Meilensteine der Popmusik (15): The Rolling Stones

Nur wenige Bands haben ihre Gefühle so offen bloßgelegt, waren so widerspenstig, und doch so ehrlich wie die Rolling Stones. Für sie gab es keine Tabuzonen. Den Grundsatz, nur nichts Persönliches in die Pop-Musik einzubringen, warfen sie einfach über den Haufen. Seit nunmehr 50 Jahren auf der Bühne und bis heute: „shocking“ um (fast) jeden Preis.

Im April 1966 mussten die Feministinnen daran glauben. Die Aussagen des Albums „Aftermath“ trieben die engagierte Weiblichkeit zur Weißglut. Auf einen Punkt: Männer sind Männer, und Frauen sind Sex-Objekte. Alles „under my thumb“, unter meinen männlichen Daumen…

Die Stones als chauvinistische Frauenhasser? Der hämische, rachsüchtige Tonfall ist laut Mick Jagger ganz und gar nicht politisch gemeint. Das ist nur die Art, wie die Stones über die Sachen reden, die sie beschäftigen. Wer so die Texte Stones-mäßig interpretierte, der begriff schnell, dass die Feministinnen nur oberflächlich zugehört hatten – ja, sogar den Fünf eigentlich hätten dankbar sein müssen. Ihr Angriff richtete sich nämlich gegen die hirnlosen Miezen, die wie Katzen schnurren. Gegen den modischen Disco-Darling, die neurotischen, reichen Töchter.

Die Beatles saßen zur gleichen Zeit (1966) im Studio und spielten ihre neue Single „Paperback Writer“ ein. Mitten in den Aufnahmen schickten sie ihren Road-Manager los um die neue Stones-LP zu kaufen, die sie dann gemeinsam durchhörten. Man witterte die mächtig heraufziehende Konkurrenz. Für viele Fachleute war „Aftermath“ die Antwort auf die damals aktuelle Beatles-LP „Rubber Soul“. Doch die Stimmungen dieser beiden Platten trennten Welten.

Die Rolling Stones hatten einen neuen sozialkritischen Höhepunkt erreicht. Zwei aufreibende US-Tourneen hatten ihr Amerika-Bild gründlich verändert. Aus dem riesigen, einsamen Land wurde ein Chrom- und Drogen-Dschungel. Trotzdem produzierten sie weiter in Hollywood, entdeckten die technischen Möglichkeiten der dortigen Studios.

„Aftermath“ brachte nicht nur zum ersten Mal ausschließlich Songmaterial von Mick Jagger und Keith Richards, sondern war auch – man höre und staune – ihre erste Stereo-Platte. Vielleicht der wirkliche Startpunkt einer Weltkarriere, die bis heute anhält. Der musikalische Durchbruch für die Stones kam mit großer Bandbreite: das zarte „Lady Jane“, das düstere „Mother´s little helper“, das hymnische „Out of time“, oder auch die modische Sitar auf „Paint it black“ (nur auf US-Album) – die damals übermächtigen Beatles hatten endlich einen gleichwertigen Gegenpart gefunden.

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Die bisherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14)




Sie waren eigentlich schon immer da: Ein halbes Jahrhundert „Stones“

Ja, sie waren eigentlich schon immer da, sie waren das musikalische Inventar ganzer Generationen, sie oder eigentlich wohl mehr ihre anhängenden Fans, ihre Follower durch die sich wandelnden Zeiten, begingen schon zahllose Jubiläen und heute haben wir wieder eines, an das wir uns erinnern: Heute, genau vor 50 Jahren, traten „The Rollin‘ Stones“ (damals noch ohne „g“) zum ersten Mal öffentlich unter diesem Namen auf – im Marquee-Club in London.

Bei realistischer Rückschau wurde die Premiere von Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Dick Taylor, Ian Stewart und Tony Chapman ganz und gar nicht mit huldvollem Staunen aufgenommen, ja sogar Buh-Rufe sollen vernommen worden sein. Das Publikum, das noch nicht ahnen konnte, gerade einem Jahrhundert-Ereignis beizuwohnen, hätte lieber mehr lupenreinen Blues zu sich genommen, wie ihn Alexis Korner, der eigentlich der Star des Abends sein sollte, von sich gab – und sie riefen nach dieser Musik. Hingegen fand Keith Richards in verklärender Erinnerung , dass die junge Truppe ganz prima aufgenommen worden war – so jedenfalls berichtete er es mal autobiografisch.

Nun haben schon viele sich über die „Stones“ ausgelassen, haben in den zurückliegenden 50 Jahren mannigfaltige Details beleuchtet, die sie fachmännisch und –fraulich aus ebenso mannigfaltigen Blickwinkeln betrachtet hatten. Ich mag eigentlich nur so ein bisschen damaligen Zeitgeist spiegeln, in meinen Erinnerungen baden und erzählen, dass es uns dann und wann ähnlich ging, den „Stones“ und mir (und vielen, vielen anderen), obwohl gutes Essen und eine lebenslange Abstinenz von härteren Drugs mein Gesicht nicht so plastisch plissierten wie das von Keith Richards, dessen Neigung, gemeinsam mit seinem Kumpel Mick Jagger zur absoluten Dauerwurst des Rock werden zu wollen, mich hoffen macht, noch ein paar Jährchen durchhalten zu können, mit dem Rhythmus der „Stones“.

Diese und einige andere Stones-Platten gehören in jede vernünftige Sammlung. (Foto: Bernd Berke)

Diese und einige andere Stones-Platten gehören in jede vernünftige Sammlung. (Foto: Bernd Berke)

Es ist eigentlich gleichgültig, was mir ins Gehör gelangt, ob „Jumpin‘ Jack Flash“ oder „As Tears go by“, ob „Little Red Rooster“ oder „Get off of my Cloud“ und natürlich „Satisfaction“ – in mir nährt sich immer mal wieder der Verdacht, dass ich jeden Titel, den sie je eingespielt haben, zumindest erkenne, vielleicht sogar kenne. Dabei sind sie alle, und damit sei von mir Laien eine jede der zahlreichen „Stones“-Formationen gemeint, die Hinterhof-Combo geblieben, die sie einst waren, die einhämmernde Truppe, die, von Mick Jaggers Rumpelstilzchen-Hüpfen angetrieben, selbst meine Füße zum Wippen zwingen und die bisweilen auch mal die Töne trifft, die gemeint waren, als sie den Song schufen.

Gern erinnere ich mich an eine Skizze, die ein wesentlich kundigerer Mensch als ich verbalisiert hat, an dessen Namen ich mich aber nicht erinnern kann. Er beschrieb Keith Richards als die heimliche Seele der „Stones“, dessen Spiel erstaunlich viel Ännäherung an die gewünschte Melodie schaffe. Es fehlte ihnen vom ersten Tag an die filigrane Experimentierfreude ihrer Kurz-Zeitgenossen, der „Beatles“, was sie aber keineswegs zu den viel beschriebenen Gegnern machte, die eine gern gepflegte Fama sich bastelte. Die Musiker tauschten (gegen Geld, versteht sich) dann und wann sogar hitverdächtige Titel untereinander.

Ich vermute, dass es diese urwüchsige Authentizität ist, die sie so überlebensfähig im schnellebigsten Metier überhaupt macht. Die alten Herren liefern über Jahre hinweg aufregende Bühnenshows ab und entlocken den Kehlen ihres stets gemischtaltrigen Publikums immer wieder jauchzende Begeisterung, mögen die Stücke auch noch so tradiert erscheinen. Die Eltern hörten sie in jungen Jahren, die Kindern hörten sie, inzwischen auch die Enkel. Das Entzücken kennt keine Altersbeschränkung. Von so manchem Vater, der mit Tochter und deren aktuellem Freund einen Auftritt der „Stones“ besuchte, hörte ich, dass seine tuschelnd geäußerte Frage vor der Ticket-Kontrolle gelautet habe: „Wo kriege ich denn hier noch einen Joint her?“ Wollte vorglühen, ehe er textsicher jedes Lied in tontreffender „Stone“-Manier mitsingt.

Ja, sie waren eigentlich immer da. Es fällt schwer, sich Zeiten vorzustellen, da es keine „Stones“ mehr auf der Bühne geben könnte, da die beiden ewigen Frontmänner ihre zerschlissenen Antlitze nicht mehr ans Mikrofon halten und aus Leibeskräften „Satisfaction“ brüllen.

Es war schon ein besonderer Tag, der vor 50 Jahren, als der unaufhaltsame Aufstieg der „Stones“ begann und in einen anscheinend unendlichen Gipfelaufenthalt mündete.




Die schwebende Komik des Bernd Pfarr

Der leider so früh verstorbene Bernd Pfarr (1958-2004) war ein unvergleichlicher Cartoonist, Zeichner und Maler. Kaum auszudenken, welche Figuren und Szenen er noch hätte erschaffen können, wenn ihm mehr Jahre geblieben wären.

Seine Bilder führen in ungeahnte Vorstellungsräume, sie sind nicht einfach nur hochkomisch, sondern heben mit allem Inventar gleichsam sachte ab vom Boden der Verhältnisse, öffnen unversehens Türen in eine andere Wirklichkeit. Ach, es ist verteufelt schwer, diese wunderbar schrägen, immer auch geheimnisvoll schwebenden Bilder mit Worten zu erfassen. Pfarrs zutiefst merkwürdige Figur „Sondermann“ zählt jedenfalls zu den grotesken Legenden neuerer Zeitrechnung.

Wer, wenn nicht solche erhabenen Könner wie Pfarr, der überdies auch ein höchst feinsinniger Texter gewesen ist, gehörte in eine Buchreihe mit dem Obertitel „Meister der komischen Kunst“? Der Band über Bernd Pfarr erscheint hier neben ähnlich aufgemachten Einblicken ins Oeuvre von Robert Gernhardt, F. K. Waechter, Chlodwig Poth, Marie Marcks und anderen Großkalibern. Die Namen lassen es ahnen: Die „Neue Frankfurter Schule“ des parodistischen Humors, welche sich vornehmlich um die Zeitschriften „Pardon“ und „Titanic“ gruppierte, macht längst einen bildnerischen Kernbestand der Komik im deutschsprachigen Raum aus, der sicherlich auch den internationalen Vergleich nicht scheuen muss. Die „Frankfurter“ und ihr Umfeld prägen somit auch diese Reihe des Münchner Kunstmann-Verlags.

Das 2010 begonnene verlegerische Projekt (Herausgeber ist der Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher WP Fahrenberg) hat durchaus verdienstvolle Ansätze, sucht es doch die Erinnerung an Künstler wachzuhalten, die sonst womöglich verblassen könnte. Auswahl und Präsentation sind jeweils ordentlich, wenn auch nicht berauschend. Denn viele Cartoons würden durch größere Formate erheblich gewinnen, ja, manche verlangen gar gebieterisch nach mehr Platz, als ihnen hier zugestanden wird.

Handelsübliche Cartoonbände sind nun mal nicht von ungefähr deutlich größer als die Titel dieser Reihe. Mit knapp über 100 Seiten lassen sich zudem manche Lebenswerke nur recht knapp skizzieren. Auch im Falle Bernd Pfarrs langt es – neben Kostproben aus dem Schaffen – nur für ein paar kleine Beigaben: einen kurzen, klugen Aufsatz von Patrick Bahners (der „Mäuerchen“ als zentrales Motiv in Pfarrs Werk benennt), ein paar biographische und bibliographische Daten sowie eine Handvoll Fotos aus Pfarrs Leben. Das weckt Appetit, stillt ihn aber nicht.

Es ist anzunehmen, dass man bei Kunstmann einigermaßen vorsichtig kalkulieren musste und sich eben nicht getraut hat, mit voluminösen Großformaten auf den Markt zu gehen. Man kann das nachvollziehen, es ist sicher vernünftig. Schade ist es trotzdem.

Meister der komischen Kunst: Bernd Pfarr. Kunstmann Verlag, München. 112 Seiten im Format 23,4 x 18 cm. 16 Euro.