Lebenslust – im Krieg?

Krieg – die Hölle auf Erden? Trotzdem verpflichten sich Jahr für Jahr junge Menschen weltweit als Soldaten. In „Embedded – ein Jahr Afghanistan“ forscht Regisseur Jonas Fischer auf der stimmungsvollen Unterbühne des Theater Dortmund ihren Motiven nach und stürzt die Zuschauer in den Ausnahmezustand.

Dunkelheit. Romantische Gitarrenmusik. Worte ausgerechnet aus der Feder Ernst Jüngers, der von dem Zerreißpunkt eines jeden Menschen raunt, vom Flüstern der Wildnis. Zwei Männer legen Kleidungsschicht für Kleidungsschicht wie eine Rüstung an, feierlich, bedeutungsschwer – der eine Journalist, der andere Soldat.

Zahlreiche Kriegsreportagen hat Regisseur Jonas Fischer ausgewertet und aus den Versatzstücken nun eine Meta-Realität gepuzzelt: Die eines Reporters (Ekkehard Freye), der ein Jahr lang amerikanische Soldaten (allesamt gespielt von Randolph Herbst) im brandgefährlichen afghanischen Korengal-Tal begleitet.

Frappantes Anti-Paradies

Gitarristen, Drogendealer, Boxer, Radaubrüder waren diese jungen Männer – jetzt sind sie perfekte Soldaten, die in dreckigen Hütten auf das nächste Feuergefecht warten. In kurzen Sequenzen beleuchtet Jonas Fischer ihren Alltag in diesem „frappanten Anti-Paradies, in dem es nichts zu tun gibt, außer zu töten und zu warten“: Die unerfüllten sexuellen Sehnsüchte, die stumpfsinnige Langeweile, Hoffen und Bangen angesichts des nächsten Angriffs.

Berstend vor gieriger Emotion stürzt Randolph Herbst sich in diese Szenen, mutiert zum tanzenden Partytier, schwitzenden Extremsportler oder Porno-König und lässt die Zuschauer in der Intimität der Unterbühne mitrasen, pulsieren, leben.

Darin liegt zugleich der Kern und die Crux der Inszenierung: Das Stück legt nahe, dass der ständige Existenzkampf, das Abenteuer, die klare Aufgabe und die untrennbare Gemeinschaft dem Leben im Krieg greifbaren Sinn schenken. Angst, Gefahr, Leid, Verlust, Schuld aber kommen nur in den sprachlich distinguierten Reflexionen des Journalisten oder Audio-Sequenzen von Gefechten vor – distanziert wie ein Live-Hörspiel. Kritik, die sich hinter den dumpfen Jünger-Zitaten und dem immer wieder eingespielten Medienstimmen verbergen könnte, bleibt unverbunden stehen. Ein Ungleichgewicht, das nicht aufgelöst wird und deshalb unentschieden wirkt.

„Es wäre sinnlos vorzugeben, dass Krieg nicht auch aufregend wäre“, sagt der Journalist. „Aber nur wenige wollen sich das eingestehen. Krieg muss schlimm sein.“

(Dieser Artikel ist aus der Westfälischen Rundschau).

Foto: Alexander Kerlin




Schumann-Abend in Essen: Ans Herz gedrückt, ans Herz gelegt

Zum gestrigen Schumann-Abend
des Pianisten András Schiff und seiner musikalisch kongenialen Freunde in der Philharmonie Essen

Wann hat man schon die ausgiebige Gelegenheit, an einem Abend nur Lieblingswerke zu hören? Wann schon die Gelegenheit, mehr als 150 Jahre alte Werke ein und desselben Komponisten zu hören und sie dennoch allesamt zu keiner Sekunde ihrer hellstwachen Darbietung als alte Musik zu empfinden? Nein, Schumann war durchweg ganz nah und ganz gegenwärtig. Ob nun beim Klavierquartett op. 47 oder beim Eichendorff- Liederkreis op. 39. Oder ob nach der 1. Pause bei Schumann-Heines „Dichterliebe“ op. 48 bzw. nach der 2. Pause beim abschließenden (wie alles zuvor) ganz großartig (oder doch noch etwas besser?) gespielten Klavierquintett op 44.

Bei all diesen Werken war umsichtig und maßgeblich – so feinfühlig kammermusikalisch wie ggf. energisch bestimmt – András Schiff beteiligt, ohne sich in Szene zu setzen, jederzeit allenfalls primus inter pares bleibend, der Erste unter Gleichen, der Erste mitten unter den (Schiffs eigenem Gestus nach) ihm Ebenbürtigen. Besonders kennzeichnend für ihn scheint mir seine spontane Geste zu sein unmittelbar nach dem auf die Darbietung der „Dichterliebe“ folgenden 2. Applaus: kurz entschlossen nahm er die Partitur beim Abgang von dem Podium mit und drückte sie ununterbrochen an sein Herz, bis die Tür sich hinter ihm schloss. So, als demütigen Diener großer Musik sieht er sich; den Applaus verdiene primär vor allem sie selber, die Musik als Komposition, scheint er uns, den ihm und dem Sänger Applaudierenden, zu sagen, wenn sie als Musik tatsächlichlich so groß und so bedeutend ist wie die eigens für diesen Abend ausgewählten Kompositionen des wohl zu oft immer noch unterschätzten Robert Schumann. Indem er Schumanns Partitur der „Dichterliebe“ demütig-selbstbewusst an sein Herz drückte, legte er uns Hörern die Musik Robert Schumanns ans Herz. Aber dafür waren wohl die allermeisten ohnehin schon gewonnen. Am Schlussbeifall nach dem Klavierquintett wurde dies überdeutlich: massierter, mehrfacher und lange anhaltender Applaus des gesamten Auditoriums, in standing ovations für die Künstler mündend. Dabei war es schön, zu beobachten, wie sich schon vor diesem Applaus die unerhört engagiert spielenden, sich durchweg optimal aufeinander einstellenden Künstler erkennbar selber über ihr Gelingen freuten.

Alle Künstler dieses Sternstundenabends verdienen es namentlich genannt zu werden: für den Eichendorff-Liederkreis Ruth Ziesack, Sopran; für den Heine-Liederzyklus Hanno Müller-Brachmann, Bariton. Für das Quartett Es-Dur für Klavier, Violine, Viola und Violoncello (op. 47) Yuuko Shiokawa, Violine, Hariolf Schlichtig, Viola und Christoph Richter, Violoncello. Beim Klavierquintett Es-Dur, op. 44 gesellte sich als zweite Geigerin noch Ulrike-Anima Mathé hinzu. Und überall dabei – als primus inter pares, wie gesagt – war: András Schiff, Klavier.

Selten genug, dass man diese beiden großartigen Liederzyklen Robert Schumanns an ein und demselben Abend hören kann! Und noch dazu umrahmt von so herrlichen, den Liederzyklen ebenbürtigen Werken wie das Schumannsche Klavierquartett und -quintett!

Bald – am 15. Mai nämlich – können wir, wir im Ruhrgebiet zumindest, diese beiden Liederzyklen an einem einzigen Abend abermals hören, in einer anderen, ganz sicher ebenfalls sehr hörenswerten Darbietung. Auf diesen Tag nämlich wurde das letzte Kammerkonzert mit dem Dirigenten Jonathan Darlington als Pianisten verlegt, weil das eigentlich für den 10. April vorgesehene Konzert mit dem Tenor Christoph Prégardien wegen dessen plötzlicher Erkrankung leider nicht stattfinden konnte. So freuen wir uns nach der gestrigen Sopran- und Bariton-Darbietung der beiden Schumann-Liederzyklen auf eine weitere mit einem so exzellenten Tenor wie Christoph Prégardien und auf eine neuerliche Begegnung mit diesen uns von András Schiff so nachdrücklich ans Herz gelegten Werken.