„Gottschalk live“: Onkel Thommy plaudert brav und voller Selbstmitleid

Gottschalk in seinem Element, vor Publikum 2005 zur Eröffnung einer Haribo-Ausstellung in Koblenz. Foto: Weinandt

Einer muss es ja schließlich tun. Sich todesmutig hinabstürzen ins öffentlich-rechtliche Vorabendprogramm. Die Courage besitzen, einem Giganten der Fernsehunterhaltung etwa 25 Minuten lang Aug’ und Ohr zu leihen. Also tapfer sein und Thomas Gottschalk gucken. Kritiker, Du gehst einen schweren Gang. Muss es sein? Es muss sein!

Und ach: So groß ist die Hemmschwelle nun wieder nicht. Wir sitzen im Wohnzimmer, der Entertainer auch. Ein lieber Onkel, der da zu uns spricht. Er gibt sich familiär und artig, redet in moderatem Tonfall. Nun liebe Kinder (und Erwachsene), gebt fein acht… Was er uns kredenzt, ist indes der Beachtung wenig wert: schale Gags, selbstmitleidige Reminiszenzen an seinen größten Erfolg namens „Wetten, dass..?“ und nach wie vor das unterschwellige, gleichwohl subtile Betteln um Zuschauer.

„Gottschalk live“ heißt dieses neue ARD-Format. Es kommt nicht an, die Einschaltquoten purzeln ins gefühlte Nirvana. Vielleicht, weil sich der Moderator selbst im Weg steht. Steif wirkt er, wie ein sedierter Harald Schmidt. Gut, ihn begleitet weder eine Live-Band noch kann er sich vor Studiopublikum austoben. Zugegeben, im Verhältnis zu „Wetten, dass..?“, hat er nur eine Minute Zeit. Aber warum dann nicht in Würde aufhören, statt sich ins Korsett der kurzen Dauer zu zwingen?

An diesem Montag ist Helge Schneider zu Gast. Der sieht seltsam zivilisiert aus, richtet sich in Gottschalks behaglicher Stube brav ein. Man plaudert, und dann darf Schneider, der vorzügliche Jazzpianist, dem Flügel im Hintergrund sanfte Klänge entlocken. Währenddessen erzählt Katherine Heigl, amerikanische Schauspielerin deutsch-irischer Abstammung (bekannt durch die Krankenhaus-Serie „Grace Anatomy“), wie sie sich auf die Spuren ihres Großvaters in Esslingen gemacht hat. Dass Gottschalk dabei der Simultanübersetzerin allzuoft ins Wort fällt, ist ein ärgerlicher Schönheitsfehler.

So plätschert der Vorabend dahin. Die Lider werden schwer. War noch was? Ach ja, ein Berliner Würstchenverkäufer, der seinen Grill am Fahrradlenker befestigt hat, bringt „Würstchen für die Würstchen“ (Originalton Gottschalk, haha) ins Studio. Und ganz zu Beginn der Sendung stimmt uns eine Haribo-Reklame ein – nur froh werden wir nicht. Dirty Harry, übernehmen Sie!




Meilensteine der Popmusik (3): Elton John

Elton John live in Wembley 1984

Auch wenn Billy Joel ihn besang – für viele ist und bleibt Elton John der wahre „Pianoman“, Wegbereiter für Kollegen wie Gilbert O’Sullivan, Barry Manilow, Chi Coltrane, Bruce Hornsby, Joshua Kadison und andere Tastendrücker, die nach ihm Karriere machten. Viele von ihnen spielen schon lange keine Rolle mehr. Doch Elton John gehört nach all´ den Jahrzehnten noch immer zu den absoluten Superstars, ein Genie, mit dem es nur wenige aufnehmen können. Wenn es auch bei ca. 40 LPs einige Durststrecken gab, es sind immer noch reichlich Perlen darunter.

1973 zum Beispiel war Elton John besonders munter. Anfang des Jahres hatte er mit dem nachgebauten Oldie „Crocodile Rock“ seinen ersten großen Welthit, ein Song aus der LP mit dem witzigen Titel „Don’t shoot me, l’m only the piano player“. Für viele Kritiker ein eher schwaches Album, und auch für Elton John war es nicht das Gelbe vom Ei. Nach eigener Aussage ging er damals eher lustlos an die Sache. Also nichts wie die Zähne zusammengebissen und weitermachen.

Die neue LP sollte wieder in gewohnter französischer Schloss-Atmosphäre im Château D’Heronville entstehen. Doch dort ruhte der Studiobetrieb, weil es Streitereien um die Besitzrechte des Prachtanwesens gab. Der Produzent Gus Dudgeon hatte die Idee mit Jamaika. Die dortigen Studios waren gerade „in“, und versprachen vor allen Dingen Ruhe für die Produktion. So wurden Instrumente, technischer Kram und vor allen Dingen Tischfußballspiele auf die Reise geschickt. Der alte Genießer Elton John überbrückte die Distanz auf einem Luxus-Dampfer, ohne bis zum Ablegen auch nur eine einzige Note auf dem Papier zu haben. Am Ende der Reise waren dann 20 Songs fertig. Das Piano im Schiffssalon hatte gute Dienste geleistet. Bessere Dienste auf jeden Fall als das Exemplar im Inselstudio auf Jamaika, das wohl besser in ein Bierzelt gepasst hätte. Außerdem fehlten passende Mikrofone, die Bandmaschine hatte Aussetzer, die Mietwagen wurden über Nacht gestohlen, und jeden Morgen mussten sich die Musiker an Streikposten vorbeiquetschen, die offensichtlich während der Aufnahmezeit ihre Probleme lösen wollten. Man bat um Geduld. Als diese zu Ende war, glaubten die Hotel-Manager das gesamte Equipment beschlagnahmen zu müssen. Die Rechnung für die Ausrüstung war nicht – wie vertraglich zugesichert – vom einheimischen Studio bezahlt worden. Da kam die erfreuliche Nachricht, dass auf dem französischen Schloss wieder alles klar war, man könne dort das Album fertigstellen. Der Zeitplan der Firma Elton John war total durcheinander gewirbelt. Eine geplante Deutschland-Tournee musste zwischenzeitlich abgesagt werden.

Unter diesem immensen Druck entstand das Doppel-Album „Goodbye yellow brick road“. Erstaunlicherweise eines der besten von Elton John. Auch der Künstler war begeistert: “Alle meine Einflüsse sind darin enthalten; alles, was ich je geschrieben habe, klingt darin an“.

Bei der ironischen Pop-Gruppen-Verherrlichung „Benny and the jets“ war es zum Beispiel Elton Johns erster geglückter Versuch mit der Soulmusik, und die nachträglich im Studio zugemischte Liveatmosphäre störte auch nicht weiter. Oder „Candle in the wind“, eine Hymne an sein Idol Marylin Monroe, deren Bild er schon als Schüler täglich in seinem Ranzen mit sich trug.

Alles aber wurde überstrahlt vom Titelsong, der wie eine große Verbeugung vor der Musik von John Lennon und Paul McCartney klang. Dazu kamen weitere 16 Songs vom Rock, Rock’n´Roll bis zur schlichten Ballade. Popmusik in Reinkultur. Popmusik so wie Elton John sie sieht: „In 200 Jahren wird sich keiner mehr anhören, was heute geschrieben und gespielt wird. Doch ich glaube, man wird immer noch Beethoven hören. Pop-Musik ist reiner Spaß, und das ist einer der Gründe, warum ich mich selbst nicht so ernst nehme. Ich liebe Pop-Musik, sie ist mein Leben. Und ich liebe sie, weil sie Spaß macht.“ Weltweit über 30 Millionen verkaufter Alben von „Goodbye yellow brick road“ bedeuten für Elton John bis heute einen persönlichen Rekord.




Radikale Rebellin

Tische und Stühle sind von einer Staubschicht bedeckt, die vor Beginn abgefegt wird – merke: ein Klassiker wird entstaubt. Das Arrangement der kargen, mit Plastikblumen geschmückten Tische erinnert an eine Podiumsdiskussion (Bühne: Kathrine von Hellermann). Merke: Hier wird etwas verhandelt. Charlotte Zilm bringt im Dortmunder Studio Sophokles’ Antigone auf die Bühne. Sie zeigt ein Stück mit einigen Knall-Effekten – spannend, kurzweilig, bilderstark. Ein wenig auf der Strecke bleibt dabei die psychologische Feinzeichnung.

Antigone (Uta Holst-Ziegeler) beweint den Bruder (Sebastian Graf). Foto: Birgit Hupfeld

Der tote Ödipus-Sohn Polyneikes darf nach dem Willen seines Onkels Kreon nicht bestattet werden. Halbnackt und blutig liegt er auf der Bühne, und mit blutigen Händen setzt sich Kreon (Uwe Schmieder) als neuer König von Theben die Krone auf. Antigone (Uta Holst-Ziegeler) leistet als einzige Widerstand: Sie bestattet den Bruder und nimmt dafür den Tod in Kauf. Diese Antigone ist eine Rebellin voller Wut und Aggression. Als sie das Bestattungsverbot vernimmt, ballt sie die Faust und zerdrückt dabei die Flasche in ihrer Hand wie ein Blatt Papier – diese Frau steht unter Strom. Nicht einen Moment der Schwäche erleben wir bei ihr: Aufrecht und angstfrei ist ihre Haltung bis zum Schluss, unbeugsam blickt sie ihrem Onkel und ihrem Tod ins Gesicht. „Nicht zu hassen, zu lieben bin ich da“ – ihre berühmten Worte spricht sie langsam und voller Zorn, mit dem Zeigefinger gegen Kreon gerichtet. Der Monolog vor ihrem Selbstmord – Antigone schießt sich in den Kopf – ist dann auch kein Klagelied, sondern eine brüllend vorgetragene Anklage, aufrührerisch und aggressiv. Eine Gotteskriegerin, deren Haltung weniger auf eine gefestigte innere Moral denn auf militanten Fundamentalismus schließen lässt.

Kreon (Uwe Schmieder) setzt sich vor Antigone (Uta Holst-Ziegeler) die Krone auf. Foto: Birgit Hupfeld

Kreon ist ihr machtbesoffener, leicht sadistischer Widerpart. Was ihm im Vergleich zu Antigone an Körpergröße fehlt, kompensiert er durch sein übergroßes Ego. In breitbeiniger Macho-Pose sitzt er auf dem Thron, leer sein Bier auf Ex und sucht vergeblich Männerbünde gegen „diese Weiber, die man in Fesseln legen muss“. Mit Auftritt des Sehers, der Kreon warnen will, wird des Königs Wahn offenbar. In der Dortmunder Inszenierung ist der tote Polyneikes (Sebastian Graf) der Seher: Die Leiche wird in Kreons Armen lebendig, nimmt den König auf den Arm und scheint als Über-Ich zu Kreon zu sprechen. Das Ende bleibt offen: Während bei Sophokles der Tod seines Sohnes und seiner Frau Kreon zum Umdenken bewegen, gibt es in Dortmund nach Antigone keine weiteren Toten. Am Ende steht Kreon vor einer Entscheidung.

Der Diktator mit Realitätsverlust und die radikale Rebellin – zwei gut gespielte Figuren, deren Zeichnung zwar keineswegs abwegig, jedoch etwas eindimensional ist. Ein Überraschungscoup gelingt der Inszenierung mit dem neuen, 30-köpfigen Dortmunder Sprechchor, der sich plötzlich aus den Reihen des Publikums erhebt und dem Volk eine gut einstudierte Stimme gibt (Christoph Jöde, Mirjam Schmuck). Ein Überraschungscoup gelingt der Inszenierung mit dem neuen, 30-köpfigen Dortmunder Sprechchor, der sich plötzlich aus den Reihen des Publikums erhebt und dem Volk eine gut einstudierte Stimme gibt (Christoph Jöde, Mirjam Schmuck).

Weitere Termine: 10. Februar, 22. Februar, 10. März

(Der Text erschien zuerst im Westfälischen Anzeiger, Hamm)