RuhrTriennale: Von Geisterbahnen, Freilichtduschen, Pendeltanz und Sinnattacken

Die Installationen der RuhrTriennale – umsonst und teilweise draußen. Jeder soll teilhaben an den Großkunstwerken, die die diesjährige RuhrTrienale zum temporären Einsatz eingekauft hat.

Heiner Goebbels, Experiment-Experte und moderierender Leiter des Kunstfestivals, stellte Künstler und Werke vor. Und alles ist so, als sei es am richtigen Ort zur richtigen Zeit – Festspielzeit im Nachhang des Sommers. In allen großen Nachrichtensendungen des Fernsehens wurde die Eröffnung bildreich angekündigt und man verwechselte schon mal Bochum mit Essen.

Dusche (Foto:Dman)

Dusche (Foto:Dman)

Und wenn es noch heiße Tage geben sollte, dann kann der zufällige Spaziergänger vor dem Ruhrmuseum sich seiner Klamotten entledigen und unter die Dusche springen, die da von der Künstlergruppe „rAndom international“ in Zusammenarbeit mit „Urbane Künste Ruhr“ errichtet wurde. 25.000 Liter Wasser rauschen dort pro Minute von weit oben in einem Viereck auf den Boden nieder, wo sich bei Sonne ein Regenbogen bildet. Nachts wird alles künstlich erhellt, was das Publikum sich tags denken darf.  Der Ort sei dafür eine Entdeckung, sagte man. Nun ja, versteckt liegt er nicht und der urbane Raum ist das bekannteste Open-Air-Museum des vergangenen, lauten Zeitalters der krachenden Industriewerke im Revier.

Wer die Mischanlage der Kokerei Zollverein zum ersten Mal betritt, wird vor lauter Erbauung erst mal verstummen. Ein gigantischer Eindruck verhärtet hier den Gedanken an harte Arbeit und die schwere schmutzige Ressource Kohle.

Geisterbahn (Foto:Dman)

Geisterbahn (Foto:Dman)

Der Schotte Douglas Gordon durfte sich hier auslassen und schuf Lichteffekte, Videos und einen poetisch-brachialen Sound. Es nebelt und bubbert. Im gefilmten Treppenaufgang wird gesungen und musiziert, auf einem Monitor sieht man einem Raben zu, wie er sein Mahl zerrupft und frisst. Eine Art Explosionssound lässt gar diese Mauern erzittern. Der Raum wird erneut illustriert, aber beeindruckend. Als Gordon, der Kaugummi kauend witzig lässig seine Unternehmung „Silence, Exile, Deceit“ beschreibt, erzählt er von seinem kleinen Sohn, dem es gruselte: „Like in a haunted house“ (Wie in einer Geisterbahn). Das ganze Ruhrgebiet sei eine Art Geisterbahn. Das ist allerdings wunderbar und die liebevoll britische Art von Humor. Aber wenn man drin lebt, erschrickt man nicht mehr.

Das edle Museum Folkwang zeigt zwei Arbeiten des Choreographen William Forsythe, der seit langem Tanz und Bildende Kunst auf gleiche Ebenen bringt. Zunächst kann mich sich als Besucher in einer

Installation "Nowhere and everywhere at the same time Nr.2" (Foto Dman)

Installation „Nowhere and everywhere at the same time Nr.2“ (Foto Dman)

Art Zerrspiegel zeitversetzt in verschiedene Positionen schieben, ein Spiel mit Zeit und Selbstbild. In der großen Halle findet man sich dann zu einem Spielraum für Erwachsene zusammen. Von der Decke hängen Pendel, die sich unter Pufflauten verschieben. Man darf und soll hineintreten, allerdings nicht mehr als 12 Personen gleichzeitig. Der Mensch tanzt unwillkürlich durch die engen Gassen zwischen den Fäden mit den Pendeln. Berührt man sie, hat man verloren. Die einen schauen, die anderen tänzeln, laufen, stehen, versuchen zu gewinnen. Preise gibt’s nicht im Spiel- und Tanzzimmer.

Das größte Werk ist in der Kraftzentrale des Duisburger Landschaftsparks zu sehen, Ryoji Ikedas „test pattern“ in der 100-Meter-Version. Und das geht nur in einer solchen Halle. Der Komponist und Bildende Künstler der „elektronischen Szene“  wird mit seinen audio-visuellen Werken international durchgereicht, war bei zahlreichen electronic-art Festivals und in den großen Museen zu sehen und zu hören. Für zart besaitete Kunstliebhaber ist dieser Ort eher ein Raum der Verstörung.

Test Pattern (Foto Dman)

Test Pattern (Foto Dman)

Unsäglich hohe Töne zersägen den Kopf, bevor tiefe Töne den Bauch bewegen. Auf der 100-Meter-Fläche wechseln in nicht wahrnehmbarer Geschwindigkeit Formen in schwarz-weiß. Man kann die Strecke begehen, laufen, rennen, stehen bleiben, sich dem Ganzen aussetzen. Das hat zwar keinerlei poetische Wärme, aber das muss ein elektronisches Werk auch nicht haben. Es ist laut und schrill und sicherlich für viele ein beeindruckendes Beispiel für die „Macht des Unaufhaltsamen“ , die digitalen Daten und Barcodes.




Ein Sommer für Matisse: Nizza widmet dem Maler acht Ausstellungen

Fünf Spidermen fassen sich an den Händen und tanzen Ringelreihen. An wen erinnert bloß diese Tanzszene, die der in Dortmund geborene Künstler Martin Kippenberger so kühn aufs Papier gebannt hat? Genau: „La Danse“ von Henri Matisse ist das Vor-Bild für die ironische Collage und dass beide Künstler nun in einem Museum zusammentreffen, kein Zufall: Zum 50. Geburtstag des Musée Matisse zeigt Nizza unter dem Titel „Un été pour Matisse“ (Ein Sommer für Matisse) noch bis zum 23. September insgesamt acht Ausstellungen, die von dem berühmtesten Maler der Côte d’Azur inspiriert sind.

Musée Matisse, Nizza, Foto: E. Schmidt

Musée Matisse, Nizza, Foto: E. Schmidt

Von 1917 bis zu seinem Tode 1954 lebte und arbeitete Henri Matisse in Nizza, hier schuf er sein farbenfrohes, vom Licht der Küste durchdrungenes Oeuvre. Den Rundgang auf den Spuren des Malers beginnt man am Besten in der roten Villa auf dem Berg über Nizza im Stadtteil Cimiez, in der heute das Musée Matisse untergebracht ist. Hier widmet man sich zum Jubiläum dem Thema der Musik im Werk von Matisse, die ebenso wie der Tanz eine zentrale Rolle bei ihm spielte. Seine Bilder zeigen Instrumente und mehrfach Tochter und Sohn an Klavier und Geige. Ergänzt wird die Schau durch die dazu passenden historischen Instrumente. Im Untergeschoss lernt man die Vielseitigkeit des Meisters erst richtig kennen: Es finden sich Theaterkostüme und eine schwungvolle blaue Keramik, die Matisse zur Gestaltung eines Schwimmbads entworfen hat. Sein Enkel hat das gesamte Interieur kürzlich der Stadt Nizza geschenkt.

Das Sujet führt den Besucher ins nebenan gelegene Musée d’archéologie, einen kleinen modernen Zweckbau nahe der Ausgrabung einer römischen Therme. Als mondäner Badeort ging Nizza in die Tourismusgeschichte ein, hier widmet man sich dem Thema des Swimming-Pools in der Kunst und hat einige ganz hübsche Fotografien und Videos zusammengestellt, die einen ein wenig abkühlen. Doch es hilft alles nichts, wir müssen den Berg hinunter, ans blaue Meer. Die Straße führt vorbei am Hotel Regina, in dem Ende des 19. Jahrhunderts noch Queen Victoria mitsamt Hofstaat logierte. Später wurde das imposante Gebäude zum Grand Hotel, in dem Matisse von 1938 bis 1954 wohnte und sein Atelier hatte.

Palais Lascaris, Nizza, Foto: E. Schmidt

Palais Lascaris, Nizza, Foto: E. Schmidt

Unten, in der quirligen Altstadt, wird auf der Place Saint Francois gerade der Fischstand abgespritzt und die Fleischergesellen machen eine Zigarettenpause. Gleich um die Ecke liegt der Palais Lascaris, ein barocker Palazzo, der einen in schattiger Dunkelheit empfängt. Hier ist die Ausstellung „Matisse und die Jahre des Jazz“ untergebracht: Zwischen 1943 und 1949 schuf Matisse ein Künstlerbuch unter dem Titel „Jazz“: Sein schwebender Ikarus auf blauem Grund mit zackigen gelben Sternen ist weltweit bestimmt millionenmal nachgedruckt worden.

Wir wandern weiter in die gleißende Sonne entlang der berühmten Strandpromenade Boulevard d’Anglais zum Musée Masséna, das in einer herrschaftlichen Luxusvilla mit Meerblick residiert, die Victor Masséna d’Essling duc de Rivoli 1898 erbaute. Hier geht es um das Thema der Palme in der Kunst, ausgehend von Matisse, der den südlichen Sehnsuchtsbaum in verschiedensten Variationen immer wieder gemalt hat. Aber Picasso hat das auch nicht schlecht gemacht, wie man sieht.

Der Rückweg über die Rue de France verführt profanerweise zum Sandalenkauf mit viel zu hohen Absätzen, in denen ich die Stufen zum Musée d’Art Moderne et d’Art Contemporain (MAMAC) kaum mehr hochsteigen kann. Doch die Mühe lohnt, denn oben heißt es freundlich „Bonjour Monsieur Matisse“ und die Kuratoren haben eine beeindruckende Auswahl an moderner Kunst zusammengetragen, die den Einfluss des stilbildenden Meisters des 20. Jahrhunderts auf seine Nachfahren augenfällig werden lässt. Von Roy Lichtenstein über Jean-Michel Basquiat und Niki de Saint Phalle bis hin zu Martin Kippenberger ist einiges von Rang und Namen vertreten.

Aufmerksame Leser haben vielleicht mitgezählt: Wir haben nur fünf von acht Matisse-Ausstellungen geschafft. Leider mussten wir dann die schmerzenden Füße ins Meer hängen. Wer alle acht an einem Tag absolviert, soll sich bitte bei mir melden, aber ich brauche Beweise. Der Flug Düsseldorf-Nizza dauert nur anderthalb Stunden.

Infos: matisse2013.nice.fr