Supporting Fans – ein Stimmungsbild aus Dortmund

Schotten, Dänen und Schweden sind in der Stadt. Dudelsackspieler dominieren den Sound in der City. Wir sind in Dortmund. Es ist zwölf Uhr mittags. Das „Roadcorner“ ist aufgebaut und macht sich bereit für die mehr oder weniger trinkstarken Fans. Papiersammler säubern den Platz, machen ihn fotografiersauber für die internationalen Gäste.

Vor dem BVB-Fanshop stehen Verkäuferinnen in standesgemäßem Outfit und rauchen. Später werden sie dazu nicht mehr kommen, denn auch der auswärtige Fan will Souvenirs haben oder seine Zugehörigkeit demonstrieren. „Ich bin vom Stamm der Gelbschwarzen.“

Schotten sind da

Schotten sind da

Wir schreiben Mittwoch, den 6. November 2013. Heute findet das Rückspiel in der Champions League zwischen dem BVB und Arsenal London statt. Nicht einmal das Achtelfinale, nein, ein Vorrundenspiel.  Und hier ist nicht die Rede von den berüchtigten englischen Fans, den Hooligans mit den roten Köpfen und Bier statt Blut in den Adern. Nein, hier geht es um die „Supporters“.

Dänen hängen ein Banner vor ein Restaurant. „Arsenal Denmark“ steht da drauf. Die Dänen besetzen also ein Stück Deutschland. Welch ein Coup! Vor einer Kneipe wird ein nächstes Banner angebracht:  „Arsenal Scotland“. Aha! Schottische Fans in Kilts begleiten eine Londoner Truppe. Das ist so, als würd eine Gebirgsblaskapelle aus Bayern die Auswärtsspiele des BVB begleiten. Oder gibt es so was? Auf Schalke habe ich so was mal entdeckt, ist aber lange her. Das war eine Mädchengruppe aus Regensburg, die Olaf Thon so toll fand.

Hier blasen Schotten in den Dudelsack, dass die Reinoldikirche den Sound in ihren dicken Mauern speichern wird und man noch in Jahren, wenn man genau horcht, Dudelsacksounds hören wird. Es ist das lauteste Analog-Instrument der Welt. Wieder wird ein Banner an einer Markise angebracht. Hier heißt es „Costa del GOONERS“, was immer das sein mag. Auf jeden Fall gröhlen die Fans auf Englisch. Zwischen den Texten sieht man die Grafik einer Kanone. Das ist sicher sportlich gemeint. Gunners, aha!

StadtmusikErste Mannschaftswagen beziehen Stellung. Die Polizisten tragen grüne Kampfanzüge mit der Aufschrift „Polizei“. Ohne diesen Hinweis könnte man sie für die Armee irgendeines Schurkenstaates halten. Schulpflichtige Jugendliche tauchen auf. Sie tragen Plastiktüten. Wie lange darf man das noch? Schulranzen wäre konsequenter. Inzwischen – Gesänge an allen Ecken. Londoner wurden noch nicht gesichtet, auch keine äußerlich erkennbaren Borussen. Die Supporters sind die Vorhut. Warten wir ab, welche Reihenfolge nach dem Spiel stattfindet. Dänen, Schweden und Schotten feiern auf jeden Fall, denke ich. Thanks to German Beer.

(Fotos:Dman)




„Nach dem Applaus“ – ein Krimi aus dem Theatermilieu in Berlin und Wien

Es ist bitterkalt. Schnee und Eis haben die Mitte Europas fest im Griff. Eigentlich möchte man sich es sich nur noch mit einem heißen Getränk und einem guten Buch in der gut geheizten Wohnung gemütlich machen. Doch dann müssen der Berliner Kommissar Thomas Bernhardt und seine Wiener Kollegin Anna Habel doch vor die Tür und hinaus ins Frostige.

In den Hauptstädten Deutschlands und Österreichs geschehen Morde, die offensichtlich enger zusammenhängen, als es auf den ersten Blick scheint. In Berlin wird eine junge Schauspielerin grausam zerstückelt, die noch vor gar nicht langer Zeit in Wien große Bühnentriumphe feierte. Und war sie nicht mit jener Frau näher befreundet, deren kopflose Leiche man in Wien auf den Gleisen eines Rangierbahnhofs findet?

978-3-257-60344-6

„Nach dem Applaus“ heißt der neue, nunmehr dritte „Fall für Berlin und Wien“, den das Autoren-Duo Bielefeld & Hartlieb mit liebevoll-zynischer Lust geschrieben hat. Nachdem der Berliner Literaturkritiker Claus-Ulrich Bielefeld und die Wiener Buchhändlerin Petra Hartlieb ihr unterhaltsames Spiel mit den blutigen Machenschaften unter Schriftstellern und Verlegern („Auf der Strecke“) und mit den politischen Irrungen und Wirkungen unter ehemaligen RAF-Terroristen („Bis zur Neige“) geführt haben, wagen sie diesmal einen Ausflug ins Theatermilieu. Das ist schon deshalb nicht ohne Hintersinn und Humor, weil Berlin und Wien seit jeher um die Theaterkrone im deutschsprachigen Raum kämpfen.

Natürlich war die in Berlin ermordete Schauspielerin eine Lieblings-Diva von Claus Peymann, dem ehemaligen Chef des Wiener Burgtheaters, der seit einigen Jahren das Berliner Ensemble leitet und immer wieder vollmundig verkündet, sein Theater solle Reißzahn im Hinterteil der Herrschenden sein. Peymann wird im Krimi zwar nicht direkt beim Namen genannt, aber auch so ist jedem Leser klar, wer da seine aufbrausenden Bühnenweisheiten und arroganten Kunstsentenzen von sich gibt.

Dass der Theaterdirektor ausgerechnet von einem Kommissar namens Thomas Bernhardt (mit „dt“) verhört wird, raubt dem ehemaligen Weggefährten des (fast) gleichnamigen österreichischen Schriftstellers (mit „d“) beinahe den Verstand. Auch als Kommissar Bernhardt in eine Schauspielprobe platzt, bei der „Peymann“ sich an einer Bühnenversion von Georg Büchners „Lenz“-Erzählung abarbeitet und sich – ausgerechnet! – vom prolligen Volksbühnen-Kollegen Frank Castorf ein paar Ratschläge erbittet, ist der Humorfaktor groß.

Aber bei allen komischen Seitenhieben auf die Theaterszene kommt das bizarre mörderische Treiben nicht zu kurz. Ein zum Eisklotz gefroren toter Schriftsteller im See, ein in luftiger Höhe an die Flügel eines Windrades gebundener Schauspieler, ein Kunst-Mäzen, der gern Gutes tut, aber selbst nicht ohne Makel ist: Es wird Zeit, dass Bernhardt und Habel, die nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander können, gemeinsam am komplizierte Fall bosseln.

Ob die beiden bei ihren Recherchen in Szene-Cafés oder Theater-Kantinen Station machen, immer spürt man, dass jedes Detail stimmt und jede Anspielung bis aufs I-Tüpfelchen durchdacht ist. Zwar versichern Bielfeld&Hartlieb, dass alle Personen und Ereignisse frei erfunden sind. Trotzdem ist es ein kriminalistischer Spaß, die Fantasie mit der Realität abzugleichen.

Bielefeld & Hartlieb: „Nach dem Applaus“. Kriminalroman. Diogenes Verlag, Zürich. 390 Seiten, 14,90 Euro.




Zur Ikone stilisiert: Eine gelungene szenische „Giovanna d’Arco“ in Bielefeld zum Verdi-Jahr

Astrid Kessler als Giovanna in Verdis Oper "Giovanna d'Arco" in Bielefeld. Foto: Bettina Stöß

Astrid Kessler als Giovanna in Verdis Oper „Giovanna d’Arco“ in Bielefeld. Foto: Bettina Stöß

So werden Legenden gestrickt. So entstehen nationale Mythen. Sabine Hartmannshenn erzählt in ihrer Bielefelder Inszenierung von Giuseppe Verdis „Giovanna d’Arco“, wie eine einfache Frau für einen kurzen Moment ihre Träume realisiert – und für eine Ewigkeit in eine Rolle gepresst wird. Das ist so holzschnittartig und schlagkräftig wie Verdis Musik und Temistocle Soleras Libretto.

Mit diesem anregend gelungenen Versuch, Verdis siebte Oper endlich wieder einmal szenisch ernst zu nehmen, positioniert sich das Theater Bielefeld nicht nur günstig in der Spitzengruppe kreativer Häuser zum Verdi-Jubiläum, sondern es kann auch nachweisen, dass in Verdis mittleren Opern mehr steckt als gemeinhin angenommen.

Sabine Hartmannshenn verkürzt, fokussiert und spitzt zu. Das ist gutes Recht einer Regie, die sich im Falle der Jungfrau von Orléans auch noch an der immens vielfältigen Rezeption dieses Stoffes abarbeiten muss. Die Regisseurin konzentriert ihre Arbeit, wie sie selbst sagt, auf die Frage: Wie werden Stars gemacht? Man könnte sie erweitern: Wie werden Heilige gemacht? Identifikationsfiguren? National-Heroen?

Die szenische Exposition in Bielefeld verfährt genauso drastisch wie Verdis Musik. Stefan Heinrichs hat die Bühne mit einem düsteren Käfig zugebaut. Brutalität, Verschleppung, Vergewaltigung, Tod – das sind die herrschenden Kräfte. Das gilt heute wie im Frankreich des 15. Jahrhunderts, in dem das Wirken der historischen Jeanne d’Arc seinen Anfang nahm. Berufung hat für Hartmannshenns viel mit Imitation und Projektion zu tun: Giovanna trägt eine Marienstatue bei sich, stilisiert sich – am Ort der Erscheinungen, Geister und Dämonen – zur zweiten Jungfrau, steht da, in goldenes Licht getaucht, wie eine Vorwegnahme ihrer späteren Mystifizierung.

Stefan Heinrichs hat die Bühne mit einem düsteren Käfig zugebaut: Ein Bild für Gewalt und Tod. Foto: Bettina Stöß

Stefan Heinrichs hat die Bühne mit einem düsteren Käfig zugebaut: Ein Bild für Gewalt und Tod. Foto: Bettina Stöß

Bei Verdi und Solera wird der Widerstreit der bösen Geister und der Engel in den Chören ausführlich exponiert; in Bielefeld bleiben davon leider nur ein paar hohle Töne aus Lautsprechern übrig. Das hat Auswirkungen auf die Figur des Vaters, Giacomo, eigentlich eine treibende Kraft des Dramas. Seine Anklage, Johanna habe sich dem Bösen – und der „niedrigen irdischen Liebe“ – verschrieben, wird er auf dem Höhepunkt des Geschehens formulieren, in dem Moment, in dem der König Johanna gegen ihren Willen zur Patronin des Landes und zur Heiligen hochstilisiert, ihr sogar eine Kirche weihen will.

Kitsch fürs Volk: Giovanna, zur Heiligen stilisiert. Foto: Bettina Stöß

Kitsch fürs Volk: Giovanna, zur Heiligen stilisiert. Foto: Bettina Stöß

Doch der Konflikt zwischen der visionären Energie, die Johanna leitet, und dem in seinem begrenzten Horizont die Tochter grandios missverstehenden Vater interessiert Hartmannshenn weniger. Sie knüpft an der verstiegen-exaltierten Hybris des Königs an. Carlo VII. will – zum Entsetzen Giovannas – aus ihr eine lebende Heilige machen, die beinahe gottgleich zu verehren wäre; ein Thema, das Verdi schon im „Nabucco“ interessiert hat, in dem sich der König selbst zum Gott erklärt und Anbetung fordert.

Von da an beginnt der Prozess, in dem Giovanna sich selbst verliert und zur Ikone stilisiert wird: Dafür steht ein Ausschnitt aus dem berühmten Jeanne d’Arc-Gemälde von Jean-Auguste-Dominique Ingres. Wie ein Emblem vervielfältigt füllt es die Bühne. Giovanna wird diesem Ideal angeglichen: Purpurrock, Rüstung, Standarte, Schwert. Am Ende steht sie auf dem Altar mit der Lilienfahne, erstarrt zur Statue ihrer selbst, freigegeben zur Verehrung. Eine bunt glitzernde Leuchtschrift senkt sich herab: „Santa Giovanna“. Die Stilisierung mündet im Kitsch: Ein genau getroffenes Bild einer degenerierten Heiligenverehrung.

In „Giovanna d’Arco“ experimentiert Verdi mit musikalischen Mitteln, die er später perfektioniert. Vor allem die Holzbläser werden prominent eingesetzt, um dem Orchesterklang Farbe, der Bühne Atmosphäre zu geben. Die gellenden Flöten und das tiefe Holz werden schon ähnlich charakteristisch eingesetzt wie im zwei Jahre später entstehenden „Macbeth“. Der Rhythmus ist exzessiv, manchmal grob und krude zupackend.

Aber Verdi greift auf die Konventionen seiner Zeit zurück, um seine musikalische Charakterisierungskunst weiterzuentwickeln. „Giovanna d’Arco“ ist ein Werk mitten in einem Prozess stürmischer Entwicklung, doch darob ist ihre Musik nicht weniger gültig und authentisch. Alexander Kalajdzic animiert die Bielefelder Philharmoniker dazu, gerade die innovativen Momente deutlich auszuspielen. Das gelingt meist eindrucksvoll modelliert, manchmal aber auch zu lärmend und zu spröde geschliffen.

Von den Sängern wird viel verlangt: Die Partie der Giovanna ist eher lyrisch grundiert, braucht die fein gesponnenen Piano-Linien für den Ausdruck des Visionären. Aber sie kennt auch die Momente kraftvoller Expansion des Tons. Netta Or gibt den Momenten des Träumerischen gefasstes Leuchten, aber wenig Farbe. Im Forte neigt die Stimme zu harter Brillanz, überzeugt aber mit sicherer Höhe.

Evgueniy Alexiev hat als Vater Giacomo einen fabelhaft timbrierten, gut geführten Bariton, neigt nur hin und wieder in der Höhe zum Forcieren und zeigt damit, dass die Kontrolle des Atems noch nicht zu hundert Prozent glücken will. Aber die verblendeten wie die tragischen Seiten dieses komplexen Verdi-Charakters stellt er überzeugend dar. Paul O’Neill ist in der Klage des Königs im vierten Akt präsenter und glaubwürdiger als in seinem Auftritt zu Beginn, in dem er die Stimme in ihre Position quetscht. Für den König bedeutet Giovanna einen Halt im Leben, den er selbst durch seine Schwäche aufs Spiel setzt. Zum Schluss flüchtet er sich in Projektionen des Weiblichen, wie sie die Marienstatue am Bühnenrand symbolisiert: ein Objekt der Entfremdung, kein Subjekt der Selbstfindung.

Nach dieser Arbeit mit einer Oper Verdis, die dem Regisseur nicht entgegenkommt, darf man gespannt sein, wie Sabine Hartmannshenn im Januar 2014 an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf Wagners „Lohengrin“ erarbeiten wird: Wie Giovanna scheitert der Schwanenritter mit seinem göttlichen Auftrag an einer Welt und einem Menschen, die ihre Begrenztheit nicht überschreiten können.