Meilensteine der Popmusik (6): Foreigner

Ein nordatlantisches Bündnis der zwei führenden Rock-Großmächte wäre in den 60er Jahren unvorstellbar gewesen. Die Rockszene war damals ein Kampfschauplatz, begleitet von der dazugehörigen Kriegsberichterstattung. Kaum hatten die Beatles Amerika erobert, rückten etliche Gruppen von der Insel nach. Die US-Presse begleitete die „britische Invasion“ mit großer Sorge, Patrioten forderten einen Gegenschlag. Der kam dann auch prompt, und geballt, z.B. mit Flowerpower, Psychedelic und den Retortenclowns „The Monkees“.

Mit der Zeit verhärteten sich die Fronten, und die Stellungen waren mehr oder weniger eindeutig auszumachen. Die Briten hatten mit Deep Purple, Pink Floyd und Led Zeppelin den Rock als stärkste Waffe, die Amerikaner konterten mit Blackmusic: Soul, Phillysound, Disco und Funk (alles unter der Marke „R&B“). Die Grenzen waren eigentlich klar markiert, und doch gab es immer wieder Überläufer. Zum Beispiel den Londoner Mick Jones. Dieser hatte schon mit George Harrison, Peter Frampton und anderen Größen getingelt, und sich jetzt in New York als Manager einer Plattenfirma niedergelassen. Bei Studioarbeiten (u.a. für lan Hunter) freundete sich Jones mit zwei weiteren Briten, und zusätzlich zwei Amerikanern an. Man beschloss, es doch mal als Gruppe zu versuchen. Mick Jones hatte zwischenzeitlich ein paar Songs der relativ unbekannten US-Gruppe „Black Sheep“ gehört. Er mochte die Stimme des Sängers und fragte nach, ob er seinen Arbeitsplatz wechseln wolle. Das Angebot stimmte, und Sänger Lou Gramm machte die Quote der neuen Rock-Gruppe ausgeglichen: 3 Briten trafen auf 3 Amerikaner. So oder so gesehen waren die sechs untereinander Ausländer, und folglich nannte man sich schlicht: Foreigner.

Schon im Gründungsjahr 1976 unterschrieben sie einen Plattenvertrag und gingen mit 20 fertigen Songs ins Studio – Professionalismus von Anfang an. Gleich die erste LP schlug voll ein. Mit über 4 Millionen verkaufter Exemplare und drei Hit-Singles (darunter der Klassiker „Cold as ice“) war Foreigner aus dem Stand etabliert. Als großer Organisator und heimlicher Kopf stellte sich bald Mick Jones heraus; der Sänger Lou Gramm wurde sein Gegenpart und optischer Frontmann der Band. Beide versuchten, den britisch-amerikanischen Rocksound im Gleichgewicht zu halten. Es war eine ständige Schaukelpartie, vor allen Dingen bei den nächsten LPs. Kritiker warnten schon vor dem Untergang im Synthesizer-Sumpf, einer Stilrichtung, die damals vor allen Dingen in den USA sehr erfolgreich war. Mick Jones und Lou Gramm schienen die Gefahr erkannt zu haben und schrumpften ihr Projekt diesmal zu einer echten Rockformation.

Ihr viertes Album wurde nur noch zu viert eingespielt und hieß schlicht „4“. Es wurde ihr mit Abstand erfolgreichstes, mit weit über sechs Millionen Verkäufen allein in den USA. Zehn Wochen stand „4“ an der Spitze der US-LP-Charts. Der erfolgreichste Song aus dieser LP war „Waiting for a girl like you“. Eine Traumballade, die einen seltsamen US-Rekord aufstellte: Es wurde die erfolgreichste Nummer 2 der Hitparaden-Geschichte. Ganze zehn Wochen stand die Single dort, ohne es ganz nach oben zu schaffen (dort stand damals Olivia Newton-Johns „Physical“ wie eine eins). Die so umstrittene Synthesizer-Arbeit hatte man auf „4“ übrigens einem Fachmann der Extraklasse überlassen, dem Experimental-Rocker Thomas Dolby. Ansonsten kehrte der geradlinige, schnörkellose Rock zurück. Zu hören bei weiteren Welthits wie „Jukebox Hero“ oder „Urgent“. Für letztere Aufnahme holte man sich sogar die Motown-Legende Jr. Walker ins Studio. Er blies ein flippiges Saxophonsolo, das man dem älteren Herrn so gar nicht mehr zugetraut hatte.

Foreigner blieb noch für ein paar Jahre eine der erfolgreichsten Rockbands, bis sich die Köpfe Jones und Gramm immer mehr „auseinandermusizierten“, und die beiden sich schließlich regelrecht anfeindeten. Da brach er wieder auf, der britisch-amerikanische Rock-Konflikt, der in einer müden Solo-Karriere des Lou Gramm und der vorläufigen Trennung von Foreigner gipfelte. Waiting For A Girl Like You – Foreigner

 

Vorherige Folgen der Serie: Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5)




Emotionen im Blick – Fotos als Seelenspiegel

Aino Kannisto: White Stones

Da steht sie nun, mit leeren Händen: eine junge Frau, rothaarig, schwarzweißes Kleid und kalkige Finger, inmitten einer grau-weißen Steinwüste. Sie blickt – ins Leere? Oder doch mit ängstlichen, erstaunten Augen in die Kamera? Das Bild, nein, diese Frau, die finnische Fotografin Aino Kannisto, ist uns ein Rätsel. Sie hat sich selbst abgelichtet, wieder und wieder. Doch es sind keine Porträts, die uns die Bochumer Galerie m hier zeigt, sondern sorgfältig vorbereitete, klar strukturierte Inszenierungen. Und der Titel der Schau, „She and She“, führt zu einer weiteren Erkenntnis: Kannisto schlüpft in Rollen, als wollte sie sagen „Ich bin eine andere“.

Was den jeweiligen Ort betrifft, scheint er vieles auszudrücken, nur nicht eins, die reale Welt. Die Frau im Bade: Ein Foto in unwirklichem Weiß, gebrochen nur durch Terrakotta-Kacheln und den von Patina durchsetzten Armaturen der Wanne. Ihr Blick scheint die Frage „Was soll ich hier“ auszudrücken. Die Frau im Garten sitzend: Sie mag Héléne heißen, so sagt es jedenfalls die Tasse, die vor ihr steht. Sie piekt mit der  Gabel wie lustlos in ihrem Kuchen herum. Doch was bedeuten die drei anderen Tortenstücke? Ist da jemand nicht gekommen?

Schließlich, die Frau neben einer rostrot bepinselten Holzwand. Eine wunderbare Licht-Schatten-Komposition. Sie trägt das Haar offen, ein schwarzes Kleid, die sommersprossigen Arme sind frei. Das einzige Bild von 20 Exponaten, in dem uns ein leicht herausfordernder Blick anschaut. Doch eigentlich, auch hier die große, irritierende Melancholie.

Aino Kannisto: Woman sitting in the garden

Kannistos Fotos wirken bisweilen wie Filmstills.  Standbilder inmitten einer Geschichte, die der Fantasie des Betrachters entspringen darf. Doch gleichzeitig bedeutet dieses Auf-den-Punkt-Bringen ein Verharren in der Lautlosigkeit, ja Einsamkeit. Kein Lächeln – eine Künstlerin stellt sich ins Zentrum von Inszenierungen, die vor allem eins suggerieren: Ich habe viel Bekümmernis.

Dieser Kummer nimmt seinen Lauf in teils unwirtlicher Umgebung. Die Frau unter einem weißen Tuch auf einer abgenutzten Steinbank liegend – ein Bild wie aus der Pathologie. Oder sitzend in einem schäbigen Zimmer, widerwillig in einer geknackten Walnuss pulend. Anderswo in einem heruntergekommenen Treppenhaus stehend, die braune Tür neben sich, selbst wie dramatisch gealtert wirkend. Ein düsteres Foto, wären da nicht die hellen Hautpartien, die sehr plastisch für die Ausgewogenheit der Lichtverhältnisse sorgen.

Viele sagen, Porträtfotographie ist dann gelungen, wenn es gelingt, in die Seele der Person zu blicken, die sich vor der Kamera befindet. Streng genommen hat Kannisto nicht sich selbst porträtiert, aber in die Seele schauen kann der Betrachter dieser Frau/diesen Frauen schon.

Ganz offensichtlich und von beiden auch so verstanden, handelt es sich indes bei den Fotos von Nevin Toy-Unkel und Dirk Vogel, zu sehen im Jüdischen Museum Dorsten, um Porträts. Um Bilder von Menschen, die eine Vergangenheit mehr oder weniger mit sich herumschleppen, die recht oder schlecht in der Gegenwart verankert sind und skeptisch bis hoffnungsfroh in die Zukunft schauen.

Ayse Simon, Anästhesistin aus Herne. Foto: Nevin Toy-Unkel

Sie alle leben in Deutschland, sie alle kamen aus der Fremde. Jüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, denen sich der Dortmunder Dirk Vogel mit Behutsamkeit und sensiblem Gespür für den rechten Moment, den Auslöser zu drücken, nähert. Andererseits Migranten aus der Türkei, oder Deutsch-Türken der jüngeren Generation, die Nevin Toy-Unkel, in Marl lebend, überwiegend als freundlich dreinblickende Menschen fotografiert hat.

Wie etwa das smarte Unternehmer-Paar, das gleichsam für sich wirbt oder die Anästhesistin, die lächelnd und stolz in die Kamera schaut. Alle abgelichtet in ihrer jeweiligen Lebenssituation, in vertrauter Umgebung also, die im übrigen  wichtiger Bestandteil des Bildaufbaus ist.

Valeria Geruhmanova im geblümten Kleid. Foto: Dirk Vogel

Dirk Vogel wiederum ist seinen „Modellen“ an deren Lieblingsplätze gefolgt. Er fokussiert mehr auf die Gesichter, pflegt gleichzeitig die Liebe zu Details, die auf den jüdischen Glauben der Porträtierten verweisen. Da ist etwa die Dame im blütenbunten Kleid, die melancholisch in die Ferne schaut, im Hintergrund ein siebenarmiger Kandelaber. Oder die junge Frau mit Hut und schmalem Gesicht, die an den Film „Yentl“ mit Barbra Streisand erinnert.

Große Texttafeln sagen uns etwas über den Lebenslauf dieser Menschen, ihr Befinden und ihre Wünsche. Doch auch ohne das Geschriebene lassen die Bilder von Vogel und Toy-Unkel Deutungen zu. Das ist beeindruckend.

www.jmw-dorsten.de

www.m-bochum.de

 




Boltanskis Abo-Falle

Selten konnte die Netzkunstwelt etwas derart Undurchdachtes registrieren: Der hochgelobte, vielgerühmte Christian Boltanski hat einen Webshop basteln lassen, über den er – darin vergleichbar mit einer Pornoseite – per Abonnement gegen eine Monatsgebühr von zehn Euro zehn einminütige Filme vertreibt – jeden Monat einen.

Der Künstler, Jahrgang 1944, überdies dreimaliger documenta-Teilnehmer und Kaiserring-Träger 2001, verpflichtet den Abonnenten von www.christian-boltanski.com ferner zu einem kompletten Jahresabschluss. Mehr gibt’s dort nicht. Im Unterschied zu den Profis der Abo-Zocker lockt der Meister des Inventarismus nicht mit Previews, Goodies oder sonstigen Angeboten. Nicht einmal ein Pressebutton oder Info-File ist verlinkt. Der Rezipient erwirbt den Zugang als sprichwörtliche Katze im Sack.

Nun lässt sich hinsichtlich des Popularitätsgrads und der allseits dem Werk attestierten Bedeutungsschwere wie -höhe des französischen Meisters argumentieren, dass es sich um hintersinnig-konzeptuelles Wirkeln handele, das zu diesem poveren Ergebnis geführt hat. Sicher, die Mechanismen, mit denen die ausschließlich französischsprachige Site funktioniert, sind ein wenig anders als bei den kommerziellen Kollegen.

Auf der spartanisch-schmucklos grauen Seite mit ihrer schwarzen Allerweltstypografie leiten nur wenige Links am unteren Rand den Besucher. Der erste führt zum Filmarchiv, daneben lassen sich bereits erworbene Dateien auf ihre Authentizität hin prüfen. Es gibt einen Zugang zum Account, den man anlegen muss. Natürlich noch die typische Enfilade des Vertragsabschließens bis zum Payment. Ein Impressum und ein Verweis auf die Werbeagentur, die wahrscheinlich das Projekt hat programmieren lassen, vollenden den Strauß der Möglichkeiten.

Man könnte meinen, der Künstler hebele auf diese marktaffine Weise, aber eben mit anderen gestalterischen wie inhaltlichen Mitteln, die Ökonomisierung nicht nur von Original und Kopie, sondern auch von Urheber- und Verwertungsrechten aus. Außerdem suche er – wie vor Jahren schon Musiker wie die Einstürzenden Neubauten oder Radiohead – nach freieren, galerie- bzw. labelunabhängigen und direkteren Distributionswegen und spiele mit der Utopie derselben.

Man liest bereits im Geiste die Elogen der Fans: „Christian Boltanskis neue Website affirmiert und verweigert sich gleichermaßen dem Gedanken des Social Web-Hypes und rangiert daher in einer Art Zwischenreich: Es spiegelt und konterkariert die Mechanismen der zunehmend aggressiver agierenden Kreativwirtschaft, aber auch der Piratenkultur, und legt mit einfachen Mitteln gleichermaßen die Sehnsucht nach Authentizität in einer zunehmend abstrakter werdenden sozialen Sphäre bloß. Blahblubb…“ Ende des imaginierten Zitats.

Aber nein, dieses Angebot muss auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Es ist schlichtweg schwach und spiegelt letztlich in keiner Weise so etwas wie den Hacker-Spirit, den man angesichts der Flughöhe des Projektleiters und -schöpfers hätte erwarten können. Dieses Angebot schreit es förmlich heraus: Im Internet sind selbst die Verheißungen großer, etablierter Künstler nicht viel mehr als eine werbewirksame Maßnahme zur Akquise von Bargeld, selbst wenn diese im intellektuellen Gewand daher kommt. Keine Partizipation, nur Rezeption: Ein weiteres Merkmal der Seite. Keine formale wie inhaltliche Spiegelung der eingesetzten Mittel.

Wenn ein Künstler so ein Thema anfasst, sollte er sich mit Spezialisten zusammensetzen, die nicht nur etwas von der Gestaltung des Scheins verstehen. Das Netz hält mehr bereit, verlangt daher auch nach anderen, intelligenteren künstlerischen Strategien, und eine einfache Bezahlschranke lässt sich genauso wenig als künstlerisches Mittel schön schreiben wie ein minimalistisches Layout. Die einzige Leistung dieser Site ist ihr Modus: die  absolute Assertion.