Flügellahmer Firlefanz: Rossinis „Italienerin“ landet in Gelsenkirchen im Regenwald

Ab nach Hause: Die Italiener haben die Nase voll vom Dschungel (Foto: Pedro Malinowski)

Ab nach Hause: Die Italiener haben die Nase voll vom Dschungel (Foto: Pedro Malinowski)

Die Stärken von Gioacchino Rossinis komischen Opern verkehren sich im heutigen Theaterbetrieb leicht in ihr Gegenteil. Wo der erfindungsreiche Bonvivant aus Pesaro einst mühelos unterhielt, wo er mit geschliffener Ironie und funkelnder Spottlust zu Felde zog, holpern und stolpern Neuproduktionen oft mühsam zwischen lahmen Gags, derben Schenkelklopfern und platten Aktualisierungsversuchen. Dann wird aus turbulenter Komik eine bunte Klamotte, aus geistreichem Vergnügen eine alberne Farce.

So ist es jetzt im Gelsenkirchener Musiktheater geschehen, das für die temporeiche Komödie „Die Italienerin in Algier“ eines der aufwändigsten Bühnenbilder hat aufbauen lassen, die es je an diesem Hause gab. Der zerborstene Flugzeugrumpf, dessen Teile in einem dichten Regenwald liegen, wanderte nach seiner Premiere im französischen Nancy in vielen Einzelteilen ins Ruhrgebiet. Seit dem Sommer wurde er hier zusammengesetzt und mit diversen Konstrukten aus Bambus umbaut. Denn Isabella und ihr Lindoro versuchen nicht aus Algier zu fliehen, sondern von einer fiktiven Südseeinsel, deren einfältiger Regent namens Mustafà sich häuslich in dem aufgerissenen Flieger eingerichtet hat.

Ein spektakulärer Anblick ist dies, verwirklicht durch den MiR-Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic. Und doch hat er der Regie einen Bärendienst erwiesen, denn das tonnenschwere Wrack erdrückt die gesamte Produktion. Regisseur David Hermann, der Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ an der Deutschen Oper Berlin eindrucksvoll in Szene setzte, bleibt in Gelsenkirchen kein Raum für Feingeistiges – und schon gar nicht für Eleganz. Ohne sie schmeckt aber selbst ein jugendlicher Geniestreich wie die „Italienerin“ eher nach Hausmannskost als nach Trüffelleber.

Quintett im Flugsessel: Carola Guber, Hongjae Lim, Alfia Kamalova, Krzysztof Borysiewicz und Piotr Prochera (v.l., Foto: Pedro Malinowski)

Quintett im Flugsessel: Carola Guber, Hongjae Lim, Alfia Kamalova, Krzysztof Borysiewicz und Piotr Prochera (v.l., Foto: Pedro Malinowski)

Beim Zusammenprall der Kulturen geht es absehbar derb zu: Die einen haben dem Kannibalismus noch nicht ganz abgeschworen, die anderen saufen die Bordbar leer, bevor sie zu Rossinis vorwärts treibenden Crescendo-Walzen das Tanzbein schwingen. Die Kostümabteilung zieht alles aus dem Fundus, was nicht niet- und nagelfest ist: Südseemasken, Federfummel, Seiden-Saris, Uniformen, Muschelketten, Goldschmuck, Orden, Sonnenbrillen, Macheten und vieles mehr. Um Mustafà zu betören und schließlich zu übertölpeln, muss Carola Guber (Isabella) fortwährend Schultern und Hüften schwingen, obgleich ihre Statur mehr einer Brünnhilde zuneigt als einer Salomé. Immerhin bietet das Finale des ersten Aktes einen Moment köstlich überdrehten Unsinns. Da reicht ein Statist Kühlelemente von Bord, damit die Köpfe des völlig verwirrten Sextetts nicht gänzlich überhitzen.

Gesungen wird ansprechend, wenngleich nicht brillant. Isabella Guber ist koloratursicher und behält die Fäden sicher in der Hand. Piotr Prochera vereint als Taddeo sonore Stimmqualitäten mit südländischer Quirligkeit. Alfia Kamalova (Elvira) und Anke Sieloff (Zulma) sind verlässliche Partner. Als Lindoro überrascht Hongjae Lim immer wieder mit Bögen voller Belcanto-Schmelz und Strahlkraft. Einzig der Bass von Krzysztof Borysiewicz zeigt bei der Premiere wenig Kern: Sein Mustafà bleibt ein blasser Tölpel, der sein Macho-Gehabe stimmlich nicht untermauern kann. Der Finne Valtteri Rauhalammi, seit August 2012 erster Kapellmeister des Hauses, dirigiert einen heiteren Rossini, der zuweilen recht brav und kultiviert klingt. Mancher mag da anarchischen Witz vermissen; andererseits verzichtet Rauhalammi auf krachende Effekte.

Für ihre Flucht bekommen die Italiener den flügellahmen Vogel am Ende angeblich wieder flott. Schade, dass wir davon nicht ein bisschen mehr bemerkt haben.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Informationen: www.musiktheater-im-revier.de)




„Neues aus der Anstalt“: Abschied mit Wehmut

So. Das war’s. Jetzt hat das deutsche Fernsehen vorerst keine Kabarettsendung mehr, die diesen Namen verdient. „Neues aus der Anstalt“ mit Urban Priol und Frank-Markus Barwasser (alias Erwin Pelzig) ist Geschichte.

Wirklich schade. Man wird sie vermissen. Rund sieben Jahre und 62 Sendungen lang haben sie tapfer die Stellung gehalten. Zum Schluss und so kurz nach den Bundestagswahlen haben sie – zwischen gepackten Koffern und Umzugskartons – noch einmal einiges aufgeboten. Beim Abschied kehrte der grandiose Georg Schramm zurück, der allerdings inzwischen weit übers bloße Kabarett hinaus zu sein scheint.

Der Ernst des Georg Schramm

Schramm hat inzwischen leider nicht nur dem Fernsehen, sondern auch Live-Auftritten vor kleinerem Publikum abgeschworen. Er wirkte denn auch ernst und überhaupt nicht „lustig“ im landläufigen Sinne. Aber jeder seiner Sätze über die „Drogendealer“ der Wirtschaft regt zum Nachdenken an. Schramm lässt prägnante Fakten vom Krieg der Reichen gegen die Armen sprechen – und da läuft es einem kalt den Rücken herunter.

Urban Priol (li.) und Frank-Markus Barwasser in "Neues aus der Anstalt" (© ZDF/Tobias Hase)

Urban Priol (li.) und Frank-Markus Barwasser in „Neues aus der Anstalt“ (© ZDF/Tobias Hase)

Auch Volker Pispers zählt auf seine Weise zu den Besten der Zunft. Er zergliederte die deutsche Sehnsucht nach einer Königin-Mutter („Queen Mum(m)“), die von Angela Merkel nahezu perfekt bedient werde. Von Politik hält die Frau eigentlich gar nichts, aber sie ist eben furchtbar gern Kanzlerin…

Den Laden zusammenhalten

Neben solchen Größen muss sich Urban Priol schon ziemlich anstrengen. Wie hat er sich all die Jahre an der Kanzlerin abgearbeitet – und nun dieses Wahlergebnis nahe der absoluten Mehrheit! Da bleibt ihm nur die Freude am Schicksal der FDP. Priol ist ein anderes Kaliber als Schramm und Pispers, doch als allzeit aufgeregter, ja geradezu elektrisierter „Herbergsvater“ (oder eben Anstaltsleiter) auch eine Figur von eigenen Graden. Er hat den Laden zusammengehalten.

Ganz zu schweigen vom feinsinnigen Frank-Markus Barwasser, der diesmal mit Schramm ein geradezu philosophisches Gespräch über den Unterschied zwischen Lügnern und Verlogenen führte. Und Hausmeister Jochen Malmsheimer? Nun gut, der musste immer mal wieder seine etwas erkünstelten sprachlichen Finessen vorführen. Ein knorriger Kerl wie ein Baum, der sich schon mal in sein eigenes Reden vernarrt. Ein Gegensatz in sich. Auch er gehörte dazu.

Ritterschlag von Hildebrandt

Die wirklich großen Zeiten des Fernseh-Kabaretts („Lach- und Schießgesellschaft“, „Stachelschweine“) sind freilich schon lang vorbei. Doch es war bezeichnend, dass der große Altvordere Dieter Hildebrandt den Leuten um Priol die Ehre erwiesen hat und gelegentlich als amüsierter Zuschauer oder gar als Mitwirkender zugegen war. Es war wie ein Ritterschlag.

Man kann nur hoffen, dass im ZDF oder sonstwo etwas Gleichwertiges nachfolgt. Doch ich habe da so meine Zweifel.

(Der Beitrag ist zuerst auf www.seniorbook.de erschienen).




Stahlgewitter der Stimmen: Giuseppe Verdis „Don Carlo“ am Theater Dortmund

Susanne Braunsteffer als Elisabeth von Valois (Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture)

Susanne Braunsteffer als Elisabeth von Valois (Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture)

Zwei Männer versichern einander ewige Freundschaft: Don Carlo, Infant von Spanien, und der Marquis von Posa, ein Freigeist und Schwärmer, der Flandern vom Joch der spanischen Herrschaft befreien möchte. Ihr Schwur hat Giuseppe Verdi zu einem seiner hinreißendsten Duette inspiriert. Kernig im Ton, kraftvoll im Schwung und glühend in der Emphase, haftet es schon nach dem ersten Hören für immer in Herz und Sinn.

Hier aber, im Theater Dortmund, setzt jetzt das Stahlgewitter der Stimmen ein. Angeführt vom frankokanadischen Tenor Luc Robert, der in der Titelpartie sein Deutschland-Debüt gibt, schaukelt sich die vom Nationaltheater Mannheim übernommene Premiere zu einem Wettstreit der Phonstärken hoch. Luc Robert (Carlos) und Gerardo Garciacano (Posa) legen gleich zu Beginn derart los, dass von den Dortmunder Philharmonikern kaum noch etwas zu hören ist.

Robert schmettert mit heldischer Kraft, setzt bei monochromer Stimmfarbe auf die Demonstration müheloser Lautstärken, was bei einer Vorstellungsdauer von dreieinhalb Stunden ermüdet. Garciacano bietet als Posa wärmere Farben, gerät aber gleichfalls in den Sog, dem sich an diesem Abend kaum einer entziehen kann. Wen Wei Zhang als glückloser Monarch Philipp II, Christian Sist als blinder Großinquisitor, die von Granville Walker gewohnt gut einstudierten Chöre: Alle hauen raus, was die Lunge nur her gibt. Ein tragischer Total-Ausfall ist die Prinzessin Eboli von Katharina Peetz. Es grenzt an Verantwortungslosigkeit, eine Sängerin auf die Bühne zu schicken, die mit ihrer Rolle so massiv überfordert ist.

Mäßigend auf die Fortissimo-Exzesse einzuwirken, wäre die Aufgabe von Dirigent Gabriel Feltz gewesen. Doch statt dimmender Gesten sehen wir von Dortmunds neuem GMD vor allem den Zeigefinger, der jedes noch so kleine Detail bestimmen will. Derart ins Korsett der Struktur eingeschnürt, kann die Musik nicht atmen. Wo Verdi einen düsteren Schicksalston anschlägt, wo das Drama der Akteure in brennende Dringlichkeit gipfelt und die Musik vor mühsam unterdrückten Gefühlen glüht, tönt uns technokratische Kälte entgegen. Der Eifer des Richtigmachens ist der Kunst abträglich.

"Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!": Marquis Posa (Gerardo Garciacano) bekniet Philipp II. (Wen Wei Zhang. Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture)

„Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“: Marquis Posa (Gerardo Garciacano) bekniet Philipp II. (Wen Wei Zhang. Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture)

Die Bühne von Mathis Neidhardt zeigt uns klassizistisch-imperiale Fassaden, deren Rückseite die Seelenlosigkeit einer bürokratischen Tyrannei zitiert. Die Kostüme (ebenfalls Mathis Neidhardt) mäandern durch die Zeitzonen, als wollten sie uns daran erinnern, dass auf Unterdrückung basierende Herrschaftssysteme auf keine Epoche der Geschichte beschränkt sind. Die Damen der Prinzessin Eboli wirken mit ihren Hochsteck-Frisuren wie gut situierte Hausfrauen der 60er Jahre. Sie planschen bei einer geselligen Cocktailparty am Plastikpool, während sich die Eboli bei ihrem maurischen Lied wollüstig in den Schritt fassen lässt. Soldaten tragen moderne Uniformen und Maschinengewehre, Posa sieht aus wie ein Handelsreisender in Sachen Freiheitskampf. Carlos, König und Königin hingegen sind prachtvoll historisch gewandet.

Von der Regie Jens-Daniel Herzogs gibt es leider nicht viel zu berichten. Dortmunds Intendant zitiert bekannte Bilder von langen Trauerzügen, mit denen das Volk pflichtschuldig am aufgebahrten Sarg des Herrschers Abschied nimmt: in diesem Fall von Philipps Vorgänger Karl V. Das Autodafé deutet er in einen quasi stalinistischen Selbstreinigungsprozess um, vergibt die mahnende Stimme aus dem Jenseits an den toten Marquis Posa und lässt ansonsten ausgiebig an der Rampe singen.

So klammern wir uns an den einsamen Monarchen Philipp, dem Wen Wei Zhang zwischen eisernem Machtanspruch und verzweifelter Liebessehnsucht Kontur und Stimme gibt. Lichtblicke gönnt uns auch Elisabeth von Valois, achtbar gesungen von Susanne Braunsteffer, deren hochgesteckte, mit Perlen geschmückte rote Haartracht freilich mehr an die Tudor-Königin erinnert als an die Lilie von Frankreich. Zwar schafft die Sängerin es bei eher kalt gleißenden Höhen nicht, die Königin zur großen Schmerzensgestalt zu formen, lässt uns aber wenigstens ahnen, welche Majestät sich diese große Frau bewahrt – selbst noch im äußersten Verzicht.

(Der Text ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Informationen: www.theaterdo.de)