Familienfreuden III: Vom Anlegen und Kommen

Auch Geld lässt sich anlegen.

Auch Geld lässt sich anlegen.

Wer Elter(n) wird, hat es plötzlich mit einer Menge neuer Worte oder vertrauter Worte mit neuem Inhalt zu tun. Aber zwei Formulierungen, die ich mittlerweile häufig von anderen Müttern oder auch Hebammen gehört habe, gehen mir einfach nicht aus dem Sinn. Sie hängen unmittelbar zusammen: Wenn es darum geht, herauszufinden, wie häufig die kleinen Krakeeler des Nachts denn ihren Hunger kundgetan haben, fragen Mütter untereinander gern: „Und, wie oft ist sie/er heute Nacht gekommen?“ Was mit einem „Ich habe sie/ihn x-mal angelegt“ beantwortet wird.

Gekommen und anlegen.

Hm. Meine Erfahrung ist: Sobald meine Tochter Hunger hat, kommt sie nicht höflich klopfend an der Tür vorbei und sagt „Ich würde gern speisen.“ Sie nörgelt oder schreit – was auch gut so ist, weil ich sonst einfach weiterschlafen würde. Die Formulierung „gekommen“ hingegen deutet auf Passivität hin, was sicherlich damit zu tun hat, dass das Hungergefühl so übermächtig ist, dass das Kind regelrecht Hunger wird. Der eigene Wille ist einfach aus der Formulierung herausgestrichen. Biologisch mag das ja korrekt sein – mir ist das zu formalistisch. Und: Warum nicht einfach das schlicht „Hunger haben“ verwenden?

Noch schräger wird es bei dem Wort „Anlegen“. Gemeint ist ja wohl der Vorgang des Stillens. Ich hingegen habe bei diesem Wort das Bild eines Jägers im Kopf, der seine Waffe zückt und zielt – was angesichts der Schreikraft einiger Säuglinge manchem vielleicht als passender Vergleich erscheint. Auch andere Bedeutungen machen das Ganze nicht weniger skurril: Der Investmentbanker etwa dürfte sich mit dem Wort äußerst wohlfühlen – schließlich ist er es gewohnt, Geld anzulegen und braucht sich bei seinem Kind zumindest in Sachen Wortschatz nicht umzustellen. Und für jene, die den Nachwuchs als schmückend empfinden, ist es eben so einleuchtend, nicht mehr nur die Brosche, sondern auch die Kleinsten anzulegen. Am besten gefällt mir aber das Bild des anlegenden Segelboots: Die Wendung „Hafen der Ehe“ ist ja bekannt – und ein Baby kann man durchaus als weiteren Anlegeplatz interpretieren…




Denkwürdige Vokabeln (9): Radarfalle

Alle Welt, genauer gesagt alle am Straßenverkehr in Deutschland Teilnehmenden, redet bzw. reden derzeit leidenschaftlich darüber, ob die Politik (aus)übenden Mitglieder der Berliner Regierungskoalition neues Recht schaffen dürfen, indem sie Radarwarner (die natürlich vor mobilen Radareinrichtungen warnen) zulassen, oder ob die Verantwortlichen nur bisher unbekanntes Zeugs geraucht haben. Ich tendiere zu letzterer Annahme, Wissenschaftler natürlich zu ersterer, wenn ihre gutachterlichen Arbeiten von einschlägigen Interessengruppen bezahlt worden sind. Aber das nur am Rande.

Was mir in diesem Zusammenhang wieder einmal ins Ohr springt, ist die Vermutung, dass unsere Alltagssprache von einschlägigen Interessengruppen mitbestimmt worden sein muss, geht es doch in diesem Falle um die „Radar-Falle“. Mal ehrlich, wir alle bedienen uns dieses Begriffes und denken uns relativ wenig dabei. Aber: „Falle“, das ist nun mal eine Sache, die mit Hinterlist und bösartig gestellt wird, die so negativ belegt ist, dass man sie sich beim besten Willen nicht gutartig denken kann. Schlussfolgerung: Gesetzgeber, Polizei und andere an der Ordnung unseres Alltagshandelns interessierte Verantwortliche haben sich die Regeln, in diesem Falle die Verkehrsregeln, einfallen lassen, um uns nachhaltig zu gängeln und fremdbestimmt zu reglementieren, ganz ohne Not. Und damit wir diese unsinnigen Regeln auch wirklich beachten, stellen sie uns Fallen, dass wir arglos hinein stolpern und Punkte bekommen und Strafgeld verlieren. Boshaft, dieses Tun.

Damit niemand ins Jubilieren gerät, dass nun auch ich solch krude Gedanken mit mir trage: Ich meine das zynisch. Ernst hingegen meine ich, dass dieses unser Land das einzige sich zivilisiert nennende ist, das keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen kennt und darüber schmunzelt, dass Touristen aus aller Welt bei uns einfallen, um mit Leihwagen ins Tempo-Doping einzusteigen, dass wir in diesem unserem Land Regeln, namentlich die für den Straßenverkehr, nur in der Fahrschule erlernen, damit wir sie in der Realität übertreten können und das auch wissen, dass wir regelrecht preußisch undiszipliniert sind, sobald wir ein Kraftfahrzeug besteigen (natürlich alle ausgenommen, die sich nicht angesprochen fühlen).

Weil die Politik (aus)übenden Mitglieder der Regierungskoalition hinter dieser Teilmenge unserer kraftfahrenden Bevölkerung eine satte Mehrheit wittern, haben sie sich diesen Schwachsinn einfallen lassen, die Freigabe von Warngeräten zur Detektion mobiler Radar-Verkehrsüberwachungsgeräte. Ja, ich gebe es zu, das klingt hölzern, Radar-Falle ist griffiger, aber sachlich auch falsch, denn alle, die in solche Fallen tappen, haben eine gesetzliche Vorschrift übertreten.

Unsere Sprache hat aber gerade in Sachen Straßenverkehr noch mehr zu bieten. Fußgänger gleich welchen Alters werden generell von „Autos erfasst“, nicht etwa überfahren, zu Tode geschleudert, mitgerissen oder ähnlich drastisch in ihrer Unversehrtheit behelligt. Und es ist meistens das Auto, das „erfasst“ und entlässt damit seinen Fahrer oder seine Fahrerin aus jeglicher Schuld, weil der oder die ja gar nicht genannt wird, allenfalls so, dass sie oder er die Gewalt über das Fahrzeug verliert. Was ja auch nicht dafür spricht, dass sie oder er sich fehl verhalten haben, sondern nur etwas verloren haben.

Nun, dass wir seit geraumer Zeit die Gewalt über unsere Sprache verlieren, haben wir uns zähneknirschend bewusst gemacht. Dass Politikerinnen und Politiker dazu neigen (das gilt über Parteigrenzen hinweg), ihren Verstand zu verlieren, machen sie uns immer aufs Neue bewusst. Dass dies aber Ausmaße annimmt, als infiziere sie weltweit – also auch bis hin nach Berlin – ein Virus-Romneyensis, ist neu und besorgniserregend.

Aber vielleicht hilft es ja seitens der verkehrsteilnehmenden Wahlbürgerschaft, einmal jemand anderem den Vogel zu zeigen als dem im Überholvorgang befindlichen Opelfahrer bei Richtgeschwindigkeit 130 km/h auf der A 2 und die Regierungskoalition daran zu erinnern, dass sie den Menschen das Gefühl geben sollte, gesetzliche Regelungen seien zu ihrem Schutz da und nicht, sie zu lehren, dass deren Übertretung durch elektronischen Fortschritt straffrei bleiben kann.

Ja, ich weiß, wovon träume ich eigentlich nachts? Ein ehrenwerter FDP-Politiker mit Namen Wolfgang Mischnick sagte mir einst, dass man in Deutschland, einem der führenden Auto-Exportländer, doch keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung einführen könne, dann wären unsere deutschen Autos in den USA doch nicht mehr so begehrt. In den USA gilt je nach Bundesstaat auf Interstate Highways (vergleichbar mit Autobahnen) ein Tempolimit zwischen 89 und 129 km/h (55 bis 80 mph). Auf „normalen“ Highways (vergleichbar Landstraßen) sind 89 km/h (55 mph), teilweise auch 105 km/h (65 mph) erlaubt (Wikipedia). Das gilt seit 1974. Noch Fragen zum liberalen Freiheitbegriff für deutsche Kraftfahrer?