Zappa, Varèse, Cage: Alarmsirene schallgedämpft

Rückschau: Das Ensemble musikFabrik spielte Zappa, Varèse und Cage in der Essener Philharmonie

Von „ernster Musik“ zu sprechen, klingt bei Frank Zappa ulkig. Doch hat er, der die Saiten so anzuschlagen verstand, als handele es sich bei jedem Ton um eine Parodie des Rock-Gitarrenspiels, längst seinen Platz unter den Klassikern des 20. Jahrhunderts erobert. Wenn Zappa auf der Bühne auch gern als Komiker improvisierte – die Aufführungen seiner Werke überwachte er stets mit der Strenge eines Perfektionisten. Und sein Album „Does Humor Belong in Music?“ formuliert, nicht nur auf seine Musik bezogen, eine viel diskutierte Sorge.

Wer die Zappa-Stücke, die kürzlich in der Philharmonie Essen aufgeführt wurden, aus den Konzert-Videos der Mothers of Invention kennt oder wer Zappa auf der Bühne erleben konnte, mag überrascht sein, dass diese Musik auch ohne Show-Elemente des Rock und Jazz und ganz ohne Star-Allüren auskommt. Selbst beim fetzigen Solo der E-Gitarre in „RDNLZ“ scheint es den Virtuosen nicht zu reizen, sich an die Rampe der Bühne zu rocken; alle Musiker bleiben an ihren Notenpulten. Ein Konzert von Musterschülern, mochte man bei den ersten beiden Stücken denken – „Big Swifty“ und „T’Mershi Duween“ von der fünfköpfigen Bläsergruppe und Schlagwerk in schnellem Tempo durchgespielt – ohne die Aura des Meisters.

Danach sind erst einmal drei Kompositionen von John Cage an der Reihe. „Radio Music“ von 1956, beim Konzert des Ensemble musikFabrik mit drei Röhrengeräten und einem Kofferradio. Die Frequenzen, die Lautstärken und die jeweilige Dauer sind von der Partitur vorgegeben, was aber auf den Frequenzen ertönt, variiert je nach Aufführungsort. „Credo in US“ (1942) ist geschrieben für präpariertes Klavier, zwei Schlagwerke (Konservendosen, Wecker) und Plattenspieler. Zur Aufführung von „The Perilous Night“, entstanden im Winter 1943/44, betrat mit Benjamin Kobler ein erfahrener Pianist, der lange Zeit mit Karlheinz Stockhausen zusammengearbeitet hat, die Bühne. Das mit Radiergummis, Metallteilen und Holzstückchen präparierte Klavier nähert sich – besonders in der raffinierten Rhythmik des Teils VI – dem von Schlaginstrumenten dominierten Schwerpunkt des Abends an.

Frank Zappas frühe Bewunderung für Edgar Varèse (1883–1965) ist hinlänglich dokumentiert. So war es konsequent, mindestens ein Stück des amerikanischen Komponisten französischer Herkunft in die Reihe „‘Now!‘ – America“ der Philharmonie Essen aufzunehmen. Für „Ionisation“ (1931) wurden die 41 Schlaginstrumente und zwei Sirenen in einem eindrucksvoll beleuchteten Halbkreis aufgebaut. An das zuvor gehörte John-Cage-Stück knüpfte das Werk von Edgar Varèse auch insofern gut an, als hier ein weiterer Konzertflügel auf der Bühne zu den Schlaginstrumenten gerechnet werden kann. Erstaunlich leise, geradezu schallgedämpft anmutend, fügten sich die beiden Kurbelsirenen in die Komposition ein. Der Nachklang bleibt so lange im Raum stehen, als sei das gesamte vorausgegangene Rhythmusstück ein einziger Anlauf, um das Ausklingen erfahrbar zu machen. Der Dramaturgie des Abends kam es sehr entgegen, das nur rund sechs Minuten dauernde Stück zweimal zu spielen, jeweils unmittelbar vor und nach der Pause.

Der gesamte zweite Teil des Konzerts war Frank Zappas Kompositionen gewidmet. „The Black Page“ hat Zappa ursprünglich geschaffen, um die Virtuosität und Notenfestigkeit seiner Schlagzeuger zu testen. Zu deren Qual hat er die Noten so dicht gesetzt, dass die Seite von ihnen geschwärzt ist – daher der Name des Stücks. Am Mittwochabend wurden drei Versionen nacheinander aufgeführt. Die Schlagzeug-Fassung, die wir zum Beispiel aus einer Aufnahme kennen, in der die beiden Zappa-Drummer Terry Bozzio und Chad Wackerman den komplizierten Rhythmus perfekt synchron schlagen, wird in Essen von gleich fünf Schlagzeugern der musikFabrik gespielt. Übergangslos folgt die Variante für großes Ensemble, Black Page # 1 – gestrichener Kontrabass und Cello, drei Geigen, zwei E-Gitarren, Vibraphon, Marimbas, ein E-Piano und eine zehnköpfige Bläsergruppe bestehend aus Querflöte, Klarinette, Oboe, Trompeten, Zugposaune, Horn und Tuba. Black Page # 2, (laut Ansage) „The Easy Teenage New York Version“ gibt einen Einblick in Zappas Art, seine Kompositionen mit der Zeit mehrfach, auch radikal, zu verändern. Und spätestens jetzt ist der erste Eindruck von braven Musterschülern, aus denen sich die musikFabrik zusammensetzt, nicht mehr haltbar. Die Musik ist einfach groß, hymnisch; und die Musiker zeigen, dass sie es mit dieser Größe aufnehmen können.

„RDNZL“, „Echidna’s Art (Of You)“ und „Don’t You Ever Wash That Thing?“ werden grandios in einem Rutsch gespielt, so wie Zappa selbst gern seine Stücke ohne abzusetzen aneinanderfügte. Die Stellen der Partitur, an denen einst Ruth Underwood ihre Vibraphon-Soli lieferte, werden heute freudvoll von Geigern gezupft. Bei „RDNZL“ kommt neben dem Rock-Gitarristen ein mittlerweile historisches erscheinendes E-Piano zur Geltung; in „Echidna’s Art“ zeigt besonders der Schlagzeuger sein Können; und „Don’t You Ever Wash That Thing?“ bietet Raum für ein überzeugendes Bass-Solo. Danach gibt es für die musikFabrik und ihren Dirigenten Carl Rosman Standing Ovations. Als Zugabe spielte das große Ensemble „Sofa # 2“ – ohne Gesang in einer Full-blown-Version – und gleich im Anschluss „Son of Mr. Green Genes“.

Ein gelungenes Konzert. Es gibt nichts zu kritisieren. Allenfalls klingt in so manchem mitgehörten Pausengespräch etwas Bedauern durch, dass 1968 schon so weit zurückliegt. „My Guitar Wants to Kill Your Mama“ hat sich zwar nicht musikalisch, aber inhaltlich überlebt. An dem Zappa-Abend in der Philharmonie dürften neben zahlreichen Müttern auch Großmütter und Großväter ihre Freude gehabt haben, für die der Original-Frank-Zappa auf den Essener Songtagen 1968 noch das Versprechen auf eine nicht nur musikalische Revolution bedeutete. Junge Menschen gab es ebenfalls in nicht geringer Zahl im Publikum. Sie wirkten wie Kenner, nicht wie eine Schar, die aus Vergnügungssucht zu einer Massenveranstaltung strömt.

„Now!“ – America: Cage Reich Adams Zappa. Ensemble musikFabrik: Frank Zappa (Mittwoch, 30. November 2011, 19:30 Uhr in der Philharmonie Essen)

.Das Ensemble musikFabrik spielte in der Philharmonie Essen




Winkelmanns Theaterreise ins Dortmunder U

Sebastian Graf, Luise Heyer und Axel Holst in Winkelmanns Reise ins U. Foto: Birgit HupfeldDie Geschichte des Dortmunder U als Kreativzentrum ist bislang keine ruhmreiche: Erst das ewige Hin und Her um das Konzept, bevor die Fördergelder überhaupt flossen, dann zahlreiche Teileröffnungen, steigende Baukosten, Verzögerungen und das Gefühl, es noch immer mit einer Baustelle zu tun zu haben.

Regisseur Adolf Winkelmann („Contergan“) steckte dank seiner „Fliegenden Bilder“, die nun direkt unter dem goldenen U leuchten, mittendrin im Chaos – und hat seine schrägen Erfahrungen nicht nur in ein Buch, sondern auch in sein erstes Theaterstück gegossen. „Winkelmanns Reise ins U“ feierte im Dortmunder Schauspiel Uraufführung.

Nach den vielen Skandalen um das Dortmunder U wäre vieles möglich gewesen: Ein trockener Einblick in die Wirklichkeit, eine bitterböse Abrechnung, auch eine Selbststilisierung. Es spricht für Adolf Winkelmanns Humor, dass er selbst von einem „erfundenen Tatsachenbericht“ spricht, der sich irgendwo zwischen realen und fiktiven Absurditäten aufhält.

Die Satire tropft nur so aus jeder Szene, als der Künstler Winkelmann (großartig naiv gespielt von Axel Holst) und sein Filmteam ihrer Heimatstadt für den neuen Kreativturm ein filmisches Kunstwerk schenken wollen, das über den Dächern der Stadt leuchten soll. So viel arbeitsame Kreativität ist der Stadtverwaltung und ihrem Senator (Andreas Beck) unheimlich, die vor allem eines will: Finanzkräftige Investoren mit inhaltsleeren Wortwolken („Europäischer Kreativwirtschaftspott“) ködern und den Ruhm dafür einstreichen. Während also Winkelmann ein immer fantastischer werdendes Abenteuer erlebt, mit goldenen Filmstreifen und einer Unterstadt, in der Dortmund gegen seinen Untergang kämpft, baut die Stadt seine Kunst mit einem Krankenkassengebäude zu.

Regisseur Winkelmann macht nicht den Fehler, nur schwarz-weiß zu (über)zeichnen: Den grauen Stadtverwaltern, die jeden Vorgang genehmigt wissen wollen und ihren Lieblingssatz („Das kommt jetzt nicht ins Protokoll“) vor sich hertragen, steht ein chaotisches, überfordertes, konzeptloses Filmteam gegenüber. Seiner Sozialisation trägt Winkelmann durch starke Bilder, die gelungene Verschränkung von Video und Spiel und die filmisch kurzen Szenen Rechnung.

„Winkelmanns Reise ins U“ funktioniert auf mehreren Ebenen: Für jene, die die Protagonisten rund um den U-Turm kennen, sind ihre Bühnenkarikaturen ein herrlich amüsantes Fressen (vor allem, weil einige im Publikum sitzen) – auch deutlich zugespitzter als in seinem Buch. Das Stück aber ist auch eine liebevoll-kritische Bespiegelung des Ruhrgebiets und seiner Selbstzweifel. Und es bietet sich an als satirische Parabel auf das Gipfeltreffen von Kultur und Verwaltung, Kreativität und Bürokratie, wie es sich überall ereignen könnte.

Die Vision für das U ist am Ende grausig: Wegen zu hoher Betriebskosten wird es für die Öffentlichkeit gesperrt und von dem sich mit klugen Dienstplänen befassenden „Amt für Angelegenheiten des Dortmunder U“ besetzt.

(Dieser Text ist zuerst in der Westfälischen Rundschau erschienen).

Foto: Birgit Hupfeld




Kleine Stadt und große Namen

Dieser Blog heißt ja im Untertitel „Kultur und mehr im Ruhrgebiet“, und deshalb soll hier einmal auf eine erstaunliche Einrichtung am Rande des Reviers hingewiesen werden: In der Kleinstadt Ennepetal im Süden des Ruhrgebiets, fast schon im Sauerland, gibt es eine „Kulturgemeinde“, die mit fast 2.000 Mitgliedern und einer fünfstelligen Besucherzahl im Jahr in einem ungewohnten Verhältnis zur Größe der Stadt steht.

Auch Lew Kopelew war zu Gast. (Foto: Steidl Verlag)

Der inzwischen pensionierte Lehrer Hartmut Köhler hat die einst kleine Gruppe groß gemacht, indem er meist prominente Referenten oder Musiker in seine „Gemeinde“ holte und dort bei freiem Eintritt auftreten ließ. Nur von Mitgliedsbeiträgen und Spenden an den Ausgangstüren wird diese Arbeit finanziert.

Lew Kopelew und Gerd Ruge, Martin Walser und die Schwestern Labeque, Arved Fuchs und Christian Quadflieg, Heiko Engelkes, Wolf Biermann, Frank Plasberg und Max Raabe, Justus Frantz oder das Leipziger Gewandhaus-Orchester und demnächst wieder Reinhold Messner stehen unter anderem auf der langen Gästeliste. Manche Beobachter rümpfen die Nase: Populärkultur und reine Konsumabende seien das, aber auch das ist Kultur im Ruhrgebiet. 50 bis 60 Veranstaltungen organisiert die Kulturgemeinde im Jahr, und dazu gehören auch Besuche in den Schauspiel- und Opernhäusern der umliegenden Großstädte.

Manche Referenten kommen übrigens gern immer wieder, und das liegt auch daran, dass sie im Privathaus der Köhlers wie Freunde begrüßt und bewirtet werden.

Hartmut Köhler (rechts) mit Christian Quadflieg. (Foto: Jo Schöler)