Im Schatten Alfred Brendels: Paul Lewis deutet Schubert-Sonaten beim Klavier-Festival Ruhr

Der britische Pianist Paul Lewis geht mit Schubert eigene Wege. Foto: Jack Liebeck

Der britische Pianist Paul Lewis geht mit Schubert selbstbewusst eigene Wege. Foto: Jack Liebeck

Der britische Pianist Paul Lewis „studierte bei Joan Havill an der Londoner ,Guildhall School of Music and Drama’, bevor er weiter privat bei Alfred Brendel ausgebildet wurde“.

So sachlich verlautet’s zumeist in offiziellen Künstlerbiographien, doch nicht nur in diesem Fall sprechen Fakten Bände. Zeugen zudem von großer Last, von riesigen Fußstapfen, in die zu treten eine immense Herausforderung bedeutet. Wie findet ein junger Künstler seinen Weg des Interpretierens, ohne der Versuchung zu verfallen, den „Übervater“ kopieren zu wollen? Wie kann es der Eleve andererseits vermeiden, sich ins trotzige Abseits zu begeben, frei nach dem Moto „Ich mache alles anders“?

Nun, für Paul Lewis darf gelten, dass er mutig und selbstbewusst, durchdacht und differenziert ans Werk geht. Das hat er jetzt als Gast des Klavier-Festivals Ruhr in Mülheim bewiesen. Indem er sich den drei letzten Sonaten Franz Schuberts widmet, allesamt in des Komponisten Todesjahr, 1828, entstanden. Indem der Interpret sich also ausgerechnet des Werkes annimmt, das Alfred Brendel wie kaum ein anderer poetisch aufs Schönste auszuleuchten vermochte.

Das erfordert vom „Schüler“ Mut und Umsicht. Da kommt Lewis das britische Understatement, das sein Spiel auch ausmacht, gerade recht. Konzentration statt großer Geste, Denken in Strukturen statt Zurschaustellung von Virtuosität – der Pianist nähert sich Schubert (und Brendel) mit allem Respekt. Und er weiß um die poetische Kraft dieser Musik. Lewis zieht dann alle Register in Sachen Klanggestaltung und Beleuchtungswechsel.

Der große Schubert-Exeget Alfred Brendel hat Paul Lewis unterrichtet. Foto: KFR

Der große Schubert-Exeget Alfred Brendel ist wohl der bedeutendste Lehrer von Paul Lewis. Foto: KFR

Auf der anderen Seite, konkret mit dem Beginn der c-moll-Sonate, offenbart uns der Solist in kraftstrotzendem, fiebrigem Tonfall Schuberts Nähe zu Beethoven. Dieses Moment der Unruhe ist immer wieder Bestandteil von Lewis’ Deutung, wie er andererseits den oft liedhaften Charakter einzelner Sätze betont. Und jedes Mal steigt die Aufmerksamkeit, wenn der Pianist die Generalpausen, die Stille also, sprechen lässt. Für Schubert könnte dies heißen: „Ich bin trotz Beethoven auch noch da und habe Originäres mitzuteilen“.

Die Aufzählung vieler Interpretationsaspekte macht indes noch nicht das große Ganze aus. Und hier scheint ein Problem Lewis’ im Umgang mit den Sonaten zu liegen. Der starke analytische Zugriff führt zu formalen Zerklüftungen, Binnenspannung kann sich nur bedingt entwickeln. Poesie ist da nur ein Element, von Weltenschmerz bleibt lediglich eine Ahnung. Kurzum: Der Solist ist letzthin fixiert auf die Deutung absoluter Musik.

Schuberts himmlische Längen werden so im Irdischen verortet. Mitunter verliert sich der Pianist in ihnen, wie er andererseits, so im Andantino der A-Dur-Sonate, Sommernachtstraumschweben neben furiose Klangsprengsel, die der Moderne entlehnt scheinen, wie tönende Inseln setzt. Lewis’ Spiel ist voll von solchen Kontrasten, das Poetische will gewissermaßen beiseite geschubst werden.

Und damit entfernt er sich vom Mentor Alfred Brendel, eigenwillig, gleichwohl aussagekräftig. Nicht trotzig, aber konsequent. Ein wenig aber distanziert sich Lewis so auch von Schubert – in einer Welt von interpretatorischen Ambivalenzen.




Abi 2013: Nach der Feier ist vor der Studienplatzsuche – und manches ist ungewiss

Neulich war ich mit meiner Patentochter in der Stadt. Die Liste für die Einschulung abarbeiten. Bleistift HB, besonders weicher Radiergummi, Deckfarbkasten. 13 Jahre ist es her, dass ich dies zum allerersten Mal tat. Damals, anno 2000 mit meinem ältesten Sohn. Gestern war es soweit, die Bleistifte aller Härtegrade hatten ihre Schuldigkeit getan – die Zeugnisse der Reife wurden verliehen. Welch ein langer kurzer Weg dies war.

AbizeugnisI

Allüberall werden im Lande dieser Tage die Abizeugnisse überreicht. In NRW, dem Bundesland der mit heißer Nadel gestrickten G8-Reform ist es vielerorts anders als sonst. Der Doppeljahrgang hebelt die Tradtionen aus. Manche Schulen feiern zweimal, nach Jahrgangsstufen getrennt. Manche suchen Alternativen. So auch bei uns. Viele haben es bedauert. Keine Messe in der schnuckeligen Gymnasialkirche, keine Feier in der Aula – alles zu klein.

Wenigstens haben wir in Recklinghausen das Festspielhaus, auch für solche Feiern ein würdiger Rahmen. 166 Zeugnisse wurden dort gestern überreicht, 166 mal Aufregung und verhaltene Freude. Dass die Freude nur verhalten war, war vielfach zu spüren, auch in den Reden.

Die Ungewissheit, wie der Doppeljahrgang zurecht kommen wird, schimmert durch. Etliche werden nicht direkt durchstarten, einige machen ein freiwilliges soziales Jahr, andere gehen als Au-Pair oder mit work-and-travel-Programmen ins Ausland. Nur wenige wollen direkt an die Unis. Besagte Mathe-klausur lässt grüßen. Sie hat zwar keinem das Genick gebrochen, aber sie hat Punkte gekostet. Hier im Hause gibt es keinen Plan B, unsere Nachwuchshoffnung will einen Studienplatz. Den Rechtswissenschaften will man die nächsten Jahre widmen. Ich werde berichten.

166whiteBalloons

Zunächst aber bemühten sich alle, den höchsten im Lande erreichbaren Schulabschluss gebührend zu würdigen. Ich, die ich einst Abi-technisch sozusagen mit qualmenden Reifen durchs Ziel kam, verhehle nicht, sehr stolz auf mein Kind zu sein. Wir schauen jetzt ungebrochen hoffnungsfroh in die Zukunft. 166 weiße Ballons stiegen gestern in den netterweise sonnigen Himmel über dem Hügel in Recklinghausen. Hier und heute sagen wir allen Abiturienten im Lande einen aufrichtigen Glückwunsch und ein von Herzen kommendes Glückauf !