Das süßliche Werben um die SPD – Günther Jauchs Talkrunde über Koalitionen

Das aktuelle Ringen um Koalitionen war diesmal Talk-Thema bei Günther Jauch – und er hatte auch eine Schlüsselfigur zu Gast, nämlich die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die eine Große Koalition mit CDU/CSU sehr skeptisch sieht, aber auch nicht ausschließen mag.

Warum denn auch? Erst einmal verhandeln und schauen, welche eigenen Inhalte durchzusetzen sind. So lautet die vernünftige Devise.

Talk-Moderator Günther Jauch (© ARD/Marco Grob)

Talk-Moderator Günther Jauch (© ARD/Marco Grob)

Wer auch immer da geglaubt haben mag, Frau Kraft würde vorzeitig eine deutliche Tendenz erkennen lassen, der wurde naturgemäß enttäuscht. Gottlob wird Politik immer noch nicht in solchen Fernsehrunden gemacht. Allenfalls springt die eine oder andere (meist kurzatmige) Nachricht dabei heraus.

War Politik früher ehrlicher?

Immerhin wurde klar, dass Vertreter der Union um die Mitwirkung der Sozialdemokraten werben. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und der sympathisch entspannte CSU-Altvordere Theo Waigel säuselten geradezu süßlich in Richtung der SPD. Waigel sprach von einer „stolzen Partei“, die sich nun der Verantwortung fürs ganze Land stellen müsse, Altmaier lobte den fairen Wahlkampf ohne persönliche Angriffe. Es herrschte offenbar eitel Harmonie zwischen den Volksparteien. Zumindest an der Oberfläche. Eigentlich schade, dass kein Grünen-Politiker zugegen war.

Die Runde wurde erweitert durch Bernhard Bueb (früherer Leiter der Eliteschule in Salem), der sich am Eindruck geradezu festbiss, die heutigen Politiker seien unehrlicher als früher. Dass der stocksteif und bierernst wirkende Mann ausgerechnet das florierende deutsche Kabarett zum Zeugen für seine schmale These anrief, war indes unfreiwillig komisch.

Ein unvermeidlicher Gast

Leider saß auch mal wieder der in politisch angehauchten Talkshows schier unvermeidliche Journalist Michael Jürgs dabei. Eigentlich hatte man längst gehofft, dass es in Talk-Redaktionen eine gewisse Sperrfrist für Leute gibt, die sich dermaßen oft im Sessel gelümmelt haben. Kurzum: Jürgs kann mal eine längere Pause vertragen. Vielleicht sollte er mal einen schönen Urlaub machen.

Der von Bernhard Bueb beklagten Entpolitisierung der Gesellschaft wurde jedenfalls in der Einleitung kräftig Vorschub geleistet. Günther Jauch wurde nicht müde, die „Sondierungen“ vor etwaigen Koalitions-Verhandlungen als strategisches „Spiel um die Macht“ und gar als eine Art Variante des Doppelkopf-Kartenspiels darzustellen. Nun gut: Irgendwie musste er sein Thema ja populär „verkaufen“.

Die Perspektive von Wanne-Eickel

Geradezu dümmlich aber waren die Einspielfilmchen, die Hannelore Kraft quasi den Blickwinkel einer Lokalfürstin aus Wanne-Eickel unterstellten und darin der Wochenzeitung „Die Zeit“ (Überschrift: „Geistiger Ruhrpott“) blindlings folgten. Andererseits wurde bereits geraunt, dass es eines Tages zum Kanzlerinnenduell Merkel kontra Kraft kommen werde. Doch auch dazu muss man kein großer Prophet sein.

Einen Fauxpas leistete sich Günther Jauch übrigens noch ganz zum Schluss. Direkt nach der Einblendung von „Tagesthemen“-Moderator Thomas Roth, der unter anderem ein wenig Bundesliga-Spannung verhieß, verriet Jauch zumindest tendenziell das (allerdings schon weithin bekannte) Resultat eines der Sonntagsspiele. Sonderlich kollegial war das trotzdem nicht.

(Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen)




Viel Steine gab‘s – Georg Kleins Roman „Die Zukunft des Mars“

Wenn neben dem literarischen Hochgenuss ein zweiter Grund genannt werden müsste, warum sich die Lektüre von Georg Kleins neuem Roman „Die Zukunft des Mars“ unbedingt lohnt, dann vielleicht, weil wir durch ihn die „Gute Alte Zeit“, in der wir heute leben, neu schätzen lernen könnten.

Vladimir Nabokov hatte in Stadtführer Berlin einen Sinn schöpferischer Literatur darin gesehen, „alltägliche Dinge so zu schildern, wie sie sich in den freundlichen Spiegeln künftiger Zeiten darbieten werden.“ Georg Klein verfügt über diesen besonderen Blick auf das kuriose, später sicher einmal museumswürdige Spielzeug, mit dem wir uns heute vergnügen. Oder auf das Stückchen Weihnachts-Geschenkpapier, das sich in einem unzugänglichen Gebiet der Marsoberfläche verliert. In „Die Zukunft des Mars“ ist unsere Gegenwart längst Geschichte geworden, und wir Menschen von heute sind die Bewohner einer legendären, einer untergegangenen Welt.

978-3-498-03534-1.jpg.666368Anstatt aber wie die Rezensentin im Feuilleton einer überregionalen Tageszeitung von einem „friedfertig pessimistischen Zukunfts-Thriller“ zu sprechen, könnte ebenso gut der Optimismus hervorgehoben werden, der in der kriegerisch verwickelten Lage eines postdesaströsen Europas den Alltag der Romanfiguren durchwirkt, bis hin zur kindlichen Vorfreude auf das Weihnachtsfest.

Pessimistisch bzw. dystopisch ist der Roman allerdings, was den Fortbestand von Nationalstaaten und Demokratien betrifft, ebenso im Hinblick auf intakte Telefonverbindungen, die Erwartung von mehr Fernsehkanälen als täglich zwei Stunden Regierungsprogramm, das nur gemeinschaftlich an wenigen Empfängern geschaut werden kann, oder die Zukunft von Kaffeekultur. Dafür werden die noch verbliebenen Alt-Alkoholika wie das Danziger Goldwasser oder die mehr schlecht als recht funktionierenden elektronischen Geräte, die den „Ewigen Winter“ überstanden haben, hoch gehandelt. Was in Georg Kleins Roman die Gegenwart der Zukunft ist, dürfte nur sehr spezielle Typen erwartungsfroh stimmen, etwa Elektrobastler, wie „Opa“ Spirthoffer einer ist, oder Charaktere mit Alleinherrscher-Phantasien wie Don Dorokin, der sich das Freigebiet Germania mit zwei Rivalen aufgeteilt hat.

Die Welt nach einer großen Umwälzung

In dieser Robinsonade nach einer politischen, wirtschaftlichen und offenbar auch klimatischen Umwälzung, die die ehemals deutsche Hauptstadt an den westlichen Rand der chinesischen Protektorate gerückt hat, versucht sich die mit ihrer Tochter Alide aus dem sibirischen Novonovosibirsk eingewanderte Lehrerin Elussa unter (aus unserem Wohlstandsdeutschland betrachtet) eher armseligen Bedingungen durchzuschlagen – nicht zuletzt, indem sie die Russischkenntnisse des hundertjährigen Herrn Spirthoffer aufzufrischen hilft.

Doch auch die Überlebenskämpfe im Nachkriegs-Germania spielen sich im Vergleich zu den Sorgen der Mars-Bewohner unter privilegierten Bedingungen ab. Allein schon die Artenvielfalt, die auf der „blauen Mutterkugel“ weiterhin existiert, wäre auf dem roten Planeten unvorstellbar. Von den Tieren im Freigebiet Germania seien hier nur zwei genannt: der aus Sibirien eingewanderte Marderhund und der aus dem untergegangenen Amerika herübergeschwommene Waschbär, die sich im Erkennen ihrer physiognomischen Ähnlichkeit tödlich ineinander verbeißen – eine zutreffende, vielseitig anwendbare Metapher. An solchen und anderen Einfällen ist der Roman reich.

Auf dem Mars gibt es fast nichts als Steine, diese aber in allen Farben und Formen. Mit einfachsten Werkzeugen, jedoch spezialisierten handwerklichen Fertigkeiten, werden Steine zu Mehlen zermörsert, aus denen zum Beispiel der als Arznei taugliche Blausteinbrei angerührt wird. Aus demselben Blaustein kann unter größten Sicherheitsvorkehrungen aber auch verbotenerweise Tinte gebraut werden. Steinschmalz wird für die Produktion von Kerzen verwandt. Glanzsteine dienen als Spiegel. Aus bräunlichem Steinglas werden Guckfenster geformt. Und orangener Warmstein heilt fast alles.

Allesmacher, Neubastler, Nothelfer

Neben den Steinbrechern und Glasmachern gibt es Altfinder, die nach verwertbaren Resten aus der Siedlerzeit graben, und Berufe wie Allesmacher, Neubastler, Nothelfer oder – eine besonders hoch angesehene Gruppe – Mockmock-Beobachter. Das in der Tiefe des Bodens beheimatete Wesen namens Mockmock, über das hier nichts weiter verraten werden soll, trägt außer den Steinen und seltenen Funden aus der Zeit der Erstbesiedlung entscheidend zum Überleben der Marsianer bei.

Jeder hat seinen festen Platz in der Gesellschaft, der ähnlich vorbestimmt zu sein scheint wie in Platons Staatsideal. Ab einer bestimmten Anzahl grauer bis weißer Haare kann man in den Panik-Rat aufgenommen werden und sich aktiv am „Großen Palaver“ beteiligen, das man sich als eine Tradition nicht-kodifizierter Gesetze und Handlungsrichtlinien vorstellen kann. Denn lesen und schreiben können nur zwei der Marsbewohner, und die müssen ihr Geheimwissen sorgsam vor den Anderen verbergen. Die sechsundfünfzig „Heiligen Bücher“, die noch von der Erde stammen, gelten als unlesbar, genießen jedoch kultische Verehrung.

Der Schreibfertigkeit des Marsbewohners Porrporr verdanken wir im ersten von vier Romanteilen erkenntnisreiche Einblicke in den Alltag der postkolonialen Marsmenschen. Er schreibt zum Beispiel über die Freude, wenn die Herstellung einer in ihrer Transparenz auch noch so getrübten Glasscheibe gelingt, oder über die notwendigen, aber mitunter lustvollen Fahrten mit dem Doppeltretroller über glatte Lavafelder. Der Berichterstatter wertschätzt die einfachen Dinge und gibt uns Erdenmenschen beim Blick in die Ferne das Staunen aus den Anfängen von Zivilisationen zurück.

„Schändliche Unlust“ als gefürchtete Krankheit

In der lebensfeindlichen Steinwüste tauchen aber auch Krankheiten auf, wie man sie auf der Erde nicht kennt. Eine der gefürchtetsten ist die „Schändliche Unlust“. Wer davon in einem fortgeschrittenen, unheilbaren Stadium befallen ist, wird, egal ob er sich noch bewegen kann oder nicht mehr, in den Purpurspalt entsorgt. Jedoch breitet Georg Klein kein Schreckensszenario aus. Vielmehr wird in aller Selbstverständlichkeit und ohne unnötige Erklärungen von der Mühsal wie von den Freuden des Marsdaseins erzählt. Ebenso wie es auch auf unserer guten alten Erde nicht verwundert, wenn der Partner im Bett von einem fremden Planeten stammt.

Im ironischen Spiel mit einem Genre, in dem sonst munter hin und her teleportiert wird, muss auch die Überbrückung der Distanz nicht im technischen Sinne erklärt werden. Gleichwohl lässt der Autor uns die „Höllenkälte“ mitempfinden, wenn etwa Elussa auf dem Weg durch den Weltraum die Fingernägel in den Rücken eines mitreisenden Buches presst. Neben ihr ist es die fürwitzige Tochter Alide, die den oftmals tödlichen Transfer nicht nur unbeschadet überlebt, sondern sich mit den Marsbewohnern – die aus plausiblen Gründen russisch sprechen – auch gleich unbekümmert unterhält.

Ina Hartwig hat in der „Zeit“ auf die Anspielungen auf Alexej Tolstois Roman „Aëlita“ hingewiesen, aus dem Georg Klein ein Zitat als Motto dem vierten Teil seines Romans voranstellt. Zukünftige Forscher – auf welchem Planeten auch immer – werden aus den vielen im Roman versteckten Hinweisen gewiss alle sechsundfünfzig Bücher zu identifizieren wissen, die auf dem roten Planeten als heilig gelten, sowie das siebenundfünfzigste, an dem sich Elussa auf ihrem Weg durch den frostigen Raum festklammert. Nicht auszuschließen, dass auch der schöne Gegenstand aus dem Rowohlt Verlag eines Tages unter die „Heiligen Bücher“ eingereiht werden wird. Bis dahin sei jedem, der noch zu lesen versteht, eine vergnügliche Lektüre gewünscht.

Georg Klein: “Die Zukunft des Mars”. Roman. Rowohlt Verlag, 384 Seiten, 22,95 €




Samstagabend auf dem Sofa: Drei Stunden Fernsehzeit mit Wetten und Boxen

„Wetten dass…“ – reloaded im ZDF. Zehnmal „danke“ und aufgewärmte Witze. Ein blöder Vorschlag an den krächzenden Elton zur Außenwette. Herr Lanz verspricht, bei verlorener Wette ein (!) rohes Ei zu schlürfen, zusammen mit Sylvester Stallone (was macht der schon wieder hier?). Harrison Ford sitzt und Lanz meint „Ein Wahnsinn“. Der charmante ältere Herr Ford antwortet auf Lanzens blöde Fragen seriös und souverän. Er besitze mehrere Flugzeuge. Lanz freut sich währenddessen (warum?). Ford sagt, er könne nicht zwei Flugzeuge gleichzeitig fliegen und Lanz findet: „Das ist das Problem bei dieser Sache“.

Markus Lanz (li.) und Harrison Ford am 5. Oktober 2013 in "Wetten, dass...?" (© ZDF/Sascha Baumann)

Markus Lanz (li.) und Harrison Ford am 5. Oktober 2013 in „Wetten, dass…?“ (© ZDF/Sascha Baumann)

Ich hole mir einen Joghurt mit Früchten. „Thomas Gottschalk hat auch Blubberfragen gestellt, aber nie wirkliches Interesse vorgegaukelt“, erwische ich mich denkend. Ford sagt: „Big production“ beim Anblick von Helen Fischers Bühnenbild. Lanz sagt: „Deutschland“. Ford soll eine Mailbox besprechen. „Sensationell“. Die Eierwette wurde vergeigt.

Zappe zum ersten Mal rüber zu RTL. Es läuft der Countdown zum wieder völlig überinszenierten Boxkampf. Unser Wladimir gegen den Russen Dingsbums. Werbung. Helene Fischer sitzt auf der Bank, eine nette Person. Bei RTL stehen die Experten.

Lanz fragt das Kind nicht, ob es Indiana-Jones-Fan sei. Schade. Das Kind läuft über Lippenpflegestifte und fällt runter. Wieder vergeigt. In der Probe immer geschafft. Frau Fischer im Rhönrad – ein Wahnsinn. Cher kommt und singt. Boxen. George Foreman spricht. Lanz fragt Cher, ob sie was mit Jimi Hendrix gehabt habe und „Wie war Michael Jackson?“ Ford und Cher hauen wieder ab. Der Boxsprecher Michael sagt den Kampf an. Ja! Heavy weight championship of the woooorrrllldd! Und jetzt gibt’s in die Fresse und nicht auf die Eier!

Im ZDF ziehen vier Tiroler ein schweres Mähschiff (!) schwimmend mit einer Blaskapelle an Bord von einer Seite auf die andere. Das ist unfassbar schwer. „Die Idee entstand im besoffenen Kopf“, sagt einer der Tiroler. Bei RTL singen alle inbrünstig die russische Hymne, als wollten sie gen Ukraine ziehen. Frau Isetbajuwa (?), die Stabspringerin, sitzt am Ring und ist sicher, dass Povetkin nicht schwul ist. Die Schwimmer aus Tirol sind wohlgemeint ganz knapp im Ziel. Gong. Bums! Führhand. Kein Platz für die Hände von Povetkin. Ringkampf eher als Boxkampf. John Newman – irgendein knödelnder Newcomer aus England singt live. Box! Zu wild, zu wild, sagt der Experte. Er macht sich über die Außenbahn zu lang. Angezählt. „Sensationell“, sagt Lanz. Führhände an den Körper. Anja Kling kommt dazu. Wladimir trifft nicht genau genug. Klitschko-Werbung für alles. Anja hat zwei Kinder und ist totenblass geschminkt. Die Boxer wollen sich dauernd umarmen. Eine Tablet-Wette. Intelligent. Man sieht nichts. Dampfwalzen-Wette. Bierflaschenöffnen. Klitschko gewinnt.

Rocky wollte ein Bild malen. Es kommt nicht dazu. Ich trinke einen Eierlikör und sehe, wie Eintracht Braunschwieg gegen Wolfsburg gewinnt, zappe um zu Jägermeister.