Im dunklen Bauch der Sprache: Orffs „Prometheus“ bei der Ruhrtriennale

Selten ist man einer fremden Sprache so ausgesetzt wie an diesem Abend: Vielleicht kennen einige das Gefühl, wie schwierig es auf Reisen sein kann, sich in einem unbekannten Zeichensystem zurechtzufinden. Doch die Erfahrung, im dunklen Bauch einer ehemaligen Industriehalle zu sitzen und zwei Stunden mit der fremdartigen Melodie des Altgriechischen von Carl Orffs „Prometheus“ konfrontiert zu werden, ist relativ einzigartig. Die Ruhrtriennale ermöglicht den eigentümlichen Selbstversuch noch bis zum 27. September in der Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg Nord.

Carl Orff/Lemi Ponifasio: Prometheus © Paul Leclaire

Carl Orff/Lemi Ponifasio: Prometheus © Paul Leclaire

Doch wie geht man nun damit um? Abwehr ist kein probates Mittel, denn wer ohne die Bedeutung der Worte zu verstehen nicht leben kann, der wird sich langweilen. Eher empfiehlt es sich, zumal vom Komponisten so intendiert, die Sprache als eine Art Musik, als rhythmisches Element auf sich wirken zu lassen. Denn tatsächlich entfaltet sie gerade im Zusammenspiel mit Orffs wuchtiger Musik (Musikalische Leitung: Peter Rundel) eine vibrierende Kraft und transportiert all die archaischen Emotionen wie Wut, Hass, Grausamkeit und Schmerz in einer stilisierten Form.

Überhaupt zeichnet sich die Inszenierung des samoaischen Regisseurs Lemi Ponifasio durch hohes Stilbewusstsein aus: Der Boden ist mit indirekt beleuchteten Glasplatten ausgelegt unter denen grünlich das Wasser schimmert. Der gewaltige Raum der Kraftzentrale wird bis zur hintersten Wand bespielt, so dass die Tänzer der MAU Company aus Neuseeland dort hinten verschwindend klein erscheinen. Prometheus selbst (Wolfgang Newerla) ist mitnichten an einen Felsen gefesselt: Er sitzt im Vordergrund auf einer schlichten Holzbank und deklamiert während sein Alter Ego (Ioanne Papalii/MAU) in der Mitte des Raumes auf einer Art beleuchtetem Operationstisch der Qualen harrt, die da kommen mögen. Das weitere Personal von Hephaistos bis Hermes ist in martialische dunkle Kostüme geschnürt, die Frauen wirken wie Amazonen. Die Okeaniden tragen hellblonde Perücken und durchsichtige Gewänder und sind die nahezu einzigen, die wirklich singen dürfen.

Die eigentümlich stillen Tänze der MAU Company tragen leise Gesten in den von lauten Tönen wiederhallenden Saal, meist bleibt der Blick an ihren bloßen Füßen hängen, auf denen sie über das Glas mehr schleichen als gehen.

Das nimmt sich so ganz anders aus als bei der Uraufführung des Orffschen Werks 1968, von der der Kritiker Werner Oehlmann seinerzeit im Tagesspiegel schrieb: „Der Regisseur Gustav Rudolf Sellner und der Bühnenbildner Teo Otto überrennen den Zuschauer geradezu mit einer Fülle vitalen Theaters, mit einem Überfluss an Formen und Farben, Kostümen und Masken“. Hier dagegen: Kein Hephaistos, der Ketten schmiedet und Keile durch Prometheus Brust treibt. Keine Flügelrösser, nirgends. Stattdessen gibt es kaum Interaktion zwischen den Figuren, sie deklamieren den Text, aber sie beziehen sich nicht aufeinander. Doch hier geht es auch nicht um Menschen, sondern um Götter. Trotzdem: Der Freiheitskampf des Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte und nun von Zeus dafür bestraft werden soll, sein Aufbegehren, sein Stolz, seine Unbeugsamkeit und auch seine Siegesgewissheit, dass er eines Tages von seinen Qualen gerettet werde: Für all das hat Wolfgang Newerla nur ein Ausdrucksmittel zur Verfügung: Altgriechisch! Verdammt dazu, auf seiner Bank zu sitzen, kann er sich nur ab und zu die Kehle befeuchten, was aussieht, als trinke er einen – Ouzo…

Das dramatische Element dagegen übernehmen Raum, Licht, Musik und die Füße der Tänzer. Und ein Publikum, von dem Hingabe gefordert ist. Gewähren wir die Gnade? Das muss jeder selbst entscheiden…

18., 21., 23., 25. und 27. September
Kraftzentrale, Landschaftspark Duisburg-Nord
www.ruhrtriennale.de




Wir sind alle Kafka: Saisonauftakt im Düsseldorfer Schauspielhaus

70 „Kafka“-Figuren im charakteristischen schwarzen Anzug, Hut und Mantel strömen aus den ersten Sitzreihen des Zuschauerraums auf die Bühne und nehmen an der Rampe Aufstellung. Unter ihnen Josef K. „Ich bin Josef K., Prokurist“, sagt er – diesen Satz wird man in den nächsten drei Stunden noch öfter von ihm hören. Denn viel mehr weiß er nicht über sein Leben…

Zum Auftakt der Saison zeigt das Düsseldorfer Schauspielhaus eine Adaption von Kafkas Romanfragment „Der Prozess“ in der Inszenierung des russischen Regisseurs Andrej Mogutschi, der sich offenbar in Dreh- und Hebebühne verliebt hat. In einem wilden Reigen wirbeln die Kafka-Statisten (im Programmheft ausgewiesen als Chor) herum, fahren hinauf und hinab, wobei Josef K. (weltentrückt gespielt von Carl Alm) gleichzeitig noch das Kunststück zu bewältigen hat, sich mehrmals umzukleiden. Das erzeugt Stress, das erzeugt Zeitdruck. „Zu spät“, ruft Josef K., „ich komme zu spät.“ Das stimmt: Denn seine Verhaftung ist schon erfolgt, die Gerichtsbarkeit hat ihn in den Klauen. Doch was ihm vorgeworfen wird, weiß er nicht.

Dafür finden Mogutschi und seine Bühnenbildnerin Maria Tregubova seltsame, beinahe surrealistische Bilder: Auf schiefer Ebene ist Josef K.s Kammer mit in den Proportionen verzerrtem Mobiliar aufgebaut, es könnte auch das Zimmer von Gregor Samsa sein. Verzweifelt klammern sich die Schauspieler an die spärlichen Möbel, doch es hilft nichts: Sie stürzen buchstäblich in den Abgrund. In einer anderen Szene sitzt Josef K. leblos, gestützt von seinen Wächtern (Moritz Löwe und Jonas Anders), in einem schwarzen Oldtimer, die Statisten streuen rote Rosen und unversehens wird die Szenerie zum Leichenzug. Am Bühnenhimmel hängen Wattewölkchen und zum Advokaten (Sven Walser) rudert man im weißen Bötchen durch im Raum schwebende Türen. Die Musik (Alexander Monotskov) verstärkt die varietéhafte Anmutung des Ganzen. So bebildert die Inszenierung zwar ausführlich, manchmal witzig und leider auch etwas langatmig den Alptraum, in dem sich Josef K. befindet. Doch ihr Zentrum findet sie nicht. Sie kreiert eher ein Kafka-Abziehbild.

„Zum letztenmal Psychologie“ skandiert der Chor, obwohl am ehesten noch eine psychologische Deutung angeboten wird: Besteht Josef Ks. Schuld etwa in uneingestandener sexueller Begierde? Der nackte Advokat und seine Gespielin Leni (Betty Freudenberg) im monströsen Ganzkörpernacktanzug sowie die hohen Herren der Gerichtsbarkeit allesamt unten ohne sprächen dafür. Ebenso Fräulein Bürstners (Patrizia Wapinska) durcheinandergewirbelte Blusen. Doch nimmt man dem somnabulen Josef K. den Tausendsassa gar nicht ab. Soll er etwa das Riesenbaby gezeugt haben, das plötzlich über die Bühne geistert? Am Ende gar mit seiner Mutter?

Antworten gibt es naturgemäß nicht. Im Grunde ist Josef K. gesamtes Leben ein Prozess, den er nicht gewinnen kann, denn der unglückliche Ausgang ist vorprogrammiert. Da kann er sich noch so viele Advokaten auf dieser Lebensreise nehmen, irgendwann endet sie. In diesem Sinne sind wir wohl alle ein bisschen Kafka.

„Der Prozess“ nach Franz Kafka
Karten und Termine: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de