Essener Philharmonie: Hoffnung auf Glücksgefühle

Als im Juni 2004 der alte Essener Saalbau, entkernt und als Philharmonie zu neuem Glanz gekommen, seine Pforten wieder öffnete, versprach Gründungsintendant Michael Kaufmann “reihenweise Glücksgefühle”. Da sollte der Zauber des Anfangs möglichst lange halten, doch der forsche, selbstbewusste, für die Musik brennende Kaufmann musste schon 2008 seinen Hut nehmen. Wegen Überziehung des Etats, wie es offiziell hieß.

Seitdem ist Johannes Bultmann der Chef des Hauses, in seiner Ruhe gediegen, wie ein emotionsloser Verwalter eines Kunstbetriebes wirkend. Gleichwohl verbirgt sich hinter dieser Zurücknahme unbedingtes Engagement. Mit Bultmann mag eine Art neue Sachlichkeit in die Philharmonie eingezogen sein, doch das Ziel, einem breiten Publikum vielfältige Klangwelten zu erschließen, ist ihm gewichtiges Anliegen.

Jetzt hat Bultmann das Programm der Saison 2011/12 vorgestellt – dabei mit den Worten Sensation oder Star äußerst sparsam umgehend. Überhaupt leitet er Konkretes vom Allgemeinen ab, spricht zunächst von der Motivation des Philharmonie-Teams, von einigen Grundprinzipien, was die Auswahl der Künstler angeht. Sätze wie “Wir legen Wert auf Qualität”, oder “Wir wollen Interpretation statt mechanisches Abspulen von Musik” klingen ein wenig nach Allgemeinplatz. Doch dann wendet sich der Analytiker unter den Intendanten dem Publikum zu, redet über Kommunikation, Dialog und Partizipation.

Hehre Worte, die indes in Verbindung mit konkreten Beispielen greifbare Bedeutung gewinnen. Da sei etwa die Residenz von Sol Gabetta genannt: Die argentinische Cellistin wird nicht nur vier Konzerte geben, sondern auch zwei Meisterklassen an der Essener Folkwang Universität. Oder nehmen wir den Neue-Musik-Schwerpunkt “Now!”, der die amerikanischen Minimalisten Steve Reich und John Adams, den Aleatoriker John Cage sowie Frank Zappa vorstellt. Hier soll das Publikum an einem Abend selbst zum Komponisten werden.

Bultmanns Anliegen ist, mit neuen Formaten den starren Konzertbetrieb ebenso aufzubrechen wie unsere Hörgewohnheiten. So wollen sich das Kuss Quartett und das Stadler Quartett auf einen Dialog einlassen, indem sie beide dieselben Werke (von Mozart und Beethoven) spielen und über ihre musikalischen Vorstellungen sprechen – ein Interpretationsvergleich auf offener Bühne.

Bald wird klar: Bultmann meint längst nicht mehr ausschließlich Kinder und Jugendliche, wenn er zum Thema Education spricht. Natürlich werde weiterhin mit Schülern gearbeitet. Doch ebenso gebe es eine Kooperation mit der Universität Duisburg/Essen. Und genauso intensiv will der Intendant den Blick auf die Erwachsenen richten. Mit Werkeinführungen, die die Interpreten selbst im großen Saal der Philharmonie anbieten, oder mit Künstlerbegegnungen.

Das summiert sich über die Saison auf etwa 110 Konzerte. Themenreihen widmen sich den Komponisten Franz Schubert und Gustav Mahler, dem Lied, der Alten Musik, dem hoffnungsvollen Interpreten-Nachwuchs. Den Knaller aber, um es ein wenig salopp auszudrücken, präsentiert Bultmann beinahe zuletzt: Zur Saison-Eröffnung am 6. September wird Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden Anton Bruckners monumentale 8. Sinfonie aufführen.

Der Dirigent ist nur ein Beispiel im Reigen bedeutender, ja berühmter Interpreten, deren Aufzählung hier Seiten füllen würde. Wir dürfen sie mit Spannung erwarten und hoffen, dass sich beim Hören auch das eine oder andere Glücksgefühl einstellt.

Detaillierte Einblicke ins neue Programm gibt es unter www.philharmonie-essen.de




Ceci n’est pas un texte.

Und diejenigen, die dachten, jetzt käm doch einer, muss ich enttäuschen. Ich schreib nämlich nur, um zu schreiben, dass ich nix schreibe – heute zumindest. Morgen hingegen mach ich einen Ausflug in eure Ecke, und von dem erzähl ich euch dann.

Da wir uns aber grad so nett unterhalten, fällt mir was Grundsätzliches zum Thema „wieso eigentlich NOCH ‘n Blog?” ein.

Immer & überall.

Schließlich geht die Zahl der Blogs seit Jahren zurück und noch immer übersteigt das Angebot die Nachfrage. Auch ich folge längst nicht allen, die mich interessieren, zumal ich dank dreier Zeitschriften-Abos auch noch monatlich Papier abzuarbeiten habe. Warum also ein Format reanimieren, wo doch auf Facebook alles schneller und unter viel mehr netten Leuten stattfindet?

Antwort: Weil alle Medien spezielle Eigenschaften haben und daher nicht besser und schlechter sondern anders sind.

Meine Lieblingseigenschaft der Blogs besteht in ihrem ausgewogenen Verhältnis von Verfall und Nachhaltigkeit. Einerseits wird der eben noch aktuelle Beitrag zügig genug vom nächsten ins Archiv gekickt, um eine gewisse Unbefangenheit zu ermuntern. Niemand braucht zu befürchten, ungebührlich lange für spontane Eingebungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Vielmehr kann man sich seelenruhig unter dem Einfluss irgendwelcher Affekte in leidenschaftliche Tiraden hineinsteigern, denn noch während der geistige Ausnahmezustand abklingt, wandert sein verbaler Fallout aus den Augen, aus dem Sinn.

Doch ungeachtet dieser beruhigend geringen Halbwertszeit bietet der Blog Platz zur einem angenehm temperierten Maß an Ausführlichkeit, irgendwo zwischen Tiefenschürf und 140 Zeichen. Insofern reicht die vom Informationsgehalt eines Blog-Eintrags geweckte Neugier, um das Opfer zu eigenen Recherchen zu motivieren, oder zumindest, um als „Schonmairgendwogehört“ wiedererkannt zu werden. Und daher behaupten sich Blogs im Mittelfeld zwischen Print und Facebook: Anders als Gedrucktes erlauben sie zeitnahe Reaktionen, aber auch wieder nicht so zeitnah, dass sie – wie auf Fb – binnen Stunden jenseits des Scroll-Horizonts verschwunden sind.

So, die Botschaft dürfte klar sein: Blogs sind a) untot und b) ist das gut so.

Warum aber noch einen, wo ich doch grad selbst zugegeben habe, dass es mehr lesenswerte als lesbare gibt?

Face a Blog each day.

Das lässt sich mit Hilfe einer anderen Antiquität, dem Fernsehen, erläutern:

In der Prä-Privat-Periode – unplugged und ganz mit ohne Schüssel – speiste sich Fernsehen aus drei bis vier Kanälen, aufgelockert von Testbild und Sendeschluss. Damals gab es QuerulantInnen, die keine der verfügbaren Sendeanstalten so richtig in Freudentaumel versetzte und die daher ständig über das Medium an sich jammerten. Fernsehen schien irgendwie grundsätzlich böse. So wie Cola und Autos und generell der überwiegende Teil der ZeitgenossInnen. Daher hab ich kurz vor Ausbruch des Privatfernsehens aufgehört, dem bösen Treiben zuzuschauen.

Einen Fernseher besitze ich nach wie vor nicht, habe mich aber inzwischen über das Angebot informiert und festgestellt: Ob drei oder dreihundert Programme – das alleinseligmachende ist noch immer nicht dabei.

Kann auch nicht, muss auch nicht.

Selbstverständlich gibt es ungeheuer viele ungeheuer gute Sendungen, nur leider verteilen die sich über ungeheuer viele Sender.

Und damit zurück zum Thema, denn gleiches gilt für das Online-Angebot. Und angesichts der ungeheuer individuellen Vorlieben der ungeheuer vielen AbnehmerInnen halte ich neue Seiten für ungeheuer begrüßenswert.

Und deswegen noch ein Blog. Noch immer nicht alleinseligmachend – aber wir arbeiten dran.