„Er stiehlt, was er liebt und liebt, was er stiehlt“: Bob Dylan und Amerika

Ich ahnte es ja schon lange. Je länger er mich und Millionen verborgene und offen bekennende Fans begleitete, wurde mir deutlicher: Es ist gar nicht so verquer, wenn sein Name dann und wann unter denen auftaucht, die für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen werden. Robert Allen Zimmerman, besser bekannt als Bob Dylan, ist aber – wie wir wissen – bislang nie in diesen Olymp aufgestiegen.

Bob Dylan

Dennoch, er ist ein Poet von amerikanischem Rang, er ist auf seine Art ein Musiker von amerikanisch-epochaler Bedeutung und er ist eine Figur, die im künstlerischen Szene-Personal der vergangenen Jahrzehnte nahezu an jeder Stelle von Rang in Amerika auftaucht. In seinem Buch „Bob Dylan und Amerika“ erzählt Sean Wilentz manches, was man noch nicht über Bob und Amerika wusste, aber schon länger hätte wissen sollen. „Bob Dylan und Amerika“ ist eine Art Zeitengemälde, in dem Bob Dylan wie ein „Hobo“ (wanderarbeitender Landstreuner) seine Spuren durch ein Land zieht, das ihn und wegbegleitende Gefährten ebenso liebt wie abweist. Eines seiner Idole ist nicht zufällig Woody Guthrie, der den „Hobo“ freiwillig nachlebte.

Sean Wilentz saß laut Klappentext als 13-jähriger Knabe 1964 in der New Yorker Philharmonic Hall und hörte dem zehn Jahre älteren Bob Dylan zu, der mit Joan Baez die Fans in der Halle fesselte. Der Autor und aktuelle Geschichtsprofessor an der Princeton Universität blieb fortan Gefangener, verfolgte und erforschte den Weg seines ewig nölenden Helden, avancierte zu dessen „Haus-Historiker“ und schrieb nun ein Buch darüber, was Bob Dylan während seines bisherigen Lebensweges getan hat und von wem er wozu angestoßen worden war.

Und da sind wir wieder bei „Amerika“, genauer bei den USA. Das Land, seine Geschichte und seine positiv wie negativ prägenden Persönlichkeiten ließen Dylan sein Künstlerleben so kreativ leben, wie er es tat. Aaron Copeland wirkte auf seine Musik ein, ebenso natürlich die Legende Woody Guthrie. Allen Ginsberg belebte seine Sprache, ebenso wie Jack Kerouac, an dessen Grab er sich mit Ginsberg fotografieren ließ. Bob Dylan hatte echte Freude daran, dass er „noch einen Zipfel der Beat-Generation mitbekommen hatte“. Walt Whitman, der Dichter des Bürgerkrieges, inspirierte ihn ebenfalls.

Anarchische Clowns wie Charlie Chaplin zählten zu seinen Lieblingen. Es wirkt fast deplatziert, dass Marcel Carnés Film „Kinder des Olymp“ Einfluss auf ihn nahm, Dylan sich auf diese ureuropäische Poesie einließ und die „commedia dell’arte“ ihn berührte. Dylan ließ sich von Marc Knopfler produzieren und spielte legendäre Konzerte mit den „Travelling Wilburys“. Er wurde auch gläubig, trat vor Papst Johannes Paul II. auf und intonierte „Knockin‘ on Heaven’s Door“. Doch für Knut Wenzel, Professor für Fundamentaltheologie und Dogmatik an der Goethe-Universität Frankfurt, steht es fest, dass „die Phase der Christlichkeit bei Dylan eine von vielen Maskierungen“ gewesen sei. Neben denen des Stars, des Familienmenschen, Streuners, Revoluzzers, Polit-Aktivisten, Predigers und Pilgers.

Vermutlich ließe sich diese Liste noch lange fortsetzen. Sean Wilentz wird in seinem Buch nicht müde, die zahllosen Einflüsse und Zulieferer für Bob Dylans anscheinend unerschöpfliche Kreativität auf seiner „Never Ending Tour“ zu benennen. Er prägte vieles, das die Nachkriegszeit Amerikas erinnernswert macht, er wies Wege und Grenzen, er spielte sich und allerlei „Ichs“, nach denen er auf der Suche war. Er versucht nach wie vor, für sich die „Western Frontier“ zu finden.

Rebellion ist, das glaubt Wilentz fest, eine zentrale Vokabel für Bob Dylan. Solange wir ihn kennen, wird er mit deren Inhalt in Verbindung gebracht. Als Stimme einer protestierenden Bewegung, als Poet des nachdenklichen und widerständigen Amerikas, als Rock’n’Roller, lauter Rufer und bergpredigender Weiser, der er einmal werden möchte. Stets auf der Suche nach Einflüssen, die er mitnehmen, umdeuten und in sein dylaneskes Werk verarbeiten könnte. „Er stiehlt, was er liebt und er liebt, was er stiehlt.“ Das schreibt sein Haus-Historiker über ihn. Dylan, der Bertolt Brecht Amerikas?

Das und noch mancherlei mehr macht Sean Wilentz Buch deutlich, und zwar so nachhaltig, dass ich es alsbald noch einmal lesen muss.

Sean Wilentz: „Bob Dylan und Amerika“. Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Schmidt. Reclam Verlag, Ditzingen. 477 Seiten, 29,95 Euro.




Meilensteine der Popmusik (28): Electric Light Orchestra

Nach einem opulenten Mahl ein Digestif, der Meister hat sich schließlich alle Mühe gegeben und nicht an Kalorien gespart. Vom augenscheinlich schlichten Hors d’oeuvre, das einem schon zum ersten Mal ein unfeines Aufstoßen entlockt, über die schweren Soßen des Hauptgerichts, bis hin zum bittersüßen Dessert: Jeff Lynne hieß der Zuckerbäcker in der Rock-Musik der 70-er Jahre.

Dabei sollte man – wie so oft – nicht nur das Äußere bewerten. Der leicht introvertierte, bebrillte Lockenkopf konnte weder die engelsgleiche Ausstrahlung eines Peter Frampton, noch die Aura eines Freddy Mercury vorweisen. Die wahren Abenteuer hatte er im Kopf, und als er sie heraus ließ, kam ein Ohrwurm nach dem anderen auf uns zu. Den Einstieg ins Geschäft verdankt Jeff Lynne dem Niedergang der ehemals erfolgreichen britischen Formation „The Move“. 1971 war Roy Wood der einzig Übriggebliebene, der unter diesem Namen noch weiterhin eine Gruppe vortäuschte. Er entdeckte Seelenverwandtschaft bei Jeff Lynne und engagierte ihn für ein neues Projekt, der eher schwulstige Name lautete: Electric Light Orchestra.

ELO

Die beiden wollten weitermachen, wo die Beatles mit Songs wie „Strawberry fields forever“ oder „I am the walrus“ aufgehört hatten. Diesem Anspruch konnten sie jedoch nicht ganz gerecht werden. Der schräg klingende Sound, unter anderem aus Geige und Celli herausgepresst, klang bei wohlwollender Beurteilung allenfalls experimentell, für Popmusik fast schon avantgardistisch. Trotzdem, oder gerade deswegen, scharte sich eine kleine, treue Fangemeinde um die Gruppe und schob sie in eine Schublade irgendwo in Richtung Klassik- oder Bombast-Rock. Das und die Nähe zu Jeff Lynne wiederum, wurde dem immer etwas querliegenden Roy Wood mit der Zeit zu eng. Er stieg aus, und gründete eine neue, fröhliche Hitparadengruppe namens „Wizzard“.

Nun endlich hatte Jeff Lynne freie Bahn. Er behielt den Gruppennamen Electric Light Orchestra bei, den die Fans inzwischen zu E.L.O. minimiert hatten. Zudem holte er sich drei Musiker vom ehrwürdigen Londoner Sinfonieorchester und überrollte mit einem einzigen Hit alles, was vielen bis dato heilig war: Rock’n’Roll und Beethoven. Ihre mit klassischen Orchesterinstrumenten versetzte Version des Chuck-Berry-Klassikers „Roll over Beethoven“ war Startpunkt einer zehnjährigen Karriere. Und womit so manch skeptischer Kritiker anfangs nicht rechnen wollte – bald konnte man diesen damals spektakulären Sound auch live erleben. Die Konzerte von E.L.O. wurden ebenso aufgepeppt wie die Musik. Es wurden große Volksfeste, die Karneval zu jeder Jahreszeit versprachen. Einer der Höhepunkte war sicherlich ihre „Out of the Blue“-Tour. Über den Musikern schwebte eine gigantische, fliegende Untertasse, die durch zahllose Lichter und Laser-Effekte erleuchtet wurde.

Das war Mitte der 70-er sicherlich auch eine Erleuchtung für viele Rock-Fans, die mit E.L.O. bis dahin noch nicht so viel anfangen konnten, denn immerhin ging die Doppel-LP „Out of the Blue“ weltweit mehr als zehn Millionen mal über die Ladentische und wurde somit einer der ganz großen Verkaufserfolge der Rock-Geschichte. „Turn to stone“, „Sweet talkin‘ woman“ und „Mr. Blue Sky“ waren die Hits des Albums, allesamt produziert in nur drei Monaten 1977 in den Münchener Musicland Studios. Dennoch, der echte E.L.O.-Fan kaufte keine Single, sondern sparte, bis er sich die LP leisten konnte. Und somit ist es nicht verwunderlich, dass eine der erfolgreichsten Formationen der Rock-Musik es nie schaffte, eine internationale Single-Hitparade anzuführen.

So vieles kehrte über die Jahre immer mal wieder zurück. Nach der neuen kam die alte Welle, nach Punk ging es wieder zurück zum Gefühl. Und wenn wir irgendwann von der neuen Küche nicht mehr satt werden sollten, dann wird der eine oder andere von uns vielleicht auch mal wieder bei E.L.O. einkehren. Zubereitet nach alten Rezepten: die bewährten Dickmacher genießen – ein mehrgängiges Schlemmer-Menü in gepflegter Atmosphäre bei Chefkoch Jeff Lynne.

E.L.O. on youtube

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Die bisherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22), The Kinks (23), Michael Jackson (24), Bob Dylan (25), The Eagles (26), The Who (27)




Kühle Noblesse, inneres Glühen: Julia Fischer spielt Dvořák im Konzerthaus Dortmund

Julia Fischers neue CD mit Violinkonzerten von Antonín Dvořák und Max Bruch erscheint am 15. März (Copyright: DECCA/Uwe Arens)

Julia Fischers neue CD mit Violinkonzerten von Antonín Dvořák und Max Bruch erscheint am 15. März 2013 (Copyright: DECCA/Uwe Arens)

„Wollen Sie mir ein Violinkonzert schreiben? Recht originell, kantilenenreich und für gute Geiger? Bitte ein Wort!“, schrieb der deutsche Musikverleger Fritz Simrock 1879 an den tschechischen Komponisten Antonín Dvořák. Dieser Auftrag wurde prompt übererfüllt. Dvořák schuf ein weithin leuchtendes Meisterwerk der Gattung: kraftvoll symphonisch, sehnsuchtsvoll lyrisch, spieltechnisch brillant und überströmend reich an Melodien.

Verzichtet hat der Komponist auf eine Solo-Kadenz und die damit verbundene Zurschaustellung von Virtuosität. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum sein Werk im Konzertsaal ungleich seltener zu erleben ist als die Violinkonzerte von Beethoven, Brahms, Mendelssohn, Sibelius und Tschaikowsky.

Eine Geigerin wie Julia Fischer kann ihre Brillanz freilich auch ohne solistische Ehrenrunde ausspielen. Im Konzerthaus Dortmund erfüllt sie Dvořáks Romantik mit einer zurückhaltenden Noblesse, aus der es gleichwohl glühend leuchtet. Begleitet vom Tonhalle-Orchester Zürich, mit dem sie das Werk auch auf ihrer jüngsten CD eingespielt hat, geht sie im straffen Tempo vor, erlaubt sich selbst keine Schwärmereien. Wo andere Interpreten förmlich im Violinklang baden, bleibt Julia Fischers Ton gläsern klar, ihre Linienführung bei aller Eleganz beinahe streng.

Der Hauch von Kühle, der da herüber weht, wird indes köstlich gemildert. Julia Fischer kann Farben abdunkeln, bis sie samtig, ja sphinxhaft unergründlich klingen. Sie kann ihrer Violine feinste Verschattungen abgewinnen, im Virtuosen aber auch blitzend auftrumpfen. Den Kopfsatz spielt sie mit kraftvoller Grandezza, im Finale steigert sie sich mit sichtbarer Freude in jubelnde Höhen hinein. Stets hält sie dabei den Kontakt zum Orchester, das die klangliche Balance trefflich hält. Julia Fischer sucht den Dialog, bettet den Solo-Part mit großer Stilsicherheit in die Gesamtpartitur ein. Absolut umwerfend, vielleicht sogar ohne Gleichen ist die Intonationsreinheit ihres Spiels. Frenetischer Beifall für eine der interessantesten Geigerinnen unserer Zeit.

Für den erkrankten Chefdirigenten David Zinman hatte Michael Sanderling die Leitung der kleinen Konzertreihe übernommen, die von Zürich aus in vier deutsche Städte führte. In Dortmund stürmt das Tonhalle-Orchester Zürich zunächst mit einigen Präzisionsverlusten in die Konzertouvertüre „Le Corsaire“ von Hector Berlioz hinein, zeigt sich in Tschaikowskys 4. Sinfonie dann aber in glänzender Verfassung. Dabei scheint Michael Sanderlings Lesart jedem Knalleffekt ängstlich aus dem Weg gehen zu wollen: Der Dirigent schlägt im Kopfsatz ein sehr gemessenes Tempo an, nimmt den Fanfaren des „Fatum“ genannten Schicksalsthemas jedes Schmettern, rundet alles Zackige durch Überbindungen. Das mag zunächst irritieren, aber Sanderling entwickelt das Werk aus einer skeptisch-zögerlichen Grundhaltung heraus. Das führt schließlich doch zu flammender Dramatik. Die Streicher entwickeln einen bohrenden Unisono-Klang, die Blechbläser demonstrieren ihre Kraft, ohne je grob zu werden. Erlesen auch die Soli der Holzbläser, deren Arabesken im zweiten Satz nahezu exotisch schillern. Im Tutti fügt sich der Klang der Instrumentengruppen nahtlos ineinander. Die nahezu perfekte Verblendung der Register führt zu großer Wucht, die stets wunderbar kultiviert bleibt.

(Informationen zum Programm des Konzerthauses: www.konzerthaus-dortmund.de)