Nicht ohne meine Pistolen: Hedda Gabler bei den Ruhrfestspielen

Welch seltsame Bühnenfigur ist doch diese Hedda Gabler: Von Henrik Ibsen 1891 als gelangweilte Gattin konzipiert, die zu ihrer Unterhaltung Intrigen spinnt, in denen sie sich am Ende selber verfängt, reizt sie immer wieder zeitgenössische Regisseure. Zuletzt Stefan Pucher vom Deutschen Theater, dessen Hedda jetzt als Koproduktion bei den Ruhrfestspielen zu sehen war.

Hedda ist ja auch einfach so eine geniale Hauptrolle: Birgit Minichmayr (am Residenztheater in München) oder Nina Hoss haben das Biest im Repertoire; die Tochter des Gewerkschafters Willi Hoss spielte es jetzt in Recklinghausen.

Hedda Gabler. Foto: Arno Declair/Ruhrfestspiele/Deutsches Theater

Hedda Gabler. Foto: Arno Declair/Ruhrfestspiele/Deutsches Theater

Eigentlich ist diese Hedda doch ganz nett, fast ein wenig zu konventionell und einfältig, wie sie blond frisiert und adrett im hautengen Spitzenkleid von der Hochzeitsreise zurückkehrt. Sicher, gleich in der ersten Szene beleidigt sie die gutherzige Tante Jule (Margit Bendokat), weil die einen altmodischen Hut trägt –aber schiebt pflichtgemäß eine Entschuldigung nach.

Seltsam, so artig hatte man sich Nina Hoss in dieser Rolle gar nicht vorgestellt. Wo bleibt da das Böse in Hedda? Doch je weiter die Inszenierung voranschreitet, desto mehr entpuppt sich Hedda als Psychopathin: Unfähig, etwas für ihre Mitmenschen zu empfinden, bleibt sie doch immer neidisch auf deren Gefühlswelt und ihre Leidenschaften. Weil sie selbst keine Passion kennt, nutzt sie jede Gelegenheit, den anderen die ihre zu verleiden, zu zerstören und sie in den Abgrund zu stürzen. Die Verzweiflung ihrer Mitmenschen zieht sie sich dann zur Unterhaltung rein, nach dem Motto „endlich ist hier etwas los.“

Doch diese Rechnung geht nicht auf: Wie ein Vampir will sie ihren Teil vom Leben der anderen aussaugen, doch es befriedigt sie nicht. Denn selbst die gestohlenen Gefühle lösen bei ihr keine Emotionen aus, zurück bleibt nur Leere. Das Problem löst sie dann mit den Pistolen ihres Vaters.

Nina Hoss zeigt Heddas Fassade und gibt die Abgründe erst nach und nach frei. Das ist ein genialer Schachzug, denn so rückt die Figur nicht von vorneherein in die diabolische Ecke. Die ersten Gemeinheiten, kleine fiese Tricks aus Neid, heben menschliche Züge, das kennt jeder. Wie sie Frau Elvsted (Anita Vulesica) geschickt über den Zustand ihrer Ehe aushorcht, wie sie dem ehemaligen Liebhaber Punsch aufnötigt, obwohl sie weiß, dass er nicht trinken darf.

Doch langsam beginnt die Sache zu kippen: Immer verbissener steigert sie sich in ihre gemeinen Taten hinein, die im Verbrennen des Roman-Manuskriptes des Ex-Geliebten gipfeln.

Tatsächlich spielt Nina Hoss das Motiv für ihr Abgleiten in die Gewissenlosigkeit gleich mit: Eigentlich ist Hedda Gabler nämlich feige. Sie würde nie etwas tun, was sie wirklich will, denn sie hat Angst vor der Meinung der Leute. „So etwas tut man doch nicht“, sagt sie dann und versteckt sich hinter hohlen Konventionen. Sie verachtet ihren Stubenhocker von Ehemann (Felix Goeser), aber gehen würde sie nie. Wovon sollte sie auch leben?

Stefan Pucher hat für seine Inszenierung eine Ästhetik der 70er Jahre gewählt: Von der Einrichtung in rot-pink-lila bekommt man regelrecht Kopfschmerzen, von den schwarz-weißen Teppichmustern und Leopardenfellen Sehstörungen. Der geniale Außenseiter und Schriftsteller Eilert Lövborg (Alexander Khuon) ist ausstaffiert wie Rainer Werner Fassbinder in seinen wildesten Zeiten.

Im Hintergrund flimmern Italo-Western auf Videoleinwand, die das Geschehen um Hedda als Cowboy-Duell inszenieren. Auf diese Weise ist Hedda nur der Anlass für ein chauvinistisches Kräftemessen, keineswegs die Ursache für das Desaster. Die 70er Jahre als kommerzialisierte und verkitsche Form des Revoluzzertums in psychodelisch bunt zu deuten, ist ein schlüssiger Regie-Einfall.

Hedda nützt das nichts: Hingebungsvoll widmen sich ihr Mann und ihre Freundin der Nachlassverwaltung des genialen Werks des von Hedda in den Selbstmord getrieben Genies. Und für die Intrigantin interessiert sich niemand mehr. Die weiß, dass sie jetzt verloren hat und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand, mit General Gablers Pistolen…Peng, das wars.

www.deutschestheater.de




Selbstbewusstes Konzept: Khatia Buniatishvili beim Klavier-Festival Ruhr in Duisburg

Die Unruhe ist von Anfang an da, zieht in ihren Bann. Sie ist präsent in den hart angeschlagenen Akkorden des Beginns von Chopins b-Moll-Sonate, sie wacht über dem aufgewühlten Agitato-Brausen, sie durchwebt auch die Beruhigung des Tempos, die sanfte Dolce-Versenkung. Bei Khatia Buniatishvili liegt diese Unruhe wie ein existenzielles Verhängnis über allen vier Sätzen der Sonate, die durch ihren „Trauermarsch“ eine manchmal traurig-banale Berühmtheit erlangt hat.

"Versinken ... ertrinken...": Khatia Buniatishvili bei ihrem Duisburger Konzert. Foto: Frank Mohn

„Versinken … ertrinken…“: Khatia Buniatishvili bei ihrem Duisburger Konzert. Foto: Frank Mohn

Bei der 25-jährigen georgischen Pianistin sitzt man das Stück nicht mit dem bestätigenden Eindruck des viele Male Gehörten ab. Wie Blitze eine bekannte und lieb gewonnene Landschaft unheimlich neu beleuchten können, durchfetzen ihre Einfälle das vertraute Gebilde. Etwa wenn sie die Dynamik, nicht aber die Toncharakteristik ändert und damit etwas Unerbittliches in die Noten legt. Oder wenn sie durch Bassakzente den ach so lieb gewordenen weit phrasierten melodischen Motiven etwas Irritierendes mitgibt, ein Gift gegen jede Heimeligkeit.

Sicher: Chopin spielen viele, und viele spielen ihn beeindruckend, beredt, ja beschwörend. Umso faszinierender ist es zu erleben, wie eine junge, selbstbewusst ihrem Konzept folgende Pianistin ein Stück neu gestaltet, ohne es zu zerlegen. Buniatishvilis Chopin ist beides: authentisch und subjektiv, textgetreu und wunderbar frei.

Die Pianistin, die 2009 beim Klavier-Festival als Einspringerin für Hélène Grimaud Aufsehen erregte, ist inzwischen vielfach ausgezeichnet worden. Zum Beispiel erhielt sie 2012 den Echo-Klassik-Preis als Nachwuchskünstlerin Klavier. Ihre drei Schubert-Piècen, von Franz Liszt bearbeitet, zeigen auch, warum: Das „Ständchen“ nimmt sie introvertiert, mit leichten Rubato-Akzenten, meidet aber die Einfärbung des Anschlags zum sentimentalen Dolce, hält den Klang gerade und ernst. Keinerlei Attitüde, kein Anflug von virtuosem Narzissmus. „Gretchen am Spinnrad“ ist ein Beispiel dafür, wie Monotonie ausgedrückt werden kann, ohne monoton zu werden. Buniatishvili leistet sich keine theatralische Aufladung: Das Drama ist leise, aber bitter. Den „Erlkönig“ hämmert sie rasend übersteigert in die Tasten; ein entfesselter Weltenbrand mit fahl verlöschendem Ende.

Die Transkription „Schafe können sicher weiden“ des einst berühmten Pianisten Egon Petri (1881-1962) ist eine jener romantischen Reflexionen auf Johann Sebastian Bach, wie sie durch Ferruccio Busoni oder Leopold Stokowski beliebt geworden sind. Buniatishvili steht zur Romantisierung, verwendet viel Pedal, gestaltet den Klang substanzvoll.

Den zweiten Teil ihres Konzertes in der Gebläsehalle des Duisburger Landschaftsparks Nord sieht Buniatishvili offenbar wie eine Meditation am Klavier: Chopins cis-Moll Etüde aus Opus 25, die a-Moll-Mazurka aus Opus 17, der „Oktober“ aus den „Jahreszeiten“ Tschaikowskys, Skrjabins cis-Moll-Etüde, schließlich Debussys „Clair de lune“ und Ravels „Pavane pur une infante défunte“.

Ohne Pause fließen die Stücke ineinander, verlangen Konzentration, Stille, fast schon Entrückung. Buniatishvili formt die Linien weltverloren aus: weit, behutsam im Anschlag, spannungsvoll in der Dramaturgie, in bewusstem Verzicht auf Kontraste. Wenn „Magie“ überhaupt eine taugliche Beschreibung für die Qualität von Klavierspiel ist, dann passt sie hier.

Als dann „La Valse“, Maurice Ravels raffiniertes Schaustück, das offizielle Programm abschließt, kehren wir wieder in die Welt zurück, begleitet von weniger grell verzerrten als pikant ironischen Rhythmen – eine Welt, die von der ersten der beiden Zugaben, dem letzten Satz aus Prokofjews wahnwitziger Siebter Sonate, in furioser Raserei übersteigert wird.