Wege zur Musik: „The Feelies“

„Was wird das denn jetzt?“ Wohl an kaum eine zweite Situation, in der mir mein musikalischer Ziehvater eine Schallplatte vorstellte, kann ich mich genauer erinnern, als eben jene, in der er „The Feelies-Crazy Rhythms“ aus der Reihe zog.

Er hatte kein Regal, ging jedoch seit jeher äußerst pfleglich mit seiner Woche um Woche um fünf Scheiben (mindestens) wachsenden Sammlung um. Mit 16 Jahren hatte er es damit schon auf gut eineinhalb Meter Musik gebracht, und sein Spektrum war klar definiert. Wir kannten uns erst ein paar Monate, es war die Zeit von Dischord, Rough Trade und SST, noch lang kein Nirvana in Sicht, obgleich das Album „Bleach“ auf dem Markt  war und natürlich schon seinen Platz in Mikes Reihe hatte. Da waren die „Minutemen“ und die neuformierten „fIREHOSE“, da waren auch Jugendsünden wie „Die Kreuzen“, doch über „NoMeansNo“, „The Descendents“, „The Silos“ reichte es hinüber bis zu den „Fellow Travellers“. Alles interessant und für einen Jungspund wie ihn erstaunlich stilsicher. Ich selbst war immer musikinteressiert, doch wusste lang nicht wohin, so war meine Herangehensweise eher die eines Geschichtsstudenten…Beatles, Cat Stevens, auch Melanie…

Doch geht es hier nicht um Namedropping, es geht zunächst um diesen Moment, als er wie üblich die Platte samt Cover aus der mit der Öffnung nach hinten zeigenden Schutzhülle, dann die eigentliche Platte aus dem Cover nahm, welches er mir zur genaueren Betrachtung reichte und den Tonträger selbst sorgsam auf den Drehteller legte…

Das Cover, vier Nerds, für die der Begriff noch nicht gefunden war, nachkoloriert wie eine Postkarte aus Reit im Winkl die im Rathauscafé hing… „Was wird das jetzt?“

Der einzig halbwegs stimmige Vergleich in Sachen Schallplatte, der mir einfällt: „Pat Boone-40 greatest hits“ und der Song „Speedy Gonzales“, den ich meinem leiblichen Vater verdanke, da war ich 5 oder 6 Jahre alt. Und das einzig zutreffende Adjektiv lautet schrill. Und dann: Euphorie!

Denn was kam, das war ein formvollendetes Arrangement, wie ich es noch nie gehört hatte, woher auch? Ein dermaßen hibbeliger Sound, Percussions, die an Stellen der Hirnrinde anschlugen, die ich vorher nicht kannte, ein sich überlagenderer Gesang, der mich willfährig zu abnormen Bewegungen zwang, zwischen Spasmen und Eurythmie, nah am epileptischen Anfall.

„Was es wurde?“: „Loveless Love“ – und eine nicht endend wollende Odysse über Flohmärkte.

Auf den Gedanken zu fragen, ob es noch mehr Musik von denen gab, kam ich erst gar nicht, denn diese Erweckung war Erfüllung zugleich.

Doch Mike war ein guter Ziehvater und nach geraumer Zeit machte er mich vertraut mit „The Good Earth“ und „Only Life“. Eine Ernüchterung, doch wohl vorbereitet, ich hatte mir inzwischen etwas an theoretischem Unterbau angeeignet, und für zärtlicheren Wahnsinn mein Ohr geöffnet bekommen. Punk Rock muss nicht verzerrt sein, das Tempo nicht immer furioso (was schließlich für mein heutiges Dafürhalten die zentrale Aussage der „Crazy Rhythms“ darstellt).

Wer mit den Feelies vertraut ist, kann meine Vermutung, die Jungs hätten sich mit ihrem Debutalbum die Hörner aber sowas von ordentlich abgestossen, dass sie es fortan etwas ruhiger angehen mussten, hoffentlich nachvollziehen und eventuell bestätigen, auch wenn das grandiose side-project „Yung-Wu“ Argumente liefert, dies zu wiederlegen. Da kommen sie wieder, die sägende Gitarre, die klackenden Percussions, die man eher im Rumba gewohnt ist, der zersetzende Heulgesang – doch eben gereifter, elegischer.

Mike und Ich haben eine ähnlich lange Pause hinter uns. Vor ziemlich genau 19 Jahren haben wir zuletzt auf mehr oder minder ernstzunehmende Weise zusammen musiziert, unsere Wege führten zwar noch bis vor kurzem Parallelen, doch die Verlockungen der Großstadt mit der einhergehenden Problematik, dort einen vernünftigen Proberaum zu finden, ließen es nicht zu, weiter an eigenen Beiträgen zur Musikgeschichte etc. etc. PP

Aber man trifft sich. Und das Interesse ist geblieben. Und so war mein „Ach was!“ ein durchwegs positives, als er mir unlängst steckte, in ein paar Tagen stehe sie im freien Verkauf, und er sei schon bei VoPo Records gewesen (Berlin, Danziger Str.), und ja, dort würde er sie bekommen… Und so war ich doch sehr gespannt, auf die vor knapp einem Monat herausgebrachte vierte Scheibe von „the feelies“.

Dank Internet und den einschlägigen Plattformen konnte ich mir http://www.bar-none.com/the-feelies.html zur Probe anhören… Haben will ich sie, sowieso, doch konnte ich meine Ungeduld beruhigen, denn hier in Augsburg schlugen alle Versuche fehl, die Platte beim Fachhändler zu erstehen. Bestellen werde ich sie nicht. Ich möchte sie auf den Ladentisch legen, bar bezahlen, auf dem Weg nach Hause kurz in einem Café halt machen, schön schattig, die Platte in einer knisternden Plastiktasche mit beiden Händen sichernd einen Pernod genießen..und zur blauen Stunde dann das gute Stück von vorn bis zum letzten Ton auskosten…ein schöner Grund, mal wieder an die Spree zu reisen. Ist eine Prozession das Gegenteil einer Rezession? Ich freu mich drauf!

(Bild: Cover des Feelies-Debütalbums „Crazy Rhythms“)




„Extraschicht“ goes anywhere

Es ist wirklich ein ureigenes Ruhrgebietsereignis, was weltweit bekannt sein könnte, ein Magnet für Wochenend-Tourismus und Städtereisende. Es ist eine einmalige Landschaft, die man – ausgerüstet mit Rucksack und Imbiss – erforschen kann, wenn man sie denn nicht schon kennt. Der Auswärtige staunt über die vielen „Spielorte“, die post-industriellen Nutzungen ehemaliger Klischeeträger, Zechen, Stahlwerke, Rost. Man fährt kostenlos durch die Gegend in Extra-Extraschicht-Bussen und merkt nicht, wie unsagbar schlecht der Öffentliche Nahverkehr in dieser Region unumkehrbar festgeschrieben ist. Plan in der einen, Mann, Frau oder Kind an der anderen Hand geht man auf Erkundungsreise. Und dann noch bei gutem Wetter! „Unvergesslich“, sagt die Frau aus Koblenz. „Ich kann bei meiner Cousine in Essen übernachten.“

Fragen Sie fern der Heimat mal in einem Reisebüro nach einem Extraschicht-Paket. Sie werden enttäuscht sein. Im Internet finden sie sowas bei „Tour de Ruhr“ und anderen Plattformen. Laut Ruhr Tourismus sind Angebote seit 2010 in allen TUI-Büros buchbar. Wirklich? Wie dem auch sei, es ist ein Highlight des Jahres, das im Jahr der Kulturhauptstadt nochmal ausgeweitet wurde, zum Beispiel durch Hinzunahme des Signal-Iduna-Parks. Ob das sein muss und in die Reihe passt, sei dahingestellt. Es war brechend voll. Vor allem Nichtfußballfans waren neugierig.

Aber – wie das so ist mit erfolgreichen Veranstaltungen – sie leiern irgendwann aus. Es läuft ja, warum sollte man was ändern? Never change the winning team! Die Orte machen ihr Programm – von irischen Balladen über Flamenco bis hin zu den inzwischen unvermeidlichen Beleuchtungen der alten Gemäuer in rot, blau und grün – sieht immer gut aus. Hat die Kommune Geld dafür im Säckel, gibt’s am Ende noch ein Feuerwerk. Ein paar Hauptorte, früher „Drehscheiben“ genannt, werden speziell mit Künstlern und Aktionen bestückt. Dazu gehören in der Regel große Open-Air Spektakel, importiert aus Frankreich oder Spanien. Überall ist was los – bis in den früher Morgen.

Cello im Stadiongefängnis (Anna Reitmeier) Extraschicht 2010

Bis 2010 hat lange Jahre das Büro Erich Auch die speziellen Orte mit künstlerischen Darbietungen bestückt. Da gab es teilweise wunderbare Ideen und Abenteuer, vor allem waren es hin und wieder Vorstellungen und Aktionen, die nur für diesen Ort, nur für diese Nacht konzipiert und umgesetzt wurden. Der Ort wurde nicht als pure Kulisse genutzt, sondern war Ausgangspunkt für eine künstlerische Idee, naturgemäß auf großes Publikum ausgerichtet. Da hat die Tanz- und Akrobatengruppe um Gabi Koch in Hattingen die Heinrichshütte in einem anderen Licht erscheinen lassen, als Zirkusarena und Ort der Illusion. Da hat artscenico in Dortmund auf Phoenix-West die sinnbildliche Unschuld von Bräuten in Weiß, Tänzerinnen und Tänzer, dem ehemaligen Stahlwerk entgegengesetzt. Das sind nur Beispiele, aber diese zeigten, was selbst aus der Region geschaffen werden kann – ortsspezifische Spezialitäten zur Extraschicht. Davon gab es zu wenige.

Jetzt, scheint es, sind sie fast gänzlich verschwunden. Zudem sind die Programmvielfalt und die Anzahl der Veranstaltungen derart hoch, dass man sie in einem Programmheft nicht mehr darstellen kann. Das Büro Auch gibt es nicht mehr. Wer hat die Extraschicht in diesem Jahr künstlerisch bestückt? Öffentlich ist dies nicht. Oder wurde alles vom Tourismusbüro organsiert? Das würde einiges erklären. Kaum was Neues, verwirrende Angaben, Künstler, die man nicht findet.

Tanz im Erzbunker Gelsenkirchen (Emily Welther) Extraschicht 2010

Die Extraschicht braucht einen neuen Kick! Sie kann es sich leisten, die Marke ist eingeführt und darf nicht dazu führen, dass Langeweile aufkommt, dass man mehr Zeit in überfüllten Bussen verbringt als an den Orten, die man eigentlich besuchen will. Man muss diese Großveranstaltungen nicht mögen, aber es ist eine der wenigen, die sich direkt und eng mit dem Ruhrgebiet und seiner Geschichte beschäftigen. Vielleicht ist etwas weniger mehr, bestimmt aber sollte man nicht einfach Events platzieren, sondern überlegt, originell und künstlerisch vertretbar mutigere Auswahl treffen.

Fotos: Dman




Ich bin Raucher und Querulant!

Ich bin empört! Da saust mir der unsägliche Begriff „Wutbürger“ um die Ohren. Aber eins nach dem anderen.

Der Gesundheitsterror geht weiter. Wir werden reguliert! Alles, was krank macht, wird ausgelöscht. Die Grüne Partei entwickelt sich weiter zur Weltrettungsvereinigung, deren einziges Ziel es ist, die Selbstbestimmung des Menschen zu reduzieren, die Freiheit weiter runterzuregeln. Und das alles unter dem Mantel der Gesundheit und der Umwelt. Gesund – was ist das? Rein und sauber? Was macht krank? Alles, wenn man täglich Zeitung liest oder andere Medien verfolgt. Essen ist ungesund, trinken sowieso, atmen gar, je nachdem wo wir uns befinden und welche Verunreinigungen gerade unterwegs sind. In den USA gibt es Orte, da werden junge Leute ins Gefängnis gesteckt, weil sie auf der Straße geraucht haben. Das ist die dortige Sheriffs-Gesetzeslage.

In NRW will man jetzt wieder die Stigmatisierung der Raucher vorantreiben. Ich bin Raucher, aber selbst als Nichtraucher hätte ich Schaum vor dem Mund. Wer wird denn da geschützt? Wen schützt man, wenn derjenige oder diejenigen nicht geschützt werden will? Warum, zum Teufel, sollen separate Räume verboten werden, in denen geraucht werden darf? Das ist Kriminalisierung auf perfidestem Niveau. Ich weiß, dass ich hier einfach nur meine Wut ausdrücken kann. Bin ja der Wutbürger.Das Rauchen wird auf eine Stufe gestellt mit Heroin.

Den Menschen muss man offenbar vor sich selber schützen. Ich finde, dass auch das Händewaschen in öffentlichen Gebäuden zur Pflicht werden muss! Kameras in die WCs!

Die Zigarette ist das Übel unserer Gesellschaft. Das habe ich längst verstanden. Schon seit langem gehe ich kaum noch aus, im Sommer ja, im Winter fast gar nicht mehr, weil ich mich nicht wie ein Hund vor eine Tür stellen will, um zu rauchen. Erstens, weil ich es gerne tue und zweitens, weil ich süchtig bin, also eigentlich krank. Aber es ist mein Bier (!), ob ich damit umgehe, wann und wie ich aufhöre und wer mir dabei hilft.

Sollte ich jemanden zufällig anpusten mit meinem blauen Dunst, dann werde ich eines nahen Tages verhaftet wegen Körperverletzung. Wenn mir allerdings jemand in die Fresse haut, mir eine Flasche auf den Kopf haut, oder gar nur solches androht, dem muss ich beweisen, dass er es getan hat. Wenn ich die Polizei anrufe, weil ich mich bedroht fühle, dann muss erst eine Körperverletzung passieren, bevor jemand kommt. Wenn ich rauche, bin ich schon schuldig.

Aber eigentlich ist es noch perfider. Der Betreiber der Gastronomie oder ähnlicher Läden verbietet das Rauchen und alle halten sich dran, weil sie alle Angst haben vor Denunziation. Jemand könnte den Wirt anzeigen. Militante Nichtraucher beharren auf ihrem Recht und setzen sich mitten in Raucherbereiche. Damit beschäftigen sich einige, die meinen, Gesundheit fordern zu müssen. In Wirklichkeit ist es die Gehässigkeit des kleinen Bürgers, der endlich etwas hat, worauf er öffentlich besteht und niemand wird ihm wiedersprechen, denn es ist politisch korrekt, Raucher zu beschimpfen.

Alle Medien fahren auf diesem Boot. Rauchverbote werden gefeiert. Da ist man sich, mit ein paar Ausnahmen von unaufgeregten Zeitgenossen, einig.

In den USA kauft man sich eine Waffe. Das gehört sich geradezu so, weil man ja sein Eigentum schützen muss. Der vermeidlich Böse betritt den Garten und er wird abgeballert. Das ist korrekt. Der Raucher wird verhaftet oder ausgeschlossen.

Das klingt alles nach „Säuberung“. Das Land soll von Dingen befreit werden, die die Volksgesundheit beeinflussen, negativ natürlich. Genussmittel ist die Möhre. Es sei denn, die Möhre ist plötzlich gefährlich, weil sie von Bakterien gekapert wurde.Nun ist die Möhre keine Zigarette. Sie stört niemanden, dampft nicht.

Ich will hier nicht über die Auswirkungen von Alkohol reden, über die Toten durch Totschlag, über die Entzugskosten, über die Wohnzimmerschlägereien und Vergiftungen. Ich bin gegen ein Verbot von Alkohol. Man weiß ja, was dabei herauskommt.
Schon lange wird versucht, über den Preis die bösen Sachen unzugänglicher zu machen, aber für wen? Doch nur für die, die man sowieso zum unteren Drittel zählt. Diejenigen, die nix haben, sollen sich gefälligst keine Süchte oder Genüsse leisten. Das ist klar. Hab ich genügend Kohle, kann ich mir den Koks auch leisten. Die arme Sau soll eben irgendwo einbrechen, um an das Zeugs zu kommen.

Sowieso soll der Mensch in der unteren Klasse sich bescheiden, in jeder Hinsicht. Das Argument, der „Hartzler“ würde sein Geld für Alkohol und Zigaretten ausgeben, deshalb solle er nicht mehr erhalten, zieht immer. Da schreit das Volk: Genau! Aber das Zeugs wird halt teurer. Gut, nicht der Alkohol, außer man nimmt ihn in Gastronomien ein, aber der Tabak. Ganz Europa zieht mit, übernimmt diese Unmündigmachung des Bürgers. In Litauen denkt man darüber nach, Alkohol in Restaurants nur bis 22.00 auszuschenken. Eine wunderbare Idee. Ich war oft genug in Großbritannien und erinnere mich an die Massentorkeleien in den Straßen mit vielen Pubs. Kurz nach 23.00 war Schluss mit lustig. Kurz vorher gibt’s reihenweise Sturztrünke und auf den Straßen kotzt der Bär. Im Urlaub konnte man sehen, dass die Engländer mit der verlängerten Sperrstunde überfordert sind. Sie saufen ab 22.00 schneller und enden im Koma. Aber ich schweife ab.

Der Verbot von Genuss und mag er noch so ungesund sein, führt zu Verlust. Die Nichtraucher haben jetzt längst Schaum vor dem Mund. Wischt ihn Euch ab, Zeitgenossen, bleibt gelassen! Ihr könnt überall auf dieser Welt nichtrauchen. Überall.  Von mir aus könnt Ihr Euch organisieren, demonstrieren, kollektiv aufregen! Aber vielleicht muss man den Raucher öffentlich deutlicher erkennen. Da machen bestimmt die Krankenkassen mit. Hallo Grüne und andere Gesundheitsbewegte: Wie wär‘s mit Kennzeichnung? Schwarze Bändchen am Handgelenk zum Beispiel, aber unabkriegbar. Sie bleiben bis man den Nachweis des Nichtrauchens erbracht hat. Ansonsten: Raucher raus! Kauft nicht bei Rauchern! Enteignet die Raucher! Keine Wohnungen mehr für Raucher!

Kommt mir so bekannt vor. Dazu kommen Warn-Schilder, die an Lokale angebracht werden, in denen man Raucher erwischt hat. „In diesem Lokal wurde geraucht!“ Wirte und Veranstalter werden per Verordnung zu Gesundheitshütern. Die Gesundheitspolizei wird eingeführt. Da bin ich sicher. Sie wird nicht so heißen, aber sie wird Jagd machen auf Ungesunde. Halali!

Blödsinnige Verbote, Einengungen, Maßregelungen haben mich schon immer gestört. Ich habe die Hippie-Zeit sozusagen aktiv mitgemacht und erinnere mich an Rauswürfe und Stigmatisierung, weil man lange Haare hatte. Das galt als ungesund, also ästhetisch ungesund.
Ich bin so bekloppt, dass ich, seitdem es das Rauchverbot gibt, das Gefühl habe, genau deswegen weiter und gar mehr zu rauchen und dies zu demonstrieren.

Hätte ich einen Arbeitsplatz in einem geschlossenen Raum ohne rauchen zu können, ich wäre ein Versager. „Wo ist der denn schon wieder?“ „Rauchen.“ Das will ich nicht.  Wenn ich an einem Problem sitze, wenn ich mich kreativ ereifere, dann muss ich rauchen. Aber wie ich höre, soll das ja in Gefängnissen weiter möglich sein, das Rauchen, auch in psychiatrischen Kliniken.
Da sitzen eh die, die wir nicht brauchen.

Im Fernsehen rauchen, mit Ausnahmen, nur noch die Bösen in den Krimis. Der Rest ist sauber. Vorbildfunktion nennt man das. So langsam wird der Raucher auch aus der Kunst verschwinden. Fast immer, wenn der Fotojournalist kommt, sagt er: „Können Sie die Zigarette ausmachen?“ „Nö.“

Also: klar ist, ich huste hin und wieder und es ist mir peinlich. „Man erkennt mich schon am Husten“, wird gesagt. Ich weiß das. Im Theater huste ich weniger als andere. Das ist Disziplin, angelernt. Meine Kondition ist sozusagen nicht vorhanden, allerdings auch, da ich keinerlei sportlicher Betätigung nachgehe, nie nachgegangen bin. Mein Geschmackssinn ist vielleicht nicht der, den ich mir wünsche. Vielleicht hat er gelitten wie der Geruchssinn. Ich hoffe, damit niemanden zu schaden. Die eine oder andere Krankheit, mit der ich mich herumschleppe, hat eventuell mit dem Rauchen zu tun, verbessert zumindest nicht die Situation. In meinem Auto stinkt es nach Zigaretten, wie überhaupt kalter Rauch, Tabakreste, volle Aschenbecher keinen angenehmen Geruch verbreiten. Meine Freundin raucht leider auch, so dass wir uns gegenseitig keinen Raucheratem vorwerfen können. Nichtraucher haben sicher keine Mühe, sich meinem Atem zu entziehen. Meine Haut ist nicht von glatter, zarter Oberfläche gezeichnet. Schon immer. Ich finde es albern, sich eine Zigarette anzustecken, sobald man ein Gebäude verlässt. Ich mache das ab und zu. Auch, während ich durch einen Wald laufe, muss ich nicht rauchen. Er könnte ja in Flammen aufgehen. Nichtraucher-Hotels meide ich oder ich rauche, weil ich dafür zahle, übernachten zu können. Kommen sie sich besonders sauber vor? Clean? „Ich bin clean“, kann an auch als ehemaliger Raucher sagen, obwohl man ja immer einer bleibt – wie beim Alkohol der Alkoholiker. Man ist also gezeichnet als Süchtiger. Reicht das nicht?

Ist mangelnde Bildung nicht auch gesundheitsgefährdend? In ihren Konsequenzen? Vielleicht habe ich das Rauchen angefangen mangels Erkenntnis, mangels Bildung also? Dann bin ich eben – der Doofheit verfallen – in diesen Strudel gelangt?




Das wandernde Tagebuch

Wie man dazu kam, wer weiß das schon?

Im Nachhinein kann man viel behaupten,

tut es dann vielleicht auch,

weil es mit der Erinnerung nicht soweit her ist.

Kurze Erinnerung.

Kleine Festplatte, auch genannt Hirn.

Aber immer behaupten, man wüsste es.

Ach, Frau Koch-Mehrin, damals bei Plasberg.

Und was kam noch alles danach,

vom Davor ganz zu schweigen.

Koch-Mehrin, was für ein Name !

Plötzlich tauchte die auf.

Blond und langbeinig, kein Mutter-Typ wie U.v.d.L. –

hier gemeint der Mutter-Typ des neuen Jahrtausends,

also nicht: Mütter aller Länder vereingt euch! –

das ist längst Vergangenheit.

 

In der Vergangenheit sitzt auch Camus und ruht.

Der gute Albert.

Oh Tipasa.

„Hochzeit des Lichts“

Und dabei ist es so finster…

Eine erschreckende Dunkelheit herrscht in deutschen Talkshow-Studios.

Und nicht nur dort.

Die UNTHINK-TANKS und ihre Truppen, haben ganze Arbeit geleistet.

So wie Mütter andere geworden sind,

so hat sich auch die Kriegsführung verändert.

Nur Guido Knopp will es nicht wahrhaben. Der tapfere Guido.

Der scheint jeden Morgen in der Sowjetunion aufzuwachen.

Und was macht eigentlich Guido II ?

Darf der noch?

Nach all dieser politischen Dekadenz.

Es war schon schwer das Maß zu überschreiten,

aber Guido hat es geschafft.

Und andere auch, aber nicht so wie Guido.

Zauberlehrlinge, die sich als Zauberer ausgeben.

Blond und langweilig, wollte in den Forschungsausschuss der Europäischen Union.

Da wachte manche Schnarchnase auf, spät, aber immerhin.

Man konnte ja mal was sagen, es half zwar nicht unbedingt,

aber man war für ein paar Minuten wenigstens mal wach.

Selbst der eine oder andere deutsche Literat hegte kurz

den Gedanken, die Seichtgebiete zu verlassen,

verwarf ihn dann aber wieder,

als er auf seinen Gehaltsstreifen schaute.

Dafür reicht es und dafür reicht es nicht.

Das ist ein gängiger Abwägungsprozess,

ob im Sport, in der Literatur, in der Politik, im Journalismus –

ja selbst in der Küche spielen sich solche Prozesse ab.

Es ist frühmorgens und man wägt ab,

ob der Kaffee noch reicht…

Man denkt an Camus und Algerien.

Ach, Algerien. Da sind die Tassen kleiner.

Wenn man also das algerische Maß zugrunde legen würde,

dann reichte auch der Kaffee.

Demzufolge ging es auch um Maßeinheiten, aber nicht vor allem.

 

„Das Maß ist voll!“ – dieser Satz und seine Bedingungen,

sind andere geworden.

Auch wenn Guido Knopp jeden Morgen in der Sowjetunion aufwacht,

heißt das nicht, dass Griechenland, Portugal und Spanien nicht

existieren Und wenn Frau Koch-Mehrin ihre Rechentheorien

so hart, aber nicht fair – in die Kameras verteidigt und vereidigt,

heißt es eben noch längst nicht,

dass das so ist.

Aber es wird durchgewunken.

Lange Zeit wird es durchgewunken.

Gleis frei für den ICE Guido, Gleis frei für den

Europa-Express Blondi.

Die Bediensteten des deutschen Journalismus stehen am Bahnsteig und staunen.

Manchmal sind sie auch ratlos.

Aber dann rauscht wieder so ein ICE an ihnen vorbei

und er ist schon weg, bevor sie ihr Laptop ausgepackt haben.




Teil einer Massenbewegung sein

Wollten Sie schon immer Teil einer Massenbewegung sein? Nein? Ich auch nicht. Dann ist eine „Kritische Masse“ sicher genau das Richtige. Am Wochenende gab es in Dortmund Gelegenheit, auszuprobieren, wie es sich anfühlt: Critical Mass!

Was das sein soll? Das kann wikipedia besser erklären: „Critical Mass (Kritische Masse) ist eine international verwendete Aktionsform, bei der sich mehrere nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer scheinbar zufällig und unorganisiert treffen, um mit gemeinsamen und unhierarchischen Protestfahrten durch Innenstädte mit ihrer bloßen Menge und ihrem konzentrierten Auftreten auf ihre Belange und Rechte gegenüber dem motorisierten Individualverkehr aufmerksam zu machen.“

Kurze Party auf dem Wall auf Höhe des Hauptbahnhofs.

Kurz gesagt, Critical Mass ist eine Demonstration auf dem Fahrrad für das Fahrrad, wobei die Demonstranten weder Forderungen auf Plakaten erheben noch lautstark skandieren, sondern höchstens dann und wann ihre Klingel betätigen. Die Teilnehmer machen sich eine Lücke in der Straßenverkehrsordnung zu Nutze, die es erlaubt, ab einer bestimmten Anzahl im Verband zu fahren – also bei ausreichender Menge auch die komplette Fahrbahnbreite einzunehmen. Genau das taten die rund 300 Menschen, die sich am Samstag um 15 Uhr auf dem Friedensplatz versammelten.

Ein junger Mensch mit Megaphon erklärte vor dem Start noch schnell die Regeln: Immer schön hintereinander bleiben, Ampelzeichen einfach gar nicht beachten, die Vorderen geben die Richtung an, jeder fährt auf eigene Verantwortung. Dann geht es ab auf den Wall.

Ein Blick über den Friedensplatz: Wer ist noch dabei? Da sind Fahrerinnen im Seniorenalter und gut behelmte Zehnjährige. Da sind langhaarige Männer mit Plastikblumen am Rad und junge Männer mit nackten Oberkörpern. Einige tragen riesige, wummernde Lautsprecher in Rucksäcken auf dem Rücken, andere ihre Kinder auf dem Gepäckträger. Ich sehe Hollandräder und Mountainbikes, Liegeräder und Rennräder, Lastenräder und Fahrräder mit extra breiten Reifen, die wie die Velo-Version eines Choppers aussehen, Tandems und Klappräder, eigene und von metropolradruhr geliehene Räder.

Gewummer vom Rücken statt aus dem Kofferraum.

Auf dem Wall geht es rechts herum Richtung Dortmunder U. Leise Enttäuschung: Die Polizei ist ja dabei! Dabei muss eine Critical Mass gar nicht wie eine Demo angemeldet werden. Bald merke ich, dass das schon besser ist: Es lassen sich sicher nicht alle Autofahrer gerne von einer Horde siegessicher grinsender Radfahrer demütig in die Warteposition versetzen. Da verschafft die Präsenz der grün-weißen Motorräder doch ein wenig mehr Sicherheit. „Bitte fahren Sie nur auf der rechten Spur, denken Sie an Ihre eigene Sicherheit“, erinnert der freundliche Polizist die Radfahrer wieder und wieder, doch der Hinweis nutzt nur am Anfang. Spätestens auf Höhe des Hauptbahnhofes wird die kritische Masse euphorisch. Wir besetzen nun alle drei Fahrspuren, klingeln wild und winken den wartenden Menschen an Fußgängerampeln und in Autos. Es dauert sicher drei Ampelphasen, bis die bunten Bicyclisten vorbeigezogen sind und der Verkehr seinen gewohnten Gang gehen kann.

Nach einer Ehrenrunde um den Wall biegen wir auf die Münsterstraße ab und fahren über die Mallinckrodtstraße bis zum Borsigplatz – der Höhepunkt der Tour! Wieder und wieder umrunden wir den Kreisverkehr, ungeachtet der Aufforderung der Veranstalter, nach einer Runde umzukehren. Ein Siegesgefühl wie bei der BVB-Meisterfeier greift um sich. Anwohner hängen an den Fenstern, Ladenbesitzer staunen und winken, Jugendliche schnappen sich ihre Skateboards und fahren kurzerhand mit.

Rückfahrt vom Borsigplatz.

Zurück geht es über die Bornstraße, wieder auf den Wall und dann über die Hohe Straße durchs Kreuzviertel. Die kritische Masse ist seit dem Start sicher um einige Dutzend Menschen gewachsen, da sich zufällig des Weges kommende Radfahrer kurzerhand angeschlossen haben. Aus den Lautsprechern kommt HipHop und Elektronisches, und wer kann, versucht auf dem Fahrrad mitzuwippen. Es macht Spaß! Die Freude rührt allerdings weniger daher, Teil einer sinnvoll-friedlich-kritisch protestierenden Masse zu sein. Es ist die pure Lust an der Rache. Rache an all den  ignoranten Autofahrern, die mir als Radfahrerin regelmäßig die Vorfahrt nahmen, mich schnitten, mich gefährdeten, mich nervten. Macht den Motor aus und hört unsere Klingeln!

Die Critical Mass Dortmund findet jeweils am zweiten Samstag des Monats statt. Los geht’s um 15 Uhr auf dem Friedensplatz.