Kennedys frühe Deutschland-Reisen: Seine Berlin-Rede hatte eine lange Vorgeschichte

Der Besuch von US-Präsident Barack Obama ruft nicht nur Erinnerungen an den legendären Auftritt von John F. Kennedy wach, dessen Aufenthalt in Berlin sich in diesen Tagen zum 50. Mal jährt. Er bietet auch einmal mehr Anlass, die Rede des damaligen Hoffnungsträgers historisch einzuordnen und zu analysieren.

Dass die vier Worte „Ich bin ein Berliner“, mit denen Kennedy Geschichte schrieb, mehr waren als nur ein momentaner oder spontaner Ausdruck von Solidarität mit den Menschen in der geteilten Stadt, versucht Oliver Lubrich in seinem neuen Buch dem Leser nahezulegen. Es handelte sich, so betont der Professor für Neue deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Uni Bern, wahrlich nicht um den ersten Besuch von JFK in Deutschland, sondern Kennedy hatte während seiner Reisen in den 30er und 40er Jahren eine ganze Reihe von Eindrücken gesammelt. Diese spiegeln sich in Briefen und Tagebüchern wider, die nach Aussage von Lubrich jetzt erstmals vollständig in deutscher Übersetzung veröffentlicht werden.

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Wer allerdings nun auf ausführliche und weitreichende Betrachtungen über Deutschland, den Krieg, Nazi-Regime und Wiederaufbau hofft, der wird den aufwändig gestalteten Band wohl eher enttäuscht zur Seite legen. Kennedy berichtet zwar über seine drei Reisen in den Jahren 1937, 1939 und 1945, doch insgesamt betrachtet, sind es nur wenige Passagen und die mitunter auch noch in knappen, kurzen Sätzen. Gleichwohl sollte Kennedy mit einigen Einschätzungen und Prognosen richtig liegen, wie es Herausgeber Lubrich in seinen ausführlichen Erläuterungen hervorhebt. Gleichwohl sind auch Aussagen zu finden, die irritierend wirken.

Kennedys erste Begegnung mit Deutschland, ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Berlin, war Teil einer Europareise, die ihn unter anderem nach Oberammergau, München und Köln führte. Gemeinsam mit einem Studienfreund unternahm er wohl vor allem auf Geheiß des ehrgeizigen Vaters Joseph P. Kennedy die Tour durch Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland. Tiefgreifende politische Betrachtungen sucht man hier vergebens, bis auf wenige und dann auch eher schwierige Passagen. Nachdem er seinen Herbergsbesitzer als „großen Hitler-Fan“ bezeichnet hat, schlussfolgert er: „Es besteht kein Zweifel, dass diese Diktatoren im eigenen Land aufgrund ihrer wirkungsvollen Propaganda beliebter sind als außerhalb“. Munter erzählt JFK von weiblichen Bekanntschaften und vom Besuch im Nachtclub. Doch zum Tagesablauf des Katholiken gehörten nicht nur amouröse Abenteuer, sondern auch ein klar strukturiertes Kulturprogramm. Beindruckt war er unter anderem vom Kölner Dom, „Glanzstück der gotischen Architektur“.

Als sich Kennedy zwei Jahre später erneut auf den Weg über den großen Teich macht, hat er zunächst einmal das Ziel, für seine Abschlussarbeit an der Harvard-Universität zu forschen. Das Münchner Abkommen von 1938 lieferte die Blaupause, will sich doch JFK, dessen Vater inzwischen zum amerikanischen Botschafter in Großbritannien ernannt worden ist, mit der Nachgiebigkeit der Demokratien befassen. Kurz vor Kriegsbeginn weilt er unter anderem in München, Berlin, Danzig und Warschau. Seine politischen Reflexionen sind inzwischen aber weit intensiver als noch beim Besuch 1937, wie aus einem Brief an den Freund, mit dem er die erste Deutschlandtour unternahm, hervorgeht. Kennedy gibt seiner Sorge Ausdruck, dass das NS-Regime Polen in die Rolle des Aggressors drängen könnte. Und tatsächlich: Beim Einmarsch am 1. September 1939 bezichtigt die NS-Propaganda den polnischen Staat unter anderem, den Sender Gleiwitz überfallen zu haben.

Beim dritten Besuch ist der Krieg vorbei, Kennedy arbeitet als Journalist für den Medienunternehmer Hearst und hat Gelegenheit, die Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) aus nächster Nähe zu erleben und Hitlers Berghof auf dem Obersalzberg zu besuchen. Er schreibt aber nicht nur seine politischen Einschätzungen nieder, wie etwa, dass die Russen wohl in Deutschland eine eigene Sowjetrepublik gründen wollen, er berichtet auch über die Eindrücke aus dem völlig zerstörten Berlin. „In manchen Straßen ist der Gestank der Leichen überwältigend- süßlich und ekelerregend“. Besonders geißelt Kennedy, dass russische Soldaten in großer Zahl deutsche Frauen vergewaltigen. Überhaupt sei der Umgang der Sowjetarmee mit der deutschen Bevölkerung so, „wie es die Propaganda vorhergesagt hatte“.

Verstörend wirken indes die Sätze Kennedys ganz am Ende seines Berichts, als er noch einmal auf Hitler zu sprechen kommt. „Sein grenzenloser Ehrgeiz für sein Land“ hätten ihn zwar zur Bedrohung für den Weltfrieden gemacht, aber „er hatte etwas Geheimnisvolles“. Es sei, so meint Kennedy, „der Stoff, aus dem Legenden sind.“ Der Herausgeber des Buches liefert für die Worte eine Erklärung, über die jeder Leser selbst urteilen sollte: Die Aufzeichnungen seien im Eindruck des Obersalzbergs entstanden und damit vor einer überwältigenden Naturkulisse…

Festhalten lässt sich gewiss, dass Kennedy schon bei seiner ersten Reise von der Schönheit deutscher Landschaften und Städte als auch von dem Leben der Menschen angetan war, wie es seine Aufzeichnungen bezeugen. Wahrscheinlich lässt sich mit dieser Begeisterung auch die kleine Episode erklären, mit der Kennedys Besuch 1963 in Deutschland endete. Im Gespräch mit dem damaligen Kanzler Konrad Adenauer kommt die Sprache auf die politische Großwetterlage und die schwierigen internationalen Bedingungen in Zeiten des Kalten Krieges. Kennedy erzählt nun das, was er am Vorabend bereits dem hessischen Ministerpräsident gesagt hatte. Seinem Nachfolger, also dem nächsten US-Präsidenten, werde er eine Mitteilung hinterlassen mit der Aufschrift „Bei Mutlosigkeit öffnen“. Darin stehen, so Kennedy, dann nur drei Worte: „Geh nach Deutschland“.

Oliver Lubrich (Hg.): „John F. Kennedy – Unter Deutschen“. Aus dem amerikanischen Englisch von Carina Tessari, mit einem Geleitwort von Egon Bahr. Aufbau-Verlag, 256 Seiten, 22,99 Euro.




Wie ein Werk von Keith Haring fester Bestandteil in Pisas Stadtkultur wurde

Kleine Menschen vor einem gewaltigen Kunstwerk.

Kleine Menschen vor einem gewaltigen Kunstwerk.

Ich nahm Maß, nahm alle meine beschränkten Begabungsressourcen beisammen (so viele habe ich bei der Gabe des Fotografierens nicht) und nahm einen veritablen Keith Haring auf – in die Serie meiner Aufnahmen, die ich nach einem Besuch in Pisa heim brachte.

Und in diesem Moment nahm ich wieder einmal an, was mir vor vielen Jahren mein ehrlich bewunderter Lehrer Ewald Linka nahe brachte: die Gedanken von Walter Benjamin zum Thema „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. In unregelmäßigen Abständen werden diese in meinen persönlichen Gedanken immer wieder mal sehr handfest und regelrecht erspürbar. Denn die Aura, über die Benjamin schrieb, sie umgibt nur wenige Werke, denen ich in meinem bisherigen Leben begegnete.

„Tutto Mondo“ heißt das gewaltige Mauerbild, das überwältigend bunt und ebenso überwältigend detailreich die Giebelwand eines Wohnhauses im Schatten der „Chiesa di Sant‘ Antonio Abate“ in Pisa bedeckt. 1989 wurde dieses Kunstwerk in monatelanger Arbeit geschaffen. Keith Haring, dessen furioses Leben schon am 16. Februar 1990 enden sollte, dirigierte, inspirierte und koordinierte. Eine wachsende Zahl von Studentinnen und Studenten halfen dem stets freundlichen Meister. Viele von ihnen nächtigten nach ermüdender Tagesarbeit in der benachbarten Kirche. Von dort kam auch ein großer Teil des Caterings. Das klassische Pisa traf offen wie so häufig in seiner Geschichte auf eine neue Zeit – die Piazza dei Miracoli mit Dom und Schiefem Turm an dem meistbesuchten Punkt und Popart am entgegengesetzten Punkt der Innenstadt.

Ein junger Pisaner Student hatte kurz zuvor in New York einen Haring bestaunt und den ihm unbekannten Herrn neben ihm seine uneingeschränkte Bewunderung ausgedrückt. Es kam beim Richtigen an, denn der Herr war Haring in persona. Alsbald heckten der junge Pisaner und der schillernde Metropolenkünstler den Plan zu „Tutto Mondo“ aus. Und sie setzten ihn auch um, schnell und ungeduldig. Haring wusste längst um das enge Maß der Zeit, die ihm noch bleiben sollte. Pisas Behörden zeigten sich speditiv und kaum bürokratisch, was in Italien entgegen aller Vorurteile keineswegs normal ist. Pisas Bürger waren wie immer gastfreundlich und hilfsbereit. Und so gelang in einem wunderbaren Zusammenspiel aller Beteiligter Keith Harings letztes öffentliches Kunstwerk in einer Stadt, die eigenwillig solitär ist: uralt, hochmodern, tiefgläubig, tolerant-weltoffen, pisanisch eben.

Damit auch jedermensch weiß, dass hier alles authetisch ist, spendierte die Kommune ein Hinweisschild.

Damit auch jedermensch weiß, dass hier alles authetisch ist, spendierte die Kommune ein Hinweisschild.

Und so stolz die Pisaner auf ihre ruhmreiche Geschichte sind, so ebenbürtig bis überlegen sie sich Florentinern, Luccesern oder auch den weiter entfernten Römern fühlen, so stolz sind sie auch auf dieses einmalige Kunstwerk, das nicht nur in seinem unverwechselbaren Duktus ein veritabler Keith Haring ist, sondern auch seine ganz persönliche Botschaft offenbart: Mitten im oberen Bereich des Wandbildes zerschneidet eine riesige grüne Schere eine knallrote Schlange – und zuversichtlich kringelt sich aus den beiden Hälften des Tieres je eine der weltweit bekannten AIDS-Schleifen.

Der letzte öffentliche Haring prägt längst das Stadtbild, er stieg empor auf der endlosen Route der vielfältigen Stadtkultur, ist Sinnbild eines ebenso intellektuellen wie proletarischen Kondensationskernes in Italien: tolerant, weltoffen und unerschütterlich selbstbewusst. Diese freundliche Eigenschaft bekam einst auch Silvio Berlusconi zu spüren, als er – noch Staatsoberhaupt – in einem vornehmen und kulinarisch wertvollen Pisaner Restaurant mit seiner Entourage speisen wollte. „Wir bedauern, aber alle Plätze sind schon besetzt, riservato!“ So scholl es dem sprachlos dreinschauenden Möchtegern-Cäsar entgegen. Als der verdattert darauf hinwies, dass doch so viele Plätze frei seien, gab es die ultimative Antwort: „Scusi, aber die sind reserviert für Neger und andere!“ Wortlos verließ Berlusconi das Lokal, eilte über die Stadtgrenzen Pisas und sodann noch flotter hinaus aus der Toscana. Ab nach Rom.