Thema „Lügen“ – Theatergegensätze zwischen norwegischer Saga und nahöstlicher Realität

Das Dortmunder Schauspielhaus, längst überregional „auf der Liste“, bietet fürwahr ein abwechslungsreiches Programm auf seinen Bühnen.

Die Abonnenten können aus dem Vollen schöpfen. Da kann man sich die Gegensätze um die Ohren und Augen fliegen lassen. Das ist sicher ein Paket, das nicht leicht zu handeln ist und die SchauspielerInnen haben zahlreiche schwierige Aufgaben zu bewältigen.  Zwei gegensätzliche Stücke werden im Folgenden als Beispiele herangezogen. Beide handeln vom Lügen.

Nawals Schicksal  – brutal und real

Foto: Theater Dortmund

Foto: „Verbrennungen“ Theater Dortmund/Birgit Hupfeld

Gewalt und Krieg sind Themen, die das Theater von jeher bearbeitet. Je näher sie am Jetzt und Hier sind, desto schwieriger scheint der theatrale Weg, das Publikum aufzurütteln, es zu bewegen. Der kanadische Autor Wajdi Mouawad – im Libanon geboren – hat ein viel gespieltes Stück verfasst, das eigentlich ein Erzählstoff ist. Basis ist eine Lebenslüge, die im Angesicht des Todes aufgelöst werden soll. „Verbrennungen“ heißt das Schauspiel auf der weiß ausgeschlagenen Bühne, einem Labor, das immer wieder wechselnde Spielorte hervorbringt. Die Orte werden nie klar benannt.

Irgendwo im Nahen Osten herrscht Krieg – für uns inzwischen ein Normalzustand. Fast täglich hören wir nur noch halb hin, wenn derartige Meldungen durch die Nachrichten rauschen. Es gibt Vergewaltigung und Folter. So auch in diesem Stück – als szenische Erzählung. Das tragische Geschehen: Die Kinder der gestorbenen Mutter erfahren von der Wahrheit ihrer Identität über Umwege. Das ist furchtbar und dennoch will uns das kaum nahe gehen, da die Figuren nur angerissen werden. Konflikte werden auf die Bühne verteilt und in 90 Minuten erzählt. Es ist schwer, ein derartiges Stück „zu verpacken“, auch für die niederländische Regisseurin Liesbeth Coltof.

Peer Gynts Leben – weltfremd und verblendet

Auf der Suche nach allem und nichts, der Seelenlügner und notorische Verdränger Peer Gynt, Bühnenfigur des Welttheaters, wird gedoppelt und vervielfacht. Er ist die Hauptfigur, der mit Lügengeschichten versucht, der Realität zu entfliehen.

Foto: Theater Dortmund

Foto: „Peer Gynt“ Theater Dortmund/Birgit Hupfeld

In Dortmund wälzen sich die Figuren im Wasser, wechseln ihre Farbe wie die Personenhüllen. Das ist anschaulich, gar etwas wild und vor allem interpretierend. Der Zuschauer erhält eine Deutung des Stoffes. Wer das Original kennt, wird sich anschließen oder auch nicht. Die Inszenierung ist eine kompakte Show ohne großes Tableau mit ausgezeichneter Ensembleleistung.  Die große Musik, die zu dieser Figur von Edvard Grieg geschrieben wurde, findet hier nur als kurzes Zitat statt. Ansonsten wird das Ganze beherrscht von der Musik des Thomas Truax zwischen schleppenden und scheppernden Sounds. Ein guter Griff, nicht nur auf den Gitarrensaiten. Henrik Ibsen hätte die Musik mutmaßlich gefallen.




Das Fest der Immaculata am 8. Dezember

Das Marianum in Neuss war unsere Heimat.(Foto: B. Limburg)

Das Marianum in Neuss war unsere Heimat.
(Foto: B. Limburg)

Wenn ich auf Karten in Cafes das Angebot „Latte macchiato“ lese, dann kommen oft Erinnerungen an die Jugendzeit hoch – obwohl damals dieses Getränk in Deutschland überhaupt noch nicht serviert wurde.

Der Begriff erinnert nämlich an „Maria Immaculata“, ein hohes katholisches Fest, das immer am 8. Dezember, also auch heute, gefeiert wird. Der lateinische Wortursprung ist natürlich identisch.

Offiziell heißt dieses Fest „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“. Wir dachten früher, damit sei die Jungfrauengeburt der Maria gemeint, also ihre Schwangerschaft ohne männliches Zutun, und entsprechend wanderten die Fantasien. Gemeint hatten die alten Kirchenväter aber etwas Anderes: Marias Mutter Anna habe damals mit ihrer Tochter ein Kind geboren, das ohne die Erbsünde von Adam und Eva zur Welt kam, also „unbefleckt“ – immaculata. Das musste wohl so sein, damit sie später Jesus, den angeblichen Sohn Gottes, ebenfalls unbeschädigt zur Welt bringen konnte.

Im frühen Mittelalter gab es um diese Frage großen Streit, inzwischen ist er dogmatisch beigelegt. Tausende katholische Kirchen in aller Welt heißen St. Maria Immaculata, so zum Beispiel die Pfarrkirche in Dortmund-Scharnhorst. Auch unser Jungen-Internat in der Stadt Neuss, in dem ich mehrere Jahre bis zum Abitur am Abendgymnasium verbrachte und das wir nur „Marianum“ oder den „Kasten“ nannten, war dieser Immaculata geweiht, und deshalb gab es stets am 8. Dezember das Patronatsfest. Meist kam an diesem Tag dann auch der Kölner Erzbischof als „Hausherr“ zu Besuch. In Österreich ist das Fest sogar gesetzlicher Feiertag, allerdings fällt es in diesem Jahr, arbeitnehmerunfreundlich, auf einen Sonntag.

Und das oben erwähnte Kaffeegetränk? Macchiato heißt eben „befleckt“ oder „gefleckt“: In Italien serviert man Latte macchiato, im Wortsinn, als heiße Milch, in die ein Espresso geschüttet wird – die Latte wird also befleckt. Die Sitte, die Latte macchiato als Getränk mit zwei Schichten zuzubereiten, entstand erst später in nördlichen Ländern und wandert nun langsam hinunter in touristische Regionen Italiens.

Auch so kann man also von Hölzken auf Stöcksken zum 8. Dezember kommen.