Die spinnen, die Bonner: Theater um „Norma“

Was wäre auf einer Opernbühne zu sehen, wenn das mit der Sparpolitik im Kulturbetrieb so weiter ginge? Nichts! Brandmauer, kalte Scheinwerfer, schwarze Bühnenbretter. Florian Lutz‘ Inszenierung von Bellinis „Norma“ in Bonn thematisiert ein solches Schreckensszenario, dessen Realisierung mancherorts gar nicht mehr so fern liegt.

Man denke nur an die neuesten Nachrichten zur Schließung des Schauspielhauses in Wuppertal oder die Fusionsphantasien, die die Bonner Kulturpolitik selbst nach Köln schielen lässt. Vom Drama um den geschassten Kölner Opernintendanten Uwe Eric Laufenberg ganz zu schweigen, der wegen Etatstreitigkeiten buchstäblich vom Hof gejagt wurde. Das Bonner Publikum allerdings goutiert den Einbruch der Realität in die schöne heile Opernwelt keineswegs. Es möchte seine Belcanto-Arien unter keinen Umständen durch eine hinzuerfundene Sprechrolle (Roland Silbernagl) unterbrochen sehen, die in der „Norma“ für eine Art reflexive Ebene steht: Das Schicksal der Druiden-Priesterin unter römischer Besatzung wird hier gelesen als Kampf der Künstlerpersönlichkeit mit dem Intendanten, der Nebenbuhlerin, dem untreuem Liebhaber aus B-Promi-Kreisen und den Bedingungen unter denen heute eine Norma-Produktion auf einer Opernbühne entstehen könnte – einschließlich drohendem Sparzwangs.

THEATER BONN: NORMA/Foto:Thilo Beu

THEATER BONN: NORMA/Foto:Thilo Beu

So interessant diese Regie-Idee, so heikel die Umsetzung: Tatsächlich gehen die teilweise etwas hölzern getexteten Einwürfe des fiktiven „Intendanten“ an die Schmerzgrenzen des Musikliebhabers. Gnadenlos quatscht der Impresario als Fremdkörper ins Orchesterspiel, unterbricht Handlungsfluss und manche schwelgerische Melodie. Mit einem Wort: Er nervt ungeheuer. Das Publikum, bis auf äußerste gereizt, brüllt ihn regelrecht nieder, kurz davor, den armen Mimen von der Bühne zu zerren und ihn aus seinem eigenen Saal zu werfen. Gleichzeitig befindet sich diese Inszenierung gerade hier an ihrem neuralgischen Punkt. Denn schließlich: Wo kann man ungestört eine „Norma“ sehen, wenn es kein Opernhaus mehr gibt, das es sich leisten kann, sie auf die Bühne zu bringen?

Glücklicherweise ist es in Bonn (noch) nicht ganz soweit und deswegen gibt es nach anfänglicher Kargheit eine Kulisse aus hereingerollten Bäumen und eine Menge Gallier, die als Asterix-Figuren kostümiert sind. Außerdem eine Norma (Miriam Clark), die ihre Partie mit großer Meisterschaft singt und eine Adalgisa (Nadja Stefanoff), deren Stimme ebenfalls eine Entdeckung ist. George Oniani als Pollione und Ramaz Chikviladze als Oroveso meistern ihre Partien souverän und mit der nötigen Leidenschaft. Die vielzitierte Arie „Casta Diva“ gab dann auch zu Schwärmereien Anlass – egal ob im Abendkleid oder im Comic-Kostüm gesungen. Dank der großartigen Besetzung und dem engagierten Spiel des Beethovenorchesters kamen die Opernfreunde doch noch auf ihre Kosten und sparten auch nicht mit Applaus für die (wahren) Künstler.

www.theater-bonn.de/production.asp?ProductionID=668




Die Violine als Wundervogel: Carolin Widmann ist Residenzkünstlerin in Duisburg

Carolin Widmann (Foto: Marco Borggreve)

Ein musisch derart hochbegabtes Geschwisterpaar wie Jörg und Carolin Widmann hat es in Deutschland wahrscheinlich seit Felix und Fanny Mendelssohn nicht mehr gegeben.

Seit Bruder und Schwester in ihrem Münchner Kinderzimmer große Opern von Mozart und Puccini mit Stofftieren nachspielten, entwickelten sie sich zu leuchtenden Exponenten des modernen Musiklebens: Jörg zum überragenden Klarinettisten und vielfach ausgezeichneten Komponisten, dessen Werke in aller Welt gespielt werden, Carolin zur nicht minder gefragten Violin-Virtuosin, deren CD-Einspielungen mit Kritikerlob und Preisen nachgerade überschüttet wurden.

Was diese Geigerin so ungewöhnlich, ja einzigartig macht, ist in der aktuellen Konzertsaison in Duisburg zu erleben. Als Residenzkünstlerin der Duisburger Philharmoniker ist Carolin Widmann bis zum 9. Juni 2013 in insgesamt vier Konzerten zu erleben. Als Solistin und Kammermusikerin wird sie Zeitgenössisches gleichberechtigt neben Werke der Romantik und der gemäßigten Moderne stellen. Die 36-Jährige mit dem roten Haarschopf ist eine, die gerne Vorbehalte ausräumt, die das Publikum für moderne Klänge zurück erobern möchte. Sie will möglichst vielen Menschen näher bringen, was ihr von Kindheit an selbstverständlich ist.

Das mag nach einer Mission klingen. Aber Carolin Widmann wirkt weder lehrerhaft noch verbissen. Zum Auftakt ihrer „Residency“ begegnet uns im Lehmbruck Museum eine quirlige und lebensfrohe Künstlerin, die sich mit Verve und hellwachem Geist für die Musik unserer Zeit einsetzt. Vor einem interessierten Kreis spielt sie im Museumsfoyer „Solo allein“: Ein Programm mit hoch virtuosen Solo-Stücken, musikalisch gehaltvoll genug, um als Meisterwerke der Violinliteratur gelten zu dürfen. Vom ersten Ton an ist bei ihr klar, dass diese nicht isolierte Inseln im Meer der Musikgeschichte sind, sondern dass sie durch klare Traditionslinien verbunden sind, umflossen vom gleichen Strom der Zeit. Die Schauspielerin Isis Krüger ergänzte den Abend durch die Rezitation von Gedichten Else Lasker-Schülers.

Widmann beginnt mit Salvatore Sciarrinos „Capricci“ für Solo-Violine, die sich unter ihren Händen so frappant als Reaktion auf die Capricen von Paganini erweisen, dass sich ein freudiges Wiedererkennen in das Staunen mischt. Sie jagt Sciarrinos Klangsplitter aufeinander, witzig und gefährlich, blendend virtuos und doch mit größter Natürlichkeit. Ihre wertvolle Guadagnini-Geige verwandelt sich unter ihren Händen in einen Wundervogel, der tiriliert und flötet, zwitschert, keckert und flirrt. Selbst in Ausbrüchen, die das Nebengeräusch nicht scheuen, bleibt ihr Spiel sinnlich und vielfarbig.

Blitzsauber und technisch tadellos meistert die Geigerin dann die berühmte Sonate „Obsession“ von Eugène Ysaye, die Bach-Zitate mit dem mittelalterlichen „Dies irae“-Motiv der lateinischen Totenmesse verschränkt. Dabei geht es ihr nicht so sehr um die Demonstration geigerischer Opulenz. Widmann beweist ein untrügliches Gefühl für Atmosphäre, lässt die „Malinconia“ trüb dahin fließen, entzückt durch volltönende Akkorde und öffnet durch den Einbruch des dämonischen „Dies irae“-Motivs immer wieder Abgründe. „Les Furies“ hinterlassen bei ihr Eiseshauch und Schwefelgestank.

Umgeben von einem Halbkreis aus 8 Notenständern beschließt sie den Abend mit den selten im Konzertsaal aufgeführten „Anthèmes II“ von Pierre Boulez, die in der Fassung für Violine und Live-Elektronik erstmals 1997 in Donaueschingen erklangen. Beziehungsreich spielt der Werktitel mit alten englischen Psalmen- und Hymnenkompositionen, mit dem Begriff des Themas und dem Namen einer Blume, der Chrysantheme. Im Zusammenspiel mit der Live-Elektronik, für die ihr Detlef Heusinger, Thomas Hummel und Simon Spillner vom Experimentalstudio des SWR zur Seite stehen, betritt Widmann ein musikalisches Spiegelkabinett, in der die Elektronik ihren Klang vervielfacht. Die Geigerin spielt mit Echos, lässt die formal klar getrennten Abschnitte des Werks aufblühen. Ihr Violinton erreicht dabei eine biegsame Anmut, die dem Solokonzert von Felix Mendelssohn zur Ehre gereicht hätte.

Die Duisburger Philharmoniker und ihr Intendant Alfred Wendel haben mit Carolin Widmann eine wegweisende Künstlerin verpflichtet. Ihr zu lauschen, sei allen ans Herz gelegt: Wer diese Chance verpasst und weiter verständnislos den Kopf über die vermeintlich verkopfte Moderne schüttelt, ist fortan selbst Schuld.

(Weitere Termine mit Carolin Widmann: 14. und 15. November, 17. Mai und 9. Juni 2013. Informationen: www.duisburger-philharmoniker.de)