Peer Steinbrück im ZDF-Porträt: Auf der Suche nach der wahren Empfindung

Kaum zu glauben: Noch stecken wir mitten im Sommerloch, doch in einigen Wochen sind schon Bundestagswahlen. Allmählich aber läuft die Medien-Maschinerie an, die uns vor dem 22. September (bis zum Überdruss?) mit allen Bildern und Daten über die Spitzenkandidaten der großen Parteien füttert.

„Kante Klartext Kandidat“ hieß jetzt – etwas albern alliterierend – das ZDF-Porträt des SPD-Mannes Peer Steinbrück. In dem gestammelten Sprachschema bleibt man auch am nächsten Dienstag, wenn Angela Merkel (CDU) unter dem Etikett „Macht Mensch Merkel“ vorgestellt wird. Proporz muss sein. In jeder Hinsicht.

Peer Steinbrück beim Billardspiel mit seinem Sohn Johannes. (© ZDF/Martin Pfitzer)

Peer Steinbrück beim Billardspiel mit seinem Sohn Johannes. (© ZDF/Martin Pfitzer)

Es begann mit Bildern des Billard spielenden Peer Steinbrück, was sogleich mit politischer Präzision, Karambolagen und kühler Strategie kurzgeschlossen wurde. Geschenkt. Irgendwie muss man ja halbwegs sinnfällig in solch einen Beitrag einsteigen.

Nashorn-Figuren und Borussia Dortmund

Auch wissen jetzt alle Zuschauer, wie sein Sohn Johannes und sein Bruder Birger aussehen, dass er Nashorn-Figuren sammelt (was sich küchenpsychologisch deuten ließe) und dass er nicht nur Fan von Borussia Dortmund ist, sondern auch im Aufsichtsrat des BVB sitzt. Zwischendurch gab es verzichtbare Trickeinspielungen, in denen die Politiker mal wieder aussahen wie etwas lachhafte Pappkameraden. Mit Politik hatte das alles nur sehr vage zu tun.

Der Steinbrück-Film von Claus Richter und Thomas Fuhrmann kam vielfach über die landesüblichen Fragestellungen und Einschätzungen kaum wesentlich hinaus. Zeigt der Kandidat zu wenig Emotionen, ist er ein reiner Kopfmensch? Hat er sich zu weit von der SPD-Basis entfernt? Hat er es sich mit Grünen und Gewerkschaften verscherzt? Ist er gar arrogant und abgehoben (fürstliche Honorare für Vorträge, Meinung über Weinpreise, Geringschätzung des Kanzlergehalts)? Herrje, das klingt nach ziemlich vielen Problemen.

Ein ziemlich konventioneller Film

Man begleitete den scharfzüngigen Hanseaten gleichsam auf Schritt und Tritt durch den Wahlkampf. Weggefährten und Gegner erinnerten sich, kurze Rückblenden skizzierten den Werdegang. Nichts Ungewöhnliches also. Im Gegenteil. Es war insgesamt ein recht konventionelles Porträt.

Immerhin hatte man eine Dreiviertel Stunde Zeit. Und so schälte sich nach und nach doch etwas genauer heraus, welche Wesensart Steinbrück eigen ist. Sein ironischer, manchmal geradezu britischer „Küstenhumor“ ist nicht in der ganzen Republik und in der breiten Mehrheit vermittelbar. Doch wenn er sich zusammenreißt und zügelt, wirkt er, als ziehe er mit „angezogener Handbremse“ in die entscheidenden Wochen. Auch das ist nicht gerade mitreißend. Überhaupt hat er ja noch nie eine Wahl gewonnen.

Desaster der Kandidatenkür

Eigentlich hatte er zunächst bei den deutschen Journalisten und beim Wahlvolk einen Stein im Brett. Im Oktober 2011 führte er die Beliebtheitsliste aller prominenten Politiker an. Und nun besehe man sich den Schaden, wie weit er hinter Frau Merkel zurückgefallen ist. Die übereilte Kandidatenkür der SPD, so wurde hier noch einmal deutlich, war ein Desaster, ein bestenfalls halbherziges Hopplahopp mit allseits unklaren Frontlinien.

Schnelldenker Steinbrück kann offenbar sehr unduldsam sein, wenn andere mit seinem Tempo nicht mitkommen. Doch er hat, so scheint’s, menschlich dazugelernt. Sein Lachen ist mitunter ebenso sympathisch wie es seine Tränen der Rührung waren, als er sprachos neben seiner Frau saß, die seinen inneren Antrieb zur Kandidatur vor Tausenden liebevoll bloßgelegt hatte.

Seht her, er hat ja wohl doch ein Gefühlsleben – und kann es gelegentlich auch noch zeigen. Ob das aber reicht, um der famos machtbewussten Frau Merkel die Stirn zu bieten?

P.S.: Übrigens war Steinbrück am späteren Abend noch in „Menschen bei Maischberger“ (ARD) zu Gast. Sandra Maischberger wollte ihn (mit Fragen aus dem Zettelkasten) partout zu unvorsichtigen Aussagen verleiten – ohne sonderlichen „Erfolg“. Man hatte den Eindruck, dass sie am liebsten Psychotests mit ihm gemacht hätte.

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Zeitschriften (1): „Homes & Gardens“ – Die Welt als schöne Dekoration betrachtet

Nein, ich war nie ein Freund solcher Magazine und werde mein Lebtag auch keiner mehr sein.

Doch der Reihe nach: Ich wollte hier seit langem eine Serie über Zeitschriften starten, die in ihrer immer noch überbordenden Fülle tausenderlei Interessen zu bedienen scheinen – und hatte eigentlich vor, mit der offenbar gründlich zum Boulevard-Brüller mutierten „Bravo“ anzufangen. Doch die alte Tante unter den Jugendillustrierten gehört nicht zum Sortiment des Schmalspur-Händlers ums Eck.

Also spontan umdisponieren. Mein Blick fiel nun auf eine andere Regalreihe und ich dachte bei mir, als hätte ich Verbotenes im Sinn: Warum nicht mal stilvoll in der deutschen Ausgabe von „Homes & Gardens“ blättern? Den Titel muss man gleichsam oxfordianisch aussprechen. In Ermangelung einer zierlichen Coffee Table habe ich die Lektüre allerdings schnöderweise auf dem Schreibtisch vollzogen, was im Kosmos solcher Magazine schon an sich ein Vergehen ist. Ich bekenne mich schludrig, äh schuldig.

Das pastellfarbene Idyll besudeln

Und nun haltet mich fest. Denn schon bei genauerer Durchsicht einer einzigen Zeitschrift dieser Sorte erfasst mich nicht nur ein gewisser Unmut, nein: Ich würde diese durchweg unwirklichen, pastellfarbenen Welten am liebsten hie und da besudeln. Daraus könnten Psychologen sicherlich weitreichende Schlüsse ziehen. „Wie empfinden Sie das? Was macht das mit Ihnen?“

Materialien zu einer Kritik von "Homes & Gardens" (Foto: Bernd Berke)

Materialien zu einer Kritik von „Homes & Gardens“ (Foto: Bernd Berke)

Ruhe da! Derlei Petitessen trage ich mit mir selbst aus.

Ganze Seitenstrecken sind hier in bestimmten Farbtönen und zarten Kombinationen gehalten (Blauweiß und Mint, Jade und Blau oder auch Gelb und Zartrosa), als wäre vorerst – bis zur nächsten Trendwende – nichts anderes mehr erlaubt.

Was sich allzeit als „Inspiration“ oder „Idee“ versteht, gerät so im Handumdrehen zur zwar immer mal wieder wechselnden, doch nichtsdestotrotz faden Eintönigkeit. Unentwegt wird die „Individualität“ der Vorschläge beschworen, doch kann dieses Selbstlob nicht über eine gewisse Phantasiebegrenzung hinwegtäuschen.

Ziffern und Buchstaben aufstellen

So scheint es beispielsweise in diesen Kreisen Usus zu sein, im gesamten Domizil „Akzente“ zu setzen, indem man einzelne Ziffern und Buchstaben aufstellt oder hinhängt. Da gerät eine „2“ auch schon mal so monströs, dass man glatt darüber stolpern könnte. Andererseits sind die Behausungen ausnahmslos so weitläufig und großzügig, dass es auf ein paar Quadratmeter ohnehin nicht ankommt.

In der luftig sommerlichen Ausgabe Juli/August ist „Wohnen am Meer“ das Titelthema. Von konkreten Haus- und Grundstückspreisen ist da schon gar nicht mehr die Rede, man mag sie sich ausmalen und sich fragen, wer sich das leisten kann. Da gibt es Leute, die bereits höchst gediegen in Cornwall residieren und sich kurzerhand zusätzlich ein citynahes Stadthaus im sündhaft teuren London zulegen.

Wenn Erfolgspaare erzählen

Die Erfolgspaare, die da verzückt von ihren Traumhäusern erzählen, haben allesamt ähnliche „Geschichten“ parat. Sie haben sich samt und sonders ihren immobilen Lebenstraum erfüllt und (so die besonders beliebte Saga) teils etwas marode alte Häuser in jahrelanger, liebevoller Detailarbeit schönstens aufpoliert. Bis endlich die Leute von „Homes & Gardens“ vorbeigeschaut haben. Auf solche Weise wird das Lebensglück gekrönt, das man sich vorzugsweise lässig, entspannt und relaxed vorzustellen hat. Mithin etwas redundant. Also wohl auch ein bisschen langweilig.

So sehr ähneln sich die Berichte, dass man auf den verwegenen Gedanken kommt, einmal den jeweiligen Realitätsgehalt überprüfen zu wollen. Auch wäre man gern beim einen oder anderen Fotoshooting dabei gewesen, aber auch beim vorherigen Aufräumen und den nachherigen Verschönerungen mit Bildbearbeitungs-Programmen.

Egal. Hier genießen alle den direkten, unverstellten Seeblick – ob auf den Pazifik in der Villa zu Queensland (Australien), auf die britische See in der Doppelhaushälfte aus dem 18. Jahrhundert zu Devon (England) oder auf den Lago Trasimeno (Italien). Hach ja.

Erschütternd geschmäcklerisch

Wie der Titel der Zeitschrift schon ahnen lässt, liegt ein Schwerpunkt auf englischen Deko-Anregungen. Ich vermute mal, dass manch ein Beitrag aus der englischen Ausgabe übernommen wird, das eventuell als öde eingeschätzte Deutschland kommt eher am Rande vor. Es ist nicht zu bestreiten, dass dies oder jenes Objekt recht geschmackvoll aussieht, doch in der Summe und in der allfälligen Etepetete-Perfektion ist der Heftinhalt schier erdrückend geschmäcklerisch und keimfrei.

Apropos: Die Badezimmer-Tipps haben mir den Rest gegeben. Obwohl: Die Dusche, die verschiedene Regenarten simuliert und dabei diverses Nebelwallen, Lichtspiele und feine Düfte absondert, die haben wir ja inzwischen längst alle daheim installiert, oder etwa nicht? Doch das WC für schlanke 1420 Euro mit Fernbedienung, programmierbarer Komfortdusche und Warmluftföhn nötigt einem denn doch ein Wimpernzucken ab. Kann man da gar von obszönem Luxus sprechen? Ach, nicht doch! Immer gleich diese Ideologie aus purem Neid. Aber ein wenig ungerecht wird man doch mal sein dürfen.

Zusätzliche Ausstattung-Tipps kommen übrigens in aller Regel von den Frauen, wie denn auch die Zielgruppe eindeutig weiblich ist. Bis auf einen Direktor besteht überdies die gesamte deutsche Redaktion aus Frauen. Vielleicht kann ich deswegen überhaupt nicht mitreden. Ich Ignorant habe ja auch vorher keinen Gedanken darauf verschwendet, was „Poufs“ sind (im Bedarfsfalle bitte selbst recherchieren). Vor allem aber weiß ich, dass die Liebste einigen Elementen dieser Zeitschrift etwas abgewinnen kann. Sei’s drum. Es lebe die Verschiedenheit.

Blumen pressen, Brotkörbe basteln

Dafür weiß ich jetzt, dass der „Shabby Style“ (angeblich kein Trend, sondern ein „Lebensgefühl“!) alles andere als schäbig ist. Und wenn man wenigstens die Mehrzahl der Flohmarkt-Käufe und Erbstücke weiß anpinselt, kann man – wie es hier heißt – Kitsch vermeiden. Wie schön, dass das so einfach ist.

Auch wäre ich vorher nicht auf den Einfall gekommen, dass Frauen Seife für sich selbst als Geschenk verpacken (sollen), um sich auf jedes neue Stück zu freuen wie eine Schneekönigin. Dem Heft nach zu urteilen, haben manche von ihnen offenbar ziemlich viel Zeit übrig. Wenn sie nicht gerade shoppen oder in Wohnideen schwelgen, sollen sie nicht nur emsig Blumen pressen (ausgeschildert als „Comeback“ eines Hobbys aus viktorianischer Zeit), sondern zum Exempel auch Brotkörbe aus Hanfstoff basteln. Die Schritt-für Schritt-Anleitung wird für die gleichwohl weltoffene Lady natürlich anders durchnummeriert: Step 1 – Step 2… Heiligs Hänfle!

Warnung an apulische Bauern

Dass bei all dem nie die Bezugsquellen fürs Shopping vergessen werden, dass überhaupt der Übergang zwischen redaktionellen Teilen und Anzeigen zuweilen recht fließend ist, versteht sich beinahe von selbst. Das Äußere Erscheinungsbild, sprich Layout und Typographie, scheint hier bereits die Hauptarbeit zu sein. Die Texte hingegen funktionieren offenbar nach vorgegebenem Schema. Überraschungen sind nicht zu erwarten.

So sehr gerät hier alles zur Deko und zum schicken Accessoire, dass man den Reisehinweis (Apulien mit „ursprünglichen Bauerndörfern“) mit Unbehagen liest. Bevor die Leser(innen) dort einfallen, möchte man den Bauern am liebsten zurufen: Bleibt standhaft! Gebt nur eure alten Sachen nicht her!

Ich glaube, als nächstes brauche ich etwas Brachiales. Vielleicht eine Heavy-Metal-Zeitschrift?