Meilensteine der Popmusik (18): Neil Diamond

„Schulterlanges Haar, perlenbestickte Jeans-Kombination, überbreiter, mit silbernen Nägeln beschlagener Gürtel – so stand er vor seiner Gemeinde: der Meister. Davor ein Publikum, das ihm reihenweise wie überreife Pflaumen vor die Füße fiel.“ So sah es damals eine amerikanische Künstlerzeitschrift.

Damals, das war der August 1972 in Los Angeles, Kalifornien. An insgesamt zehn schwülen Sommerabenden im legendären „Greek Theatre“ erlebten tausende von Fans eine Show, die vieles bisher Gesehene und Erlebte in den Schatten stellte. Alle Abende waren komplett ausverkauft, und sie halfen, dass Neil Diamond zu einem Superstar der 70-er wurde. Sein Livealbum „Hot August Night“, stand über ein halbes Jahr an der Spitze der US-Charts, damals ein neuer Rekord.

Bei den meisten Open-Air-Konzerten stellte sich bis zu diesem Meilenstein nur eine wichtige Frage: ist es auch wirklich laut genug? Gerade mal eine Handvoll Tonmeister beschäftigte sich zu dieser Zeit professionell damit, das gesamte Klangbild einer Gruppe einigermaßen transparent abzumischen. „Soundmixing“ nannte man diese Innovation. Und man bekam auch schon ein erstes Gespür für Showeffekte – mal heller, mal dunkler, je nach Song auch ein paar farbige Spots. Dazu ganz gern trübe Nebelschwaden aus einer scheppernden Trockeneismaschine. Künstler in karierten Baumwollhemden, Gitarre klimpernd vor 400.000 bedröhnten Hippies auf der Matschwiese von Woodstock – das war einmal. Die Leute wollten nunmehr etwas sehen für ihr Geld.

Ein Pop-Konzert wie eine Broadway-Show. Vorhang auf zum „Opening“. Auf der Bühne exzellente Musiker in klassischer Rock-Besetzung, ein Chor, dazu als Begleitung ein richtig großes Orchester, sogar mit Streichern. Der Star des Abends musste ein Entertainer sein, der nicht nur singen kann, sondern der auch „Theater spielt“; der mit dem Publikum spricht, sich völlig verausgabt, schweißnass bis zum großen Finale. Die Dramaturgie musste stimmen. Genau so sollte es geschehen, damals in L.A. Eineinhalb Stunden bot Neil Diamond alles, was er so drauf hatte. Die lauten und die leisen Töne, eine Mischung aus Prediger und Paradiesvogel. Die Bühne war vollgestopft mit Musikern und Technik, die allesamt einen Sound ablieferten, der teilweise die Studioproduktionen übertraf. Ob der Künstler wohl damals ahnte, dass dieses hier schon der absolute Höhepunkt seiner Karriere war? Wohl kaum, denn der ehemalige Biologie- und Chemiestudent war zeitlebens auf der Suche nach Anerkennung.

Es begann in der Kindheit. Bedingt durch häufigen Schulwechsel, war der kleine Neil gezwungen, sich immer wieder vor neuen Mitschülern zu beweisen. In Brooklyn brauchte man dazu entweder ein Messer in der Tasche, oder ein außerordentliches Talent. Die Gitarre beförderte dieses Talent zu Tage. Die ersten Songs bekamen die Schüler der Erasmus-High-School zu hören. Spätestens auf der Uni kam dann die Überlegung, ob ein Leben als Mediziner Dr. Diamond in der Vorstadt Anerkennung genug böte. Ein klares „nein“ war die Antwort, und die Show-Branche damit der einzige Ausweg. Für schlappe 35 Dollar erwarb Neil Diamond ein altes Piano, mietete sich einen Probenraum, und komponierte, was das Zeug hielt. Einige Musikverlage zeigten sogar Interesse, und kauften seine Songs für ihre Künstler. Selbst auftreten und singen durfte er nur am Abend in den Clubs und Cafés von Greenwich Village. Eine Dame namens Ellie Greenwich und ihr Gatte Jeff Barry, ein damals sehr erfolgreiches Autorengespann, sie entdeckten den jungen Neil Diamond, ohne zu wissen, was für eine Konkurrenz sie sich da heranzüchteten. Schon nach kurzer Zeit bekam er Anerkennung als Komponist. „I´m a believer“, das er für the Monkees schrieb, wurde ein Welthit. Über Nacht wurde Neil Diamond zum Geheimtipp und wenig später selbst zum Star. Es war die Stunde der Singer-Songwriter, Selfmademen, die alle Fäden in einer Hand hielten.

Zwischendurch flippte er regelmäßig aus, der mittlerweile große Künstler. Er suchte immer wieder nach Fluchtwegen aus diesem Popzirkus, immer auf der Suche nach Größerem, weit weg vom schnöden Tingeltangel. Als er nach seinen heißen Augustnächten im „Greek Theatre“ von L.A. bei einem Plattenriesen für 5 Millionen Dollar einen Plattenvertrag unterschrieb, war er für einen Moment der absolute König der Popmusik. Doch was tut dieses Genie? Es nimmt für ein Jahr klassischen Klavierunterricht. „Ich träume nicht davon, George Gershwin zu sein; ich denke eher an Beethoven, soviel glaube ich nämlich musikalisch leisten zu können“. Da hatte er sich aber sehr weit aus dem Fenster gelehnt…zu weit. Sein erstes Großprojekt in dieser Richtung, einen Filmsoundtrack, bezeichnete die Kritik als „ungenießbare Moviebrühe“.

Und dann noch sein Debüt als Filmstar, 1980 in „The Jazz-Singers“ – die Kritiker kugelten sich vor Lachen; obwohl diese Reaktion im Nachhinein wirklich stark überzogen war. Der immer leicht blasiert und arrogant wirkende Neil Diamond hatte im Feuilleton wenig Freunde. Ergebnis: die Orientierung war endgültig futsch, die vernachlässigte Plattenkarriere schon längst im Eimer.

Was bleibt ist die Gitarre und das Meer von Fans – Fans, die Neil Diamond bis heute die Treue halten. Nur sie allein haben ihn zu einem der begehrtesten Livekünstler und Entertainer gemacht. Sie rufen ihm zu: „Hey, Du bist nicht Mozart und nicht Bogart. Du bist Neil Diamond – einzigartig… komm‘, spiel uns einen deiner schönsten Songs“.

Neil Diamond on dailymotion




Was hat Thomas Manns „Zauberberg“ mit Castrop-Rauxel zu tun?

Nach einem Tippfehler, einem einfachen Buchstabendreher, setzte sich neulich bei mir eine seltsame Gedankenkette in Gang. Statt Castrop stand da plötzlich Castorp auf dem Papier, und schon wanderte das Gehirn in Richtung Thomas Mann. Sein Hans Castorp kam mir in den Sinn, der Kaufmannssohn aus Hamburg, der in Manns „Zauberberg“ die Hauptrolle spielt.

Marktplatz in Castrop-Rauxel. (Foto lwl)

Aber hatte Thomas Mann etwas mit Castrop-Rauxel zu tun? Kam mir zwar unwahrscheinlich vor, aber um mehrere Ecken gibt es diese Verbindung tatsächlich.

Eine der einflussreichsten Familien, darunter mehrere Ratsherren und Bürgermeister, in Manns Heimatstadt Lübeck waren im späten Mittelalter die Castorps. Ratsherr Hinrich Castorp zum Beispiel handelte 1474 den ersten „Frieden von Utrecht“ aus, der den Seekrieg der Hanse mit England beendete – zugunsten der Hanse. Dieser Hinrich war 1419 in Dortmund geboren, so dass es nahe liegt, dass der Nachname Castorp aus dem Namen des Dorfes Castorp entlehnt wurde. Castrop hieß nämlich ursprünglich tatsächlich Castorp. Torp ist danach eine alte Form von Dorf, und der Dreher zu „trop“ entstand erst in der Neuzeit. Noch in einer Landkarte von 1631 findet sich der Ortsname „Castorp“. Wenn Thomas Mann sich also des Lübecker Namens Castorp bediente und dieser auf dem Herkunftsort der Familie, auf Castrop beruht, dann gibt es also diese Verbindung mit dem Ruhrgebiet.

Klar ist das hier nur eine nutzlose Spielerei, eine literarisch-historische Petitesse. Thomas Mann hätte sie vielleicht sogar gefallen. Weiß man’s?