„Der Nivea-Check“ (ARD): Kleine Kratzer am perfekten Image

Das „Erste“ will ganz nah ‚ran an die Verbraucher. Seit einiger Zeit werden dort prominente Marken getestet – allerdings nicht immer gründlich auf Herz und Nieren, sondern eher so auf die flotte Tour. Interessant und aufschlussreich ist es meistens trotzdem. Jetzt war „Der Nivea-Check“ an der Reihe.

Die Serie gibt sich locker, doch die Angst vor Quoten-Verlust durch Wegzappen ist ständig präsent. Daher wohl die spürbare Hast. Nie verweilt man länger als ein paar Sekunden bei einem einzigen Sachverhalt. Ständig wird alles mit Musikschnipseln unterlegt – und die Kameraarbeit muss „dynamisch“ wirken. Immer Tempo, Tempo! Am Ende ist man auch schon vom bloßen Zuschauen ein wenig atemlos. Nun gut, ich übertreibe ein bisschen.

Die Marke, der fast alle vertrauen

Nivea also. Die Marke, der praktisch die ganze Nation vertraut. Und das seit vielen Jahrzehnten. Der Marketing-Fachmann schwärmte vom nahezu perfekten Image. Einige Singles und Familien zeigten, was bei ihnen daheim das Nivea-Zeichen trägt. In einem Haushalt waren es nicht weniger als 103 (!) Behälter mit Nivea-Inhalten.

Die Turniertänzerin Viktoria Heldt half beim Haarspray-Test. (Foto: © WDR/Thomas Ernst)

Die Turniertänzerin Viktoria Heldt half beim Haarspray-Test. (Foto: © WDR/Thomas Ernst)

Wenn man dem ARD-Check (Autoren: Edith Dietrich und Benjamin Best) glauben darf, so werden die Produkte mit dem blauweißen Logo gelegentlich etwas überschätzt. Beim Shampoo versprechen sie den Damen gar „Diamond Gloss“, also Diamant-Glanz, was immer das heißen soll. Die befragten Diamantschleifer von Idar-Oberstein schüttelten nur den Kopf über den gewagten Vergleich.

Ganz schön viel Luft in der Packung

Aus derlei Werbebotschaften kann man ziemlich schnell die heiße Luft herauslassen. Der Blindvergleich mit der DM-Hausmarke Balea und ein hochwissenschaftlich angelegter Drei-Strähnen-Test zeigten, dass Nivea nicht gar so glanzvoll dasteht, aber immerhin – für mehr Geld – einen leichten Vorteil bietet.

Ärgerlicher ist schon der „Mogelfaktor“, der ironisch als „beachtlich“ bezeichnet wurde, allerdings auch von der Gesetzeslage begünstigt wird. Bis zu 30 Prozent Luft darf sich in einer Umverpackung befinden, bis zu 75 Prozent sogar, wenn die Schachtel ein Sichtfenster hat. Nivea und andere bringen es schlauerweise seitlich an, so dass es im Regal nicht gleich so auffällt.

Jogi Löw als Werbebotschafter

Ständig entwickeln sie bei Nivea neue Produktlinien, so neuerdings auch ein Deo, das angeblich die Folgen von Stress mildern soll und insgeheim suggeriert, es mindere den Stress überhaupt. Sprüh- und Riechtests an Männern, die für die Konzernforschung in den 40 Grad heißen Schwitzraum gehen müssen, wirkten nicht gerade appetitlich. Doch wenn es der Wahrheitsfindung dient…

Sodann wurde Sonnenmilch beim Beachvolleyball ebenso überprüft wie Haarspray und Gel, die bei Turniertänzern ziemlich glatt „durchfielen“. Durchweg hatte man den Eindruck, dass Nivea in keiner Disziplin so recht triumphieren konnte, sondern allenfalls mit den saloppen Prädikaten „ordentlich“ oder „so lala“ abschnitt. Dass Fußball-Bundestrainer Jogi Löw für die Nivea-Herrenlinien wirbt, wurde süffisant vermerkt. Sollte er sich da etwa mit einer zwar achtbaren Firma eingelassen haben, die jedoch keinen Weltmeistertitel holt?

Dienstreise nach Indien

Schließlich wurde noch die sicherlich nicht billige ARD-Dienstreise nach Indien angetreten, zu den Ärmsten der Armen. Da gibt es offenbar Leiharbeiter, die beim Verpacken von Nivea-Produkten für umgerechnet 60 Euro im Monat knochenharte 72-Stunden-Wochen abreißen müssen, was eklatant gegen den offiziellen Nivea-Kodex verstößt. In Zeiten der Globalisierung dürften ähnliche Befunde leider für die Mehrzahl aller großen Weltmarken gelten. Doch es ist gut und richtig, wenn in jedem Einzelfall hartnäckig daran erinnert wird.

Auch hier muss man, der Gerechtigkeit halber, ein „Immerhin“ anfügen: Der Nivea-Konzern Beiersdorf mit Hauptsitz in Hamburg lässt tatsächlich noch vieles in Deutschland herstellen und bezahlt seine hiesigen Mitarbeiter anständig nach Tarif, bisweilen auch darüber.

Fazit: Auch die blauweiß getönte Nivea-Welt ist weder heil noch heillos, sondern hie und da widersprüchlich. Wir haben es ja geahnt.

(Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen)




Auschwitz auf der Opernbühne: „Die Passagierin“ als DVD-Edition

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Dies ist eine nachdrückliche Empfehlung: Die DVD der Bregenzer Aufführung von Mieczysław Weinbergs Oper „Die Passagierin“ überzeugt durch präzise Inszenierung, durchdachtes Bühnenbild, spannungsvollen Handlungsablauf, die Figurenzeichnung und -verkörperung, die Rezitative sowie den Einzel- und Chorgesang und durch die orchestrale Musik.

Nie hätte ich vorher gedacht, dass es möglich wäre, noch dazu überzeugend möglich wäre, ein derartiges Thema ins Zentrum einer Oper zu stellen. Zwar, dass man sich auch an diesem Thema mal vergreifen können würde, habe ich schon vor 30 Jahren geargwöhnt, als ich mal gesprächsweise prognostizierte, dass der Tag nicht fern sei, dass man auch aus Auschwitz noch ein Musical machen werde.

Was ich damals noch nicht wusste, was fast jeder nicht wissen konnte, war dies, dass eine Oper zu diesem Thema schon seit dem Jahre 1968 existierte. Eine Oper übrigens, die auch ihr Komponist, ein russischer Komponist mit polnisch-jüdischen Wurzeln, den ich vor drei Jahren noch nicht einmal namentlich kannte, zeitlebens nie in einer Aufführung hören konnte, nämlich weil sie nie aufgeführt wurde, in der UdSSR nicht aufgeführt werden durfte.

„Als er in den letzten Jahren seines Lebens gefragt wurde, welches Werk er für sein wichtigstes halte, antwortete Weinberg ohne Zögern: D i e P a s s a g i e r i n. Noch zwei Tage vor seinem Tod 1996 klagte er gegenüber Alexander Medwedjew, dem Librettisten des Werkes und bedeutenden Musikwissenschaftler, dass er das Werk nie gehört habe. Um ihn zu trösten, versprach Medwedjew, ,doppelt‘ genau zu hören, falls die Uraufführung jemals stattfinden würde: einmal für den Komponisten und einmal für sich selbst. Medwedjew konnte sein Versprechen am 25. Dezember 2006 bei der konzertanten Aufführung des Werkes im Swetlanow-Saal des Moskauer Hauses der Komponisten einlösen.“ (Zitat aus David Fanning: Mieczysław Weinberg / Auf der Suche nach Freiheit“ / aus dem Englischen von Jens Hagestedt, Wolke Verlag, Hofheim 2010, S. 131)

Im Sommer 2010 hatte ich zwar in einem sehr positiven Bericht der Sendung „Kulturzeit“ in 3sat mitbekommen, dass Weinbergs Oper im Rahmen der Bregenzer Festspiele aufgeführt worden sei, ohne dass ich diesen Hinweis damals mehr als zur Kenntnis nahm. Erst in diesem Jahr wurde ich wieder auf Weinberg aufmerksam, zunächst durch die ganz hervorragenden, brandaktuellen Aufnahmen seiner sämtlichen Violinwerke auf 3 CDs mit Linus Roth, Violine, und José Gallardo, Klavier, dann durch 4 (inzwischen 6) CDs mit den von dem Quatuor Danel dargebotenen Streichquartetten Weinbergs, und schließlich, nachdem ich endlich gemerkt hatte, welch großartigen Komponisten ich bislang noch nicht gekannt hatte, die Opern-DVD „The Passenger“ (op. 97), von der hier vor allem die Rede ist.

Fürs Fach Deutsch war in der gymnasialen Oberstufe in NRW vor nicht allzulanger Zeit noch Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“ als Kurs-Lektüre verbindlich vorgeschrieben. Dieser Roman kam (trotz aller kritischen Vorbehalte, die man haben könnte; vgl. etwa die Rezension von Jeremy Adler) bei den Schülern in der Regel gut bis sehr gut an. Dies habe ich in meiner allerletzten aktiven Zeit als Lehrer noch mitbekommen. Heute würde ich ganz entschieden diesen Roman mit der zunächst ganz ähnlich in deutscher Nach-Auschwitz-Zeit ansetzenden Oper konfrontieren: als Ergänzung und Kontrast für eine mit ziemlicher Sicherheit noch ergiebigere Besprechung.

Wer Opern immer noch vorurteilsvoll grundsätzlich meidet, könnte sich zumindest die der Oper zugrundeliegende Romanvorlage der polnischen Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz aus dem Jahre 1962 etwas genauer ansehen. Dieser Roman mit dem gleichen Titel „Die Passagierin“ erschien auf deutsch erstmals 1969 in der Übersetzung von Peter Ball und ist inzwischen wieder neu aufgelegt worden.

Die Opern-DVD überrascht übrigens auch durch eine außergewöhnlich gute Kameraführung und durch exzellente, sehr aufschlussreiche Extras, so mit einem Documentary unter dem Titel „In der Fremde“. (Je nach dem, wo man diese DVD der Firma NEOS erwirbt, kostet sie zwischen 30 und 40 Euro.)