Ein Europäer aus der bayerischen Provinz: Johann Simon Mayr zum 250. Geburtstag

Venedig, Karneval 1794: Im neuen „Teatro La Fenice“ wird die Oper „Saffo“ aufgeführt. Der Komponist ist ein „Zugereister“ aus Bayern, der sich durch einige Oratorien einen Namen gemacht hat: Johann Simon Mayr. Die Oper hat Erfolg, der 30-jährige Maestro erhält ein Jahr später erneut einen Opernauftrag: „Lodoiska“. In den kommenden Jahren sollte Mayr eine der führenden Gestalten nicht nur des venezianischen, sondern des italienischen Opernlebens werden.

 

Giovanni Simone Mayr. Bild: Archiv Häußner

Giovanni Simone Mayr. Bild: Archiv Häußner

Bis vor wenigen Jahren teilte dieser Komponist das Schicksal vieler seiner Kollegen, die in der Übergangszeit zwischen der Barockoper etwa eines Johann Adolph Hasse und der neuen Generation eines Gioacchino Rossini wirkten. Doch das Blatt hat sich gewendet: In Mayrs Heimat Ingolstadt bemüht sich seit 20 Jahren eine sehr aktive Johann-Simon-Mayr-Gesellschaft um die Wiederentdeckung seines Œuvres. An der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt wurde eine Forschungsstelle eingerichtet. Symposien, Editionen, Dissertationen erschließen Werk, Person und Umfeld des Komponisten.

Der italienische Verlag Ricordi hat eine Ausgabe in Angriff genommen, die Zug um Zug die bisher in Archiven schlummernden Noten aus der Hand Mayrs kritisch ediert und der musikalischen Öffentlichkeit zugänglich macht. Die Folgen sind schon spürbar: In den letzten Jahren sind wichtige Opern Simon Mayrs auf die Bühne zurückgekehrt, etwa „Fedra“ in Braunschweig (2007/08), „Il Ritorno d’Ulisse“ in Regensburg (2009/10) und Mayrs wohl berühmteste Oper, „Medea in Corinto“, in St. Gallen und München (2010). Zum 250. Geburtstag Mayrs am 14. Juni 2013 führt das Münchner Rundfunkorchester in Ingolstadt die Oper „Ginevra di Scozia“ in einem Festkonzert auf.

Von Mendorf nach Venedig

Am 14. Juni 1763 wird dem Schullehrer und Organisten Joseph Mayr zu Mendorf, 25 Kilometer von Ingolstadt entfernt, ein Sohn geboren. Johann Simon, so sein Name, macht gute Fortschritte in der Musik. Im Kloster Weltenburg, wo er zur Schule geht, rühmt der Abt sein virtuoses Klavierspiel. Mit zehn Jahren erhält der begabte Sänger einen Freiplatz am Jesuitenkolleg in Ingolstadt, wechselt 1777 an die Bayerische Landesuniversität und beginnt, Theologie, Philosophie und Jura zu studieren. Nebenher verdient er sich seinen Unterhalt als Organist. Ohne theoretischen Unterricht genossen zu haben, veröffentlicht er 1786 „12 Lieder, beim Klavier zu singen“.

Ingolstadt ist damals ein Zentrum der „Illuminaten“, einer aufklärerischen Geheimgesellschaft. Mayr kommt mit der nach Freiheit, Bildung und persönlicher Vervollkommnung strebenden Bewegung in Kontakt. In dem Freiherrn Thomas von Bassus findet er einen Förderer, der ihn als Musiklehrer auf sein Schloss Sandersdorf holt. Als der Illuminatenorden 1785 verboten wird, muss Bassus fliehen. Mayr folgt ihm nach Poschiavo in Graubünden – und will sich endgültig der Musik verschreiben.

Wohl ermutigt und finanziert von Bassus geht Mayr 1789 nach Bergamo, lernt bei Carlo Lenzi, dem damaligen Kapellmeister der Kirche Santa Maria Maggiore, studiert ab 1790 in Venedig. Dort nimmt sich der renommierte Kapellmeister an San Marco, Ferdinando Bertoni, ein stark an Gluck orientierter Musiker, seiner an. Die Begegnung mit dem reichen Musikleben Venedigs und die Bekanntschaft von Komponisten wie Peter von Winter und Nicola Piccinni regen ihn an, sich der Oper zuzuwenden.

Der Bayer eignet sich schnell die Sprache und die Gewohnheiten seiner zweiten Heimat Venedig an, heiratet 1796 in eine venezianische Familie ein und ändert seinen Namen in „Giovanni Simone“. In den nächsten Jahren geht er ganz im aufreibenden Betrieb auf. Für vier der Opernhäuser Venedigs, zunehmend aber auch für Mailand, schreibt er komische und ernste Werke, typische, sogenannte „semiseria“-Opern, die Elemente der alten „Seria“ mit solchen aus der Welt der „Buffa“ verbinden.

Seine einaktigen Farcen sind im Karneval erfolgreich. Sein Ruhm dringt mit der Buffa „Che originali!“ („Was für Originale“) über Italien hinaus. Paris, München und Lissabon spielen das Werk, das die Marotten eines musikliebenden, aber ungebildeten Dilettanten in feinsinniger Satire verspottet. In Italien kann es sich bis 1830 auf den Spielplänen behaupten; in einer Ausgrabung an der Hamburger Kammeroper ist es auch jetzt wieder äußerst erfolgreich.

Der Übergang zur modernen italienischen Oper

Mit der Oper „Ginevra di Scozia“, die von Triest und Wien aus 1801 einen Siegeszug antritt, hat sich Mayr endgültig als führender Komponist der Zeit etabliert. „Ginevra“, basierend auf einem Epos aus Ludovico Ariostos „Orlando furioso“, wird als Maßstäbe setzend eingeschätzt. Die Oper auf ein Libretto Gaetano Rossis markiert den Übergang zum „Melodramma“ des 19. Jahrhunderts. Ein Hinweis ist schon die Stoffwahl: aufgegriffen wird der später so beliebte Schauplatz Schottland. Mayr und Rossi setzen nicht mehr auf die Intrigenhandlung, sondern den wechselnden Kontrast der Affekte. Lokalkolorit kommt ins Spiel; musikalische Charakterstücke kennzeichnen Personen und Schauplätze. Instrumentierung und Orchesterbehandlung sind richtungsweisend. Englischhorn und Harfe zum Beispiel werden eingesetzt, um charakteristische Farben zu erzeugen.

Einer der Biographen Mayrs, Cristoforo Scotti, meinte 1903, keiner von Mayrs Zeitgenossen habe so viel profitiert vom dramatischen Realismus Glucks, der poetischen Melodie Italiens und der Fertigkeit der Instrumentation der Deutschen. Früher sah man besonders den Einfluss Glucks, Mozarts und Haydns auf Mayr; heute sieht die Forschung eine wichtige Quelle in der französischen Revolutionsoper, die Mayr in den bisweilen engen und drückenden Grenzen der italienischen Tradition rezipiert hat.

Neben antiquierten Elementen, wie langen, reflektierenden Arien findet sich zum Beispiel in seiner „Medea“ viel Richtungsweisendes: die Verknüpfung der begleiteten Rezitative mit Arien, Duetten und Chören, die avancierte Orchesterbehandlung, der ausdifferenzierte Satz, die kühne Instrumentierung und eine fortschrittliche, im Dienste des charakteristischen Ausdrucks stehende Harmonik. Die Uraufführung vor zweihundert Jahren, am 28. November 1813, in Neapel sah Isabella Colbran, die spätere Frau Rossinis, als Medea und den Tenor Manuel Garcia, der später ein berühmter Gesanglehrer wurde, als Egeo. Als Hauptstück der Oper gilt die Szene im zweiten Akt, in der Medea die Götter der Unterwelt beschwört, ihr bei ihrer Rache zu helfen. Sie geht weit über die „Ombra-Szenen“ der Barockoper hinaus.

Als Mayr sich nach 1815 mehr und mehr aus der Opernszene zurückzog, dem neu aufstrahlenden Stern Gioacchino Rossini das Feld überlassend, konnte der allgemein geschätzte, liebenswürdige Mann auf 20 Jahre Erfolg und internationalen Ruhm zurückschauen – aber, mehr noch: er hatte die musikalische Entwicklung in Italien entscheidend vorangebracht. Zu den großen Verdiensten Mayrs gehört die Entwicklung eines modernen, sprechenden Opernorchesters.

Gebildet, gütig, generös

Der Nachwelt blieb er vor allem als Pädagoge in Erinnerung, hatte er ja einen weltberühmten Schüler, Gaetano Donizetti. Dieser besuchte als mittelloser Knabe von 1806 bis 1815 die von Mayr in Bergamo gegründete „Scuole caritatevoli di musica“. Der gebildete und belesene Mann ließ die Schüler nicht nur unentgeltlich im Gesang unterrichten, sondern sorgte für Unterweisung in Musiktheorie, Orgel, Klavier, Violine, dazu noch in Geschichte, Geographie, Mythologie und Poesie. Der fromme Mayr, der ein ausgeprägtes Mitleidsgefühl hatte, errichtete 1809 noch das „Pio Istituto Musicale“, in dem mittellose alte Musiker, Witwen und Waisen Aufnahme fanden. Für seine gerühmte Güte und Freundlichkeit spricht auch, dass er Donizetti teils auf eigene Kosten nach Bologna schickte, damit der Hochbegabte beim damals ersten Kompositionslehrer Italiens Unterricht bekäme.

Hätte der bescheidene Komponist, statt sich ab 1802 nur noch seiner Kapellmeisterstelle an S. Maria Maggiore in Bergamo verpflichtet zu fühlen, die verlockenden Angebote aus Paris, London oder Dresden angenommen – wer weiß, wie sein Nachruhm heute erklänge. Die Fama seiner guten Werke ist mit denen, an denen er sie getan hat, gestorben. Dass sein musikalischer Nachruhm gering ist, dafür hat er selbst gesorgt: er hat sich dagegen gewehrt, dass seine Partituren veröffentlicht würden.

Dass sich über Mayr dichtes Vergessen gesenkt hat, ist nicht mit einer sowieso fragwürdigen musikhistorischen Auslese zu begründen, in der das Bessere ein Feind des Guten sei. Iris Winkler, wissenschaftliche Betreuerin der Simon-Mayr-Forschungsstelle Ingolstadt, sieht in Mayr einen Komponisten von europäischem Format: „Mayr ist in einen europäischen Kontext einzuordnen, nicht nur wegen seiner Herkunft und seinem Lebensweg, sondern auch wegen seinen weit über die Musik hinaus greifenden Interessen und seiner musikalischen Sprache.“




Familienfreuden auf Reisen: Verrückte Hühner

San Francisco versus Normen mit Kinderwagen. (Foto: Albach)

San Francisco versus Normen mit Kinderwagen. (Foto: Albach)

San Francisco wurde nicht für Kinderwagen gebaut. Ganz sicher nicht. Kaum wagen wir uns in die spannenden Gebiete der Stadt vor, wird es anstrengend.

Sportlicher Kinderwagen hin oder her, ich gebe ziemlich schnell auf und an Normen weiter. Der ächzt und stemmt sich mit seinem ganzen Körper gegen Fionas Porsche, um die gefühlten 90 Grad. Steigung zu packen. Wir sehen Autos die berühmte Lombard Street hinab fahren, Fiona lallt fröhlich unter ihrem Regenschutz und Normen kommt ins Schwitzen. Wir suchen Erfrischung in einem Café, Fi sucht Erleichterung. Wickeltisch? (Was heißt das bloß auf Englisch?) Fehlanzeige. Wir entwickeln Wickelfindigkeit und schaffen den Wechsel auf einem halbem Quadratmeter vor dem Klo.

Später, an Fishermans Wharf, zeigt Fi wenig Gespür für die vom Lonely Planet vorgeschlagenen Sehenswürdigkeiten und bestaunt statt der strunzenden Seelöwen die herrlich im Wasser glitzernde Sonne.

Dabei zeigt sie durchaus so etwas wie Tierliebe oder zumindest Interesse. Gut, den Elchen, die wir in den Redwood State Parks sehen, kann sie nur aus der Ferne zuwinken – was mehr an unserer Zurückhaltung liegt als an ihrer. Aber der Riesenameise, die an ihrer Picknickdecke vorbeikrabbelt, will sie am liebsten direkt hinterher. Und der lustige blaue Vogel mit Punkerfrisur erntet Applaus. Unser Zusammenzucken bei jedem knackenden Ast im Wald nimmt sie hingegen verwundert zur Kenntnis – die Propaganda, wonach überall Bären lauern, die selbst auf unsere Brötchenkrümel scharf sind, lässt Fi kalt.

Erstaunt beobachtet Fi allerdings den schrägsten Tierbesuch: ein kleiner Vogel fühlt sich durch unseren Camper so gestört, dass er aufgeregt auf unserer Motorhaube entlang hüpft und die Spiegel angreift. Noch beim Einschlafen hören wir ein rhythmisches toctoctoc. Radkappe gegen Vogel, Eins zu Null.




Irgendwie muss sich Peer Steinbrück doch aufs Glatteis führen lassen…

Jetzt geht es wohl los. Noch rund 100 Tage sind’s bis zur Bundestagswahl (Sonntag, 22. September) und der Wahlkampf scheint in seine heiße Phase zu treten. Nun gab es schon mal einen Vorgeschmack, als Maybrit Illner in ihrer ZDF-Sendung den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück einvernahm.

Steinbrück ist bekanntlich schon in einige Fettnäpfchen getappt. Die Skala reichte von bestens honorierten Vorträgen über Gehaltsvorstellungen fürs Kanzleramt bis hin zur nicht mehrheitsfähigen Meinung über Weinpreise. Manche kreiden ihm seither fast jede Äußerung an. Das roch hie und da bereits nach Kampagne. Zwischendurch konnte man sich schon mal fragen, warum der Mann nicht einfach hinwirft…

Auf den Ausrutscher gelauert

Im Gespräch mit Maybrit Illner gab er sich keine sonderliche Blöße. Er hat eben seine eigene Meinung, die nicht immer mit dem Hauptstrom seiner Partei übereinstimmt. Mitunter beweist er auch feinsinnigen Humor. Aber ist er auch mitreißend? Ist es ihm tatsächlich zuzutrauen, dass er der in allen Umfragen weit vorn liegenden Angela Merkel doch noch Paroli bietet? Da darf man wohl seine Zweifel hegen. Es geht ja nicht ausschließlich um Sachfragen, sondern auch um Wirkung und Charisma. Und so blendete man immer wieder „vielsagende“ Fotos ein, in denen Steinbrück hinter Merkel stand.

Befragte Peer Steinbrück: Maybrit Illner (Bild: ©ZDF/Carmen Sauerbrei)

Befragte Peer Steinbrück: Maybrit Illner (Bild: ©ZDF/Carmen Sauerbrei)

Man hatte den Eindruck, dass die stets etwas süffisant lächelnde Frau Illner – im nur mühsam gebändigten Vollgefühl medialer Machtstellung – ihren Gast liebend gern aufs Glatteis geführt hätte. Wie schön wäre es doch gewesen, hernach in allen Medien mit einem neuen Ausrutscher von Peer Steinbrück zitiert zu werden. Doch nichts dergleichen. Obwohl: Warten wir mal ab, wer doch wieder etwas auszusetzen findet.

Über Besteuerung sagte Steinbrück ebenso vernünftig klingende Sachen wie über den schwindenden Zusammenhalt der Gesellschaft, die nötigen Korrekturen an der Agenda 2010 oder die finanziellen Opfer für Südeuropa. In etlichen Punkten hätte er sich wohl rasch mit Angela Merkel einigen können, mit der er ja auch schon vertrauensvoll zusammen regiert hat. So weit, so „langweilig“, wenn man es mal vom sensationsheischenden Standpunkt aus betrachten will.

Bloß nicht mit der Wimper zucken

Ziemlich fruchtlos blieben die kleinen Konfrontationen, die Steinbrück wohl aus dem Gleichgewicht bringen sollten. Da mäkelten eine SPD-Kommunalpolitikerin, die lieber Sigmar Gabriel als Kandidaten gesehen hätte, ein mittelständischer Unternehmer und ein Finanzwissenschaftler. Alles in Maßen. Dazu wurde Steinbrücks Gesicht jeweils in irrwitzigen Großaufnahmen gezeigt, als sollte jedes Wimpernzucken und jeder Schweißtropfen erfasst werden. Oft genug sind solche spezifischen Darstellungsmittel des Fernsehens geeignet, von den eigentlichen Themen abzulenken.

Geradezu albern war die Schlussrunde. Da sollte Steinbrück einige politische Kernfragen in Sekundenschnelle spontan mit Ja oder Nein beantworten, so auch die nach der Europa-Reife der Türkei. Also wirklich! So läppisch und undifferenziert geht es nicht. Immerhin wissen wir jetzt, dass Steinbrück auch schon mal Weißweine für 4,99 Euro lecker findet, dass er mit Sigmar Gabriel in allen Fragen – außer dem Tempolimit – übereinstimmt und dass er sich am liebsten von George Clooney beraten ließe, was die Wirkung auf Frauen angeht. Am Ende holt er ihn noch in sein Kompetenzteam…

Um zur Eingangsfrage zurückzukehren: Jetzt fängt der Wahlkampf also an? Ach was! Demnächst ist erst mal Urlaub mit Sommerloch. Und danach hoffentlich nicht allzu viel Schlammschlacht.

(Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen)