Zum Tod von Dieter Pfaff: Warum sind wir uns eigentlich nie begegnet?

Warum sind wir uns eigentlich nie über den Weg gelaufen? Er wurde 1947 in Dortmund, der Stadt meiner Jugend, geboren, fast genau ein Jahr, bevor es mich auf dürren Beinen gab. Er besuchte das Aufbaugymnasium (später Ernst-Barlach-Gymnasium) in Unna, wo ich die meiste Zeit meines Arbeitslebens verbrachte.

Er war mit dem Schriftsteller Heinrich Peuckmann in einer Klasse, dem ich freundeskreislich schon lange verbunden bin. Er hatte ein großes Herz für den BVB, und meines schlägt ja auch im Biene-Maja-Takt. Aber wir sind uns nie auf kreuzenden Wegen begegnet, vermutlich war er immer schon an einem anderen Ort, wenn ich irgendwo eintraf. Nun ist Dieter Pfaff nicht mehr, wir werden uns nie begegnen und ich werde nie erfahren, ob er wirklich so liebenswert war, wie ich es annehme. Ich bewahre mir aber diese Überzeugung.

65 Jahre wurde Dieter Pfaff alt –„Der Dicke“ oder „Sperling“ oder „Bloch“ – der Schauspieler zahlloser Rollen, dem aber eines beinahe immer zu eigen war: seine ungewöhnliche Körperfülle, die er zusammenspielen ließ mit einer sonor-ruhigen Stimme, ausgewogener Motorik und einem offenbar haarnadelscharfen Verstand, der seine Äußerungen antrieb. Er erlag dem Lungenkrebsleiden, das er Anfang des Jahres noch als erfolgreich behandelt schilderte.

„Der Dicke“ – das war ein Serientitel, den man landauf landab mit seiner üppigen Körperlichkeit assoziierte. Der Rechtsanwalt, der „kleine“ und „kleinste“ Leute lieber vertritt als solche, die auf seine Klienten herab sehen. Das nahm ihm sein Publikum ab, das war authentisch. Dieter Pfaff war Sohn eines Polizisten, zu dem er ein ebenso „intensives wie schwieriges Verhältnis“ hatte. Er verstand sich als Menschen, der von der 1968-er Bewegung geprägt war, er verstand diese indes aber auch als so mehrschichtig und mangelhaft aufgearbeitet, dass er weder dazu neigte, sie mit einem Glorienschein zu umkränzen noch ihre Auswirkungen als Teufelswerk zu geißeln.

Sein Weg begann in engem Kontakt zu den „normalen Menschen“, sein politisches Dasein blieb in Fühlweite dieser „normalen Menschen“ und er selbst wurde nie jemand, der blitzbelichtert über einen roten Teppich daher kam. Deshalb konnte jeder und jede ihn als so einen „Dicken“ wahrnehmen und sein Rollenverständnis verstehen.

Dieter Pfaff erlernte seinen Beruf als Schauspieler so gut, dass er in Graz jahrelang eine Professur ausübte – nachdem er in seiner Heimatstadt Dortmund, in München, im Theater am Turm in Frankfurt und auf vielen anderen Bühnen bewiesen hatte, dass sehr viel in ihm steckte. Damals war er noch gertenschlank, denn das – wie er sagte – ihn erdende Körpervolumen nahm er erst jenseits des 30. Lebensjahres an.
Dieter Pfaff wurde mit Grimmepreisen bekränzt, schuf Charaktere mit seinen Rollen, die bundesweit und weiter populär waren und es bleiben werden. Und wenn er Muße am Set hatte, zupfte er gedankenverloren die Gitarre oder begleitete sich beim eigenen, allgemein als wohltönend gerühmten Gesang.

Eine Begegnung mit ihm blieb mir versagt, meine Bewunderung für ihn spreche ich gern aus. Und die Erinnerung an seine Charaktere – das fällt mir jetzt auf – ist so stark, dass ich die in ihrer Vielfältigkeit gar nicht mehr als einzelne erkenne, sondern sie als Gesamtbild vor mir sehe.




Die wunderbare Pressevielfalt nach Art des Christian Nienhaus

Hier kommt ein Beitrag aus Reihe „Was wir immer schon mal wissen wollten, aber bislang nie zu fragen wagten“: Was versteht Christian Nienhaus, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, eigentlich unter Pressevielfalt?

Was bisher geschah: Die WAZ-Gruppe hat zum 1. Februar 2013 Redaktion und freie Mitarbeiter der Westfälischen Rundschau (WR) in die Wüste geschickt. Der Titel erscheint jedoch mit fremden Inhalten weiter (Mantelteil von der WAZ, einige Lokalteile von verschiedenen Konkurrenten wie den Ruhr-Nachrichten). Die ohne eigene Redaktion operierende WR gilt zahlreichen Kritikern seither als seelenlose Zombie-Zeitung.

Jetzt veranstaltete der Hörfunksender WDR 5 im Dortmunder Harenberg Center ein „Stadtgespräch“ zum leidigen Thema (Moderation auf dem Podium: Judith Schulte-Loh, Ausstrahlung am Donnerstag, 7. März, 20:05 Uhr). Zwei Bemerkungen zwecks erhöhter Transparenz: Aus Zeitmangel war ich nicht am Ort des Geschehens, habe mir aber den Live-Stream im Internet (dankenswerter WDR-Service, jetzt als Videoaufzeichnung greifbar) angesehen. Das Bild zu diesem Text habe ich dabei vom Computerbildschirm abfotografiert.

Christian Nienhaus, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, beim WDR-Stadtgesprräch (Screenshot vom Livestream des WDR)

Christian Nienhaus, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, beim WDR-Stadtgespräch (Screenshot vom Livestream des WDR)

Zur Sache!

Viele hatten sich vor allem gefragt, was wohl der Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, Christian Nienhaus, zu Protokoll geben würde. Voilà:

Nienhaus befand, ihm gefalle die jetzige „Rundschau“ – so wörtlich – „auch ganz ordentlich“. Was findet er zum Beispiel gut? Launige Replik: „Mir gefällt ‚Günna’, den hatten wir vorher nich’…“ Das müssen wir kurz erläutern: Der Dortmunder Komiker Bruno Knust schreibt seit vielen Jahren als „Günna“ die lokale Samstags-Kolumne der Dortmunder Ruhr-Nachrichten (RN). Da die Rundschau in Dortmund jetzt von den RN lokal befüllt wird, steht eben auch der Scherzbold mit drin. Welch ein Zugewinn nach der Entlassung von 120 Redaktionsmitgliedern und über 150 freien Mitarbeitern!

27 Zeilen sollen den Unterschied machen

Allen Ernstes wollte Nienhaus es als Zeichen fortbestehender Vielfalt verstanden wissen, dass der verbliebene WR-Chefredakteur Malte Hinz von Fall zu Fall Kommentare (gestern und heute gerade mal je 27 Zeilen – Anm. des Autors) extra für die Rundschau verfasst.

Noch ein weiteres Signal für Vielfalt sieht Nienhaus: Es gebe doch im Internet ziemlich viele Blogs. Na, dann ist ja mit der Medienlanschaft alles in bester Ordnung, oder?

Nienhaus mokierte sich über die Zeiten des früheren „WAZ-Modells“ (WAZ, WR, WP und NRZ als unabhängige Zeitungen unter einem Dach). Da hätten vier Redakteure beim Fußballspiel gesessen – und jeder habe geschrieben „Flanke – Kopfball – Tor“. Außerdem habe jeweils noch einer die Hintergründe geschildert. Ach, so war das also. Demnach haben im Feuilleton wahrscheinlich auch vier Leute parallel geschrieben: „Dann sagte der Hamlet-Darsteller: ‚Sein oder Nichtsein…’“ Und ein Quartett von Politik-Kollegen hat gewiss die jüngste Merkel-Rede fast wortgleich gepriesen. Nun gut. Lassen wir die Polemik.

Wenn Tendenzschutz fragwürdig wird

Nienhaus machte ausschließlich wirtschaftliche Gründe für die Entscheidung geltend, die Rundschau-Redaktion zu entlassen. NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider, der Medienwissenschaftler Prof. Ulrich Pätzold (über die neue WR: „Mogelpackung“, „Falschmünzerei“, „Das ist keine Zeitung mehr“) und die vormalige WR-Leserbeirätin Inés Maria Jiménez versuchten hingegen immer wieder, Nienhaus an seine publizistische Verantwortung zu erinnern.

Schneider betonte, Zeitungen seien keine eben beliebige Handelsware wie Zitronen. Man könne verlangen, dass ein Verlustbringer im ansonsten gesunden Konzern auch schon mal quersubventioniert werde. Pätzold fragte, warum eine leere Hülse wie die jetzige Rundschau überhaupt noch das Verlegerprivileg des „Tendenzschutzes“ genieße. Für welche schützenswerte Tendenz stehe dieses Produkt nun eigentlich noch?

Auch aus dem Saalpublikum kamen zwischendurch einige unbequeme Fragen von Lesern und (zum Teil betroffenen) Journalisten.

„Diskretion“ in eigener Sache

Das alles ließ Nienhaus an sich abperlen und ging hin und wieder zum Angriff auf anderen Feldern über. Vor allem haderte er mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Suchmaschinen wie Google, die die Geschäftskreise der Zeitungen empfindlich störten. Dass die Medien „seines“ Hauses weder auf das WDR-Stadtgespräch hingewiesen haben noch darüber berichten werden, findet er ganz normal, denn bei Berichten in eigener Sache erlege man sich aus guten Gründen seit jeher Zurückhaltung auf. Fragt sich in diesem Falle nur noch, aus welchen zusätzlichen guten Gründen.

Übrigens: An unscheinbarer Stelle gab Nienhaus auch eine Art Versprechen, zumindest für die nähere Zukunft. In einem Nebensatz sagte er, dass Westfalenpost (WP) und Neue Ruhr/Rhein Zeitung (NRZ) nunmehr ungefährdet seien. Sein Wort in wessen Ohr auch immer.