Spaß macht Spaß – „Drama Queens“ und „Das goldene Zeitalter“ in Dortmund

Da sitzt man gut gelaunt im Theater und weiß: Unterhaltung ist angesagt.

Es gibt einen Abend der Cover-Versionen aus der Geschichte der Popmusik, eingepackt in ein Bühnenbild, das einer Theaterkantine nachempfunden ist, in eine Handlung gepresst, die eigentlich keine ist. Da kann es schon mal im Tanzbein jucken. Da soll das Publikum doch kräftig Anteil nehmen, auch wenn keine Tanzfläche vorhanden ist. Und eine Nachbarin in meiner Sitzreihe stößt mich an und beschwert sich darüber, dass mein Sprechen sie stören würde.

Drama Queens

„Drama Queens“ (Foto: Birgit Hupfeld)

Dabei hatte ich meiner Begleitung nur schlaumeierisch mitgeteilt, von wem die Originalversion des Songs ist, dem wir gerade lauschten. Ich blieb danach ruhig, konnte aber nicht verhindern, dass ich die Sitzreihe ab und an zum wackeln brachte, immer, wenn es mich rhythmisch gepackt hatte. Einer weiteren Beschwerde wäre ich massiv entgegengetreten, indem ich laut mitgesungen hätte. Es kam nicht dazu.

„Drama Queens“ im Schauspielhaus ist ein Abend, der den Mitwirkenden offenbar Spaß macht. Und das steckt im besten Falle an. Da kann man schon mal über sinnfreie Gänge und stolpernde inhaltliche Vernetzungen hinwegsehen. Da wird gesungen und gewitzelt, als sei es die Kopie eines tatsächlich stattgefundenen Jekami-Abends. Inspizient „Ralle“ ist mit seiner Echtstimme der Zwischenmoderator des Abends auf dem Off. Er ruft zur Probe und weiß „Alles wird gut.“

Da hört man Abba und eine ganze Reihe Evergreens von Simon and Garfunkel. Es geht nicht um Sangeskunst, sondern um einen erholsamen Abend für Sprechtheaterhöchstleister, die hier mal die Hose runter lassen dürfen. Und es gab diese fünf Minuten, in denen ich in meinem Sitz dahin schmolz. Eva Verena Müller, auf einem Tisch sitzend, hat mich umgehauen. Sie sang sich in die Seele, hindurch durch den Abstand eines sachverständigen Zuschauers.  „Neue Songs aus der Kantine“ – eingerichtet von Andreas Beck, unterstützt durch die Kantinenmusik von Paul Wallfisch, weicht nicht von der Ankündigung ab: „Ein Liederabend mit Live-Musik“.

Vergebliche Welterkärung

Eine ganz andere Art der Unterhaltung beinhaltet „Das goldene Zeitalter“, die bestandene Reifeprüfung zur Überwindung der Realität. Alexander Kerlin und Kay Voges kreieren etwas, das – umstritten und gefeiert – im Gedächtnis bleiben wird.  Treppauf, treppab geht es durch die Kopfwelt: Blonde Figuren in blauen Röckchen, Computerstimmen, Fahrstühle ins oben und unten. Die Showtreppe des Absurden wird zum Hauptspielort der seriellen Wiederholung.

Das goldene Zeitalter

„Das goldene Zeitalter“ (Bild: Birgit Hupfeld)

Nach kurzer Zeit nervt das, aber dann scheint es wie ein genialer Kunstgriff. Es zieht uns hinein in einen Abend, der uns eine Fließbandunterhaltung serviert, an der wir uns abarbeiten können. Kurz vor Weihnachten dominieren hier das westliche Fest und seine Wiederholungen. „Alle Jahre wieder“  – immer wieder. Das insgesamt musikalische Stück in zig Akten verfertigt etwas, das nicht fassbar ist. Zwischenrufe aus dem Off suggerieren „live im Hier und Jetzt“, Videobilder aus  dem Draußen und Drinnen ziehen uns heraus aus dem Bühnenmuff. Die roboterhaften Bewegungen der menschlichen Maschinen – man kann sie bald liebhaben.  Und Zeit vergeht, bis der Klokäfer ins Spiel kommt, ein Spielverderber. Und auch der süße Wurm ist ein Störenfried, der vor dem Schmetterlingsdasein, sich mühsam die Treppe hoch robbt, um „The winner takes it all“ zu singen. Köstlich  – wie für den Wurm der frische Salat aus der Vitrine.

Trotzdem hat es dieses Werk nicht nötig, so lang zu sein, dass man nach 150 Minuten meinen könnte, man könne jetzt gehen. Was Neues wird es nicht mehr zu sehen geben. 37 Minuten weniger und es wäre Provokation genug für die einen, Genuss, der nach mehr ruft, für die anderen – und eine Nominierung zu den Berliner Theatertagen wert. Aber vielleicht war es auch richtig, den Abgang offen zu lassen. Fröhliche Weihnachten.

Infos: http://www.theaterdo.de/startseite/

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Zum Vergleich: Auch Anke Demirsoy hat „Das goldene Zeitalter“ bei den Revierpassagen besprochen: http://www.revierpassagen.de/21271/im-aufzug-zur-ewigkeit-kai-voges-beschwort-in-dortmund-das-goldene-zeitalter/20131103_1918″




Schauspielerfest in Schwarzweiß – der Kinofilm „Das Mädchen und der Künstler“

Wir schreiben das Jahr 1943: Während die Welt in Krieg und Chaos versinkt, kämpft ein greiser Künstler mit seiner nachlassenden Schaffenskraft.

Der Bildhauer (Jean Rochefort) und seine junge Muse (Aida Folche). (© Camino Filmverleih)

Der Bildhauer (Jean Rochefort) und seine junge Muse (Aida Folche). (© Camino Filmverleih)

Noch einmal möchte der 80jährige Marc Cros (Jean Rochefort) eine Skulptur schaffen, in der die ganze Schönheit des Lebens und die Erhabenheit der Kunst zum Ausdruck kommen. Seine Frau Lea (Claudia Cardinale) spürt, dass ihr Mann einen kreativen und erotischen Reiz braucht. Damit er nicht vollends in Altersdepressionen versinkt, bringt sie eine junge Frau in sein Atelier. So wird junge Katalanin Mercè (Aida Folch), die tagsüber nackt Modell sitzt und des nachts Flüchtlinge über die Pyrenäen aus dem von Nazis besetzten Frankreich nach Spanien schmuggelt, zur Muse des Bildhauers. Sie beflügelt seine Fantasien und gibt ihm noch einmal die Kraft, dem Göttlichen in der Kunst ganz nahe zu kommen.

Regisseur Fernando Trueba setzt bei seiner filmischen Meditation über das Alter und den Tod, die Kunst und den Krieg ganz auf die stillen Momente des Daseins und die Beharrlichkeit großer Bilder. Die bäuerliche Welt am Rande der Pyrenäen, der Kampf mit dem künstlerischen Material in der Bildhauerwerkstatt, der gelegentliche Einbruch der kriegerischen Realität in die scheinbare Idylle, all das wird in wohl temperierten und atmosphärisch dichten Schwarzweißbildern ausgeleuchtet. Jedes grelle Licht und jeder harte Schatten gewinnen rätselhafte Bedeutung.

„Das Mädchen und der Künstler“ ist ein Fest für große Schauspieler und ein Lehrfilm über die Kunst der kleinen Gesten und sparsamen Worte. Im faltigen Gesicht von Jean Rochefort liest man wie in einem Buch. Das altersmilde Lächeln von Claudia Cardinale erzählt davon, dass wahre Schönheit nie vergeht. Faszinierend, wie der greise Bildhauer sich noch einmal gegen den Tod stemmt und es ihm unter Aufbietung aller verbliebenen Kräfte gelingt, die betörende Schönheit von Aida Folch in einem Kunstwerk festzuhalten.

Ab 25. Dezember in ausgewählten Kinos