So macht Lernen Freude: Mit Jürgen Becker kreuz und quer durch die Kunstgeschichte

Solch einen Lehrer hätte man sicherlich gern gehabt: Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker verabreicht selbst schwierige Lektionen auf eine Weise, dass man unentwegt lacht – und gar nicht merkt, dass man unterwegs eine Menge gelernt hat; so auch in seinem Programm „Der Künstler ist anwesend“, das jetzt noch einmal bei 3Sat zu sehen war.

Es handelt sich um einen höchst unterhaltsamen Streifzug durch die Kunstgeschichte, der von der vorzeitlichen Höhlenmalerei in Lascaux bis zu Joseph Beuys führt. Am allerliebsten hält sich Jürgen Becker bei den Passagen auf, in die das Religiöse hineinspielt, denn da ist er wahrlich Fachmann.

Mal züchtig und mal splitternackt

Es kommt keine Minute Langeweile auf. Das Spektrum der 90-minüten Vortrags ist ungemein breit, es reicht von den Lackaffen, die man bei Galerie-Vernissagen antreffen kann, über Beziehungen zwischen ägyptischer, griechischer und altrömischer Kunst, bis hin zu Gerhard Richters umstrittenen Kirchenfenstern für den Kölner Dom.

Streifzug durch die Kunsthistorie: Kabarettist Jürgen Becker (© WDR/ZDF/Annika Fußwinkel)

Streifzug durch die Kunsthistorie: Kabarettist Jürgen Becker (© WDR/ZDF/Annika Fußwinkel)

Der vergnügliche Parforceritt führt kreuz und quer durch alle weiteren Epochen und Wechselfälle. Eine Leitlinie gibt zum Beispiel die Frage vor, wann sich die Kunst züchtig verhüllte und wann sie in Nacktheit schwelgte. Wie Becker etwas vom Wesenskern der Gotik oder des Barock in wenigen markanten Sätzen skizziert, das ist jedenfalls aller Ehren wert.

Keine Angst vor Kalauern

Ganz wie die großen Künstler oft das Höchste und das Alltäglichste erhellend kontrastiert haben, so lässt auch Becker gern die Luft aus allem allzu Aufgeblasenen und Erhabenen heraus, wobei er den einen oder anderen Kalauer keineswegs scheut. Lassen sich Bezüge zwischen hehrer Hochkultur und – zum Beispiel – den rheinischen Institutionen Karneval, „De Höhner“, Trude Herr oder dem 1. FC Köln herstellen, so wird nicht lange gefackelt. Nicht jeder Wortwitz ist subtil, doch einem wie Becker kann man kleine Fehlgriffe nicht krumm nehmen.

Jürgen Becker zählt als Kabarettist keineswegs zu den „harten Hunden“ der unerbittlichen Fundamentalkritik. Gerne lässt er fünfe gerade sein und auch schon mal menschliche Milde walten. Doch gar manche seiner Spitzen treffen sanft, aber wirksam ins Mark.

Die Wahrheit über die röhrenden Hirsche

Immer wieder schwenkt die Kamera der WDR-Produktion ins Publikum. Da sieht man nicht nur köstlich amüsierte Mienen, sondern auch Leute, die Becker geradezu atemlos wissbegierig folgen. Kein Wunder, erklärt er doch beispielsweise endlich einmal, was die millionenfach reproduzierten Bilder von röhrenden Hirschen wirklich zu bedeuten haben (es hat, ganz vornehm gesprochen, mit Arterhaltung zu tun).

Inzwischen ist die Szene längst höchst unübersichtlich geworden. Wer sagt uns denn, dass der Feuerlöscher an der Museumswand nicht auch wieder ein Kunstwerk sein soll? Doch ganz zum Schluss löst Jürgen Becker auf kölsche Weise sogar die knifflige Frage, was denn eigentlich Kunst sei. In der Stadt mit der weltgrößten Kunstspedition namens Hasenkamp kann die Antwort wohl nur so lauten: „Kunst ist alles, was von Hasenkamp transportiert wird…“

______________________________________________________________

Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen




„Lone Ranger“: Und der Film mit Johnny Depp hat mir doch gut gefallen

Filmplakat zu "Lone Ranger" (Disney Verleih)

Filmplakat zu „Lone Ranger“ (Disney Verleih)

Ist doch gut, dass ich dann und wann jede miese Kritik ignoriere, selbst der wortgewaltigen Omnipotenz niemals irrender SPIEGEL-Redakteure mutig misstraue und – wie diesmal geschehen – unserem Yannic und dessen gerade erst 14 Jahre alt gewordenem Instinkt Glauben schenke und mich ins Kino setze, um 149 Minuten lang Johnny Depp und Armie Hammer dabei zuzuschauen, wie sie die in Jahrzehnten des epischen Wild-West-Kinos mühsam inventarisierte Grundausstattung des von fast allen Helden durchrittenen Geländes zerlegen und nebenher  die Ultra-Bösen –  Butch Cavendish  (William Fichtner) und Latham Cole (Tom Wilkinson) – am Ende erlegen.

Nee, entgegen den Versprechen der Kritik und der Zerschreiber beim SPIEGEL blieb bei mir hängen, dass ich weder Zeit vergeudete noch spaßarm in meinem bequemen Sofasessel vor mich hin dämmerte. Ich wurde bestens unterhalten, empfand nirgendwo die sattsam versprochenen Längen des überlangen Filmes und hatte am Ende noch meine Freude daran, dass zu Hans Zimmers nicht enden wollender Musik ein gigantischer Abspann über die Leinwand rollte und der greise Johnny Depp/Tonto (sinngemäß-freundlich „Narr“) durchs Monument Valley Arizonas tappste, bis er kaum mehr zu sehen war.

Das mal vorab: Bevor ich ins Kino gehe, entscheide ich mich, ob der Film meiner aktuellen Stimmungslage entspricht. Einmal möchte ich unterhalten werden, mal ist mir nach Romantik, dann und wann habe ich Freude daran, dass der Streifen mir Nachdenklichkeit verpasst und auch Melancholie darf bisweilen eintreten, wenn ich einsam den Zuschauerraum flute. So, und wenn ich mich zur Unterhaltung entschieden habe, dann war dieser „Lone Ranger“ an diesem Tage genau das, was ich haben wollte. Komisch, drastisch, dramatisch, schrill, schräg und überraschend, dazu ein Film gewordener Comic, wenn beispielsweise „Lone Ranger“ Armie Hammer von Dach zu Dach mit seinem Schimmel über die Fassaden des Dorfes hoppelt und einen Zug verfolgt, der wiederum von einem zweiten Zug verfolgt wird und allesamt dann kollidierend die frisch fertiggestellte Bahnlinie quer durch den Kontinent in ihre Atome spalten – unwirklicher geht es nicht, aber toll in Stunts und Special Effects, so wie man sich das wünscht. Und tatsächlich, an diversen Stellen bedauerte ich fast, dass diese Sequenzen in jenem Kino nicht in 3D gezeigt wurden.

Johnny Depp, in abstruser Schminke, deren Rissfurchen sich ins bekanntermaßen hübsche Konterfei wühlen, in den Zwischenschnitten zum datternden Indianergreis mutiert wie in einer Kirmesausstellung, völlig zerknittert, aber immer noch die tote Krähe fütternd, die er als Kopfschmuck trägt, Johnny Depp also spielt den absurd-kauzigen „Tonto“ eben nicht so, als wäre dieser ein wildwesternder Jack Sparrow, obwohl alle wesentlichen Teile in der Produktionsmaschinerie von Jerry Bruckheimer dem Karibikfluch entsprangen. Hier gibt Depp den „Tonto“, der komisch, kurios, nachdenklich und manchmal fast philosophisch Situationen kommentiert, die keinem Alptraum hätten entspringen können, weil sich so was keine Fantasie vorstellen mag. Und wenn er mal keine Antwort mehr weiß auf das Ganze, füttert er seinen toten Vogel auf dem Haupt, macht ein Gesicht dabei, als grüble er vergebens über das Geschehene und komme zu keinen gescheiten Schluss – so eine Art Übersprunghandlung eines Clowns, den niemand ernst nimmt, bis der Clown Ernst mit ihm macht.

Kurz und gut: Mir hat der Film, den alle für überflüssig halten, gut gefallen. Mir hat – wieder einmal – auch Johnny Depp gut gefallen, denn keiner kann das, was er spielt, so gut darstellen wie er. (Und wer warf früher mal Heinz Rühmann vor, dass er bei der Auswahl seiner Charaktere röhrensichtig war.) Mir hat der ganze Nachmittag gut gefallen, obwohl er komplett vorüber war, als ich das Kino wieder verließ. Ich merke mir also: Kritiker sind immer so gut, wie sie das beschreiben, was ich nach einem Kinobesuch an Wahrnehmungen mitnahm. Sie mögen ja mit allem, was sie über den „Lone Ranger“ geschrieben haben, Recht haben, aber bei mir kam das eben ganz anders an.