ARD-„Brennpunkt“ zum Hochwasser: Die unstillbare Gier nach starken Bildern

Es ist auf Dauer etwas ermüdend: Gewisse Medien müssen stets übertreiben und stellen deshalb jeden stärkeren Wetterumschwung wenigstens als Jahrzehnt-Ereignis hin. Doch diesmal ist es wirklich ernst. Die Regenflut, die jetzt vor allem Teile Bayerns und Sachsens überschwemmt hat, übertrifft tatsächlich alle vergleichbaren Ereignisse in Deutschland.

Die ARD hat schon weitaus geringfügigere Ereignisse zum Anlass für einen „Brennpunkt“ nach der Tagesschau genommen, manchmal auch schon mittelprächtige Fußball-Nachrichten. Die 45-Minuten-Ausgabe „Hochwasseralarm – der Kampf gegen die Flut“ war hingegen wirklich angebracht.

In Superlativen schwelgen

Es moderierte mal wieder Sigmund Gottlieb vom Bayerischen Rundfunk. Der barocke Mann schien geradewegs in Superlativen zu schwelgen, von einer „Sintflut“ war natürlich gleich in den ersten Sätzen die Rede. Er kostete die gängige „Jahrhundert“-Rhetorik in vollen Zügen aus und war sich seiner eigenen Bedeutung wohl bewusst.

"Brennpunkt"-Logo (©: SWR)

„Brennpunkt“-Logo (©: SWR)

Machen wir uns nichts vor. Das Fernsehen giert immerzu nach spektakulären Bildern, wie das jetzige Hochwasser sie wieder liefert. Seit ein paar Jahren kann man dazu auch die sozialen Netzwerke heranziehen, aus deren Text- und Bilderfundus man sich leicht- und freihändig bedient. Da wähnt man sich ganz nah dran am katastrophalen Geschehen und am betroffenen Bürger. Ich kann mir übrigens kaum vorstellen, dass für die bei YouTube oder Twitter vorgefundenen Aufnahmen Honorare gezahlt werden, lasse mich aber gern eines Besseren belehren…

Profis am Werk

Beinahe schon tragische Ironie liegt darin, dass ursprünglich eine eher beschauliche Naturdoku über die Donau auf dem Sendeplatz gestanden hatte. Gerade dieser Fluß ist nun so mächtig über die Ufer getreten, dass bespielsweise die Altstadt von Passau so hoch unter Wasser steht wie seit Jahrhunderten nicht. Eine Bootsfahrt durch die engen Gassen vermittelte einen Eindruck vom Ausmaß der Schäden. Viele Menschen stehen vor den Trümmern ihrer Existenz und hoffen auf staatliche Hilfe. Manche Einzelschicksale sind wahrhaftig zum Heulen, das konnte man ahnen.

Sprachlich sprudelte so manches Klischee, doch inhaltlich wurde einigermaßen solide gearbeitet. Es waren Fernsehprofis am Werk, die nahezu alle denkbaren Aspekte der Flut ins Auge fassten – vom Vergleich mit 1954 und 2002 über mögliche Vorbeugungsmaßnahmen bis hin zur schier unvermeidlichen Frage, ob all das mit dem oft beschworenen Klimawandel zu tun habe. Der eilends herbeizitierte Experte, Klimaforscher Prof. Harald Kunstmann, prophezeite, dass uns solche Extremereignisse immer öfter ereilen werden.

Politische Verwurstung

Es ist mehr als nur Legende, dass der damalige Kanzler Gerhard Schröder zur Flut von 2002 tatkräftige Präsenz zeigte und wohl auch daher noch ein paar Jahre im Amt bleiben konnte. Morgen (Dienstag) wird Angela Merkel im Krisengebiet erwartet. Innenminister Hans-Peter Friedrich war heute schon da. Alles andere wäre auch politischer Wahnsinn.

Direkt nach dem „Brennpunkt“ warf sich Frank Plasberg mit „Hart aber fair“ in die Bresche und fragte mit triefender Ironie: „Was will uns die Natur damit sagen?“ Hier wurde das Naturereignis sogleich flugs dem Parteienstreit und somit der landläufigen politischen Verwurstung zugeführt, was freilich auch wieder reflektiert wurde. So konnten sich Renate Künast (Grüne) und Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) ein paar wohlfeile Wortgefechte liefern. Um mal ein etwas schiefes Bild zu verwenden: Man kann eben auf allem sein Süppchen kochen, selbst auf Flutwasser.

Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen.




Der Stoff des Verderbens: „Gas“ bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen

"Aufbruch und Utopie" - das Motto der Ruhrfestspiele Recklinghausen 2013. Foto: Werner Häußner

„Aufbruch und Utopie“ – das Motto der Ruhrfestspiele Recklinghausen 2013. Foto: Werner Häußner

„Gas“! Der Titel hatte am Ende des Ersten Weltkriegs eine alarmierende Brisanz. In den Endkämpfen an festgefahrenen Fronten wurde zum ersten Mal Giftgas eingesetzt. Die europäische Zivilisation stand fassungslos vor den dämonischen Ergebnissen einer Entwicklung, die – wie wir heute erfassen – das Ende des alten Europa bedeutete. Georg Kaiser, der produktive Dramatiker seiner Epoche, hat seinem Sinnspiel um Macht und Vernichtung, Utopie und Humanität, Krieg und Klassenkampf diesen Titel gegeben.

Gas ist in den zwei Teilen dieses Endzeitstücks mehr als ein Energieträger, als ein Schmierstoff für die gesamte technische Zivilisation. Es ist der universale Stoff, der das Verderben begleitet. Das „Gas“ Georg Kaisers hat einen metaphysischen Geruch.

Aus der Rückschau von fast einhundert Jahren bewundert man, wie Kaiser mit damals aktuellen Ideen umgegangen ist, aber auch, mit welchem Instinkt er die Ursachen der Katastrophe analysierte, die in seinem Drama geschieht. Da fliegt eine Fabrik in die Luft – ein Sinnbild für Untergang überhaupt.

Vor der drohenden und nach der eingetretenen Katastrophe lässt Kaiser seine Figuren agieren und argumentieren: den Milliardärssohn mit seinen ideal-sozialen Ideen von der Beteiligung der Arbeiter und dem Verzicht auf Eigentum (Andrej Kaminski); den Ingenieur, der vergeblich vor den Gefahren der sich unheimlich verselbständigenden Technik warnt (Jan Andreesen); den Offizier (Jonas Riemer) als Repräsentant einer Kaste, die nur noch steril die Verhältnisse stabilisiert. Dazu die gesichtslosen schwarzen Vertreter des Kapitals. Und die Tochter des Milliardärssohns (Joanna Kitzl), die den großen, den neuen Menschen gebären will: Nietzsche lässt grüßen, eingehüllt in den sozialen Humanismus Georg Kaisers.

Jan Andreesen (Ingenieur) und Andrej Kaminski (Milliardärssohn) in Kaisers "Gas". Foto: Reiner Kruse

Jan Andreesen (Ingenieur) und Andrej Kaminski (Milliardärssohn) in Kaisers „Gas“. Foto: Reiner Kruse

Im zweiten Teil kann man „Gas“ fast visionäre Qualitäten zuschreiben: Der Krieg eint die von „oben“ und die von „unten“ im pragmatischen Ziel, den Staat zu erhalten, das Gas als Treibstoff der Gesellschaft zu produzieren. Der Großingenieur wird zum Führer der Massen in eine neue Zeit: Triumph der morallosen Technokraten, Sieg der scheinbaren Rationalität der Prozesse, die in den Untergang führen, besiegelt durch die neueste Erfindung: Giftgas.

Hansgünther Heyme, Regie-Altmeister und von 1990 bis 2003 Künstlerischer Leiter der Ruhrfestspiele, ist mit seiner Inszenierung von Kaisers „Gas“ – eine Koproduktion mit dem Staatstheater Karlsruhe – nach Recklinghausen zurückgekehrt. Er hat noch bei Erwin Piscator gelernt, kennt also Zeitzeugen der Epoche Kaisers.

Heyme zeigt sich sensibel gegenüber der Sprache: knapp, manchmal stenografisch, dann wieder mit Pathos erfüllt; knallhart konkret, dann wieder enthoben, sinnbildhaft. Keine leichte Kost, doch den Schauspielern gelingt es, den anachronistischen Duktus der Sätze und Satzfetzen, der Stichworte und Ausrufe ins Heute zu transferieren. Im Zeitalter des Fäkal- und Fernsehsprechs bedeutet dies eine Herausforderung, die auch den einen oder anderen im Publikum ratlos macht.

Nähe zum Sinnspiel und zum Gleichnis

Heyme nähert sich in seinem Stil nicht so sehr dem holzschnittartigen Expressionismus mit seinen kantigen Verkürzungen. Er rückt „Gas“ in die Nähe des Sinnspiels, fast des Symboltheaters – eine Art zu spielen, die heute aus der Zeit gefallen anmutet, aber gerade deshalb ihren Reiz hat: nostalgische Erinnerung und anregender Kontrast zugleich. Das Gleichnishafte des Stücks betont die Regie, wenn sie sein formale Gerüst, seinen symmetrischen Aufbau beachtet, etwa die miteinander korrespondierenden Bilder mit den posierenden Arbeitern im Zentrum der beiden Teile: Sie sprechen für den reduzierten Menschen, beschränkt auf einen produktiven Aspekt seines Daseins.

Sebastian Hannak hat in das kleine Theater im Festspielhaus eine geborstene Halle gebaut, mit auslaufenden Stahl-Galerien, die sich wie die Arme eines „U“ zum Zuschauerraum hin ausstrecken. Dort klinken sich die Akteure mit Sicherheitshaken in Führungsschienen ein, als drohten sie, jederzeit abzustürzen. Gerhard Meier leuchtet dieses Szenario mit expressiven Wirkungen aus; Saskia Bladts Musik operiert oft an der Grenze zum Geräuschhaften, nimmt sich zurück, bis sie kaum mehr hörbar ist, schleicht sich so – etwa in Gestalt eines Klarinettisten – in die Szene ein und wirkt gespenstisch, verstörend, unwirklich.

Das eigentlich Beklemmende an Kaisers „Gas“ ist, dass dieses Schauspiel aus der Hoch-Zeit der Industrialisierung bis heute seine Brisanz nicht verloren hat: Reduktion des Menschen und der Gesellschaft auf die technisch-ökonomisch-politischen Aspekte, Entfremdung und Selbstverlust, die geistige Selbstverstümmelung des Menschen und die Ohnmacht der humanen Utopien sind geblieben. Die „Menschen in Einheit und Fülle … entlassen aus Fron und Gewinn“ lassen weiter auf sich warten.

Aktuelle Welt- und Zeitbeschreibungen

Mit seinem ambitionierten Programm zeigt Festspiel-Intendant Frank Hoffmann, wie die Impulse aus der gärend-spannenden Zeit zwischen dem aufstrebenden deutschen Kaiserreich und dem Absaufen der Republik in der braunen Flut bis heute aktuelle Welt- und Zeitbeschreibungen bleiben. Das gilt für’s große Schauspiel – von Ibsens „Hedda Gabler“ bis Hauptmanns „Rose Bernd“, von Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“ bis zu Falladas Verzweiflungsrevue „Kleiner Mann, was nun“, die in der Regie von Michael Thalheimer ab 12. Juni die Serie abschließt.

Das "EntertainTent". Foto: Ruhrfestspiele

Das „EntertainTent“. Foto: Ruhrfestspiele

Das gilt aber auch für die anderen Spielstätten: Dass eine Kunstgattung wie das Kabarett, dessen Blüte mit dem Ende der Zensur 1919 begann, im Programm ansprechend gewichtet wurde, gibt den Festspielen eine passende Würze und spannt den unmittelbaren Draht zum Heute. Und auch Aspekte der Unterhaltungskultur, die für den Zeitgeist seit jeher geschärfte Sensibilität mitbringt, finden sich im erstmals eingerichteten „EntertainTent“: Schön wäre gewesen, wenn die zwischen bissiger Ironie, heiterer Resignation und zynischer Harmlosigkeit changierenden Chansons, Songs und Schlager jener Zeit zu Wort und Ton gekommen wären: Das Panorama dieser spannenden Zeit wäre noch kompletter beleuchtet worden.

Informationen und Spielplan: www.ruhrfestspiele.de