Ich bin dann mal weg: Heiner Goebbels‘ „Ästhetik der Abwesenheit“

Prof. Heiner Goebbels © Wonge Bergmann für die Ruhrtriennale

Prof. Heiner Goebbels © Wonge Bergmann für die Ruhrtriennale

Der Intendant als sein eigener Theoretiker: Im Gegensatz zu den meisten Künstlern, die die Deutung ihrer Werke gerne mit dem Hinweis verweigern, das Geschaffene solle für sich sprechen, liefert Heiner Goebbels die Dramentheorie zu seinen Musiktheaterinszenierungen gleich mit.

Mehr noch: Die ästhetische Theorie entwickelt sich scheinbar organisch aus seinen Kompositionen und aus der Art, wie er glaubt, sie in Szene setzen zu müssen. Das ist ebenso originell wie überzeugend. Doch Heiner Goebbels ist eben nicht nur Komponist, neuer Intendant der Ruhrtriennale und Musiktheaterregisseur, sondern auch Professor für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Seit 2009 ist er außerdem Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Düsseldorf, wo er kürzlich in einem Vortrag seine „Ästhetik der Abwesenheit“ erläuterte.

Mal ehrlich: Wer stört bei einem Konzert am meisten? Tut eigentlich nichts und verstellt nur den Blick auf die Musiker? Genau: der Dirigent. So sieht man denn auch in der Aufführung „Eislermaterial“ mit dem Ensemble Modern (die am 13. Oktober nochmals in der Philharmonie Köln zu erleben ist) die Musiker im Karree um einen leeren Raum herumsitzen, in dem auf den zweiten Blick eine winzige Tonfigur auf einem Podest den Stab in die Höhe reckt – die Karikatur eines Dirigenten. Für Goebbels ist der Dirigent nicht nur verzichtbar, sondern er maßt sich sogar eine Führungsposition an, die Publikum und Musiker in ein bestimmtes Rezeptionsverhalten hineinzwängt und so die freie künstlerische Erfahrung verhindert.

Ausgeweitet auf das Drama bzw. die Oper bedeutet dieser Ansatz einen Verzicht auf Sänger bzw. Schauspieler, eigentlich auf alle, die durch ihre Präsenz auf der Bühne den Fokus des Publikums auf ihre Figur richten. Was radikal anmutet, ist tatsächlich Ergebnis einer ästhetischen Entwicklung, die Goebbels mithilfe von Videoeinspielungen erklärt. In „Eraritjaritjaka“ (2004) geht der Schauspieler nach einem langen Monolog von der Bühne und fährt, von der Videokamera begleitet, mit dem Auto nach Hause. Dort liest er Briefe, macht die Wäsche und brät sich ein Spiegelei währenddessen er Texte von Canetti rezitiert. Die Zuschauer erleben das auf der Leinwand mit und gerade durch die Abwesenheit entstehe eine ungeheure Spannung: Kommt der Schauspieler noch einmal wieder? Sollen wir auf ihn warten oder auch nach Hause gehen und uns selbst vielleicht ein Ei braten? Haben wir Hunger oder möchten wir lieber Musik hören?

In „Stifters Dinge“ von 2007, die bei der Ruhrtriennale wieder zu sehen sein werden, vollendet sich die „Ästhetik der Abwesenheit“ in einer Art fremdartiger Anwesenheit von klingender Materie. Ein Versuch, so Goebbels, komplett auf Darsteller zu verzichten und nur die Dinge sprechen zu lassen, die sich auf der Bühne befinden: Wasser, Eis, vom Wind bewegte Vorhänge, Licht. Dazu hört der Zuschauer eingespielte Aufnahmen von menschlichen Stimmen in fremden Sprachen. Kann das gelingen, kann man so das Publikum fesseln und eine ästhetische Erfahrung jenseits der üblichen Sehgewohnheiten ermöglichen? Für Heiner Goebbels ist das Experiment gelungen, die Abwesenheit mündet nicht in der Leere, sondern dialektisch gesprochen in der Anwesenheit von etwas ganz anderem, bisher noch nicht in den Blick geratenem, dem Fremden. Etwas, das sich Freiheit der Kunst nennt? Oder wie eine Zuschauerin es ausdrückte: „Endlich steht niemand mehr auf der Bühne, der mir sagt, was ich denken soll.“

Ende Juli erscheint Heiner Goebbels „Ästhetik der Abwesenheit – Texte zum Theater“ als Buch im Verlag Theater der Zeit.

 




Köstliches am Wegesrand (1): Pralinen, Torten, Erbsensuppe

Ich fand nach kurzem Grübeln alsbald heraus, dass die gekonnte Zubereitung dessen, was man später genießerisch mümmelnd an Brennstoffen zu sich nimmt, so dass ein Schritt vor den anderen gesetzt werden kann, dass also diese kunstgerechte Umwandlung von Nahrungsmitteln zu köstlichen Gerichten ganz klar zum Kulturgut eines Landes gehört.

Am Sonntag nach Fronleichnam kam mir der Gedanke, es nicht etwa Wolfram Siebeck nachzutun (der ist erstens unerreicht, zweitens hat er mehr Geld, sich erlesene Testobjekte für seinen verwöhnten Gaumen leisten zu können und drittens viel mehr Zeit, wohlformulierte Sätze über die Ergebnisse seiner Untersuchungen zu formulieren) – also dem großen Siebeck wollte ich es nicht nachtun, sondern meine Aufmerksamkeit auf diejenigen Plätze richten, die sich ganz zufällig am Wegesrand ereignen. Daraus ließe sich doch eine Serie stricken, die in unregelmäßiger Reihenfolge erschiene und Ursprungsorte diverser Leckereien vorstellt, die zwar in keinem Michelin-Führer zu finden wären, aber eigentlich in die Erlebniswelt von unsereins und anderen gehören.

Gut also, ich beschloss, dass so etwas auch in einem Kulturblog behaglich aufgehoben wäre (belehrt mich eines Besseren) und meine Miene erhellte sich sofort bei dem Gedanken, heute schon einmal ans Werk zu gehen. Während ich noch mit meiner wunderbaren Familie (Andrea und Yannic) im „Café Schuler“ saß und zahllose SUVs (Autos, die so tun als könnten sie Allrad) über die enge Leopoldstraße in Daun (Vulkaneifel) rollen sah, entstanden vor meinem inneren Auge Beiträge. Eben beispielsweise der über dieses kleine, aber megafeine Café an der engen Leopoldstraße in Daun (Vulkaneifel).

Café Schuler

Während ich schwärmerisch die Augen verdrehte, als die „Dauner Morchel“ – ein erkennbar handgeformtes Stück Praline eigener Herstellung zwischen Zunge und Gaumen dahinschmolz und ihre großartigen Schmeicheleien von sich gab, hörte ich, wie Andrea und Yannic geradezu inbrünstig ihre Teller anhimmelten, auf denen sich bemerkenswert schnell schwindend ein Marillenpfannkuchen und eine Vulkantorte befunden hatten. Ganz offensichtlich waren wir gleichen Schrittes und völlig ausgelassen begeistert von dem, was uns eine hinreißend freundlich Bedienung serviert hatte.

Dieses juwelenartige Etablissement gleich gegenüber einer italienischen Eisdiele weckte unser aller Aufmerksamkeit, genauer hinzuschauen. Auszeichnungen zieren die Wände, dass die Tapeten beinahe überdeckt werden. Seit 1935 währt die Familientradition, stets mehrfach prämiert, die nun Kay Schuler führt und seine handverlesenen Auszubildenden so weit bringt, dass diese wiederum mit jeder Menge Auszeichnungen durch die Kammerprüfungen gelangen. Der Kuchentresen ist keineswegs überladen, eher vielversprechend einladend. Drinnen im Gastraum sitzen zufriedene Paare und ihre Augen bejubeln das Frühstück, zu dem natürlich hausgemachte Marmeladen gehören.

Zu dritt genehmigen wir uns noch eine Erbsensuppe, die heiß in einem stilechten Weckglas auf den Tisch gestellt wird und umwerfend schmeckt. Da ist es beschlossen: Wir kehren bei nächster Gelegenheit wieder zurück und probieren – so weit wir es schaffen – die Speisekarte weiter durch, süß wie salzig. Das wird sogar ganz schnell geschehen, weil die Eifel nun zu unseren bevorzugten Kurztrip-Zielen gehören wird, wenn wir wieder mal mit dem er- und vielgefahrenen Wohnmobil durch die Landschaft knattern. Ach ja, alles ist anregend im kleinen Café, auch die Tatsache, dass niederländisch geschrieben steht, der Kaffee sei fertig und frisch gebrüht, nur die Rechnung ist nicht sonderlich aufregend. Und ich bin echt gespannt, wie Speckpfannekuchen oder die Reibekuchen mit Graubrot schmecken werden.

So, das war nun nicht die Entdeckung der finalen Gourmeterfahrung, aber ich fand, dieses Café in Daun (Vulkaneifel) mehr als erwähnenswert. Wer derartige Kuchen zusammenstellt, Pralinen kreiert und auch noch Erbsensuppe kochen kann, der ist schon einen Beitrag wert.