Meilensteine der Popmusik (7): Santana

José Santana hatte sieben Kinder. Diese musste der mexikanische Mariachi-Musiker durchfüttern. Für Taschengeld reichte es nicht. Die Kleinen halfen sich selbst und lernten von der Musik des Vaters. So bearbeitete sein Sohn Carlos schon mit fünf eine Violine. Zehn Jahre später sang und spielte er für US-Touristen in Bars und Bordellen im mexikanischen Grenzstädtchen Tijuana. Im Gegensatz zu vielen anderen Mexikanern schaffte die Familie Santana den Weg ins Paradies. Das Paradies lag natürlich in Kalifornien, und in San Francisco steppte gerade der Hippie. Das war Mitte der 60er, Sohn Carlos stieß gerade rechtzeitig hinzu, denn in der bunten Multikulti-Szene war noch Platz für die Abteilung „Latin“. Carlos Santana machte einen kurzen Umweg über eine Blues-Band, bis er sein 7-Mann-Feuerwerk Santana gründete.

ABRAXAS

In einer Zeit, in der der universale 4-Mann-Sound (2 Gitarren, Bass, Schlagzeug) das Hitparadeneinerlei beherrschte, wurde Santana zur Sensation. Zwei lateinamerikanische Conga- und Timbales-Spieler hämmerten die Zuhörer schwindelig. Afrikanische und lateinamerikanische Percussion, zusammen mit harter Rock-Musik, das war neu im Geschäft. Das registrierten auch die Veranstalter von Woodstock. Sie engagierten Santana, allerdings ohne Gage. Die Newcomer wurden neben Joe Cocker zur absoluten Entdeckung des Festivals. Der Einsatz hatte sich gelohnt. Schon ihre Debüt-LP wurde zum Millionenseller. Der absolute Knaller kam aber mit dem Nachfolger „Abraxas“ (Name für altägyptischen Gotteskult). Songs wie Peter Greens „Black Magic Woman“ (im Original von Fleetwood Mac/1968), die Latin-Hymne „Oye Como Va“ (im Original von Tito Puente), und nicht zuletzt das von Carlos selbst komponierte und geradezu zelebrierte „Samba Pa Ti“ wurden zu Klassikern.

Äußerlich lag das Album voll im Trend. Der war natürlich was für die Augen und nannte sich „Cover Art“. Diese neue künstlerische Gestaltung einer Plattenhülle hatte für  „Abraxas“ der Hamburger Mati Klarwein vorgenommen. Er zeigte hier einen Ausschnitt aus seinem Gemälde „Annonciation“.  Der Künstler pflegte, nach eigenem Bekunden völlig drogenfrei, die psychedelische Kunst. Das Kunstwerk zeigt eine Collage aus indianischen, afrikanischen und asiatischen Motiven, mit einem nackten, weiblichen Engel im Zentrum. Die kahle Schöne hat Schwingen wie ein Adler, und reitet auf einer Conga durchs Bild. In diesem bunten Hippietraum deutete sich schon die neue Leidenschaft des Carlos Santana an. Meditative Reisen zum indischen Guru Sri Chinmoy veränderten den schnauzbärtigen Lockenkopf. Carlos ließ sich die Haare schneiden, ernährte sich fortan makrobiotisch, und schritt nur noch in weißen Gewändern umher. Und auch von seinen alten Kumpels und der knackigen Karnevalsmusik entfernte er sich immer mehr. „Fusion“ wurde seine neue Liebe. Eine Mischung aus Jazz, Rock und einem Schuss Blues. Der kommerzielle Erfolg war eher bescheiden, doch für Gitarren-Freaks spielte Carlos sowieso in der ersten Liga. Er selbst versuchte später oft an alte Zeiten anzuknüpfen. Erst 1999 gelang ihm ein phänomenales Comeback. Ein Jahr später erhielt er für „Supernatural“ insgesamt 8 Grammys.

Den Anfang machte er aber 1970, auf dem ersten, ganz großen Höhepunkt seiner Karriere, als er der LP Abraxas ein abgewandeltes Zitat aus Hermann Hesses „Demian“ voranstellte: „Wir standen davor und froren innerlich vor lauter Anstrengung. Wir befragten das Gemälde, beschimpften es, liebten es, beteten es an. Wir nannten es Mutter, Hure und Schlampe, nannten es unsere Geliebte, nannten es ABRAXAS…“

Samba pa ti – SANTANA

Vorherige Folgen der Serie: Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6)

 




Ein sechsfaches Prosit auf die Weltgeschichte

Vor etlichen Jahren lernte ich in Amerika bei einer Dinner Show ein junges Paar kennen. In breitestem Südstaaten-Dialekt stellten die beiden sich mit folgenden Worten vor:“Hi, we are Betty and Jim from Atlanta. Atlanta, Georgia. Home of Coca-Cola.“

Das ließ mich damals so fasziniert wie irritiert zurück. Zig Dinge wären mir eingefallen zu Atlanta, Georgia. Scarlett. Tara. Martin Luther King. Die Peachtree Road. Die Sezessionskriege. Meinetwegen auch Coca-Cola. Jedoch nicht als Erstes, Einziges und Wichtigstes. Aber so sind sie, die Amerikaner. Unbändig stolz auf den Siegeszug der braunen Brause als global akzeptiertes, bewundertes Symbol des American Way of Life.

Genau dies bestätigt auch der englische Historiker und Journalist Tom Standage in seinem überraschenden Werk „Sechs Getränke, die die Welt bewegten“. Spätestens seit Coca Cola zum kriegswichtigen Gut geadelt wurde, war der Aufstieg des Getränks von der Brause aus dem Sodabrunnen zur nationalen Institution unausweichlich.

Coca-Cola ist das letzte der 6 Getränke, anhand derer Tom Standage seine Leser unterhaltsam durch die Weltgeschichte führt. Der deutsche Titel führt leicht in die Irre. In diesem Buch geht es nicht in erster Linie um Getränkekunde, sondern die Entstehungsgeschichten von sechs Getränken – neben Cola sind es Bier, Wein, Rum, Tee und Kaffee – werden verknüpft mit einer rasanten Zeitreise von der Steinzeit in die Gegenwart. Der Originaltitel „A history of the world in 6 glasses“ trifft es wesentlich besser. Standage bietet nicht weniger als einen Crashkurs in Weltgeschichte, gepaart mit Exkursen in Technik, Chemie und Religion. Nur wenige der sorgsam recherchierten Verknüpfungen sind weithin bekannt, am bekanntesten dürfte die Boston Tea Party sein. Umso überraschender zu erfahren, dass beispielsweise die Pyramiden wohl ohne die zufällige Entdeckung des Bieres nie gebaut worden oder die Entdeckungen der Kolonialzeit ohne Rum nicht machbar gewesen wären. Besonders spannend die Geschichte des Kaffees. „Das nüchterne Geschenk der arabischen Welt“, es trat seinen Siegeszug im Zeitalters der Vernunft an. Kaffeehäuser etablierten sich als Heimstätten eines Bündnisses aus Kaffee, Innovation und Netzwerk, „eine Art Internet des 17. Jahrhunderts“.

Standage zieht destillierte Schlüsse aus dem „flüssigen Vermächtnis der Kräfte, die unsere Welt geprägt haben“. Dabei räumt er mit bis heute verbreiteten Mysterien auf und stellt neue Thesen auf. So stehe „der Konsum von Coca Cola in engem Zusammenhang mit dem Wohlstand und der Lebensqualität von Ländern“. Gewagt, aber nicht von der Hand zu weisen und daher durchaus bedenkenswert.

Dennoch irritiert seine rigorose Trennung, jeder Periode ein bestimmtes Getränk zuzuordnen. Bier kommt im Buch nur in vorchristlicher Zeit vor, von der „Amphore Kultur“ (Wein) hört man nur bis zum Mittelalter und Tee war das Schmiermittel der industriellen Revolution. Die Dominanz britischer Tea-Time-Kultur bis heute interessiert nur am Rande. Selbst die Prohibition spielt allenfalls im Hinblick auf den Siegeszug von Coca Cola eine Rolle. Standage weist jedem Getränk einen Platz als Katalysator für die Förderung der Kulturen und Zivilisationen zu. Dass jedes dieser Getränke für sich genommen bis heute mehr ist als nur ein Durstlöscher, ist bei dieser Vorgehensweise uninteressant. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass Standage ein allgemeingültiges Standardwerk vorlegen wollte. Vielmehr dürfte es seine Intention gewesen sein, mit einem Augenzwinkern auf die Weltgeschichte zu schauen und Geschichtsmuffeln einen unterhaltsamen Rundgang zu bieten. Dies ist ihm zweifellos gelungen. Und da er seinem Gesamtbild viele unbekannte Details zufügt, dürfte dieses Werk auch den in Historie Versierteren Spaß machen.

„Die Gepflogenheit, sein Glas zu heben, ist uralt und beschwört übernatürliche Kräfte“. Und so ist natürlich auch diese Buchbesprechung nicht entstanden ohne den beherzten Einsatz diverser inspirierender Getränke. In diesem Sinne Salute, Cheers und Prösterken.

Tom Standage: „Sechs Getränke, die die Welt bewegten“. Verlag Artemis und Winkler, Euro 19,99.

Homepage des Autors: tomstandage.com