Rien ne va plus: „Der Spieler“ am Düsseldorfer Schauspielhaus

Foto: Herbert Käfer/pixelio

Foto: Herbert Käfer/pixelio

Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler“ – das Zitat aus Shakespeares „Wie es euch gefällt“ beschreibt mit einem Satz das Grundkonzept von Martin Laberenz Inszenierung von Fjodor Dostojewskijs Roman „Der Spieler“, die jetzt im Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere feierte. Leider bleibt dies so ziemlich die einzige (tiefsinnigere) Idee, die in der dreistündigen Dramatisierung des Stoffes aufscheint. Und besonders neu ist sie auch nicht.

In einer übergroßen Roulette-Schüssel (oder ist es doch bloß eine Wäschetrommel, wie die Akteure selbst sie nennen?) bewegen sich die Figuren wie in einem Hamsterrad. Schnelles, fieberhaftes Sprechen zeigt die Nervosität der Spielsüchtigen an, die Spannung, unter der sie stehen und die Rastlosigkeit, mit der sie durch ihre Tage rasen, getrieben von der krankhaften Gier nach Geld, Geld, Geld. Allen voran Edgar Eckert als Alexej, der von zweierlei Sucht befallen ist: der nach dem Roulette und der nach Polina (Anna Blomeier), die aus finanziellen Erwägungen sich aber lieber dem Marquis des Grieux (Florian Jahr) zuwendet.

In einer Art Wortkaskaden produzierenden Improvisation eignen sich die Schauspieler nun Dostojewskijs Text an, indem sie uns, dem Publikum oder den „Gästen“, wie sie uns nennen, die Geschichte des „Spielers“ erzählen und markieren. Sie sind gleichsam Akteure in einem Drama, dessen Ausgang sie selbst noch nicht kennen, durch Zufall geworfen auf diese Bühne und vor Situationen gestellt, in denen sie plötzlich entscheiden müssen, ohne zu wissen, was das für Konsequenzen hat.

Eine Schlüsselszene dabei ist der Koffer voller Geld, der plötzlich auf der Bühne auftaucht und Alexej und seinen Freund, den Engländer Mister Astley (Sebastian Grünewald) in Panik versetzt: „Ist da eine Bombe drin? Sollen wir den wirklich aufmachen?“ Die Parallelen zu modernen Phänomen auf Flughäfen oder Bahnhöfen sind witzig ausgespielt und bergen eine gewisse Komik. Ebenso lässt das Konzept ironische Seitenhiebe auf die Situation des Düsseldorfer Schauspielhauses zu: Von plötzlich verschwundenen 5,4 Millionen Euro ist da die Rede, von einem „leergespielten Haus“ und davon, dass „wir eine Leitung brauchen“ – „Aber es findet sich ja keiner.“ Die Anspielungen auf das jüngst zutage getretene Finanzloch und die Tatsache, dass immer noch kein neuer Intendant unter Vertrag genommen wurde, nimmt das Düsseldorfer Publikum amüsiert auf. Das ist geschickt gemacht und holt die Realität rein. Nur leider gehen die originellen Ansätze zu sehr im ausufernden Ganzen unter – vielleicht würde ein wenig Straffung helfen?

Foto: Thomas Siepmann/pixelio

Foto: Thomas Siepmann/pixelio

Ein Lichtblick ist der Auftritt von Karin Pfammatter als Erbtante Antonida Wassiljewna, denn der Besuch der alten Dame bringt die Dramaturgie voran: Wie die mondän-zickige Millionärin vom Virus des Spiels infiziert wird, wie diese Sucht sie in Raserei und Verderben treibt, das zeigt Pfammatter mit großer Intensität und hohem körperlichen Einsatz. Buchstäblich das letzte Hemd reisst sie sich vom Leibe und liefert sich nackt und bloß den voyeuristischen Blicken der „Gäste“ aus. Zugleich gelingen die Szenen am Roulettetisch und damit im Herzen Roulettenburgs, wie Dostojewskij den Ort der Handlung genannt hat, in einer schwebenden, rauchigen und zugleich fieberhaften Atmosphäre. Manchmal können die Spieler nicht hinsehen, sobald die Kugel ihren Lauf beginnt, dann wieder starren sie ins Leere, die unterdrückte Spannung wird im Raum greifbar. Das ist gut beobachtet, so lebt ein Roman im Hier und Jetzt weiter.

Leider flacht der Spannungsbogen danach wieder ab: Die Erbtante, in die die verarmte Familie ihre ganzen Hoffnungen gesetzt hatte, verspielt alles und zieht nach Moskau ab. Die Hinterbliebenen such ihr Glück in Paris oder sonstwo, doch das vermag nicht mehr recht zu fesseln. Oder anders gesagt: „Rien ne va plus“.

Infos und Karten:
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de




Wenn die Idylle in Gefahr gerät – John Cheevers Roman „Ach, dieses Paradies“

Sind es zwei, drei oder vielleicht sogar vier Geschichten, die John Cheever in seinem knapp 120 Seiten umfassenden Roman „Ach dieses Paradies“ miteinander verknüpft? Diese Frage stellt man sich als Leser unweigerlich, will man doch irgendwie die Handlungsstränge verstehen und ordnen.

Aber vollkommen unabhängig davon, auf welche Zahl man sich verständigt: Das Buch, das 1982 (im Todesjahr des Autors) erstmals im amerikanischen Original erschien, besticht durch eine einmalige Erzählkunst. Ihr ist es letztlich zu verdanken, dass die einzelnen Geschehnisse ein Gesamtbild ergeben, mit dem der Autor wohl auch eine Botschaft vermitteln will.

Cheever

Dabei beginnt der Roman eher lapidar, stellt Cheever doch einen älteren Mann vor, der leidenschaftlich gern Schlittschuh läuft. Doch als der Senior eines Tages feststellen muss, dass der Lieblingsort für seinen Lieblingssport, ein idyllisch gelegener Teich, zu einer Mülldeponie verkommen ist, schaltet er sich in die politische Debatte ein. Er holt einen Umweltexperten herbei, der die Gefahren des Vorhabens für Mensch und Umwelt drastisch vor Augen führt, kämpft selbst an vorderster Front, um die Halde wieder verschwinden zu lassen.

Doch dieser Mann namens Lemuel Sears wird nicht nur in seiner Rolle als Umweltaktivist, wie man ihn heute wohl nennen würde, beschrieben, Cheever breitet auch das durchaus verstörende Liebesleben vor dem Leser aus. Dabei überrascht weniger, dass sich der Witwer zu einer jüngeren Frau hingezogen fühlt, die auch gut ohne ihn leben könnte, wie sie offenherzig zu verstehen gibt. Vielmehr ist es die Episode mit einem Fahrstuhlführer, mit dem sich der Naturfreund mir nichts, dir nichts auf ein homosexuelles Abenteuer einlässt.

Sein eigenes Handeln verwirrt Sears derart, dass er einen Psychiater aufsucht, der ihm auf der Suche nach den Beweggründen aber nur wenig weiterhelfen kann. Sears bleibt mit mehr Fragen als Antworten zurück, was sich zunächst auch auf sein Engagement gegen die Deponie übertragen lässt. Das Vorgehen der Behörden findet er befremdlich und unverständlich. Je mehr er sich jedoch in die Entscheidungsprozesse vertieft, umso deutlicher treten die Machenschaften und Intrigen zu Tage, die den Umweltfrevel überhaupt erst entstehen ließen.

Die ohnehin schon komplexe Erzählung erfährt aber noch mehr überraschende Wendungen: ein Barbier, der aus vermeintlicher Geldnot seinen Hund erschießt, die Ehefrau , die mit der Drohung, Lebensmittel zu vergiften, gegen die zu befürchtende Verseuchung des Teiches zu Feld zieht und schließlich das Baby, das auf einem Parkplatz zurückgelassen wird…

Was mag den Schriftsteller wohl motiviert haben, solche vollkommen unterschiedlichen Erzählstränge miteinander zu verknüpfen? Der Titel des Buches bietet dazu durchaus eine Spur an: Das Paradies, das Sears beispielsweise gefunden zu haben glaubt, ist durch die Müllhalde ebenso verschwunden wie die glückliche Zeit, die der Barbier in wirtschaftlich besseren Phasen genießen konnte.

John Cheever: „Ach, dieses Paradies“. Roman. DuMont Verlag. Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Gunkel. Mit einem Nachwort von Peter Handke. 128 Seiten, 17,99 Euro.




Lichtvoll und leicht: Tomáš Netopil dirigiert Brahms in der Essener Philharmonie

Auf Mahler folgt Brahms: Zum zweiten Mal in dieser Spielzeit nähert sich Tomáš Netopil dem klassischen deutschen Repertoire des 19. Jahrhunderts: mit der beliebten „Zweiten“ des in Hamburg geborenen Wieners.

Diesmal vermittelte sich der Eindruck, als habe sich der neue Generalmusikdirektor mit der Akustik des Alfried Krupp Saales erfolgreich angefreundet. Netopil erschloss Brahms’ Zweite aus dem Geist heiteren lyrischen Schwebens, tilgte den „Trauerrand“, den der Komponist in schalkhaften Ankündigungen an seine Freunde um das Werk gezogen hatte. Überspitzt gesagt: Das Werk hätte auch am sonnigen Moldauufer statt am Wörthersee geschrieben sein können.

Tomás Netopil, der neue Chefdirigent der Essener Philharmoniker. Foto: TUP

Tomás Netopil, der neue Chefdirigent der Essener Philharmoniker. Foto: TUP

Ein solches Konzept lichtvoller Leichtigkeit kommt den Philharmonikern gerade recht: Sie können ihre Erfahrung im achtsamen Austarieren klanglicher Balancen, im Aushören kultivierter Piani, im Ausspielen erlesener Legati lustvoll einbringen. Ein „ben marcato“ wird bei ihnen nicht zum teutonischen Dröhnen; der energisch-lebhafte vierte Satz tobt sich nicht aus, sondern bleibt geistvoll gezügelt, auch in der leuchtenden Steigerung der Dynamik.

So führt Netopil die Stimmung genau in die Richtung, die schon die Uraufführungs-Kritiken lobten: Heiterkeit und Lebensfreude. Dem entspricht die Holzbläseridylle des dritten Satzes und die lyrische Selbstbespiegelung des zweiten: Selbst der Blick der Posaunen zurück auf den ersten Satz trübt das ruhevolle Licht nicht. Die Instrumentierung mit tiefen Streichern und Bläsern könnte auch anders gelesen werden – aber Netopil will sich die gelöste Atmosphäre nicht verdüstern lassen.

Auch den ersten Satz versteht der Dirigent offenbar ganz aus dem Geist des Lyrischen. Damit bettet er die gesamte Symphonie in eine einheitliche, geradezu pastorale Sphäre. Man mag das als befreiend empfinden, aber unüberhörbar ist auch eine Monochromie, die den Schattierungen und energischen Kontrasten nicht gerecht wird. Was Brahms-Forscher Peter Gülke eine „brutale, störende Intervention“ genannt hat – die Pauken- und Posaunen-Passage am Ende des Hauptthemas –, wird bei Netopil zum aparten Farbakzent. Auch die bohrenden Akkordbrechungen gewinnen keine dramatische Relevanz. Und die drängenden Imitationen des beiläufigen Eröffnungsmotivs, das sich als thematisch wichtige Zelle offenbart, bauen keine Spannung auf. Lyrik wird zum Lyrizismus.

Was bei Brahms den Eindruck des Defizitären nicht abschütteln kann, darf bei Haydn als reine Tugend gelten: Mit dem Cellisten Johannes Moser ergibt sich im C-Dur-Cellokonzert des Esterhazy’schen Meisters ein frisches, heiteres Zusammenspiel, ungetrübt von schwerköpfiger Reflektion oder sauertöpfischer Grübelei.

Moser verzärtelt weder den zupackenden Optimismus des ersten noch die pikante Beweglichkeit des dritten Satzes. Die Phrasierung ist markant, die Tongebung bestimmt und klar definiert; der Klang des Cellos changiert zwischen zart verrauchtem Piano und forscher Brillanz. Und das Adagio ist von jener schimmernden Sanglichkeit geadelt, die seit jeher als Prüfstein für die Musikalität jedes Cellisten gelten darf. – Die „Tänze aus Galánta“ Zóltan Kodálys zur Eröffnung des Abends leben aus den melodiösen Reminiszenzen, die der forschende Kollege Béla Bartóks in der heimischen Musik dieser Provinzstadt rund fünfzig Kilometer östlich von Bratislava entdeckt hatte und in einer subtilen symphonischen Form voll klanglicher Reize verarbeitete.