Kino: „The Guard – Ein Ire sieht schwarz“ (die zweite Kritik)

Sgt. Gerry Boyle (Brendan Gleeson) ist ein irischer Polizist in Galway im malerischen Irland. Er hat’s gern easy. Nur nicht das Leben mit unnötigen Arbeitsstress belasten.

Als ihm der junge übereifrige Kollege Mc Bride (Rory Keenan) aus Dublin als Partner zugeteilt wird, ist er „not amused“. Er hat seine eigenen – man kan schon sagen unorthodoxen – Methoden, und das soll so bleiben. Einer Leiche, die aus einem verunfallten Auto purzelte, zieht er erst mal ein Tütchen Drogen aus der Hosentasche und steckt sie ein. Für den eigenen Bedarf. Außerdem: “Deiner Mama würde das gar nicht gefallen.” Boyle ist weder saublöd noch superschlau, aber er ist sicher ein gewieftes Schlitzohr.

Einem Mordopfer zieht er die handschriftliche Nachricht aus dem Schlund, liest sie, versteht nur Bahnhof, schmeißt sie weg. Zusammen mit Assi McBride rätselt er über die in Blut geschriebene Nachricht “5 ½” an der Wand. Fünf ganze und ein halbes Opfer, bietet McBride, dem halben sind nur die Beine abgeschossen worden.

Brendan Gleeson in "The Guard - Ein Ire sieht schwarz" (Bild: Ascot Elite Verleih)

Dummerweise gibt’s dann plötzlich Hinweise auf einen riesigen Drogendeal, der genau in Boyles Bezirk stattfinden soll. Von 500 Millionen ist die Rede. Dollars, also „eine halbe Milliarde“ wie der Chef Inspektor erläutert. Boyle wird dem eigens aus Atlanta angereisten schwarzen FBI-Agenten Wendell Everett (Don Cheadle) als Partner zugeteilt. Zu allem anderen ist Sgt. Doyle auch ein ungehobelter Trampel, der seine guten Manieren gar nicht vergessen kann, weil er keine hat. Er ist auch kein Rassist, aber er hat keinerlei Vorstellung vom Leben der schwarzen Bevölkerung in den USA. So fragt er den FBI Mann ganz unbedarft, wie denn das Leben in den Slums von Kenosha, Wisconsin (Everetts Heimatort) so sei. Everett ist Yale Absolvent und Rhodes Scholar und ebenfalls not amused. Als man den versammelten Polizisten die Fotos von den vier weißen Verdächtigen zeigt, äußert Boyle die feste Überzeugung, nur Schwarze und Mexikaner schmuggelten Drogen. Er zieht die Fettnäpfchen geradezu magisch an. Man kann nicht sagen, dass Everett und Boyle gute Buddys werden, aber sie raufen sich zusammen. Everett wird nie ganz schlau aus ihm, aber zusammen entwickeln sie im Film ein bisschen „good Cop/bad Cop“ Routine, aufgelockert mit Dialogen, die an „The Odd Couple“ erinnern. Witzig und originell.

Die Drogenbösewichte zitieren en passant neben Nietzsche und Bertrand Russell alle namhaften Philosophen und schmieren hier und da locker ein paar Cops, und am Schluss gibt es einen show down, der wirklich aus dem Rahmen des Üblichen fällt.

Der Regisseur, John Michael McDonagh hat dankenswerterweise auf die üblichen Klischees verzichtet. Er hat einen spannenden und – trotz Mord und Totschlag – heiteren Film gemacht.

Brendan Gleeson gefällt mir sehr als irischer Polizist, Fionnula Flanaghan in einer Nebenrolle als Gleesons totkranke Mutter ist großartig. Don Cheadle wirkt fast ein bisschen blass neben den anderen Darstellern.

Ich habe die Originalfassung gesehen und gestehe, dass ich mich sehr anstrengen musste, den Irish brogue zu verstehen. Wer den irischen Klang nicht ganz frisch auf dem Ohr hat, gehe besser in die synchronisierte Fassung.

Außerdem gibt’s einen schönen ohrenfreundlichen Soundtrack.

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Vergleiche auch Jens Matheusziks Kritik zum selben Film:
http://www.revierpassagen.de/4268/the-guard-ein-ire-sieht-schwarz-morgen-neu-im-kino/20110921_1942




Drei Meldungen – drei Erkenntnisse

Ich war mir nicht so sicher, ob diese Zeilen in ein kulturgeneigtes Medium wie dieses gehören, doch dann fiel mir ein, dass auch Kabarett als Kultur angesehen wird, dass auch Satire eine Kunstform darstellt, und so fragte ich mich, warum solle dann nicht auch Realsatire künstlerischen und kulturellen Beobachtungen unterworfen werden.
So seien sie denn genannt, die meiner Ansicht nach verwirrendsten Nachrichten des Tages:

Kanzlerin und Kabinett sind völlig perplex, weil die Herren Putin und Medwejew planen, wieder ihre Rollen zu tauschen.

Ein Herr Dirk Pfeil, hauptberuflich Insolvenzverwalter, ehrenamtlich FDP-Lenkungsfunktionär, hat das Rätsel gelöst: Nicht seine Partei ist zu dumm, die richtige Politik zu machen, die Wählerinnen und Wähler werden bewusst zu blöd gehalten (vermutlich von den politischen Konkurrenten), um die Politik der FDP zu verstehen.

Und dann noch Standard & Poor’s – ja, das ist eine von den drei mächtigen Rating-Agenturen in den USA, die ganze Länder in den freien finanziellen Fall herabstufen können. Also, Standard & Poor’s droht Strafverfolgung, weil sie während der Finanzkrise 2007 ein Hypothekenpapier falsch bewertet haben, und zwar so, dass sie offenbar gegen amerikanische Wertpapiergesetze verstießen.

Was lehrt uns das alles?
1. Es darf getrost deutsche Regierungen geben, die einerseits ganze Währungssysteme retten wollen, aber beim nächstliegenden Vorgang in der Außenpolitik ins Staunen geraten. Genauer: Naiv zu sein, ist kein Kabinetts-Ausschlussgrund.

2. Man kann durchaus mit Fingerspitzengefühl (siehe Opel) ein großes Unternehmen treuhänderisch durch eine schwere Situation lenken wie Herr Pfeil, und dennoch so dämliches Zeug erzählen, wie er das als führender Liberaler tut. Genauer: Es ist derzeit anscheinend Eintrittsvoraussetzung in die FDP, dass man nachweislich dazu in der Lage ist, quasi im Handumdrehen Quatsch von sich geben zu können.

3. Finanzexperten der höchsten Qualität zeichnen sich gegenüber denen, deren Geld sie waschen, aus, dass sie einem Schlüssel besitzen, der sie wieder ins Freie treten lässt, wenn sie die Kunden besucht haben. Genauer: Kriminelle Energie gehört anscheinend zum Erfolg mancher, die als Banker vor Seriosität beinahe platzen.

Das waren sie, die drei Top-Meldungen des Tages – und ich bin sicher, ich fände noch mehr, wenn ich mich nur bemühen würde.




Das Sexmonster greift an

Ob eine Dreiecksbeziehung mit Leiche, Blutorgien oder das kampfbereite Hirn von Hitler – der als Trash-Papst gefeierte Arthouse-Horrorfilmregisseur Jörg Buttgereit hat eine Vorliebe für Themen, die unsere Gesellschaft lieber verdrängen würde. Der Dortmunder Schauspieldirektor Kay Voges hat diesen Grenzgänger engagiert, mit dem Double-Feature „Green Frankenstein“ und „Sexmonster“ die Studio-Saison zu eröffnen. Mut, der sich gelohnt hat.

Haltet die Moral hoch! Foto: Birgit Hupfeld

Haltet die Moral hoch! Foto: Birgit Hupfeld

Jörg Buttgereit hat eigentlich Unmögliches möglich gemacht: Trash-Kultur im Theater, Film auf der Bühne, japanischer Monsterfilm ohne Monster, schmieriges Zitat der Sexploitation-Filme aus den 70ern ohne Nacktheit – der Regisseur bricht in jeder Hinsicht mit Erwartungen und Konventionen. Und hat stattdessen ein Konzept entwickelt, das so folgerichtig wie unterhaltsam ist, dass es sich auf weitere Theaterabende übertragen ließe:

Ausgangspunkt für die beiden Stücke „Green Frankenstein“ und „Sexmonster“ sind von Buttgereit geschriebene Hörspiele. Die Idee des „Kopfkinos“ setzt er konsequent um, indem er die Schauspieler in einem schmuddeligen Bahnhofskino agieren lässt, ständig wechselnd zwischen Zuschauer und Figur, mit Mikrofonen in der Hand und Text, der auf der Leinwand mitläuft.

So spiegelt Buttgereit nicht nur Zuschauer mit Zuschauern. Er sorgt auch dafür, dass das, was wir sehen, hauptsächlich aus uns selbst kommt.

Und das ist bei den verhandelten Themen eine starke Grundsituation: „Green Frankenstein“ erzählt von einem wütenden Monster in Hiroshima, das die Menschen vernichten will, weil sie das ökologische Gleichgewicht gefährden. „Sexmonster“ entführt in das zwielichtige New York, wo der Außenseiter Adam seine Chance wittert, als ihm der riesige Penis seines verstorbenen Freundes transplantiert wird. Doch anstelle eines erfolgreichen Liebhabers wird er zum triebgesteuerten Sexmonster.

Köstlich, wie die Schauspieler – Sebastian Graf, Bettina Lieder, Uwe Schmieder und Annika Meier, Christoph Jöde– sich in diese Abenteuer stürzen, die schrägsten mimischen Varianten testend, musikalisch brillierend, zur Beatbox mutierend, jede Situationskomik auskostend. Der Clou ist die Live-Performance des Geräuschemachers Dieter Hebben: Als er bei der Penistransplantation eine Porreestange ansägt, winden sich die männlichen Zuschauer.

So schräg, witzig, ungewöhnlich ist dieses dennoch cineastische Erlebnis, dass sich das Publikum schier ausschüttet vor Lachen. Unter all dem Trash und der Komik aber versteckt Buttgereit einen überraschend moralischen Subtext: Der Mensch, der sich gegen die Natur stellt und als Gott aufspielt, ist schließlich ein altes (Film)-Thema.

(Der Artikel stand zuerst in der Westfälischen Rundschau)

Teaserfoto: Birgit Hupfeld