Der Tod des Margarine-Mädchens

Seit kurzem ist sie nicht mehr da. Sie hat uns wohl für immer verlassen;  eine Gestalt, die das deutsche Alltagsleben durch viele Jahrzehnte recht unscheinbar, doch stetig begleitet hat: das „Rama-Mädchen“.

Auf Schachteln, Bechern und Einwickelfolien war sie (in einer zunehmend stilisierten Tracht) all die Jahre treulich und sittsam zugegen. Ihr Erscheinungsbild hatte sich mit der Zeit gewandelt, aber man hat sie immer gleich wiedererkannt.

Doch die Hersteller der Margarine (Konzern Unilever) haben sich nun mal entschieden, der Marke ein völlig anderes Design beizumessen. Dafür haben sie ihre „Ikone“ geopfert, die – wie man nun gleichsam posthum erfährt – sogar einen Namen hatte, nämlich Jule. So hat das Seufzen der Nostalgiker wenigstens eine benennbare Adressatin: „Ach, Jule, kehr zurück!“ Doch solches Flehen wird wahrscheinlich nicht erhört.

Und jetzt? Jetzt prangen auf den Packungen nur noch vier halbwegs liebliche Blümchen, die den Urhebern zufolge allen Ernstes für die Mitglieder einer „typischen“ (?), sicherlich ebenso konsumfreudigen wie klimagerechten, nachhaltig naturnahen, vierköpfigen Kleinfamilie stehen sollen. Man könnte jetzt weit ausholen, um hier eine herzlich unverbindliche, völlig austauschbare „grüne“ Fühl- und Denkungsart (oder einfach: Attitüde) als Nährboden auszumachen. Wie wir zur Genüge wissen, befinden wir uns damit in der gar nicht mehr so neuen „Mitte“, im durchaus mehrheitsfähigen Bereich, der bis weit ins ehedem bürgerliche Lager reicht. Lassen wir das.

Warum aber hat man sich von einer derart eingeführten, nachgerade legendären Figur getrennt? Wie eine Diskussion auf der Internet-Seite „Designtagebuch“ (dort gibt’s bildliche Vorher-Nachher-Darstellungen) ahnen lässt, kritisieren auch etliche Leute vom Fach diesen Schritt weg von der Tradition. Man gebe ein „Alleinstellungsmerkmal im Kühlregal“ auf, heißt es beispielsweise. Einer vermutet gar, der Abschied sei vielleicht auf „political correctness“ zurückzuführen: Frauen sollten halt nicht mehr in bildlichen Zusammenhang mit Nahrungsmittelzubereitung gebracht werden…

Gerade Zeitschriften mit ländlicher Thematik heben derzeit in ungeahnte Auflagenhöhen ab. Vor diesem Hintergrund gibt man eine weibliche Figur auf, die idealtypisch fürs gesunde Landleben gestanden hat? Unerfindlich. Und das alles für eine dürre, laue, beinahe an die putzigen „Prilblumen“ der 1970er Jahre erinnernde Schöpfung. Es sind, wie einer in der besagten Debatte bebend bemerkt, eigentlich just die Blumen auf dem Grab des Rama-Mädchens. Wer jetzt nicht ein Tränchen verdrückt, muss wohl von sehr roher Wesensart sein.




Gnadenlose Zuversicht

Auf der "Art Cologne": Martin Städeli "doDo, Condoodnoc" (2010).

Martin Städeli "doDo, Condoodnoc" (2010).

Mir scheint, als ob ich über Kunstmessen fast häufiger schreibe als über Ausstellungen – im vorliegenden Fall ist es die Art Cologne. Und da mich weder Kauf- noch Verkaufsabsichten treiben, konsumiere ich sie aus purer Genusssucht. Schließlich kann ich davon ausgehen, dass ich auf Messen mit all den anstrengenden Begleiterscheinungen themengebundener  Ausstellungen verschont werde: Keine Wandtexte, keine Vitrinen voll Dokumente, keine wortgewaltigen Videos, keine performativen Belastungsproben.

Zwar wissen wir, dass Kunst mehr ist als das, was an eine Wand oder auf einen Sockel passt, unter Messebedingungen aber beschränkt sie sich eben doch auf eben diese verkaufsfördernden Formate. Wie erholsam.

Warum begebe ich mich in die Niederungen einer Verkaufsfläche, statt mich inmitten der wissenschaftlich begleiteten Konsumzurückhaltung einer kuratierten Ausstellung dem interesselosen Wohlgefallen hinzugeben? Weil sich die hier suggerierte Entweder-Oder-Frage nicht stellt, denn Messen einerseits und Galerien, Ausstellungen oder Museen andererseits sind nicht zu vergleichen.

Der Unterschied besteht im Motiv: Eine Ausstellung verfolgt alle möglichen Absichten (Erörterung einer übergreifenden Frage, Überblick über eine Zeit, einen Raum oder das Werk einer Person oder Personengruppe usw.), eine Messe hingegen eine: Umsatz.

Und um diesen zu gewährleisten, müssen sich die Werke unter anderen als den Bedingungen einer Ausstellung bewähren. Eine Messepräsentation ist Ergebnis natürlicher Auslese: Nur was sich gegen die erbarmungslose Konkurrenz anderer oder ähnlicher Objekte durchzusetzen verspricht, wird knapp bemessener Platz während knapp bemessener Zeit zugewiesen. Denn während die BesucherInnen von Ausstellungen absichtlich und entsprechend motiviert erscheinen, um sich innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens auf angemessener Fläche mit dem Ganzen und seinen Teilen zu beschäftigen, bleibt der zum Verkauf vorgesehenen Kunst angesichts des gesamten Angebots wenig Zeit und wenig Fläche, um auch das Interesse der Laufkundschaft zu wecken.

Das Wissen um diese Bedingungen erhöht zumindest meine Aufmerksamkeit, weil sich bei jedem Exponat die „Warum-ausgerechnet-das?“-Frage stellt.

In einer idealen Welt befindet sich der Stand bereits nach der Preview am Abend vor der offiziellen Eröffnung im Post-Heuschrecken-Zustand, und wird während der Restlaufzeit aus den mitgeführten Beständen neu befüllt.

In der uns vorliegenden hingegen wird der Geschäftsverlauf von den Verantwortlichen gern so beschrieben: „Wir sind sehr zufrieden. Wir konnten mit außergewöhnlichen Spitzenpositionen überzeugen, unsere SammlerInnen sind äußerst engagiert und wir haben zahlreiche Gespräche im Vorfeld späterer Kaufentscheidungen geführt.“

Dies oder ähnliches erklingt, wo immer Mikrofone und Kameras das Interesse der Weltöffentlichkeit verheißen.

Selten wird der Imperativ „du sollst positiv sein“ so gewissenhaft eingehalten wie auf Messen. Denn während in der heimischen Galerie anhaltender Erfolg nur gegenüber KundInnen behauptet zu werden braucht, befindet man sich hier in einer temporären Wohngemeinschaft mit ausgerechnet denjenigen, mit denen einen gerade mal die gemeinsame Abneigung gegen die anderen verbindet. Und da gilt es, pausen- und gnadenlos Zuversicht versprühen, beruht doch der Kunstmarkt auf der Fähigkeit, potentielle KundInnen von der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Bedeutung der KünstlerInnen zu überzeugen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Regel: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.

Folglich werden vorsichtig Anerkennung äußernde BesucherInnen durch leidenschaftliche Zustimmung ermuntert, wobei eine gewisse professionelle Reserviertheit gewahrt wird. After all sind wir hier in Germany, you know? Anderswo sieht man ekstatische Beifallsbekundungen, begleitet von expressiver Körpersprache entspannter.

Angesichts all der gleichen Bedingungen möcht man schon gern ein bisschen gleicher sein und sich innerhalb all der sich Profilierenden profilieren. Andererseits will niemand als Klassenclown durch schrille Exponate auffallen – zumindest nicht nur. Die Mischkalkulation, die schon die Auswahl der präsentierten KünstlerInnen bestimmt (ein Drittel Emerging, ein Drittel Mid-Career, ein Drittel Retrospektive) bestimmt auch das Verhältnis leiser und lauter Arbeiten. So hat es sich bewährt, zumindest einen Blickfang entweder außen (zieht Leute an) oder innen (zieht Leute rein) zu platzieren. Nur haben Blickfänge zuweilen versicherungstechnisch prekäre Formate, die schnell mal versunken vor sich hin textende Walkmen aufspießen oder flach legen.

Was tun? Das Versicherungswesen unserer leiblichen Degeneration angleichen. Denn, mit Verlaub, wir sind schon ein bisschen körperbehindert, seit unser Kopf zum ergonomisch geformten Adapter für allerlei Schnittstellen gediehen ist. Das Sichtfeld ist auf den Radius diverser Displays geschrumpft, die Ohren werden chronisch von Stöpseln oder Telefonen belagert und der Sprachapparat verdichtet die komplexesten Zusammenhänge auf 140 Zeichen.  Mit Bohnen in den Ohren, Tomaten auf den Augen und Textbausteinen im Mund torkeln wir dann durch Versuchsanordnungen, die eigentlich die Körperbeherrschung unserer Säbelzahntiger-affinen AhnInnen erfordern, und fallen hinein.

Soviel zu den Gefahren der Messekojen für EndabnehmerInnen. Aber auch die Insassen leiden – nicht, weil sie eine knappe Woche im Scheinwerferlicht und airkonditioniert ihr erfolgsverwöhntes Dasein fristen, sondern weil die äußere Anmutung einer Messekoje eine fundamentale Kränkung jeder ästhetisch empfindsamen Seele bedeutet. Denn das Interieur einer Koje legt in bewährt post-strukturalistischer Manier sämtliche Mechanismen offen. Das mitunter abrupte Zusammentreffen der Wandteile wird weniger kaschiert als thematisiert, und auch die Mysterien der Stromversorgung finden – nein, nicht im Hauptbahnhof, aber vor aller Augen – statt. Auch das schickeste Mobiliar und andere Strategien, die Tatsache der Unterbringung in einem Container vergessen zu lassen, stoßen rasch an ihre Grenzen. Insofern gilt auch auf der prestigeträchtigsten Messe: Zuhause ist es doch am schönsten, und angesichts des eingangs erwähnten, signalisierten Interesses findet der endgültige Geschäftsabschluss dann wohl doch in der heimischen Galerie statt – im wahren Leben, nach Ende des falschen.