TV-Nostalgie (6): Erik Ode als „Der Kommissar“ – Mal gütiger, mal strenger Vater

Du meine Güte, wie lang ist das her! Am 3. Januar 1969 ging im ZDF „Der Kommissar“ auf Sendung, die legendäre Krimireihe von Herbert Reinecker und Helmut Ringelmann. Erik Ode bestritt als Kommissar Keller auf seine altväterliche Art 97 Folgen.

Kaum zu fassen, in welch unvordenkliche Zeiten „gemütlicher“ Möblierung und vor allem des bundesdeutschen Patriarchats uns gleich die allererste Episode (Titel: „Toter Herr im Regen“) führt.

„Du bist dumm, aber lieb!“

Zum Anbeginn der Serie sehen wir Erik Ode beim wohlverdienten Gläschen Rotwein, daheim seine Briefmarkensammlung ordnend. Natürlich kommt dann ein Anruf vom Tatort. Keller muss bei strömendem Regen noch einmal ’raus. Die fürsorgliche Gattin (Rosemarie Fendel) zieht ihm eigenhändig Stiefel und Galoschen an, was er nur widerwillig über sich ergehen lässt: „Du bist dumm, aber lieb!“ Das sagt er ihr geradewegs ins Gesicht.

Kommissar Keller (Erik Ode, Mitte), Inspektor Heines (Reinhard Glemnitz, links), Inspektor Grabert (Günther Schramm (rechts). (© ZDF/3Sat - Screenshot von: http://www.youtube.com/watch?v=_8_JB6R_WeM)

Kommissar Keller (Erik Ode, Mitte), Inspektor Heines (Reinhard Glemnitz, links), Inspektor Grabert (Günther Schramm (rechts). (© ZDF/3Sat – Screenshot von: http://www.youtube.com/watch?v=_8_JB6R_WeM)

Hernach wird Keller seine Sekretärin Rehbein(chen) (Helma Seitz) mit ähnlich halbgaren Sprüchen durchs Büro scheuchen. Ist der Kaffee denn immer noch nicht fertig? Kurz darauf wird über eine Zeugin Auskunft begehrt: „Frau oder Fräulein?“ Damit das Lebenswichtige schon mal geklärt ist.

Besserer Herr bei käuflicher Dame

Einen Fall gibt’s auch noch. Der wohlhabende und zynische Dr. Steiner, der all seine Mitmenschen gequält und verhöhnt hat, ist nahe beim Rummelplatz erschossen worden. Man kann sich beinahe schon denken, dass dieser Herr aus den „besseren Kreisen“ da draußen im „Nachtjackenviertel“ (wie man damals zu sagen pflegte) bei einer käuflichen Dame (wie man damals zu sagen pflegte) namens Annchen Kopeke (!) gewesen ist, deren Mutter auch in München mileugerecht zu berlinern hatte. Ist Prostitution also etwas Preußisches?

Steiners Stiefsohn Wolfgang schwelgt geradezu in seinem Hass auf den Altvorderen. Auch alle anderen Verdächtigen benehmen sich nun überaus verdächtig. Entgleisende Gesichtszüge, wohin man auch blickt. Dämliche Verplapperer, wohin man auch lauscht. Keller muss eigentlich immer nur abwechselnd gütig, streng, ahnungsvoll oder allwissend schauen, um ihnen nach und nach alle Geheimnisse zu entlocken.

Andererseits tauchen in der Serie häufig erstrangige Darsteller auf, auch sorgen Regisseure wie Wolfgang Staudte und ambitionierte Kameraleute für bleibende Momente. Sonst wäre „Der Kommissar“ gewiss nicht zur Fernseh-Legende geworden.

Fels in der Brandung der 70er Jahre

Viele Jahre später haben ziemlich kluge Leute festgestellt, Erik Odes eigentliche Funktion sei es gewesen, die rasanten Veränderungen der späten 60er und frühen 70er Jahre emotional aufzufangen und beruhigend abzufedern, so gut es eben ging. Wie oft musste er dabei die Jugend ermahnen oder trösten, die auf schiefe Bahnen zu geraten drohte! Selbst seine Mitarbeiter (Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper) waren ja eine unreife Rasselbande, die lauter Anfängerfehler beging. Kein Wunder, dass das Personal allzeit hohen Bedarf an Zigaretten und Cognac hatte.

Der erste Mord der Reihe wurde übrigens mit einer Offizierswaffe aus dem Zweiten Weltkrieg begangen. Jenen finsteren Zeiten, so war immer mal wieder zu spüren, war man seinerzeit noch nicht allzu lange entronnen. Keller stellte in der Auftaktfolge fest, er sei nun 30 Jahre im Dienst. Man rechne einmal zurück…




Die gnadenlose Zerstörung der Schönheit: T. C. Boyles Roman „San Miguel“

Will Waters, Veteran aus dem amerikanischem Bürgerkrieg, ist ein Eigenbrötler und hat kein Gespür für die Bedürfnisse und Sorgen seiner Familie. Dass er seine schwindsüchtige Frau Marantha ausgerechnet auf eine der öden Kanalinseln vor der Küste Kaliforniens bringt, ist ihr Todesurteil.

Will möchte auf San Miguel Schafe züchten, mit der Natur eins werden und seinem Leben einen neuen Sinn geben. Während er zupackt und alle Widrigkeiten ignoriert, setzen das garstige Klima und die monotone Einsamkeit Maranthas Gesundheit zu. Aufs Festland kehrt sie nur noch einmal zurück, um dort zu sterben. Jetzt ist es an ihrer Tochter Edith, sich gegen den tyrannischen Vater zu behaupten und der verhassten Insel endgültig zu entfliehen.

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Schon in seinem vorigen Roman („Wenn das Schlachten vorbei ist“) hatte T. C. Boyle mit seinem Schreib-Dampfer vor einer der Kanalinseln fest gemacht. Auf Anacapa hatte er Tierschützer und Ökologen bei einem tödlich verlaufenden Streit beobachtet: während die einen ausnahmslos jedes Wesen schützen wollen, sind die anderen bereit, die Rattenplage auf Anacapa mit Gift beseitigen, um alle anderen bedrohten Tierarten zu retten.

In „San Miguel“ ist T. C. Boyle noch ein bisschen weiter aufs Meer hinaus getuckert und macht die am weitesten von seinem kalifornischen Wohnort bei Santa Barbara entfernt liegende Insel zum Schauplatz einer über mehrere Generationen und viele Jahrzehnte sich dehnenden Handlung. Im Zentrum stehen die Frauen, sie sind stark und schön und eigenwillig. Und sie leiden unter ihren Männern. Das trifft auf die kränkelnde Marantha genauso zu wie auf ihre lebenshungrige Tochter Edith.

Auch später, als nach Jahrzehnten wieder ein Paar auf die Insel zieht, muss sich die Frau gegen ihren Mann behaupten. Sie heißt Elise, war einst Bibliothekarin in New York, bevor sie mit Herbie, ihrem Mann, auf San Miguel gestrandet ist. Auch Herbie ist einer dieser Männer, die in einem Krieg gekämpft, ihre seelischen Verwundungen nie überwunden haben, aber nach außen eine harmonische Fassade aufrecht erhalten. Dass sich hinter der Idylle, die das Ehepaar der von den vermeintlichen Pionieren auf San Miguel verzückten Presse vorspielen, Abgründe lauern, wundert kaum.

Basierend auf historischen Tagebüchern und überlieferten Dokumenten erzählt T. C. Boyle in einem weit gespannten Bogen eine amerikanische Saga. Sie handelt vom Kampf gegen die Unbilden der Natur und davon, dass starke Frauen die Träume schwacher Männer ausbaden müssen. Mit bitterer Ironie erzählt der Autor, wie Lebensentwürfe und -verläufe nur selten zueinander passen. Er beobachtet mit kühlem Blick seine Romanfiguren und erkundet, ob und wie sie sich in der Natur behaupten können. Denn der eigentliche Protagonist ist die Insel selbst, ihre Schönheit und Kargheit, die es zu bewahren gilt – und doch immer wieder gefährdet ist.

T. C. Boyle, der am 2. Dezember seinen 65. Geburtstag feierte, ist der Mahner und Apokalyptiker unter den amerikanischen Gegenwartsautoren. Ob in „Willkommen in Wellville“ oder „Americá“, „Ein Freund der Erde“, „Wenn das Schlachten vorbei ist“ oder jetzt in „San Miguel“: immer wieder zeigt er, wohin es führt, wenn der Mensch keine Rücksicht auf die Schöpfung nimmt, egoistisch sich selbst verwirklichen und sich die Natur untertan machen will. Überall nur Chaos und Zerstörung und an den eigenen Lügen zugrunde gehende Menschen. Dass T. C. Boyle mit einer gelassenen Heiterkeit in den Abgrund schaut und niemals ins Predigen kommt, gehört zu seinen ganz großen Stärken.

T. C. Boyle: San Miguel. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2013, 447 S., 22,90 Euro.

Eine gekürzte Lesung des Romans von Jan Josef Liefers it erschienen im Hörverlag München (8 CDs, 24,99 Euro).