Enzensberger und die Luxusuhren

Hans Magnus Enzensberger ist allzeit ein federführender Intellektueller gewesen, der uns allen meist zwei bis fünf Drehungen voraus war. So einen, der auch im leuchtenden Jahr 1968 zur schreibenden Avantgarde gezählt hat, wünscht man sich gleichsam rein, möglichst ohne Fehl und Tadel. Ach, wie naiv!

So kommt es einer gelinden Irritation gleich, wenn man jetzt auf jene mit goldenem Krönchen verzierte Anzeige stößt: HME gibt sich dafür her, die Uhrenmarke Rolex im Gespräch zu halten.

Nein, ich möchte nicht all die Goldkettchen-Typen kennen, die sich ein Produkt dieser Firma ums Handgelenk winden.

Gedichtband von und Anzeige mit Enzensberger (Foto: Bernd Berke)

Gedichtband von und Anzeige mit Enzensberger (Foto: Bernd Berke)

Rolex gibt sich die Ehre, jeweils einen Mentor und einen Meisterschüler miteinander zu koppeln und zum fruchtbaren Dialog anzuregen. So jedenfalls die krampfhaft dezent plakatierte Idee. Ein paar mäzenatische Euro- oder Dollar-Scheinchen werden sicherlich auch noch dransitzen. Hat Enzensberger das auf seine älteren Tage noch nötig?

Enzensberger also unterhält sich, ausweislich des Annoncen-Fotos, mit der ihm zugeordneten Dichterin Tracy K. Smith. Man reibt sich mehr oder weniger verwundert die Augen, wenn man sieht, wer noch teilnimmt an dieser nicht allzu transparenten, wohl aber durchsichtigen Aktion. Auszug aus der illustren Namensliste:

Tahar Ben Jelloun, Brian Eno, Stephen Frears, David Hockney, Rebecca Horn, Toni Morrison, Martin Scorsese, Wole Soyinka, Mario Vargas Llosa, Robert Wilson.

Mich würde interessieren, wen die Rolex-Werbestrategen sonst noch gefragt haben und wer also abgesagt hat. All denen möchte ich meinen Dank aussprechen.




„Die Fledermaus“ in Essen: Pläsier ohne Sprengsatz

Das Stubenmädchen Adele (Hulkar Sabirova, l.) und ihre Schwester Ida (Yara Hassan) vergnügen sich auf Orlofskys Party mit einem Tänzer (Foto: Iko Freese)

Welch rauschende Party! Für das Vergnügen seiner Gäste hat Prinz Orlofsky keine Mühen und Kosten gescheut. Da gibt es ein Live-Orchester, einen künstlichen Sternenhimmel, ein Riesen-Roulette, edlen Stuck, blitzende Spiegel, funkelnde Diskokugeln. Sogar ein Feuerwerk lässt der generöse Gastgeber zünden. Zu sehen ist dies alles auf der Bühne des Essener Aalto-Theaters, wo Gil Mehmert es in seiner neuen Inszenierung der Strauß-Operette „Die Fledermaus“ mächtig krachen lässt.

Der in Herten geborene Regisseur, der seit 2003 Professor im Studiengang Musical an der Essener Folkwang Universität ist und für die Eröffnungsshow der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 verantwortlich zeichnete, serviert das sprühende Meisterwerk als glanzvolles Spektakel, das vor allem unterhalten soll. Dies wohl auch auf Geheiß des Opernintendanten Stefan Soltesz, der sich im Programmheft für eine illustrierende, auf ein jüngeres Publikum zielende Fassung stark macht. Als Konsequenz wird aus der neuen Essener Fledermaus ein Tierchen ohne Biss: Sie ist leicht zu konsumieren, steht dem Varieté aber näher als der Spottlust à la Offenbach. Von den Nachwehen des Wiener Börsenkrachs im Jahr vor der Uraufführung, in dessen Folge sich manch Verzweifelter das Leben nahm, aber auch von der erschreckenden Brüchigkeit bürgerlicher Verhältnisse ist in Mehmerts Version nicht viel zu spüren.

Gesungen und gespielt wird aber auf einem Niveau, das dem guten Ruf des Aalto-Theaters entspricht. Mit Peter Bording als Gabriel von Eisenstein und Alexandra Reinprecht als Rosalinde verfügt die Produktion über zwei Hauptdarsteller, die nicht nur stimmlich eine glänzende Figur abgeben. Hulkar Sabirova mag als Stubenmädchen Adele zuweilen etwas überdreht agieren, zwitschert sich als „Unschuld vom Lande“ aber trefflich in die Herzen des Publikums. Andreas Hermann kostet als Alfred das Klischee vom selbstverliebten Tenor köstlich nervtötend aus. Für mehr als nur einen Schuss schillernder Dekadenz sorgt Countertenor Matthias Rexroth, der als Prinz Orlofsky wie ein Party-Gott aus der Stuckdecke geschwebt kommt. Tom Zahner als versoffener Gefängniswärter Frosch, Heiko Trinsinger als Dr. Falke und Michael Haag als Gefängnisdirektor Frank komplettieren das Bild dieser ebenso feierwütigen wie fragwürdigen Gesellschaft. Der spielfreudige, auch stimmlich gut aufgelegte Opernchor sowie die Essener Philharmoniker, die unter dem Dirigat von Stefan Soltesz voller Transparenz und Spannkraft spielen, machen die Produktion musikalisch zu einem Erfolg. Mag das Orchester in sehnsuchtsvoll ausgreifenden Melodien auch kühl und reserviert klingen, so begeistert es doch durch nadelfeine Akzente und sprühende Delikatesse.

Freundlich, aber ohne Überschwang nahm das Premierenpublikum die aufwändige, auf zweieinhalb Stunden gekürzte Neuproduktion auf. Als Silvesterstück dürfte die Essener Fledermaus funktionieren, zumal die elegante Bühne von Jens Kilian und die prachtvollen Kostüme von Dagmar Morell viel fürs Auge bieten. Wer aber auf den im Pläsier verborgenen Sprengsatz wartet, wird trotz des Feuerwerks enttäuscht.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Informationen: www.aalto-musiktheater.de/premieren/die-fledermaus.htm)