, es dürfte auf diesem Felde hierzulande schwerlich übertroffen werden. Zwar lassen sich einzelne Titel durchaus ausgekoppelt hören, jeder beweist Charakter für sich. Doch zeigt sich hier wieder einmal die Stärke eines gereiften Albumkonzeptes (das ja leider längst von diffusen Einzeldateien abgelöst worden ist): Bei Knyphausen gibt es noch eine Dramaturgie des An- und Abschwellens, der sinnreichen Abfolge.

Die Texte gehören wohl zum Besten, was derzeit auf dem Pop-Sektor in deutscher Sprache vorgetragen wird. Die Worte setzen sich zwar zuweilen nonchalant und rauh-charmant über das Reim- und Rhythmus-Schema hinweg, sie trudeln aber nahezu unfehlbar in poetische Bezirke. Fast absichtslos manchmal, in den allerschönsten Momenten. So ehrlich und authentisch klingt das, dass man fast schon wieder geneigt ist, es für Pose zu halten. Aber das wäre nun wirklich eine Hirnschraubenwindung zu weit gegrübelt.

Das Spektrum reicht vom sanfteren Gitarrenlied beinahe à la Hannes Wader (erinnert Knyphausen nicht auch vom Habitus her ein wenig an diesen Altvorderen?) über geerdeten Blues bis zum strubbligen Geradeaus-Rock, der freilich auch seine Finessen hat. Auf Videos im Netz kann man es sehen: Die Band wirkt so, als seien diese Typen direkt aus den frühen 70er Jahren zu uns gekommen. Doch gestrig sind sie beileibe nicht.

Gisbert zu Knyphausen balanciert wie auf schmaler Kante. So manche Verwundungen, Melancholie und Depression auf der einen Seite, plötzlich unversehens wieder erwachende, wilde und unbekümmerte Lebenslust auf der anderen. Auf einmal doch wieder unterwegs zum unversehenen, ungeahnten Glück: Komm ins Offene!

Aus dieser Gefühls- und Gemengelage unsinnigen Unglücks und unfassbaren Glücks beziehen nicht nur die Texte ihre Impulse, auch die Musik holt daraus ihre Energie. Stichwort-Beispiele: Das Lied „Spieglein Spieglein“ ist eine harsche Absage an alle unnötige (Selbst)-Quälerei, auch in „Der Blick aus deinen Augen“ ist der schöne Schwebezustand nach allzu mühsamer Sinnsuche nahezu erreicht. Die „Kleine Ballade“ scheint sich federleicht über erlittene Mühsal erheben zu wollen. „Sommertag“ begräbt furios all den lang gehegten Pessimismus, der nun endlich in Scherben liege. Da möchte man tatsächlich sogleich aufbrechen und gehen, gehen, gehen (was ja ohnehin ein Grundantrieb hörenswerter Rockmusik ist). Und weiter, weiter bis zu den beiden abschließenden Stücken „So seltsam durch die Nacht“ und „Verschwende deine Zeit“. Songs, die man wieder und wieder hören möchte.

Da geht es – aus persönlich getönter Sicht – fast immer auch ums Ganze, ums Leben, wie man es schlecht und recht oder ein kleines bisschen besser lebt. Manchmal ergeht sich Gisbert zu Knyphausen in kämpferischer Metaphorik und nennt sich an einer Stelle sogar „kriegsgeil“. Etwa in diesem Sinne: Erst aus Trümmern kann das Neue und Künftige entstehen. Nun ja. Dieses „Stirb und werde“ gibt es nicht erst seit Goethe. Und es wird auch so bald nicht aufhören.

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Die CD „Gisbert zu Knyphausen“ ist im April 2008 beim Label „PlayItAgainSam“ erschienen und kostet ca. 17 €.

Zwei Video-Links (Titel „Sommertag“ und „Neues Jahr“) zur Kostprobe:
http://www.youtube.com/watch?v=axWLddS4aUI
und

Die Bandbesetzung: Gisbert zu Knyphausen (Gitarre, Gesang), Gunnar Ennen (Keyboards), Jens Fricke (Gitarre), Sebastian Deufel (Schlagzeug), Frenzy Suhr (Bass).